1. Ausgangslage
Am 12. März 2000 haben Volk und Stände der Justizreform zugestimmt. Sie bildet die Verfassungsgrundlage für die Schaffung eines Bundesgerichts als einzige oberste rechtsprechende Behörde des Bundes (Art. 188 f. BV) und weiterer richterlicher Behörden des Bundes (Art. 191a BV). In Ausführung der Verfassungsbestimmungen trat am 1. Januar 2007 die Totalrevision der Bundesrechtspflege in Kraft.
Für die sozialversicherungsrechtliche Rechtsprechung von Bedeutung sind das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG), mit dem das Verfahren und die Organisation des Bundesgerichts geändert wurden und welches auch Auswirkungen auf die kantonalen Gerichte zeitigt, und das Bundesgesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom gleichen Tag (VGG). Kurz zusammengefasst wurde mit dem BGG das bisher für die bundessozialversicherungsrechtliche Rechtsprechung zuständige Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) institutionell - unter Beibehaltung des Standorts Luzern - vollständig mit dem Bundesgericht vereinigt. Die im früheren Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG) zahlreich enthaltenen Spezialbestimmungen über sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten wurden weitestgehend aufgehoben. Mit dem VGG wurde das Bundesverwaltungsgericht als neue Vorinstanz des Bundesgerichts auch im sozialversicherungsrechtlichen Bereich geschaffen. Ziel der neuen Bundesrechtspflege war die wirksame und nachhaltige Entlastung des Bundesgerichts und damit die Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit, die Verbesserung des Rechtsschutzes in gewissen Bereichen und die Vereinfachung der Verfahren und Rechtswege.1 Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Änderungen im Bereich des Sozialversicherungsrechts auf der Grundlage der zum neuen Recht ergangenen Rechtsprechung und zeigt die im Rahmen der Evaluation der neuen Bundesrechtspflege erhobenen Einschätzungen der verschiedenen Akteure auf.2 Am Schluss folgt eine persönliche vorläufige Beurteilung der Ergebnisse.
2. Verfahren vor Bundesgericht
2.1 Begründungspflicht
Allgemein und für alle Beschwerdearten statuiert Art. 42 Abs. 2 BGG den Grundsatz, dass in der Beschwerde in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Es obliegt demnach der beschwerdeführenden Partei, sich sachbezogen mit den Darlegungen im angefochtenen Entscheid auseinanderzusetzen und darzulegen, in welchen Punkten und weshalb er beanstandet wird; das Bundesgericht prüft - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten.3 Qualifiziert ist - soweit für das Sozialversicherungsrecht praktisch relevant - die Rügepflicht bezüglich der Verletzung von Grundrechten, indem das Bundesgericht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG die Verletzung dieser Rechte nur insofern prüft, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist.
Der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen gemäss Art. 106 Abs. 1 BGG bedeutet nicht, dass das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid von sich aus auf alle denkbaren Rechtsverletzungen hin überprüfen müsste, sondern dass es - ausser bei Grundrechtsverletzungen - die Beschwerde aus einem andern als dem angerufenen Grund gutheissen oder mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen kann.4
Falls die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung beanstandet wird, genügt es bei eingeschränkter Kognition gemäss Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG ausser bei offensichtlichen Mängeln, die dem Gericht «geradezu in die Augen springen»5 nicht, nur einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten (sogenannte appellatorische Kritik). In der Praxis der sozialrechtlichen Abteilungen ist indessen nicht erforderlich, dass eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung als willkürlich gerügt wird.6
Auch Art. 108 Abs. 2 OG statuierte eine Begründungspflicht, und zwar dahingehend, dass die Beschwerde die Begründung der Begehren zu enthalten habe. Die Bestimmung sollte dem Gericht laut BGE 123 V 335 E. 1a hinreichende Klarheit darüber verschaffen, worum es beim Rechtsstreit geht. Aus der Beschwerde musste zumindest ersichtlich sein, was die Partei verlangt und auf welche Tatsachen sie sich beruft. Laut (strafrechtlichem) BGE 133 IV 286 E. 1.4 entsprechen die Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG denjenigen von Art. 108 Abs. 2 OG; ob schon im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde Grundrechtsverletzungen qualifiziert gerügt werden mussten, war vom Bundesgericht nicht ganz geklärt.7 Allgemein und insbesondere im Zusammenhang mit der Kognitionseinschränkung sind die Begründungsanforderungen unter dem BGG in der Praxis der sozialrechtlichen Abteilungen jedenfalls gestiegen. Fehlt es insgesamt und offensichtlich an einer hinreichenden Beschwerdebegründung, wird durch einzelrichterlichen Entscheid auf die Beschwerde nicht eingetreten.8
2.2 Eintreten
2.2.1 Grundsatz
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten können gemäss Art. 82 lit. a BGG Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts angefochten werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der angefochtene Entscheid auf öffentlichem Recht des Bundes, eines Kantons oder einer Gemeinde beruht, dies im Gegensatz zum früheren Rechtszustand unter dem OG. Gemäss dessen Art. 97 ff. konnten auf Bundesrecht beruhende Entscheide mit Verwaltungsgerichtsbeschwer-de angefochten werden, während gemäss Art. 84 ff. gegen auf kantonalem und kommunalem Recht beruhende kantonale Entscheide ausschliesslich die staatsrechtliche Beschwerde, insbesondere wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte, eingereicht werden konnte.
Das EVG war laut Art. 128 OG ausschliesslich für die Behandlung von Verwaltungsgerichtsbeschwerden auf dem Gebiete der (Bundes-) Sozialversicherung zuständig, das Bundesgericht in Lausanne für (staatsrechtliche) Beschwerden auf dem Gebiet der kantonalrechtlichen Sozialversicherungen und der Sozialhilfe. Mit der Schaffung der öffentlich-rechtlichen Einheitsbeschwerde fiel der Grund für diese unterschiedlichen Zuständigkeiten dahin, und die sozialrechtliche Rechtsprechung ist heute auf die sozialrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts am Standort Luzern konzentriert.9 Auch für die Beurteilung der gemäss Art. 82 lit. b BGG anfechtbaren kantonalen Erlasse im sozialrechtlichen Bereich sind neuerdings die sozialrechtlichen Abteilungen zuständig.10
2.2.2 Ausnahmen und Streitwertgrenzen
Aus dem Ausnahmenkatalog der nicht anfechtbaren Entscheide von Art. 83 BGG fallen im Gebiet des Sozialversicherungsrechts die Entscheide über Subventionen, auf die kein Anspruch besteht (lit. k), über die Stundung oder den Erlass von Abgaben (lit. m) und Entscheide auf dem Gebiet der Krankenversicherung, die das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf Art. 34 VGG (recte: Art. 53 KVG) getroffen hat (lit. r.),11 in Betracht.
Die Streitwertgrenze von 30 000 Franken von Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG gilt in Haftungsfällen,12 ausser es stelle sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.13
Angesichts dieser wenigen Ausnahmen von der Anfechtbarkeit von Entscheiden im sozialrechtlichen Bereich ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gemäss Art. 113 ff. BGG von sehr untergeordneter Bedeutung.
