Marianne Heer, 61, Oberrichterin am Kantonsgericht Luzern, sieht die Unabhängigkeit der Richter in Gefahr. In einem Interview der Wochenzeitung WOZ zum Thema «kleine ­Verwahrung» spricht sie den «enormen Druck» an, unter dem die Strafjustiz heute stehe: «Die Angst der Richter beeinflusst die Urteile», so Heer. Sie habe Kollegen, die kleine Kinder hätten und offen sagen, dass sie keine Probleme wollen, die mit dem Rückfall eines Täters verbunden sein können. «Sie fürchten, dass sie bei einer ­Wiederwahl abgestraft werden, und wollen ihre Karriere nicht aufs Spiel setzen.» 

Mehr Unabhängigkeit wäre nach Heer wichtig – und auch möglich. Sie verweist auf den Kanton Freiburg, in dem die Richter auf Lebzeiten gewählt würden. Zudem schlägt die Oberrichterin vor, die Teilnahmerechte der Verteidiger am Verfahren zu verstärken. So sollten Verteidiger beispielsweise anwesend sein können, wenn ihre Klienten von einem Psychiater begutachtet werden. Und die Richter sollten die Psychiater vermehrt vor Gericht vorladen, damit diese ihre Gutachten ­weiter begründen. Wenn die Richter noch teilweise wenig von dieser Materie verstünden, «dann müssen wir es lernen».  

Guido Näf,  65, bis Ende 2016 Gerichtspräsident des Bezirks­gerichts Baden, geht zum Abschluss seiner beruflichen Laufbahn mit den Strafverteidigern scharf ins Gericht. Der «Aargauer Zeitung» sagte er in einem ­Interview: «Heute kämpfen viele ­Anwälte gegen uns, als wären wir ihre Feinde. Dabei müssten sie doch dazu beitragen, dass ein gerechtes Urteil gefällt wird.» Die charakteristischen Funk­tionen des Anwalts als Diener des Rechts und Mitarbeiter der Rechtspflege, zu seiner Studien- und Praktikumszeit noch hoch- gehalten, gälten heute als überholt. Er setze beim Anwalt aber nach wie vor voraus, dass er gegenüber dem ­Gericht ein gewisses Mass an Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit zeige, um einen Prozess vernünftig zu Ende zu ­bringen. «An dieser Eigenschaft scheint es mir bei gewissen Anwälten zu mangeln.» ­Namentlich in Strafprozessen sei es bemühend, wenn erstmals an der Hauptverhandlung vor Gericht «gebetsmühlenartig» gerügt werde, die Teilnahme- und Verteidigungsrechte seien nicht gewahrt worden, die Einver­nahmen nicht verwertbar oder der Anklagegrundsatz verletzt.

Gegenüber plädoyer relativierte er seine Kritik: «Ich bin mir bewusst, dass nach heutiger ­Auffassung oberstes – und wohl ­einziges – Gebot des Anwaltes die Interessenwahrung seines Klienten ist.»  

Daniel Jositsch,  51, Strafrechts­professor an der Universität ­Zürich, will den Steuerzahlern nicht sagen, in welchem Pensum er von der Hochschule angestellt ist. Auch die Uni Zürich sieht in dieser Frage kein öffentliches ­Interesse und gibt plädoyer keine Antwort. Anfang Jahr hatte sie noch vollmundig «Transparenz» angekündigt und ein Register mit Interessenbindungen der Professorinnen und Professoren veröffentlicht. Jositsch gibt auf dieser Seite über 20 Tätigkeiten an. Darunter sind einige tendenziell zeitraubende Nebenjobs wie Ständerat, Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei sowie Rechtskonsulent bei Isenring Kessler, Meilen. Hinzu kommen Ver­waltungsratsmandate bei Sabimo AG, SKV Immobilien AG, ­Verlag SKV AG, Hochschule für Wirtschaft HWZ sowie ­unter anderen Beiratsmandate bei Comparis AG, Bankenverband und Zürcher Hochschule der Künste. Jositsch ist aber auch noch Präsident des Kaufmännischen Verbands der Schweiz. Dieses Mandat entspricht laut einem Interview mit dem ­Präsidenten in der Verbands­zeitschrift «Context» einem 30-Prozent-Pensum. Jositsch dazu:  Er habe bei der Uni «nur ein Teilpensum»; seine Nebenbeschäftigungen erfolgten ­«ausserhalb dieses Pensums».