Exodus am Urner Obergericht
Gleich acht der zwölf nebenamtlichen Urner Oberrichter mussten im Februar neu gewählt werden. Gerichtspräsident Rolf Dittli erklärt den Exodus so: «Die meisten, die zurückgetreten sind, waren seit Jahren als Oberrichterin oder Oberrichter tätig und haben das Pensionsalter teilweise schon längst überschritten.» Im Übrigen sei die Belastung ziemlich hoch und schlecht bezahlt - der Aufwand von 20 bis 25 Verhandlungstagen und etwa 250 Stunden Vorbereitung wird mit rund 7000 Franken entschädigt: Das Urner Obergericht ist ein Laiengericht, nur Dittli ist vollamtlicher Richter.
Diese Konstellation ist nicht unproblematisch und so spricht auch Alf Arnold, grüner Landrat und Präsident der Justizkommission, von einem «Gschtürm», das wohl grösstenteils «atmosphärischer Art» sei. Um das Obergericht zu entlasten, hat der Landrat kürzlich eine weitere Gerichtsschreiberstelle geschaffen. Ab dem 1. Juni wird zudem neu ein Jurist mit einem 40-Prozent-Pensum als Vizepräsident amten. Ein Versuch, das Obergericht zu verkleinern, was laut Arnold wahrscheinlich eine Professionalisierung zur Folge gehabt hätte, ist hingegen kürzlich bereits in der Vernehmlassung gescheitert. ch
Rückblende
- Allgemeine Geschäftsbedingungen (ABG): In plädoyer 2/10 forderte Rechtsanwalt und Titularprofessor Stephan Hartmann, «endlich eine Inhaltskontrolle der AGB einzuführen». Der Bundesrat wollte das UWG entsprechend revidieren: Während heute laut Art. 8 UWG nur irreführende AGB unlauter sind, sollten es neu alle sein, die Treu und Glauben verletzen. Der Ständerat stimmte diesem Vorschlag zu, doch der Nationalrat lehnte ihn in der Frühjahrssession ab. Darauf buchstabierte der Ständerat zurück und beschloss, die AGB explizit nur bei Verträgen mit Konsumenten zu prüfen. Doch eine Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrates schmetterte diesen Kompromissvorschlag ab. Die Vorlage geht nun wieder in den Nationalrat.
- Erbrecht: Die in plädoyer 3/10 befragten Rechtsexperten waren sich einig: Im Erbrecht besteht Revisionsbedarf. In diesem Sinne möchte der Nationalrat nun die Pflichtteilsrechte der Eltern und Nachkommen beschränken, lehnte aber in der Frühjahrssession im Gegensatz zum Ständerat eine Erbenstellung von Konkubinatspartnern ab.
- Anwaltsvergleich: plädoyer kritisierte in der Ausgabe 4/10 das umstrittene Vergleichsportal www.anwaltsvergleich.ch. Die Wirtschaftsinformatikerin und Juristin Nathalie Glaus kam in der Anwaltsrevue 2/11 zum Schluss, dass ein Anwalt eine unlautere oder persönlichkeitsverletzende Einzelbewertung in diesem Portal nicht hinnehmen müsse: «Es besteht ein Löschungsanspruch.»
5 von 6 Beschwerden erfolglos
Das Bundesgericht hat im letzten Jahr 12,2 Prozent der eingegangenen Rechtsmittel gutgeheissen und 3,9 Prozent an die Vorinstanzen zurückgewiesen. Das heisst: 84 Prozent der Beschwerden waren erfolglos. Dies geht aus dem kürzlich erschienenen Geschäftsbericht 2010 hervor.
Am erfolgreichsten waren die Rechtsmittel im Bereich des öffentlichen Rechts (18 Prozent Gutheissung oder Rückweisung des Falls an die Vorinstanz), am wenigsten erfolgreich jene in Zivilsachen (11,9 Prozent). Die strafrechtliche Abteilung hat 14,2 Prozent der Beschwerden gutgeheissen.
Diese Zahlen sind seit Jahren relativ stabil. So hiess das Bundesgericht im Jahr 2009 11,4 Prozent der Rechtsmittel gut, am erfolgreichsten waren die Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten (17 Prozent Gutheissungen und Rückweisungen), am niedrigsten war die Erfolgsquote in Zivilsachen (10,6 Prozent), die strafrechtliche Abteilung hiess 15 Prozent der Beschwerden gut.
Die Zahl der behandelten Geschäfte hat laut Geschäftsbericht leicht zugenommen: Die Zahl der Eingänge (7367 gegenüber 7189 im Vorjahr) und Erledigungen (7424 gegenüber 7242) bewegte sich im Mittel der fünf vorangegangenen Jahre.
Im Jahr 2010 war jeder der 38 ordentlichen Bundesrichter im Durchschnitt an 190 Fällen beteiligt. Im Jahr 2006 hatte diese Zahl noch bei 175 Fällen gelegen.
«Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Abteilungen die Geschäftslast auch im Berichtsjahr innert angemessener Frist bewältigen konnten», beruhigt das Bundesgericht. Die durchschnittliche Prozessdauer betrug 2010 126 Tage - im Vorjahr hatte ein Prozess durchschnittlich 131 Tage gedauert. sfr
Handelsgericht im Umbruch
Das Zürcher Handelsgericht steht weiterhin in den Schlagzeilen. Zwar basiert die Richterwahl seit dem Inkrafttreten des Zürcher Gerichtsorganisationsgesetzes am 1. Januar 2011 auf einer öffentlichen Ausschreibung (plädoyer 4/09 und 1/11). Aber das Erfordernis, dass nur Unternehmensinhaber oder leitende Angestellte wählbar seien, erwies sich vor Bundesgericht als verfassungswidrig (siehe Urteil Seite 55). Kurzfristig mussten die offenen Handelsrichterstellen darum neu ausgeschrieben werden. Die Bewerber haben ihren Unterlagen eine Wohnsitzbestätigung beizulegen. Ein ausserkantonaler Wohnort kommt nach einem weiteren bundesgerichtlichen Machtwort nicht mehr in Frage. Bei rund fünfzig Urteilen waren unzulässigerweise fremde Richter beteiligt. stoc
Das Bundespatentgericht kommt auf den 1. Januar 2012
Das Bundespatentgericht sollte für die schnelle Erledigung von Patentstreitigkeiten sorgen und ist nun selber ins Stocken geraten. Es hat seine Tätigkeit noch nicht aufgenommen, obwohl das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement Ende 2009 dies per Medienmitteilung auf den 1. Januar 2011 in Aussicht gestellt hatte. «Das war nur eines von vielen Daten, welches herumgeisterte», meint allerdings Gerichtspräsident Dieter Brändle. Die Mitglieder des Gerichts - dreissig Männer und eine Frau - sind bereits gewählt. Sie werden ihre eigentliche Tätigkeit gemäss einer Mitteilung des federführenden Instituts für Geistiges Eigentum (IGE) am 1. Januar 2012 aufnehmen. Felix Addor, stellvertretender Direktor des IGE, geht davon aus, dass der Fahrplan eingehalten wird, und gewinnt der Verschiebung Positives ab: «Zu diesem Zeitpunkt werden bereits die ersten Patentanwälte registriert sein.» Patentanwälte können, nebst Rechtsanwälten, Fälle vor dem Gericht vertreten. vb