Herausforderungen im Familienrecht
MARTINA RUSCH
Rechtliche Elternschaft – Rechtsvergleich und Reformvorschlag für die Schweiz, Stämpfli Verlag AG, Bern 2009, 221 Seiten, Fr. 75.–
ANDREA BÜCHLER/ HEIDI SIMONI (HRSG.)
Kinder und Scheidung – der Einfluss der Rechtspraxis auf familiale Übergänge, Rüegger Verlag, Zürich/Chur 2009, 468 Seiten, Fr. 52.–
THOMAS SUTTER-SOMM/ FELIX KOBEL
unter Mitarbeit von Milan Lazic, Nicole Wälchli-Simon, Familienrecht, Schulthess Juristische Medien AG, Zürich 2009, 328 Seiten, Fr. 84.–
Kernstück der zehn Jahrezurückliegenden Scheidungsrechtsrevision war die Einführung der Möglichkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge nach Scheidung sowie die Verbesserung der Stellung der Kinder im Verfahren. Ob die Neuerungen und die darauf abgestützte Gerichtspraxis den Interessen der Kinder und Jugendlichen nach Verbundenheit mit beiden Elternteilen tatsächlich gerecht wurden, ist fraglich. Die pluralisierten Familienformen, die biomedizinischen Errungenschaften in der Fortpflanzung und das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung verlangen zeitgemässe Regelungen. Drei neue Abhandlungen befassen sich mit dieser Thematik.
Die von Andrea Büchler und Heidi Simoni herausgegebene Publikation «Kinder und Scheidung» präsentiert die Ergebnisse der im nationalen Forschungsprogramm 52 transdisziplinär untersuchten Schwerpunkte «Partizipation der Kinder an den Veränderungen» und «Die elterliche Sorge zwischen Rechtspraxis und alltäglicher Lebensführung». In dieser ersten grossangelegten empirischen Scheidungsrechtsstudie in der Schweiz wurden Scheidungsakten analysiert, geschiedene Eltern sowie Kinder und Richter befragt. Zu den integral diskutierten und kommentierten Resultaten wurden Empfehlungen zur Umsetzung des Anhörungsrechts und einer Neuregelung der elterlichen Sorge formuliert. Gastbeiträge aus verschiedenen Praxisfeldern ergänzen diesen fundierten und für jeden Praktiker absolut lesenswerten Forschungsbericht.
Martina Rusch plädiert in ihrer rechtsvergleichenden Dissertation für eine neue Gesetzgebung, welche die Elterneigenschaft und deren rechtliche Zuordnung aufgrund des familiären Strukturwandels neu definiert und regelt. Interessant ist die Gegenüberstellung verschiedener Elternschaftskonzepte (bürgerliche, biologische und soziale) mit dem Fazit, dass Elternschaft und Ehe entkoppelt und biologische und soziale Merkmale an Bedeutung gewinnen werden. Rusch stellt zudem ein Gesetzgebungskonzept vor, das Aspekte der biologischen und sozialenElternschaftskonzepte miteinander verbindet. Eine gehaltvolle wissenschaftliche Abhandlung eines Themas mit Reformkraft.
Einen Überblick zum Familienrecht bietet das sich in erster Linie an Studierende und Generalisten richtende Skript von Sutter-Somm/Kobel. Spezialisten kommen in dieser zwar soliden, sich vorab an dengesetzlichen Grundlagen und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung orientierenden Auslegeordnung naturgemäss weniger auf ihre Kosten.
Regula Diehl
Gleichstellungsgesetz
CLAUDIA KAUFMANN / SABINE STEIGER-SACKMANN
Kommentar zum Gleichstellungsgesetz (GlG), 2., aktualisierte und ergänzte Auflage, Helbing Lichtenhahn, Basel 2009, 602 Seiten, Fr. 92.–
Der nach wie vor einzige Kommentar zum Gleichstellungsgesetz informiert fundiert über die Folgen des Gleichstellungsgesetzes im Erwerbsleben. Die Neuauflage berücksichtigt den Zeitraum seit der ersten Auflage 1997 bis Dezember 2008: Gesetzesänderungen, Gerichtspraxis, schweizerische und ausländische Literatur sowie im Internet zugänglich gemachte Gleichstellungsverfahren (www.gleichstellungsgesetz.ch). Auch die Gesetzesevaluation des Bundes und die künftige Schweizerische Zivilprozessordnung sind berücksichtigt. Ein Kapitel zum Hintergrund des Gesetzes sowie eine Übersicht zum europäischen Gleichstellungsrecht runden die praxisgerechte Darstellung ab. Es finden sich auch kritische Änderungen gegenüber der Erstauflage: den alten Kommentar also unbedingt aufbewahren.
