Andreas Wicky, 49, Staatsanwalt in Winterthur, nimmt es mit der Strafprozessordnung und den Weisungen der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich nicht so genau. Der Anspruch auf das rechtliche Gehör von Angeschuldigten scheint ihm nicht zentral. Artikel 318 der Strafprozessordnung (StPO) und die Weisungen schreiben zwar vor, dass die Staatsanwaltschaft den Parteien nach Abschluss der Untersuchung eine Frist ansetzen muss, um Beweisanträge zu stellen. Trotzdem verzichtete der forsche Staatsanwalt kürzlich nach der Schlussein­vernahme eines Beschuldigten in Anwesenheit des Verteidigers auf eine Fristansetzung. Als der Verteidiger dagegen protestierte, blieb Wicky stur. Er vertröstete den Vertreter des Beschuldigten damit, er könne ja seine ­Begehren auf Beweisanträge und Akten­einsicht problemlos beim Gericht vorbringen. Eine förmliche Fristansetzung sei unnötig. Er mache das immer so und ­bislang habe noch kein Verteidiger dagegen opponiert. 

Auf Nachfrage von plädoyer zu seiner Praxis im Zusammenhang mit Artikel 318 StPO meinte der Staatsanwalt mit Erfahrung als Schweizer Gardist locker: «Beschwerdeinstanz für Anstände im Zusammenhang mit der Untersuchungsführung ist das Zürcher Ober­gericht, nicht die Redaktion ­plä­doyer.»  

Andreas Rohrer, 61, Rechts­anwalt und Notar in Zug, stellt die Aufsichtskommission des Kantons vor den unangenehmen Entscheid, ob sie gegen ihn ein Disziplinarverfahren eröffnen soll oder nicht. Rohrer fälschte von 2002 bis 2014 Unterschriften und ­erschlich unwahre ­Handelsregistereinträge. Zudem beglaubigte er als Urkundsperson falsche Unterschriften – laut Staatsanwältin Jacqueline Land­olt aus ­finanziellen Motiven. Im abgekürzten Verfahren einigten sich die Parteien auf eine ­bedingte Freiheitsstrafe von 22 Monaten und 10 000 Franken Busse. Rohrer liess sich ­danach aus dem Zuger Anwaltsregister streichen. 

Ob er das Anwalts­patent behalten kann, ist offen. Die Zuger Aufsichtskommission wollte plädoyer nicht sagen, ob ein Verfahren gegen Rohrer pendent ist. Kann es im Kanton Zug vorkommen, dass die Aufsicht kein Disziplinarverfahren einleitet, wenn sich ein Anwalt nach einer strafrechtlichen Verurteilung wegen beruflicher Delikte selbst aus dem Register löschen lässt? Laut Stephan Scherer, Präsident der Kommission, wird «unter Abwägung der Interessen» entschieden, ob das Verfahren nach einer Löschung fortgesetzt oder als gegenstandslos abgeschrieben werde. Rohrer selbst sagte plädoyer, die Aufsichtskommission habe kein Verfahren gegen ihn eingeleitet.

Olivier Ferraz, 31, Rechtsanwalt, geschäftsführender Partner und hälftiger Eigentümer der Avocatel.ch GmbH mit Sitz in Freiburg, hat mit seiner Geschäftsidee keinen fruchtbaren Boden gefunden. Ferraz schrieb im Herbst 2017 alle 11 000 Anwälte in der Schweiz an und lud sie ein, sich dem nationalen ­Telefonnetz von Avocatel.ch ­anzuschliessen. Avocatel biete der Bevölkerung über eine ­kostenpflichtige Nummer den Zugang zu Anwälten an. Die Rechtsuchenden müssten nur Sprache und Postleitzahl angeben, und schon würden sie über Avocatel am gesuchten Ort mit einem Anwalt verbunden. Für die ­Anwälte kostet Avocatel pro Jahr 900 Franken. Um auch finanzschwächere Anwälte zur Teilnahme zu motivieren, lockte Ferraz mit einem Einführungsangebot: Rechtsanwälte, die sich bis am 31. Oktober 2017 anmeldeten, zahlten nur 550 Franken für die ersten zwölf Monate. 

Bis Mitte Januar zeigten aber nur fünf Anwälte ein Interesse an der neuen Dienstleistung. Die Nachfrage ist auch vonseiten der potenziellen Klienten gering. Caroline B. Ferber, Rechtsanwältin in Zürich, ist Avocatel-Abonnentin. Auf Anfrage von plädoyer sagte sie, sie habe bislang noch keine ­einzige Anfrage von Kunden ­erhalten.Ferraz will mit dem Aufbau des Avocatel-Netzwerks trotzdem weitermachen.