Gemäss Obligationenrecht (OR) kann ein Auftrag von beiden Parteien jederzeit widerrufen beziehungsweise gekündigt werden. Geschieht dies zur Unzeit, ist Schadenersatz geschuldet – aber kein Ersatz für entgangenen Gewinn. In der Praxis führte diese Regelung zu keinen Schwierigkeiten. Beim Widerruf von klassischen Aufträgen wie Arztbehandlungen oder Anwaltsmandaten ist der bis zur Kündigung getätigte Aufwand sowie die Spesen zu entgelten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das jederzeitige Beendigungsrecht nach Artikel 404 Absatz 1 OR zwingender Natur und kann weder vertraglich wegbedungen noch eingeschränkt werden. Dies ist einigen Branchen seit längerem ein Dorn im Auge – zum Beispiel Liegenschaftenverwaltungen oder Banken im Vermögensverwaltungsgeschäft.
Im September 2011 reichte der damalige CVP-Nationalrat und heutige Genfer Staatsrat Luc Barthassat im Parlament eine entsprechende Motion ein. Titel: «Artikel 404 OR. Anpassung an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts.» Darin fordert er: «Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament eine Änderung von Artikel 404 OR zu unterbreiten, damit dieser Artikel wieder den wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten unserer Zeit entspricht. Diese Änderung soll es den Parteien ermöglichen, ein wahrhaft dauerhaftes Auftragsverhältnis einzugehen.»
Der Bundesrat empfahl die Annahme der Motion. Der Nationalrat nahm sie stillschweigend an und auch im Ständerat wurde sie mit einer einzigen Gegenstimme (Hannes Germann SVP, Schaffhausen) angenommen.
“Dauerhafte Aufträge sind heute nicht möglich”
Barthassat begründet seinen Vorstoss so: «Im heute geltenden Auftragsrecht können die Vertragsparteien weder einen dauerhaften Auftrag abschliessen noch eine Konventionalstrafe vereinbaren, welche einen allfälligen entgangenen Gewinn ausgleichen würde.» Dies sei innerhalb Europas ein Sonderfall und halte Investoren von der Schweiz und ihrer Rechtsordnung fern. In seiner Motion schreibt Barthassat: «Die Parteien eines Auftrags sollten die Möglichkeit haben, auf dieses Beendigungsrecht zu verzichten, indem sie die Dauer eines Auftrags sowie eine Konventionalstrafe für den vorzeitigen Rücktritt einer Partei vom Auftrag wirksam vereinbaren könnten. Dies würde es den Parteien erlauben, für die Dauer des Vertragsverhältnisses zu planen.»
Bundesrat argumentiert mit Nachteil für Wirtschaft
Der Bundesrat sieht dies gleich: Ein jederzeitiges Beendigungsrecht ohne vollen Schadenersatz könne problematisch sein, insbesondere bei komplexen und vorwiegend von kommerziellen Interessen geprägten Dienstleistungsverträgen wie Management- und Beratungsverträgen, aber auch bei Forschungs- und Entwicklungsverträgen. Die Parteien hätten bei solchen Vertragsverhältnissen ein Interesse an einer verbindlichen, grundsätzlich unkündbaren Vertragsdauer. Dass in diesen Fällen keine stärkere vertragliche Verbindlichkeit gültig vereinbart werden könne, schade dem Wirtschaftsstandort Schweiz. Der Bundesrat schlägt vor, den Artikel 404 nicht ganz zu streichen. Denn bei vielen typischen Auftragsverhältnissen wie einem Anwaltsmandat oder einem Vertrag mit einer Ärztin oder einem Architekten sei die Möglichkeit, einen Auftrag jederzeit beenden zu können, «nach wie vor eine passende Lösung».
Der Bundesrat will deshalb die bestehende Grundregel beibehalten, aber mit einer neuen Bestimmung ergänzen (siehe Kasten). Sie würde es den Parteien ermöglichen, einvernehmlich auf das jederzeitige Beendigungsrecht zu verzichten oder es einzuschränken. Damit dies nicht zulasten einer schwächeren Vertragspartei ausgenutzt werden kann, soll eine Beschränkung des jederzeitigen Beendigungsrechts in allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) immer ungültig sein.
