Die Schweiz solle «in allen Kantonen eine unabhängige Stelle schaffen mit dem Auftrag, alle Klagen bezüglich übermässiger Gewaltanwendung, Grausamkeiten und anderer Formen polizeilichen Amtsmissbrauchs zu untersuchen». Das schlägt Usbekistan vor. Die Schweiz soll «den Sonderberichterstatter über zeitgenössische Formen des Rassismus, den Sonderberichterstatter über die Menschenrechte von Migranten und den Sonderberichterstatter über Folter in die Schweiz einladen». Das ist ein Vorschlag von Weissrussland. Diese Empfehlungen gehören zu 140 anderen, die die Schweiz im Rahmen der zweiten universellen periodischen Überprüfung (Universal Periodic Review, UPR) des Uno-Menschenrechtsrates von anderen Uno-Mitgliedsländern erhalten hat.
Kantonale Anlaufstellen «nicht erforderlich»
Achtzig Länder machten im Rahmen der letztjährigen Überprüfung der Schweiz Vorschläge zur verbesserten Umsetzung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen. 50 davon akzeptierte die Schweiz gleich vor Ort und will sie also umsetzen, 4 lehnte sie umgehend ab. 86 beantwortete sie später anlässlich der Sitzung des Uno-Menschenrechtsrates im März dieses Jahres.
Zu den von der Schweiz abgelehnten Empfehlungen gehört die eingangs erwähnte von Usbekistan zum polizeilichen Amtsmissbrauch. Solche Fälle würden nach Schweizer Recht «von unabhängigen Justizbehörden untersucht und vor Gericht gebracht». Kantonale Anlaufstellen seien deshalb «nicht erforderlich», so die offizielle Antwort. Den weissrussischen Vorschlag zu den Sonderberichterstattern nahm der Bundesrat hingegen an: «Die Schweiz hat eine Dauereinladung an alle Sonderberichterstatter ausgesprochen.» Insgesamt will die Schweiz 99 der 140 Empfehlungen umsetzen.
Einige Beispiele weiterer Empfehlungen an die Schweiz:
- Eine Definition für Folter in das Strafgesetzbuch aufzunehmen wurde durch die Schweiz abgelehnt, weil diese trotz nicht ausdrücklicher Erwähnung unter Strafe gestellt sei.
- Gesetze gegen Diskriminierung und Rassismus zu erlassen. Abgelehnt, weil bereits in der Bundesverfassung, dem Zivilgesetzbuch und dem Strafgesetzbuch verankert. Die Empfehlungen für Massnahmen gegen Diskriminierung oder Rassismus wurden hingegen angenommen.
- Angemessene Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylsuchende abseits von ungesunden Orten wie Flughäfen zu erstellen. Abgelehnt, da angeblich nicht umsetzbar.
- Massnahmen zu erlassen gegen Volksinitiativen, die Menschenrechte verletzen. Abgelehnt, da sich das Parlament bereits mit dieser Problematik befasse und der Entscheid nicht vorhersehbar sei.
- Massnahmen im Bereich des Menschenhandels. Mehrheitlich angenommen.
- Massnahmen gegen häusliche Gewalt. Weitgehend angenommen.
Die NGO-Plattform Menschenrechte (zu ihnen gehören unter anderem die Organisationen Humanrights und Amnesty International) begrüssen laut einer Medienmitteilung vom März, dass die Schweiz einen Aktionsplan zur Rassismusbekämpfung erstellen und einen besseren Schutz der Opfer von Menschenhandel herbeiführen will.
Die Plattform bedauert aber, dass die Schweiz insgesamt 41 Empfehlungen zurückgewiesen hat – insbesondere die «grosse Zahl von Empfehlungen, welche das Problem der Diskriminierung mittels einer verbesserten Gesetzgebung angehen wollten». Die Organisationen hätten zudem einige andere Empfehlungen gerne umgesetzt gesehen, darunter den eingangs erwähnten usbekischen Vorschlag, unabhängige Beschwerdeinstanzen für Fälle übertriebener Polizeigewalt zu schaffen, eine Folterdefinition in das Strafgesetzbuch aufzunehmen oder jugendliche Insassen in Hafteinrichtungen von den erwachsenen Insassen streng zu trennen.