2.2.3 Vorinstanzen
Als Vorinstanz, deren Entscheide gemäss Art. 86 Abs. 1 BGG mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten angefochten werden können,14 wurde im Rahmen der neuen Bundesrechtspflege das Bundesverwaltungsgericht geschaffen.15
2.2.4 Beschwerdelegitimation
Mit dem Inkrafttreten des BGG hat sich wenig geändert. Die Regelung von Art. 89 Abs. 1 BGG knüpft im Wesentlichen an die bisherige Beschwerdelegitimation für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss Art. 103 lit. a OG an, weshalb die dazu ergangene Rechtsprechung weiterhin massgebend ist.16
Zusätzlich erklärt Abs. 2 von Art. 89 BGG bestimmte Verwaltungsverbände beschwerdeberechtigt.17 So sind gemäss lit. d Organe legitimiert, denen ein anderes (formelles) Bundesgesetz dieses Recht einräumt. Für die dem ATSG unterstehenden Sozialversicherungen wurde die formellgesetzliche Delegationsnorm von Art. 62 Abs. 1bis ATSG durch Anhang Ziff. 106 VGG geschaffen. Die vom Bundesrat bezeichneten Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen sind somit zur Beschwerde legitimiert.18
In Weiterentwicklung der Rechtsprechung wird das schutzwürdige Interesse eines Kantons beziehungsweise eines kantonalen Verwaltungsverbandes im Sinne des an sich auf Privatpersonen zugeschnittenen Abs. 1 bejaht, wenn es darum geht zu überprüfen, ob das kantonale Gericht eine geltende kantonale Gesetzgebung zu Recht wegen deren Bundesrechtswidrigkeit nicht angewendet hat.19 Ausserhalb dieser Rüge sind sie weiterhin nicht legitimiert, auch nicht mittels subsidiärer Verfassungsbeschwerde.20
2.2.5 Anfechtbare Entscheide
Art. 90-95 BGG unterscheiden zwischen Endentscheiden,21 Teilentscheiden,22 Vor- und Zwischenentscheiden über die Zuständigkeit und den Ausstand, andere Vor- und Zwischenentscheide sowie Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung. Zwischenentscheide sind Entscheide, die von einer Instanz auf dem Weg zum das ganze Verfahren abschliessenden Entscheid über den strittigen Anspruch getroffen werden. Diese Entscheide können, soweit sie selbständig eröffnet wurden, mit einer Ausnahme direkt an das Bundesgericht weitergezogen werden: Andere als die Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und den Ausstand sind gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG nur direkt anfechtbar, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Ansonsten können sie laut Abs. 3 (erst) mit dem Endentscheid angefochten werden, falls sie sich auf dessen Inhalt überhaupt auswirken. Grund für diese Einschränkung ist der Umstand, dass sich das Bundesgericht nur einmal mit einem Verfahren befassen muss.
Das EVG betrachtete Rückweisungsentscheide von Vorinstanzen, mit denen eine Sache zur neuen Entscheidung an die Verwaltung zurückgewiesen wird, als anfechtbare Endverfügungen, da sie den Streit in der Vorinstanz abschliessen. Aus der gemäss BGG massgeblichen Optik des gesamten Verfahrens23 schliessen Rückweisungsentscheide das Verfahren indessen nicht ab und sind somit Zwischenentscheide, die nur unter den genannten Voraussetzungen angefochten werden können.24
Um einen Endentscheid handelt es sich, wenn der Verwaltung kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt und die Rückweisung nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient.25 Die Verpflichtung zur ergänzenden Abklärung und neuen Entscheidung stellt in der Regel keinen bedeutenden Aufwand im Sinne der Bestimmung dar26 und bewirkt in der Regel keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil. Anders verhält es sich, wenn der Beurteilungsspielraum der Verwaltung durch materiellrechtliche Anordnungen im Rückweisungsentscheid wesentlich eingeschränkt und sie dadurch gezwungen wäre, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen, die sie selbstredend nicht anfechten könnte. Unter dieser Voraussetzung kann die zu neuer Verfügung verpflichtete Verwaltung den Rückweisungsentscheid anfechten.27 Der Adressat oder die Adressatin der Verwaltungsverfügung, ein anderer berührter Versicherer28 und die an sich legitimierte Aufsichtsbehörde29 können dagegen erst den Endentscheid anfechten.
Die Einschränkung der Anfechtbarkeit von instanzabschliessenden Zwischenentscheiden bedeutet eine wichtige Neuerung. Sie wird von den Versicherern und Durchführungsstellen teilweise bedauert, da sie dazu führt, dass Sachverhaltsabklärungen, etwa mittels kostspieliger Gutachten, getroffen werden müssen, die den Endentscheid möglicherweise nicht beeinflussen.
Die Anfechtung bei eingeschränkter Kognition würde indessen ohnehin regelmässig daran scheitern, dass bei umstrittenen medizinischen Aktenlagen kaum je gesagt werden könnte, die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung sei offensichtlich unrichtig oder rechtsfehlerhaft. Damit würde die Anfechtbarkeit lediglich zu einer Verfahrensverlängerung führen und zusätzliche Kosten verursachen.30
Seiler vertritt die Auffassung, dass es der Prozessökonomie insgesamt dienlicher ist, wenn kantonale Gerichte möglichst wenig Rückweisungsentscheide erlassen und sich bemühen, allfällige Lücken im Sachverhalt selbst zu beheben. Jede Instanz, auch die Vorinstanz, sollte sich nur einmal mit dem Prozess befassen.31 Für die sozialrechtlichen Abteilungen wirkt sich die Neuerung entlastend aus.
2.3 Aufschiebende Wirkung
Gemäss Art. 111 Abs. 1 OG kam der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen, die zu einer Geldleistung verpflichten, aufschiebende Wirkung zu. Nach Art. 103 BGG haben Beschwerden in der Regel keine aufschiebende Wirkung, wobei eine andere Anordnung getroffen werden kann. Nicht selten stellen vorinstanzlich unterlegene Versicherer das Gesuch um aufschiebende Wirkung. Wird konkret begründet, dass bei Gutheissung der Beschwerde die zwischenzeitlich erbrachte Leistung nicht mehr erhältlich gemacht werden kann, wird dem Gesuch normalerweise entsprochen.
2.4 Urteil
2.4.1 Kognition
Gestützt auf Art. 95 BGG kann die Verletzung von Bundesrecht,32 Völkerrecht, kantonalen verfassungsmässigen Rechten und interkantonalem Recht gerügt werden. Das Bundesgericht wendet gemäss Art. 106 BGG das Recht von Amtes wegen an, die Verletzung von Grundrechten nur bei hinreichender Begründung.33
Von allen Rechtsänderungen zweifellos am wichtigsten für den Ausgang der Beschwerdeverfahren im Sozialversicherungsbereich ist die Einschränkung der Überprüfungsbefugnis im Leistungsstreit. Gemäss Art. 132 lit. a OG hatte das EVG in diesen Fällen den angefochtenen Entscheid auf Angemessenheit zu überprüfen (lit. a), und die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung war für das Gericht nicht verbindlich (lit. b). Neu kann die vorinstanzliche Feststellung entsprechend Art. 97 Abs. 1 BGG nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann. Diesfalls kann das Bundesgericht gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung berichtigen oder ergänzen.34 Ansonsten legt es seinem Urteil laut Abs. 1 den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
Eine Ausnahme gilt nur für Entscheide über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, bei deren Anfechtung wie bisher jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden kann (Abs. 3).35 Die ursprünglich vorgesehene Beibehaltung der vollen Kognition im Leistungsstreit der Invalidenversicherung wurde bereits mit der Änderung des IVG vom 16. Dezember 2005, in Kraft seit 1. Juli 2006, aufgehoben.36
Die Angemessenheitsüberprüfung entfällt - auch im Streit um Geldleistungen der Unfall- und Militärversicherung -37 gänzlich, soweit mit der vorinstanzlichen Ermessensausübung nicht Recht verletzt wurde (Ermessensüber- oder -unterschreitung, Ermessensmissbrauch). Praktische Bedeutung hat diese Kognitionseinschränkung beim Entscheid über die Höhe des Abzugs vom Tabellenlohn gemäss Schweizerischer Lohnstrukturerhebung.38
Mit der Einschränkung der Überprüfungsbefugnis sind nun die kantonalen Versicherungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht hauptsächlich für die richtige Feststellung des Sachverhalts verantwortlich, während sich das Bundesgericht weitgehend auf die Rechtskontrolle und -fortbildung konzentriert.