Laut Bundesrat hätte ein derart revidierter Artikel 404 OR wenig Auswirkungen auf die Gesellschaft. Privatpersonen bzw. Konsumenten würden von der geänderten Rechtslage «nicht oder jedenfalls nicht negativ» betroffen sein. Die Landesregierung gibt jedoch zu: Das heutige jederzeitige Beendigungsrecht könne «als insgesamt im Interesse der Konsumenten» betrachtet werden. Typischerweise seien Konsumenten in der Rolle des Auftraggebers, und ihre Beauftragten seien oft Anbieter von Massendienstleistungen. «Und gerade bei Verträgen mit Konsumenten ist eine abschliessende Bewertung der Dienstleistungsqualität wegen des Informationsgefälles zwischen ihnen und dem Anbieter oft nicht möglich.» Umso grösser sei dann der Vertrauensvorschuss, den der Konsument bei Vertragsabschluss gebe, «und umso wichtiger und gerechtfertigter ist dann das jederzeitige Beendigungsrecht».
Aus Sicht des Bundesrates würden Konsumenten jedoch mit dem neuen Artikel in den meisten Fällen ihr jederzeitiges Kündigungsrecht gegenüber Anbietern von Massendienstleistungen beibehalten, «da solche Rechtsgeschäfte in aller Regel über Formularverträge abgeschlossen werden, welche als AGB gelten». Das Missbrauchspotenzial sei damit sehr klein. Die Vorlage stehe deshalb im Einklang mit dem verfassungsmässigen Auftrag des Bundes, die Konsumenten zu schützen (Artikel 97 BV).
Anwaltsverband für Ausnahme bei freien Berufen
Anders sieht das der Schweizerische Anwaltsverband. Er warnt in seiner Stellungnahme generell vor einer übereilten Revision. Aus Sicht der Anwaltschaft gebe es keinen Grund, Artikel 404 OR zu verändern. Und falls doch, schlägt er ergänzend vor, dass ein Verzicht auf die freie Kündigungsmöglichkeit auch dann nichtig sein soll, wenn der Vertrag mit einem Vertreter eines freien Berufs geschlossen wurde, also etwa Anwälten, Ärzten, Architekten usw.
“Norm nicht leichtfertig aufgeben”
Auch Alexander Brunner, Oberrichter am Handelsgericht Zürich, kritisiert den Revisionsvorschlag. Zwar entspreche er einem Bedürfnis im kaufmännischen Verkehr, nicht jedoch im Konsumrecht. Laut Brunner würde die Revision den Schutz der Konsumenten bei vielen Dienstleistungsverträgen verschlechtern: «Und dies entgegen dem Verfassungsartikel zum Konsumentenschutz.» Bei Aufträgen zwischen Anbietern und Konsumenten, die ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzen, müsse wegen des Informationsgefälles ein jederzeitiges Zurückkommen auf den Vertragsschluss sichergestellt werden, fordert Brunner. «Diese Norm sollte daher im Hinblick auf den Konsumentenschutz nicht leichtfertig aufgegeben werden.»
Auch Marlis Koller-Tumler, Präsidentin der Kommission für Konsumentenfragen, kritisiert den Revisionsentwurf: «Man darf auf keinen Fall unter das heutige Schutzniveau für Konsumenten zurückgehen.» Für die Kommission sei fraglich, ob der vorgeschlagene Artikel wirklich genüge. Es sei unklar, «was mit allgemeinen Geschäftsbedingungen gemeint ist». Die Präsidentin ortet den Anlass der Revision bei der Schiedsbarkeit. «Gewisse Kreise sind der Meinung, mit dem aktuellen Artikel 404 hole man zu wenige Schiedsbarkeitsfälle in die Schweiz.»
Ende 2016 wurde das Vernehmlassungsverfahren abgeschlossen. Zurzeit wird es ausgewertet. David Oppliger vom Bundesamt für Justiz schätzt, dass der Bundesrat im Sommer bekanntgeben wird, ob er an seinem Entwurf festhält.
Auftragsrecht: Widerruf und Kündigung
Vorschlag Bundesrat: Art. 404a VE-OR
1. Das jederzeitige Widerrufs- oder Kündigungsrecht kann wegbedungen oder eingeschränkt werden.
2. Eine solche Abrede ist nichtig, wenn sie in allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist.
Vorschlag Anwaltsverband: Art. 404a
1. Das jederzeitige Widerrufs- oder Kündigungsrecht kann schriftlich wegbedungen oder eingeschränkt werden.
2. Eine solche Abrede ist nichtig, wenn sie in allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist. Oder ein Mandat betrifft, das von der Ausübung eines freien Berufs herrührt.