Uneinigkeit über Umsetzungsbedarf
Bereits 2008 war die Schweiz Gegenstand einer Überprüfung. Damals wurden 31 Empfehlungen ausgesprochen. Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte publizierte im April 2012 eine Studie, welche die damals angenommenen Empfehlungen und den Stand der Umsetzung analysierte. Eine ähnliche Analyse führte Humanrights durch. Nicht überall sind sich die beiden Institutionen einig, wieweit noch Umsetzungsbedarf besteht. Einig sind sich die beiden Institutionen aber unter anderem bei den folgenden Empfehlungen:
- Berücksichtigung der Geschlechterperspektive im UPR-Verfahren
- Beitritt zu Individualbeschwerdeverfahren des Uno-Pakts II
- Beitritt zur Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
- Verhindern von rassistisch und ausländerfeindlich motivierten Übergriffen durch Sicherheitsorgane und Rechtsschutz
- Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit
- Verstärkung der Massnahmen zur Bekämpfung von Rassismus
- Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen in Gefängnissen
- Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für Opfer von häuslicher Gewalt
- Schutz von Einwanderern vor Menschenhandel und Gewalt
- Verstärkte Bekämpfung der Diskriminierung von Einwanderern
- Verstärken der Massnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Angehörigen von Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt
- Strategie gegen Frauen- und Mädchenhandel sowie sexuelle Ausbeutung
- Analyse des neuen Asylgesetzes auf Menschenrechtsverträglichkeit
- Verbot der Körperstrafen gegen Kinder.
Auch die Schweiz spricht Empfehlungen aus
In mindestens 15 von 20 Empfehlungen, welche die Schweiz nach der Überprüfung von 2008 angenommen hat und somit umsetzen wollte, besteht also noch Handlungsbedarf. So erstaunt es denn nicht, dass viele dieser Empfehlungen nun auch im zweiten UPR wieder gemacht wurden.
Die Schweiz erhält nicht nur Ratschläge von anderen Staaten – sie gibt ihnen in Sachen Menschenrechte ebenfalls Empfehlungen ab. Laut einer Analyse von Humanrights hat die Schweiz etwas mehr als der Hälfte der 112 Länder, die zwischen 2008 und 2010 überpüft wurden, Empfehlungen gemacht. Am häufigsten brachte die Schweizer Delegation folgende Themen zur Sprache: Die Diskriminierung der Frau, fehlender Schutz und Sorge für die Kinder (vor allem im Zusammenhang mit Gewalt gegen Kinder, Kinderarbeit und fehlendem oder diskriminierendem Bildungszugang), Ausschluss und Diskriminierung von ethnischen und kulturellen Minderheiten sowie willkürliche Justizsysteme.
So läuft die periodische Überprüfung ab
Im Rahmen der universellen periodischen Überprüfung werden die Menschenrechte in den 193 Uno-Mitgliedstaaten untersucht. Damit soll längerfristig die Menschenrechtslage in allen Ländern verbessert werden. Die Überprüfung ist eine Diskussion zwischen dem betroffenen Staat und den anderen Mitgliedsländern.
Untersucht werden dabei die Einhaltung der Uno-Charta, der universellen Menschenrechtserklärung, der Menschenrechtsprotokolle, welche das entsprechende Land unterzeichnet hat, und allenfalls humanitäres Völkerrecht.
Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus den 47 Mitgliedern des Uno-Menschenrechtsrates, führt die Untersuchungen durch. Drei Länder werden dabei durch das Los zur «Troika» bestimmt, die die Überprüfung eines bestimmten Landes leitet. Im Falle der Schweiz waren das im letzten Jahr Belgien, Costa Rica und Nigeria, vor fünf Jahren Uruguay, Pakistan und Südafrika. Das Ergebnis der Überprüfung ist ein von der Troika verfasster Bericht, der die Diskussion zusammenfasst. Das überprüfte Land kann die Empfehlungen annehmen oder davon Kenntnis nehmen. Später muss der Bericht in einer Plenarsitzung des Menschenrechtsrates angenommen werden. Nach der Überprüfung liegt es in der Verantwortung des einzelnen Staates, die Empfehlungen umzusetzen.
«Schweiz im internationalen Vergleich recht gut»
plädoyer: Walter Kälin, hat die Überprüfung durch den Menschenrechtsrat Konsequenzen? Die Staaten können ja selber aussuchen, welche Empfehlungen sie umsetzen.
Walter Kälin: Die Überprüfung hat zwei wichtige Neuerungen gebracht: Erstens ist das Verfahren universell. Es gilt also für alle Staaten und bildet damit eine Antwort auf den Vorwurf an die frühere Menschenrechtskommission, dass gewisse Staaten sich immer einer Überprüfung entziehen konnten. Zweitens ist es das einzige Verfahren auf Uno-Ebene, bei dem Staaten gewisse Empfehlungen ausdrücklich akzeptieren. Das gibt ihnen einen höheren Verpflichtungsgrad. In praktischer Hinsicht zeigte die erste Runde der Überprüfung, dass Staaten, die in der Vergangenheit keinerlei Interessen an einer Zusammenarbeit mit dem Hochkommissariat für Menschenrechte zeigten, plötzlich dazu bereit waren.
Welche Massnahmen sind gegen einen Staat möglich, der nicht kooperiert?
Bei der periodischen Überprüfung handelt es sich nicht um ein Gerichtsverfahren, sondern um eine gegenseitige Überprüfung von Staaten. Ähnlich wie bei solchen Verfahren im Rahmen der OECD und anderer internationaler Organisationen sind deshalb keine harten Sanktionen möglich. Dass alle anderen Staaten kooperieren und zumindest einen Teil der akzeptierten Empfehlungen umsetzen, stellt aber erfahrungsgemäss einen grossen psychologischen und politischen Druck dar.
Machen alle Staaten mit?
In der ersten Runde machten alle Staaten mit. Gemäss den ersten Untersuchungen wurde zumindest ein Teil der akzeptierten Empfehlungen umgesetzt. Israel machte bisher in der zweiten Runde nicht mit. Ob dies aber bis zum Abschluss im Jahr 2016 so bleiben wird, ist offen. Dies ist ein sehr viel höherer Beteiligungsgrad als bei den Staatenberichtsverfahren der Uno-Konventionen, wo die regelmässige Unterbreitung eines Berichts für die Länder an sich eine juristisch bindende Verpflichtung darstellt.
Wie gut geht die Schweiz mit der Prüfung im internationalen Vergleich um?
Diese Frage liesse sich nur auf der Basis einer Auswertung aller Empfehlungen und ihrer Umsetzung durch die Staaten beantworten. Eine erste Untersuchung zur Umsetzung von 3294 Empfehlungen in 66 Staaten zeigte vergangenes Jahr, dass gut 12 Prozent dieser Empfehlungen ganz und gut 28 Prozent teilweise umgesetzt wurden. Wir stellten Anfang 2012 fest, dass die Schweiz von insgesamt 23 akzeptierten Empfehlungen bei 5 nichts mehr tun musste, bei einer einzigen keine Umsetzungsschritte eingeleitet hatte und für die restlichen 19 Empfehlungen mehr oder weniger weitreichende Schritte zur Umsetzung unternommen hatte. Sie stand damit im internationalen Vergleich recht gut da.
Walter Kälin, 62, Staatsrechtsprofessor, Bern, Direktor des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte. Er war 2003 bis 2008 Mitglied des Uno-Menschenrechtsausschusses.