Die unterschiedliche Kognition betreffend Rechts- und Sachverhaltsfehlern erfordert die Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsfragen, die im Streit um Sozialversicherungsleistungen bisher entbehrlich war. Grundlegend für die Überprüfbarkeit einer vorinstanzlichen Invaliditätsbemessung ist BGE 132 V 393 E. 3. Die umfassende Darstellung der Rechtsprechung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.
Ebenfalls neu erforderlich ist im Zusammenhang mit der Kognitionseinschränkung bezüglich der Sachverhaltsfeststellung die Klärung, welche Mängel eine Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG darstellen. Es sind dies etwa die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes gemäss Art. 61 lit. c ATSG39 und der Pflicht zu inhaltsbezogener, umfassender, sorgfältiger und objektiver Beweiswürdigung gemäss Art. 61 lit. c ATSG,40 die unzutreffende Handhabung des Beweismasses der überwiegenden Wahrscheinlichkeit,41 die Missachtung der bundesrechtlichen Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten und der Regeln über die freie Beweiswürdigung gemäss Art. 61 lit. c ATSG42 und des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV.43
Im Rahmen der Evaluation der Wirksamkeit der neuen Bundesrechtspflege44 (S. 94) bezeichneten Angehörige des Bundesgerichts die Einschränkung der Kognition als eine der wichtigsten Entlastungsmassnahmen der neuen Bundesrechtspflege. Es wird eine Straffung der Verfahren und eine Zunahme von Nichteintretensentscheiden beobachtet. Nach dieser Auffassung kompensiert der Umstand, dass Beschwerdeführende vermehrt aus Tatfragen Rechtsfragen ableiten und Richterinnen und Richter Sachverhalte unter dem Titel von Rechtsfragen wieder aufgreifen, die Entlastungswirkung nicht. Von den an den sozialrechtlichen Abteilungen Tätigen geben ungefähr die Hälfte an, dass die Arbeitsbelastung gleich geblieben sei, während ein knappes Viertel eine Entlastung und ein knappes Fünftel eine Mehrbelastung wegen der Pflicht zur Abgrenzung zwischen Sach- und Rechtsfragen feststellt.
Nach dieser Auffassung führt die Kognitionseinschränkung zu einer Verlagerung weg von materiellen hin zu formellrechtlichen Fragestellungen, zu einer Zersplitterung der kantonalen Praxis, zu Verfahrensleerläufen bei angefochtenen Rückweisungsentscheiden und zu einer Verschlechterung für die Rechtsuchenden, ohne dass eine wesentliche Entlastung des Gerichts erreicht werde. Die Befragungsergebnisse liessen keine eindeutige Beurteilung zu, wobei aber eine erhebliche Verkürzung der Prozessdauer unbestritten ist.
Von Seiten der Rechtsuchenden wird die Kognitionseinschränkung negativ beurteilt (S. 205). Sie führt nach Ansicht von über 85 Prozent der im Sozialversicherungsrecht prozessierenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu einer Reduktion des Rechtsschutzes. Die kantonalen Gerichte würden ihre zusätzliche Verantwortung, welche durch die beschränkte Kognition entstanden ist, nicht wahrnehmen, die Prüfungsqualität durch die kantonalen Gerichte sei ungenügend und für einen ausreichenden Rechtsschutz brauche es zwei Rechtsmittelinstanzen mit jeweils voller Kognition. Mit Hinweis auf die eingeschränkte Kognition müssten sie ihren Klientinnen und Klienten vermehrt von einem Gang an das Bundesgericht abraten.
Auch die Behindertenorganisationen erblicken in der Kognitionseinschränkung eine Abnahme des Rechtsschutzes (S. 221).
2.4.2 Neue Vorbringen
Unter der Herrschaft des OG galt das gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte Novenverbot in jenen Fällen nicht, in denen die obersten Gerichte des Bundes über eine umfassende Kognition verfügten. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nunmehr gemäss Art. 99 BGG nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt.45 Neue Begehren (ausserhalb des Streitgegenstandes)46 sind unzulässig. Diese Bestimmung ist gemäss BGE 135 V 194 trotz voller Kognition auch im Streit um Geldleistungen der Unfall- und Militärversicherung anwendbar.
Die Unrichtigkeit der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung kann damit lediglich aufgrund der der Vorinstanz vorliegenden Akten geprüft werden. Die Neuerung entlastet das Bundesgericht, erschwert aber die Position der Parteien - insbesondere derjenigen, die das Verwaltungsverfahren nicht leitete -, die bei der Vorinstanz unterlassene Tatsachenbehauptungen oder die Beibringung eigener Beweismittel nicht nachholen können, auch wenn der Anwalt oder die Anwältin erst vor Bundesgericht mandatiert wird.
2.4.3 Bindung an Parteibegehren
Während das EVG gestützt auf Art. 132 lit. c OG in Leistungsstreitigkeiten über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen konnte, ist dies gemäss Art. 107 Abs. 1 BGG nicht zulässig.47
2.4.4 Besetzung
Die Abteilungen entscheiden gemäss Art. 20 BGG in der Regel in der Besetzung mit drei Richtern oder Richterinnen, über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder auf Antrag eines Richters oder einer Richterin in Fünferbesetzung. Im sogenannt vereinfachten Verfahren, das heisst mit summarischer Begründung beziehungsweise mit Verweis auf den angefochtenen Entscheid, wird gestützt auf Art. 109 BGG in Dreierbesetzung über die Abweisung offensichtlich unbegründeter und Gutheissung offensichtlich begründeter Beschwerden entschieden, wenn Einstimmigkeit gegeben ist.
Anders als das OG gestattet das BGG auch die einzelrichterliche Entscheidung. So entscheidet der Präsident oder die Präsidentin der Abteilung (mit Delegationsmöglichkeit) aufgrund von Art. 32 BGG über die Abschreibung von Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit, Rückzugs oder Vergleichs und aufgrund von Art. 108 BGG im sogenannten vereinfachten Verfahren über Nichteintreten auf offensichtlich unzulässige Beschwerden, auf Beschwerden, die offensichtlich keine hinreichende Begründung (Art. 42 Abs. 2) enthalten und auf querulatorische oder rechtsmissbräuchliche Beschwerden. Zur Begründung genügt die Angabe des Unzulässigkeitsgrundes.48 Mittlerweile ergehen 32 Prozent aller bundesgerichtlicher Entscheide einzelrichterlich.49
Aus Sicht der Angehörigen des Bundesgerichts entlastet die Möglichkeit der Einzelrichterentscheide gemäss Evaluation der Wirksamkeit der neuen Bundesrechtspflege (S. 111) das Bundesgericht. Seitens der Anwaltschaft wird die Möglichkeit ambivalent bewertet, erfährt aber keine grosse Ablehnung (S. 210).
