Seit sieben Monaten studiere ich als Visiting Scholar an der Law School der Stanford ­University mitten im Silicon Valley. Der riesige Stanford Campus mit ­seinen Sandsteinbauten und Arkadengängen, den von Palmen gesäumten Parks und Sportanlagen sowie den velofahrenden Studenten wirkte auf mich zu Beginn wie eine abgehobene Insel der akademischen Glückseligkeit. Dabei ist die Universität mit der Tech- und Finanzindustrie wie auch mit der Politik und Kulturwelt eng und vielfältig verbunden. Ein ­Professor legte aber in einem Gespräch Wert auf die Feststellung, dass die Unabhängigkeit der Wissenschaft ­deswegen in keiner Weise gefährdet sei. Vielmehr erhalte die Forschung dadurch Relevanz und Wirkung.

An der Law School mit nur halb so vielen Studenten, aber drei Mal so   vielen Professuren wie an der Luzerner Rechtsfakultät, nehme ich an diversen Veranstaltungen in meinen Forschungsgebieten teil, zurzeit an der Vorlesung «Health Law: Finance and Policy» sowie am «Law and ­Biosciences Workshop». Die Lehre ist hier im Vergleich zu den Rechts­fakultäten in der Schweiz weniger auf theoretische und dogmatische ­Fragen ausgerichtet, sondern stärker auf Argumentation und Analyse von Lebenssachverhalten. Die ­Dozenten haben denn auch keine Hemmungen, die Fachgrenzen zu überschreiten und ein Rechts­problem zum Beispiel auch aus ­ökonomischer, ethischer oder medizinischer ­Perspektive zu ­beleuchten. Im ­kommenden «Spring Quarter» werde ich Gelegenheit ­haben, ein Referat zu den rechtlichen Rahmen­bedingungen des schweize­rischen ­Gesundheitssystems zu halten und ­dabei zu zeigen, dass die in den USA politisch hochumstrittene Vision «Medicare for all» in der Schweiz in Form einer obligatorischen ­Krankenversicherung längst Wirklichkeit geworden ist.

Die Zeit in Stanford ist in fachlicher und menschlicher Hinsicht eine grosse Bereicherung. Ich wünschte mir rückblickend, dass ich schon während des Studiums ein oder zwei Semester an einer ausländischen Universität hätte verbringen können.

Bernhard Rütsche, 49, ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Uni Luzern. Nach vier Jahren als Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät verbringt er ein Jahr als Visiting Scholar an der Law School der Stanford University in Kalifornien.