Olivier Thormann, 49, Richter am Bundesstrafgericht in Bellinzona, macht rasant Karriere. Bis  Ende 2018 war er Bundesanwalt und Chef der Abteilung Wirtschaftskriminalität. Im März dieses Jahres wählte die Bundesversammlung das Berner FDP-­Mitglied als Richter für die neu geschaffene Berufungs­kammer am Bundesstrafgericht. Fünf Monate später setzte ihn das Gericht als Präsidenten der Kammer ein. Er ersetzt Claudia Solcà, die abgewählt wurde. Als Grund gab die Christdemokratin gegenüber der «Sonntags-Zeitung» an, sie habe sich für die Unabhängigkeit der Kammer eingesetzt. Dies sei von der Leitung des Bundesstrafgerichts aber erschwert worden. Auch Giorgio Bomio, Präsident der Beschwerdekammer, musste unfreiwillig seinen Posten räumen. Der Tessiner Sozialdemokrat war vor zwei Jahren zum Präsidenten gewählt worden. Eine Amtszeit dauert zwei Jahre. ­Üblich ist, dass der Präsident einmal wiedergewählt wird. 

Bomio sieht den Grund für die Nichtwiederwahl in seiner Kritik am Gericht, weil es drei deutschsprachige SVP-Mitglieder in die Verwaltungskommission des Bundesstrafgerichts ­gewählt hatte. Bomio: «Das hat es an Gerichten in der Schweiz noch nie gegeben. Sonst wird sorgfältig auf sprachliche Minderheiten und die politische Vielfalt geachtet.»  

Regina Kiener, 57, Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Zürich, hat das Parlament an die Menschenrechtskonvention und die Grundsätze des Völkerrechts erinnert. Sie kritisiert im «N’jus», der Zeitschrift der Zürcher JusStudenten, die Bundesversammlung für die Überweisung der Motion von CVP-Nationalrat Fabio Regazzi. Er fordert die Ausweisung von «Dschihadisten», die für Taten im Zusammenhang mit dem IS verurteilt wurden – egal, ob ihre Heimatländer als «unsicher» gelten oder nicht. Laut Kiener würde eine solche Praxis das zwingende Völkerrecht für eine bestimmte Art von Verurteilten einschränken. Artikel 3 EMRK wäre verletzt. «Mit diesem Entscheid stellt das Parlament das zwingende Rückschiebeverbot in Frage.» 

Das Beispiel zeige, dass die Grundrechte nicht gesichert ­seien, «sondern auch in einem Rechtsstaat wie der Schweiz ­immer wieder von Neuem verteidigt werden müssen», so ­Kiener. Für die Professorin ist schwer nachvollziehbar, dass das Parlament grundrechtliche Kerngehalte sowie zwingendes Völkerrecht bewusst verletzen wolle. «Mit den Grundrechten und der Verfassung spielt man nicht», warnt die Juristin. Das Folterverbot und das Verbot der Rückschiebung in Folterstaaten seien zentrale rechtsstaatliche Werte.

Daniel Hürlimann, 33, Assistenzprofessor an der Universität St. Gallen, ist als Vorstands­mitglied des Vereins «Entscheid­suche.ch» auf Spendensuche. Der Verein will etwas auf die Beine stellen, das eigentlich ­Sache des Bundes wäre: eine ­Internetplattform, auf der alle Urteile der Schweizer Gerichte publiziert werden. Auf der ­Website des Vereins ist bereits eine Urteilssuche der von Schweizer Gerichten bis Ende 2018 im Internet publizierten Urteile möglich. 2019 konnte die Arbeit mangels Finanzen nicht weitergeführt werden.

Der Verein erarbeitet laut Hürlimann zurzeit eine Lösung, um neu publizierte Urteile tagesaktuell bei den jeweiligen Quellen abzuholen und kostenlos auffindbar zu machen. Ebenfalls vorgesehen sei die Möglichkeit, dass Rechtsanwälte die von den ­Gerichten nicht pu­blizierten Urteile zugänglich ­machen. 

Dem Verein fehlt dafür noch das nötige Kapital von rund 15 000 bis 20 000 Franken. So viel sei pro Jahr nötig, um die Website zu betreiben. Artikel 54 ZPO besagt: «Die Entscheide werden der Öffentlichkeit ­zugänglich gemacht.» ­Das gelte auch für alle erst­instanzlichen Urteile. Aber viele Kantone würden sich noch immer weigern. Hürlimann: «Urteile vermögen ihre Wirkung im Rechtsstaat nur dann zu entfalten, wenn sie bekannt sind.»