Bewertung: Die Neuauflage ist unverzichtbar für alle, die sich mit Arbeits-, Personal- und Gleichstellungsrecht befassen. (jwl)
Sozialversicherung
RENÉ SCHAFFHAUSER / UELI KIESER (HRSG.)
Das prekäre Leistungsverhältnis im Sozialversicherungsrecht. Konkretes zu einem unfassbaren Thema, Schriftenreihe des Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, Universität St.Gallen, Band 52, St.Gallen 2008, 193 Seiten, Fr. 72.–
Ein Titel, der aufhorchen lässt – insbesondere dann, wenn man als Vertreterin von Geschädigten unermüdlich versucht, die Klienten mit Versicherungsleistungen finanziell abzusichern. Oftmals ist dann nämlich die Situation des Klienten prekär. Übersetzt heisst prekär «aus Gnade erlangt oder unsicher (weil widerruflich)». Die Beiträge widmen sich dieser Unsicherheit – dem Sozialversicherungsverhältnis als unstabilem Fundament. Beispiele finden sich im Zusammenhang mit Vorschusszahlungen, der Rechtsverzögerung im Verwaltungsverfahren, der Vorleistungspflicht gemäss ATSG, aber auch in der beruflichen Vorsorge und natürlich in den Auswirkungen des prekären Leistungsverhältnisses auf das Haftpflichtrecht.
Bewertung: Für alle, die sich trotz allem weiterhin um die unsicheren Ansprüche ihrer Klienten kümmern. (sf)
Zivilprozessrecht
HANS-ULRICH WALDER-RICHLI / BEATRICE GROB-ANDERMACHER
Zivilprozessrecht, 5., vollständig überarbeitete Auflage, Schulthess Juristische Medien AG, Zürich 2009, 854 Seiten, Fr. 195.–
Kurz vor Fertigstellung der 5. Auflage verstarb Hans Ulrich Walder-Richli fast 80-jährig im Oktober 2008. Das Vorwort hatte er bereits geschrieben. Seine Co-Autorin Béatrice Grob-Andermacher stellte das Werk Ende Januar 2009 fertig. Seit der letzten Auflage 1996 waren das Gerichtsstandsgesetz und das Bundesgerichtsgesetz in Kraft getreten. Beide wurden berücksichtigt. Die kurz vor Fertigstellung der 5. Auflage beschlossene Schweizerische Zivilprozessordnung wurde als Anhang angefügt. Dem Werk ist anzumerken, dass es aus einem Lehrbuch entstanden ist. Im leicht lesbaren Text sind immer wieder klärende Beispiele eingefügt. Dafür ist das Werk aktuell und berücksichtigt auch die jüngste LugÜ-Revision.
Bewertung: Empfehlenswert, für den Praxisalltag nicht zwingend. (kpf)
Strafrecht
ROCHUS JOSSEN
Ausgewählte Fragen zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten beim medizinischen Heileingriff, Stämpfli Verlag AG, Bern 2009, 235 Seiten, broschiert, Fr. 76.–
Ausgehend vom medizinischen Heileingriff als strafrechtliche Körperverletzung untersucht die Dissertation, unter welchen Bedingungen das ärztliche Handeln gerechtfertigt ist, primär also durch die Einwilligung des Patienten. Interessant ist die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit bestimmter Patientengruppen wie Heranwachsende, psychisch kranke, süchtige oder demente Patienten. Aufklärung muss rechtzeitig erfolgen, bei schweren Operationen mindestens drei Tage vor dem Eingriff. Weniger überzeugend sind die Ausführungen zum Aufklärungsverzicht des Arztes und zum therapeutischen Privileg. Aus strafrechtlicher Sicht werden die zivilrechtlichen Aufklärungspflichten als überzogen kritisiert. Die hypothetische Einwilligung sei als Korrektiv nicht geeignet, da sie die Aufklärungspflicht komplett ausheble. Diese Kritik lässt sich auch auf das Zivilrecht übertragen.
Bewertung: Für Spezialisten interessant. (kpf)
Umweltrecht
BEATRICE WAGNER PFEIFER
Umweltrecht I, 3., ergänzte und erweiterte Auflage, Schulthess Juristische Medien AG, Zürich 2009, 340 Seiten, Fr. 98.–
Mit der 3. Auflage wurde das Werk aktualisiert, stark erweitert und von einem Nachschlagewerk zur Vorlesung zu einem Lehrbuch ausgebaut. Die Autorin geht wie bisher von den verfassungsrechtlichen Grundlagen aus und stellt die umweltschutzrechtlichen Grundprinzipien dar: Das Vorsorge-, Nachhaltigkeits-, Verursacher- und Kooperationsprinzip sowie die unterschiedlichen Instrumente. Es folgen die planungsrechtlichen Grundlagen wie Sachplanung, Richtplanung und Nutzungsplanung, die verschiedenen Nutzungs- und Schutzzonen und die Massnahmenplanung. Schwerpunkt ist das zweistufige Konzept der Immissionsbegrenzung. Verfahrensrechtlich werden Themen wie die Umweltverträglichkeitsprüfung, die Koordination von parallel laufenden Verfahren, der Rechtsschutz und die Beschwerdewege dargelegt. Auch Fragen des Vollzugs und des Übergangsrechts sind berücksichtigt.