2.4.5 Öffentlichkeit
Während gemäss Art. 125 i.V.m. Art. 17 Abs. 2 OG nur Parteien und ihre Vertreter der Urteilsberatung beiwohnen durften, soweit es um Versicherungsleistungen oder Versicherungsbeiträge ging, ist die Beratung gemäss Art. 59 BGG grundsätzlich öffentlich.
2.4.6 Kosten
Unter der Herrschaft des OG durfte das EVG gemäss Art. 134 im Beschwerdeverfahren über die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen den Parteien in der Regel keine Verfahrenskosten auferlegen. Seit Inkrafttreten des BGG ist in diesen Fällen gestützt auf Art. 65 Abs. 4 grundsätzlich eine nicht nach dem Streitwert zu bemessende, moderate Gerichtsgebühr zwischen 200 und 1000 Franken zu erheben; die Gerichtsgebühr ist höher, wenn ausschliesslich Versicherer am Recht stehen. Ihnen dürfen als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen gemäss Art. 66 Abs. 4 BGG Gerichtskosten auferlegt werden, wenn es sich um ihr Vermögensinteresse handelt.50 Hingegen haben sie gemäss Art. 68 Abs. 3 BGG keinen Anspruch auf Parteientschädigung.
Insgesamt tragen die Versicherten auch nach Einführung der Kostenpflicht beim Prozessieren vor Bundesgericht kein grosses Kostenrisiko, wobei selbstverständlich bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen die Möglichkeit der unentgeltlichen Prozessführung besteht. Die Einführung der Kostenpflicht zeitigt denn auch kaum eine Entlastungswirkung. In sehr vielen Fällen wird der Kostenvorschuss bezahlt, sogar im Falle der Abweisung eines Gesuchs um unentgeltliche Prozessführung wegen Aussichtslosigkeit. Zur Entlastung von einem Zwischenentscheid wird deshalb nicht selten erst im Rahmen des Endentscheides über die unentgeltliche Rechtspflege entschieden.
Im Rahmen der Evaluation der Wirksamkeit der neuen Bundesrechtspflege haben sich die Angehörigen der sozialrechtlichen Abteilungen dahingehend geäussert, dass sich Entlastung und Mehrbelastung durch die Einführung der Kostenpflicht ungefähr aufheben (S. 109). Für die Anwaltschaft ist die Änderung von mittlerer Bedeutung: Zwar bedeutet sie einen Abbau an Rechtsschutz, der aber durch die Möglichkeit der unentgeltlichen Rechtspflege kompensiert wird (S. 204). Für die Behindertenorganisationen ist der Rechtsschutz in dieser Hinsicht gleich geblieben (S. 221).
3. Stellung und Organisation des Bundesgerichts
3.1 Vom EVG zu den sozialrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts
Eine wichtige institutionelle Neuerung der neuen Bundesrechtspflege ist die Fusion des EVG in Luzern, das bisher gemäss Art. 122 ff. OG als organisatorisch selbständige Sozialversicherungsabteilung des Bundesgerichts mit Sitz in Luzern galt, mit dem Bundesgericht in Lausanne. Damit ist das Bundesgericht gemäss Art. 1 Abs. 1 BGG mit Sitz in Lausanne - so Art. 4 BGG - die einzige oberste Recht sprechende Behörde des Bundes, wobei eine oder mehrere Abteilungen ihren Standort in Luzern haben. Es sind dies die I. und die II. sozialrechtliche Abteilung, deren Zuständigkeit von den Bundessozialversicherungen auf die kantonalen Sozialversicherungen, die gesamte berufliche Vorsorge,51 die Sozialhilfe sowie das Recht auf Hilfe in Notlagen gemäss Art. 12 BV und das öffentliche Personalrecht erweitert wurde.
Damit konzentriert sich die gesamte höchstgerichtliche sozialrechtliche Rechtsprechung in Luzern. Die beiden Abteilungen teilen sich die Zuständigkeit für die Invalidenversicherung, da eine Abteilung angesichts der Anzahl IV-Beschwerdefälle bei alleiniger Zuständigkeit damit weitgehend ausgelastet wäre.52
3.2 Koordination der Rechtsprechung
Mit der Fusion ist der Einbezug des Sozialrechts in die bundesgerichtliche Rechtsprechungskoordination gemäss Art. 16 und 23 BGG besser gewährleistet als zur Zeit der Selbständigkeit des EVG gemäss Art. 127 Abs. 2 i.V.m. Art. 16 OG. Zwischen den beiden sozialrechtlichen Abteilungen ist eine Koordination öfters, insbesondere in Fragen des ATSG und der Invalidenversicherung, angezeigt.
3.3 Verwaltung
Unter dem BGG trägt die Verwaltungskommission die Verantwortung für die Gerichtsverwaltung. Sie setzt sich aus dem Präsidenten des Bundesgerichts oder - hoffentlich in Zukunft auch - der Präsidentin (die einer Abteilung in Lausanne angehören), dem Vizepräsidenten oder der Vizepräsidentin (die in der Regel einer sozialrechtlichen Abteilung in Luzern angehören) und einem dritten Mitglied zusammen.53
Die Konzentration der Verwaltungsaufgaben bei der Verwaltungskommission hat, so die Evaluation der Wirksamkeit der Bundesrechtspflege (S. 33), aus Sicht der Bundesrichterinnen und Bundesrichter zu einer willkommenen Entlastung von administrativen Aufgaben geführt. Dies gilt besonders für die in Luzern tätigen Mitglieder, die früher die gesamte Verantwortung für die Verwaltung des EVG zu tragen hatten.
4. Vorinstanzen des Bundesgerichts
4.1 Bundesverwaltungsgericht
Anstelle mehrerer im Sozialversicherungsbereich tätiger Eidgenössischer Rekurskommissionen und Beschwerdedienste der Bundesverwaltung schuf das VGG das Bundesverwaltungsgericht. Dieses beurteilt gemäss Art. 31 f. VGG Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG (Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen), die nicht nach einem anderen Bundesgesetz durch Beschwerde an eine kantonale Behörde anfechtbar sind.
Das Verfahren richtet sich gemäss Art. 37 VGG nach dem VwVG, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die dritte Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts behandelt unter anderem die Geschäfte, die ihren Schwerpunkt im Bereich des Bundesverwaltungsrechts haben.54
Die Evaluation der Wirksamkeit der neuen Bundesrechtspflege hat ergeben (S. 77 und 211-214), dass gegenüber den früheren Rechtspflegeorganisationen der Rechtsschutz verbessert wurde, insbesondere durch die Vereinheitlichung des Verfahrens und die Unabhängigkeit von der Verwaltung. Dabei wurden aber für den Bereich des Sozialversicherungsrechts keine gesonderten Daten erhoben.
4.2 Kantonale Versicherungsgerichte
Zur Verbesserung des Rechtsschutzes und Entlastung des Bundesgerichts enthält das BGG auch Bestimmungen über die kantonalen Vorinstanzen. So bestimmt Art. 86 Abs. 2 BGG, dass die Kantone als unmittelbare Vorinstanzen des Bundesgerichts obere Gerichte einsetzen, soweit nicht nach einem anderen Bundesgesetz Entscheide anderer richterlicher Behörden der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen. Im Sozialversicherungsrecht können die Entscheide der kantonalen Sozialversicherungsgerichte gemäss Art. 62 ATSG direkt beim Bundesgericht angefochten werden.
Art. 110 BGG stellt Mindestbestimmungen für die Kognition der kantonalen Vorinstanzen auf. Demnach hat das kantonale Versicherungsgericht den Sachverhalt frei zu prüfen und das massgebende Recht von Amtes wegen anzuwenden. Aus Gründen der Einheit des Verfahrens darf gemäss Art. 111 BGG die Beschwerdelegitimation nicht enger umschrieben sein als vor Bundesgericht, und das Versicherungsgericht muss mindestens die Rügen nach Art. 95-98 BGG prüfen. Unter der Herrschaft des OG bedeutete die Einheitlichkeit des funktionellen Instanzenzuges, dass den kantonalen Versicherungsgerichten in Leistungsstreitigkeiten entsprechend Art. 132 lit. a OG ebenfalls die Angemessenheitskontrolle oblag. Mit der diesbezüglichen Kognitionseinschränkung des Bundesgerichts55 fällt diese bundesrechtliche Verpflichtung dahin.
In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass Art. 61 ATSG künftig verstärkt zur Geltung kommen müsse, um den Einzelnen hinreichend Rechtsschutz zu gewähren.56 Auch wird betont, dass die kantonalen Versicherungsgerichte als einzige gerichtliche Tatsacheninstanz mindestens ebenso intensiv wie bis anhin die Regeln der vollständigen Sachverhaltsermittlung, die Verfahrensrechte und die Grundsätze der Beweiswürdigung beachten müssen. Die Angemessenheit sollte mindestens einmal überprüft werden können, wie dies Art. 49 lit. c VwVG für das Bundesverwaltungsgericht bestimmt.57
Tatsächlich hat nun das Bundesgericht in dem zur Publikation in BGE 137 bestimmten Urteil 9C_280/2010 vom 12. April 2011 entschieden, dass das kantonale Gericht aus Gründen der rechtsgleichen Behandlung der Versicherten vor Bundesverwaltungsgericht und kantonalen Gerichten und angesichts der Bedeutung von Ermessensentscheiden in diesem Bereich die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung, etwa hinsichtlich des leidensbedingten Abzugs, zu überprüfen hat. Es wird zu entscheiden sein, in welchen andern Konstellationen dem VwVG eine Bedeutung für die Rechtsprechung der kantonalen Versicherungsgerichte zukommt.
5. Ergebnisse und vorläufige Einschätzung
5.1 Abschied von Spezialbestimmungen
Auf der Ebene der Bundesrechtspflege wurde zeitgleich mit der Einrichtung der obligatorischen Unfallversicherung als erster Sozialversicherung des Bundes das Eidgenössische Versicherungsgericht als höchste Beschwerdeinstanz geschaffen, das im Jahr 1917 den Betrieb aufnahm. Von einer Übertragung der Rechtsprechungszuständigkeit an das Bundesgericht wurde insbesondere deshalb abgesehen, weil bei sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeiten die Richter nicht nach dem strengen formellen Recht, sondern nach Recht und Billigkeit entscheiden sollten.
In der folgenden Zeit war die Stellung des EVG immer wieder Gegenstand von Revisionsbemühungen, sei es in Richtung Ausbau zu einem allgemeinen Bundesverwaltungsgericht oder Integration ins Bundesgericht. Fünfzig Jahre später, im Rahmen der Reform der Bundesrechtspflege von 1968, wurde das EVG zur organisatorisch selbständigen Sozialversicherungsabteilung des Bundesgerichts. Auf sein Verfahren fanden nunmehr grundsätzlich die für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor Bundesgericht geltenden Bestimmungen Anwendung, wobei das OG aber die für die sozialversicherungsrechtliche Rechtsprechung erforderlich erachteten Spezialbestimmungen enthielt.58
Schon damals dürften die EVG-Richter die Beschwerdefälle nicht mehr «nach Billigkeit», sondern auf der Grundlage der gesetzlichen Grundlagen beurteilt haben, und aus heutiger Sicht rechtfertigen die versicherungsrechtlichen Eigenheiten keine Sonderbehandlung mehr.59 Diese wurde denn auch eher mit dem sozialen Charakter des Rechtsgebiets begründet. Nach weiteren vierzig Jahren, mit dem Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 am 1. Januar 2007, wurde indessen der Sonderfall Sozialversicherungsrechtspflege auf der bundesgerichtlichen Ebene weitestgehend beendet.60 Erhalten blieben einzig die umfassende Überprüfbarkeit des vorinstanzlich festgestellten Sachverhalts im Streit um Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung und die moderate Kostenpflicht in Streitigkeiten über Sozialversicherungsleistungen.
5.2 Kogniton in der Militär- und Unfallversicherung
Es ist wohl eine Frage der Zeit, bis die Kognition auch im Bereich der Militär- und Unfallversicherung eingeschränkt wird, nachdem der Bundesrat dies in der Botschaft zur Revision der Unfallversicherung beantragt und es letztlich an einer Rechtfertigung der Ausnahme von der Regelung im übrigen Sozialversicherungsrecht, insbesondere in der Invalidenversicherung, fehlt.61
5.3 Kostenpflicht
Bei der moderaten Kostenpflicht handelt es sich nicht um eine Spezialbestimmung für das Sozialversicherungsrecht allein. Vielmehr ist diese auch vorgeschrieben in Streitigkeiten über Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts, aus einem Arbeitsverhältnis mit einem Streitwert bis zu 30 000 Franken und nach den Artikeln 7 und 8 des Behindertengleichstellungsgesetzes.
Diese mit sozialen Erwägungen begründeten Ausnahmen dürften auch für die sozialversicherungsrechtlichen Leistungsstreitigkeiten Bestand haben.
Die praktisch integrale Unterstellung des Sozialversicherungsstreits unter die für die übrigen Rechtsgebiete anwendbaren Verfahrensbestimmungen bedeutet nicht, dass bei deren Auslegung rechtsgebietsspezifische Eigenheiten völlig ausser Acht zu lassen wären, wie dies auch hinsichtlich der übrigen Rechtsgebiete gilt.
5.4 Erhalt unterinstanzlicher Spezialbestimmungen
Bemerkenswert ist, dass auf der Ebene des Verwaltungsverfahrens und des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens sozialversicherungsrechtliche Spezialbestimmungen erhalten geblieben und mit der Schaffung des ATSG sogar verstärkt worden sind. Dort stand - so Art. 1 lit. b ATSG - die Vereinheitlichung der in den einzelnen Sozialversicherungsgesetzen unterschiedlich geregelten Bestimmungen über das Sozialversicherungsverfahren und die erstinstanzliche Rechtspflege im Vordergrund. Diese war in der Bundesrechtspflege unter den verschiedenen Sozialversicherungszweigen von deren jeweiliger Schaffung an verwirklicht.