Bewertung: Aktuelles, wertvolles Lehrbuch für jede juristische Bibliothek. (Me)
Anwaltsrecht
KASPAR SCHILLER
Schweizerisches Anwaltsrecht. Grundlagen und Kernbereich, Schulthess Juristische Medien AG, Zürich 2009, XXXV + 497 Seiten, Fr. 178.–
Das Anwaltsgesetz (BGFA) ist vor rund sieben Jahren in Kraft getreten. Damit verfügt die Schweiz erstmals über ein bundesrechtlich geordnetes Anwaltsrecht, zumindest, was die zentralen Anliegen anbelangt. Da sich der Anwaltsmarkt im Umbruch befindet und nach ersten Erfahrungen mit dem neuen Gesetz, ist der Zeitpunkt günstig, um die Grundwerte der Anwaltstätigkeit methodisch und in einem Gesamtzusammenhang darzustellen. Das vorliegende Buch widmet sich diesen Kernbereichen: Berufsgeheimnis und Schweigepflicht, Verbot von Interessenkonflikten, Unabhängigkeit, aber auch bisherige und neue Organisationsformen von Anwaltsbüros. Nicht vergessen wird, dass Anwaltstätigkeit nicht Selbstzweck ist, sondern dem Rechtssuchenden ermöglichen soll, seine Ansprüche erfolgreich geltend machen zu können.
Bewertung: Empfehlenswert für alle Anwälte. (sf)
Informationskonflikt
DANIEL MARKUS HÄUSERMANN
Vertraulichkeit als Schranke von Informationsansprüchen, Dike Verlag AG, Zürich 2009, LVIII + 342 Seiten, Fr. 88.–
Die Dissertation beschäftigt sich mit dem Konflikt, wenn A und B miteinander kommunizieren und ein Dritter anschliessend einen Informationsanspruch bezüglich dieser Kommunikation geltend macht. Dieses Problem kann in fast allen Rechtsgebieten auftreten, sei dies im Privatrecht (etwa Informationspflichten der Ehegatten und Erben) oder im öffentlichen Recht (etwa Öffentlichkeit der Verwaltung). Die Praxis entscheidet überwiegend aufgrund einer Interessenabwägung zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteresse. Der Autor verwirft diese gängige Methode. Sein Vorschlag: Die Kommunikation zwischen A und B soll ins Zentrum gerückt werden. Die Wertungsfrage geht dahin, ob Vertraulichkeitserwartungen einer Informierung des Dritten im Wege stehen und ob diese zugunsten des Dritten durchbrochen werden dürfen. Der Autor entwickelt einen Bezugsrahmen, der helfen soll, den Konflikt systematisch zu entscheiden.
Bewertung: Interessanter Ansatz in einer alten Fragestellung (Me)
Europarecht
STEPHAN BREITENMOSER / SABINE GLESS / OTTO LAGODNY (HRSG.)
Schengen in der Praxis. Erfahrungen und Ausblicke, Dike Verlag, Zürich/ St.Gallen 2009, XIV + 357 Seiten, Fr. 72.–
2008 wurde in Basel eine Tagungsreihe mit Referenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt, aus welcher der vorliegende Band hervorging. Behandelt werden die drei grossen Schengen-Themen Polizei, Datenschutz sowie Amts- und Rechtshilfe. Die Autoren lassen durchblicken, dass das Schengen-Regelwerk als sehr komplexes Gebilde punkto Transparenz und Rechtssicherheit zu wünschen übrig lässt. Der Band enthält Ausführungen zum «Herzstück» der Massnahmen: Ausgleich der offenen Grenzen, gemeinsames europäisches polizeiliches Fahndungssystem (SIS). Die sorgfältigen Darstellungen vermitteln einen Einblick in die Probleme bei der Umsetzung des ersten nicht auf rein wirtschaftliche Zusammenarbeit beschränkten, dynamischen Vertragsnetzes der Schweiz mit der EU.
Bewertung: Für Justiz- und Polizeibehörden gedacht, bietet allen interessierten Lesern viel. (cab)