Für das Verwaltungsverfahren verweist Art. 55 ATSG immerhin subsidiär auf das VwVG, und für das kantonale Beschwerdeverfahren handelt es sich bei den Verfahrensregeln von Art. 61 ATSG um Mindestvorschriften, sodass die Integration des sozialversicherungsrechtlichen Verfahrens in das allgemeine Verwaltungsgerichtsverfahrensrecht bei Beachtung der jeweiligen Mindestvorschriften den Kantonen überlassen ist.
Hier ist auch nochmals auf das zur Publikation in BGE 137 bestimmte Urteil 9C_280/2010 vom 12. April 2011 hinzuweisen, wonach die kantonalen Gerichte unter anderem aus Gründen der rechtsgleichen Behandlung der Versicherten vor Bundesverwaltungsgericht und kantonalen Gerichten die Angemessenheit der Verwaltungsverfügung entsprechend Art. 49 lit. c VwVG zu überprüfen haben.
5.5 Zielerreichung
Von den Zielen der neuen Bundesrechtspflege stand im Bereich des Sozialversicherungsrechts die Entlastung des Bundesgerichts zum Zwecke der Erhaltung seiner Funktionsfähigkeit im Vordergrund. Demgegenüber trat die Verbesserung des Rechtsschutzes eher in den Hintergrund, nachdem bereits unter der Geltung des OG als Vorinstanzen kantonale Versicherungsgerichte eingesetzt waren; immerhin ist die Schaffung des von der Bundesverwaltung gänzlich unabhängigen Bundesverwaltungsgerichts in diesem Kontext zu sehen.
Angesichts der vergleichsweise geringen Bedeutung der kantonalen Sozialversicherungen kommt auch der Vereinfachung der Verfahren und Rechtswege kaum Bedeutung zu, da Streitigkeiten im Bereich der viel bedeutenderen Bundessozialversicherungen im einheitlichen Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu beurteilen waren. Für die Rechtsuchenden dürften die erhöhten Anforderungen an die Beschwerdebegründung und die Einschränkung der Kognition die Prozessführung erschwert haben.
5.5.1 Zahl eingehender Beschwerden
Seit Inkrafttreten des BGG ist die Belastung im Bereich der Bundessozialversicherungen als früherem Zuständigkeitsbereich des EVG im Vergleich zu den letzten Jahren der Geltung des OG gesunken: Vor dem Inkrafttreten des BGG stiegen die Beschwerdeeingänge stetig und massiv an, so etwa in den letzten vier Jahren: 2172 (2003), 2233 (2004), 2475 (2005) und 2650 (2006).
In den vier Jahren seit Inkrafttreten sind die Werte markant gefallen: 2100 im Jahr 2007 (inkl. 44 Sozialhilfe; im Geschäftsbericht sind bezüglich Materien nur die Erledigungen, nicht aber die Eingänge angegeben, weshalb hier das Total der Eingänge die Erledigungen in der Materie Sozialhilfe umfasst); 2163 im Jahr 2008 (inkl. 86 Sozialhilfe und kantonale Sozialversicherungen); 2214 im Jahr 2009 (inkl. 176 Sozialhilfe, kantonale Sozialversicherungen und öffentliches Personalrecht), 2156 im Jahr 2010 (inkl. 151 Sozialhilfe, kantonale Sozialversicherungen und öffentliches Personalrecht).62
Dass weniger Beschwerden eingereicht werden, dürfte kaum auf die Einführung der Kostenpflicht zurückzuführen sein. Inwieweit der Rückgang in einer hinsichtlich Leistungszusprechung restriktiveren materiellrechtlichen Gesetzgebung und Rechtsprechung begründet liegt, ist schwierig abzuschätzen, zumal sich diese bereits in der Verwaltungspraxis und der erstinstanzlichen Rechtsprechung niederschlägt und die vermehrte Ablehnung von Leistungsbegehren zu mehr Beschwerdeverfahren führen kann. Hingegen kann kein Zweifel bestehen, dass die verminderten Erfolgsaussichten von Beschwerden infolge der eingeschränkten Kognition zu deren Verminderung beigetragen haben. Zur Entlastung hat auch die eingeschränkte Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden beigetragen.
5.5.2 Bewältigung der Geschäftslast
Auf Seiten der Erledigungen dürfte sich die Einführung der Kostenpflicht kaum ausgewirkt haben. Bei den Auswirkungen der Kognitionseinschränkung ist zu differenzieren. Zum einen haben die Beschwerdeführenden bei der Beschwerdebegründung den Umfang der Überprüfungsbefugnis zu beachten. Fehlt eine hinreichende Begründung insgesamt und offensichtlich, wird einzelrichterlich auf die Beschwerde nicht eingetreten.63 Zum andern werden im Falle des Eintretens grundsätzlich nur die vorgebrachten Beanstandungen geprüft. Beides bewirkt eine Entlastung.
Ob die Kognitionsbeschränkung bei der Behandlung differenzierter Beschwerden das Gericht entlastet, ist unklar. Während die Unterscheidung von Tat- und Rechtsfragen den Aufwand wohl nur vorübergehend erhöhte, dürfte sich die Anwaltschaft zunehmend an die erhöhten Begründungsanforderungen gewöhnen und damit den Begründungsaufwand des Gerichts wieder vergrössern.
Ohne Zweifel entlastend haben sich organisatorische Neuerungen ausgewirkt, zum einen die Möglichkeit der einzelrichterlichen Erledigung - mittlerweile wird fast ein Drittel der bundesgerichtlichen Entscheide einzelrichterlich gefällt - und zum andern die Konzentration der Verwaltungsaufgaben bei der Verwaltungskommission. Insbesondere am Standort Luzern fällt ins Gewicht, dass kein eigenes Leitungsgremium und kein eigenes Generalsekretariat mehr erforderlich ist.
5.5.3 Kürzere Verfahrensdauer
Die geringeren Eingänge und die Entlastungen bei der Erledigung haben zu einer markanten Verkürzung der Verfahrensdauer geführt: Während unter dem OG die Erledigungszahlen mit den ständig steigenden Eingängen nicht Schritt halten konnten und die Verfahrensdauer im letzten Jahr des EVG durchschnittlich 292 Tage betrug, entspricht sie nunmehr - trotz Erweiterung der Zuständigkeit der sozialrechtlichen Abteilungen und Reduktion der Richterzahl von elf auf zehn - der durchschnittlichen Verfahrensdauer des gesamten Bundesgerichts von 144 Tagen. In dieser Hinsicht hat die neue Bundesrechtspflege die Funktionsfähigkeit des Bundesgerichts im Bereich des Sozialversicherungsrechts verbessert.
Wie es sich damit hinsichtlich der Kognitionsbeschränkung verhält, hängt von der Sicht der Funktion des Bundesgerichts ab. Wer dem umfassenden Rechtsschutz im Einzelfall und einer gesamtschweizerisch einheitlichen Sachverhaltsfeststellungs-Praxis einen hohen Stellenwert einräumt,64 wird die Kognitionseinschränkung bedauern.
Keinesfalls darf die Geschäftslast aber die für ein oberstes Gericht unverzichtbaren Aufgaben der Rechtskontrolle und Rechtsfortbildung gefährden. Dies ist derzeit, vier Jahre nach Inkrafttreten des BGG, im Sozialversicherungsbereich besser gewährleistet als unter dem OG. Des weiteren dürfte die unter dem BGG ergehende Rechtsprechung zur Frage, welche Mängel der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung eine Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG bedeuten, zu einer differenzierteren Praxis der Vorinstanzen im Zusammenhang mit der Sachverhaltsfeststellung führen. Wie und wie stark sich die organisations- und verfahrensrechtlichen Änderungen im Einzelnen ausgewirkt haben und in Zukunft auswirken werden, ist noch nicht ganz geklärt und bedarf weiterhin der aufmerksamen Beobachtung.
1 Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001, 4202 ff., 4208.
2 Unter der Federführung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes bzw. des Bundesamtes für Justiz wird die neue Bundesrechtspflege einer bis 2013 angelegten Evaluation unterzogen. Der Zwischenbericht des Bundesrates wurde am 18. Juni 2010 veröffentlicht. Er stützt sich unter anderem auf den Zwischenbericht «Evaluation der Wirksamkeit der neuen Bundesrechtspflege» der Arbeitsgruppe Andreas Lienhard, Stefan Rieder, Martin Killias, Christof Schwenkel, Sophie Hardegger, Simon Odermann vom 2. Februar 2010 (beide Berichte auf Website EJPD). Die Verfasserin dieses Beitrags, Mitglied der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts, hat - zusammen mit dem Generalsekretär des Bundesgerichts - bis zum Ablauf ihrer Amtsdauer als Bundesgerichtsvizepräsidentin Ende 2010 das Bundesgericht in der Begleitgruppe vertreten. Sie äussert hier ihre persönliche Auffassung.
3 BGE 133 II 249, E. 1.4.1.
4 BGE 133 II 249, E. 1.4.1.
5 BGE 133 IV 286, E. 6.2., 133 II 249, E. 1.4.3.
6 Ulrich Meyer, «Die Sozialrechtspflege unter dem Bundesgerichtsgesetz», in: Thomas Probst / Franz Werro (Hrsg.), Strassenverkehrsrechtstagung 10.-11. Juni 2008, Bern 2008, (Sozialrechtspflege) S. 149 ff., S. 178.
7 BGE 130 I 312, E. 1.
8 Siehe Ziff. 2.4.4.
9 Siehe Ziff. 3.1.
10 Dorothea Riedi Hunold, «Die Rechtsprechung der beiden sozialrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts der Jahre 2007 bis 2009 im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle», SZS 2011, S. 41 ff.
11 Z. B. Herabsetzung von AHV-Beiträgen gemäss Art. 11 Abs. 1 AHVG (SVR 2008 AHV Nr. 12, 9C_690/2007, E. 1). Rückerstattungsforderungen sind keine Abgaben im Sinne dieser Bestimmung (SVR 2008 KV Nr. 19, 9C_549/2007, E. 1.1). Vertiefte Darstellung der Rechtsprechung zu dieser und anderen Bestimmungen siehe Margit Moser-Szeless, «Le recours en matière de droit public au Tribunal fédéral dans le domaine des assurances sociales - aspects choisis», HAVE/REAS 2010, S. 335 ff.
12 BGE 137 V 51, E. 4 betreffend Haftung gestützt auf Art. 52 Abs. 1 AHVG, BGE 135 V 98 betreffend Art. 82 AVIG, GE 134 V 138, E. 1.2.2 betreffend Art. 78 ATSG.
13 Abs. 2. Dies ist in der Beschwerde zu begründen (Art. 42 Abs. 2 BGG).
14 Der Bundesrat ist keine Vorinstanz, weshalb gegen seinen Genehmigungsentscheid betreffend Änderung der für medizinische Leistungen geltenden Tarifstruktur Tarmed kein Rechtsmittel an das Bundesgericht offensteht (BGE 134 V 443).
15 Siehe Ziff. 4.1.
16 BGE 134 V 53, E. 2.3.
17 Art. 102 Abs. 2 AVIG i. V. m. Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG legitimiert das Seco nicht zur Beschwerde
gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts (BGE 136 V 106, E. 3 und 4).
18 BGE 134 V 53, E. 2.
19 Urteil 8C_1025/2009 vom 19.8.2010 (Sozialhilfe) m. H. auf BGE 135 II 12.
20 BGE 134 V 53; Urteil 8C_1033/2008 vom 26.3.2009.
21 Der Entscheid über die Vorleistungspflicht ist ein Endentscheid (BGE 136 V 131).
22 Wenn in einem angefochtenen Entscheid über den Anspruch auf mehrere Leistungsarten (Rechtsverhältnisse; zum Beispiel Invalidenrente und Integritätsentschädigung), aber nicht über alle abschliessend, entschieden wurde, liegt bezüglich der abschliessend beurteilten Leistungsarten ein ohne weiteres anfechtbarer Teilentscheid vor (Urteil 8C_420/2008 vom 31.3.2009, E. 1.3). Zur Abgrenzung zwischen Teil- und Zwischenentscheid, wenn die Vorinstanz bezüglich einer Teilperiode des Rentenanspruchs abschliessend entschieden und bezüglich einer andern Teilperiode an die Verwaltung zurückgewiesen hat, siehe BGE 135 V 141, E. 1, und 135 V 148, E. 5.
23 Meyer, Sozialrechtspflege, S. 175.
24 BGE 133 V 477, E. 4.2; auch die Kosten- und Entschädigungsfolgen des Rückweisungsentscheides können erst später angefochten werden
(BGE 133 V 645, E. 2).
25 BGE 135 V 141, E. 1.1.
26 BGE 133 V 645, E. 2.1.
27 BGE 133 V 477, E. 5.2.
28 SVR 2009 UV Nr. 38, 8C_969/2008, E. 3.
29 Urteile 8C_89/2010 vom 4.10.2010, E. 4, 8C_817/2008 vom 19.6.2009, E. 3 und 4.
30 Meyer, Sozialrechtspflege, S. 173 f.
31 Hansjörg Seiler, «Rückweisungsentscheide in der neueren Sozialversicherungspraxis des Bundesgerichts», in: René Schaffhauser / Franz Schlauri (Hrsg.), Sozialversicherungsrechtstagung 2008, St. Gallen 2008, S. 9 ff., S. 46.
32 Insbesondere aus Gründen der Gleichbehandlung von öffentlich-rechtlich und privatrechtlich Vorsorgeversicherten prüft das Bundesgericht das kantonale und kommunale öffentliche Berufsvorsorgerecht frei, jedenfalls soweit es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht (BGE 134 V 199, E. 1).
33 Zur Einschränkung der Kognition infolge unzureichender Beschwerdebegründung siehe Ziff. 2.1.
34 Soweit die Vorinstanz formelle Verfahrensgarantien missachtet hat, bildet die Rückweisung wegen
des Anspruchs auf Einhaltung des Instanzenzuges weiterhin die Regel (plädoyer 3/09, S. 71, 8C_241/2007, E. 1.3.2).
35 Im Streit um die Versicherungsdeckung in der Unfallversicherung gilt die eingeschränkte Kognition
(BGE 135 V 412, E. 1.2). Ist sowohl eine Geldleistung (Integritätsentschädigung) und zugleich eine Sachleistung (Heilbehandlung) angefochten, überprüft das Bundesgericht die für beide Leistungsarten erheblichen Sachverhaltselemente mit voller Kognition und die nur für die Sachleistung massgeblichen mit eingeschränkter Kognition (SVR 2011 UV Nr. 1, 8C_584/2009, E. 4).
36 AS 2006 2003.
37 Urteil 8C_664/2007 vom 14.4.2008, E. 8.1.
38 Z. B. SZS 2009, S. 136, 9C_382/2007; SVR 2009 IV Nr. 43, 9C_235/2008, E. 3, 2008 IV Nr. 49, 9C_404/2007, E. 1.3; plädoyer 1/08, S. 69, I 793/06, E. 2.4.
39 So SVR 2010 IV Nr. 17, 8C_195/2009, E. 5, SVR 2010 IV Nr. 49, S.151, 9C_85/2009, E. 3.5,
Urteil 8C_364/2007 vom 19.11.2007.
40 BGE 132 V 393, E. 4.1.
41 Urteil 9C_752/2008 vom 9.4.2009, E. 1.2 und 2.3.
42 Urteil 9C_283/2007 vom 30.5.2008.
43 So plädoyer 1/09, S. 70,
plädoyer 2/09, S. 71, 9C_833/2007, E. 2.2.
44 Zwischenbericht der Arbeitsgruppe (Fn 2); die nachfolgend im Zusammenhang mit der Evaluation angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf diesen Bericht.
45 Die Verjährungseinrede kann nur neu vorgebracht werden, wenn die Verjährung nach dem angefochtenen Entscheid eingetreten ist (BGE 134 V 223, E. 2, vgl. auch die in BGE 135 V 163, nicht publ. E. 2). Die Einreichung einer neuen medizinischen Expertise ist unzulässig, wenn die Vorinstanz in nicht zu beanstandender Weise die Einholung einer Expertise aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt hat (SVR 2010 IV Nr. 42, 8C_15/2009, E. 4).
46 Der erstmals vor Bundesgericht gestellte Antrag auf verschuldensbedingte Kürzung der den Streitgegenstand bildenden Invalidenrente ist zulässig, wenn er sich auf aktenkundige Tatsachen stützt (BGE 136 V 362).
47 Noch nicht abschliessend entschieden ist, ob im Fall der Anfechtung eines beiden Parteien teilweise Recht gebenden Rückweisungsentscheides, der zulässigerweise vom Versicherer angefochten wird, auch auf die von der andern - grundsätzlich nicht anfechtungsberechtigten - Partei in der Beschwerdeantwort erneuerten Anträge einzutreten ist, weil sie allenfalls keine Gelegenheit zur späteren Anfechtung hat,
wenn das Bundesgericht einen Endentscheid trifft (Urteil 9C_756/2009 vom 8.2.2010, E. 4).
48 Roger Grünvogel, «Das einzelrichterliche Verfahren nach Art. 108 BGG», AJP 2011, S. 59 ff.
49 Geschäftsbericht 2010 des Bundesgerichts, S. 27.
50 Bejaht für die Arbeitslosenkassen (BGE 133 V 637, E. 4), IV-Stellen (SZZP 2008 S. 6, 8C_67/2007, E. 6), Unfallversicherer (BGE 133 V 642) und EL-Durchführungsstellen (Urteil 8C_594/2007 vom 10.3.2008, E. 7.1); verneint für die Kantone und die mit dem AVIG-Vollzug betrauten kantonalen Durchführungsstellen (BGE 133 V 640, E. 4).
51 Ausgenommen sind Streitigkeiten mit patronalen Wohlfahrtsfonds (SVR 2009 BVG Nr. 2, 9C_193/2008, E. 2).
52 Art. 18 und 22 BGG, Art. 26 und 34 f. BGerR.
53 Art. 17 BGG, Art. 3 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 1 BGerR.
54 Art. 23 Abs. 3 Geschäftsreglement für das BVGer.
55 S. Ziff. 2.4.1.
56 Ulrich Meyer, «Der Einfluss des BGG auf die Sozialrechtspflege - Die sozialrechtlichen Abteilungen am Standort Luzern als Nachfolgeorganisationen des EVG», SZS 2007, S. 222 ff., S. 241.
57 Hans-Jakob Mosimann, «Die Auswirkungen des BGG auf die kantonalen Versicherungsgerichte», SZS 2007, S. 243 ff., S. 252 f.
58 Zur Geschichte des EVG siehe die vom Eidgenössischen Versicherungsgericht herausgegebene Schrift Das Eidgenössische Versicherungsgericht 1917-2006, Luzern 2006.
59 So auch Thomas Gächter, «Entwicklung und Organisation der Sozialversicherungsrechtspflege im Bund und im Kanton Bern», in: Ruth Herzog / Reto Feller (Hrsg.), Bernische Verwaltungsgerichtsbarkeit in: Geschichte und Gegenwart, Festschrift 100 Jahre Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 2010, S. 89 ff., S. 92.
60 Gabriela Riemer-Kafka, «Der Sozialversicherungsrichter als Zivilrichter?», SZS 2007, S. 515 ff., weist darauf hin, dass mit der Schaffung der zwei sozialrechtlichen Abteilungen richtigerweise der für das sehr breite und unübersichtliche Rechtsgebiet sinnvolle hohe Grad von sozialversicherungsrechtlichem Spezialwissen erhalten geblieben sei. Gächter, a.a.O., S. 114, weist hingegen auf die negativen Auswirkungen auf die Kohärenz der Rechtsprechung und die Schwächung der dogmatisch immer wieder zu betonenden Rückkoppelung des Sozialversicherungsrechts mit dem übrigen Verwaltungsrecht hin. Mit noch engerer institutioneller Verknüpfung könnte der ausser-ordentlich reiche Erfahrungs- und Rechtsprechungsschatz der Sozialversicherungsgerichtsbarkeit für die übrige Rechtsprechung nutzbar gemacht werden.
61 Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung vom 30. Mai 2008, BBl 2008, 5395 ff., 5443.
62 Geschäftsberichte des Bundesgerichts, bis 2006: auch des EVG.
63 Hier ist anzumerken, dass die erfolgreiche Beschwerdeführung für nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführende schwierig ist und unter dem BGG wohl auf noch höhere Hürden stösst. Eine Untersuchung über den Sozialversicherungsprozess vor EVG bzw. Bundesgericht der Jahre 2004 bis 2008 ergab bei 1000 untersuchten Dossiers, dass von den Beschwerden anwaltlich vertretener Personen auf 21 nicht eingetreten, 152 gutgeheissen und 360 abgewiesen wurden. Bei nicht anwaltlich vertretenen Personen ergaben sich 102 Nicht-eintreten, 29 Gutheissungen und 133 Abweisungen (Arun Bolkensteyn / Thierry Tanquerel / Frédéric Varone / Karin Byland, «Contentieux des assurances sociales en Suisse: Analyse empirique», Cahiers genevois et romands de sécurité sociale Nr. 45/2010, S. 288 ff., S. 310). Angesichts dieser Zahlen erweist sich das Absehen vom Anwaltszwang vor Bundesgericht als problematisch.
64 Nach der Einschätzung von Gächter, a.a.O., S. 104, haben die Spezialregelungen wesentlich dazu beigetragen, dass die Sozialversicherungsleistungen in
der ganzen Schweiz nach den gleichen Richtlinien zugesprochen und bemessen wurden.