Die Digitalisierung gefährdet einzelfallgerechte Rechtsprechung. Diesen Schluss legt eine aktuelle Untersuchung von Andreas Abegg nahe, der als Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Uni Luzern tätig ist. Abeggs Team wertete 23 469 digitalisierte Bundesgerichtsentscheide seit 1875 sowie 10 112 Botschaften des Bundesrats aus. Dabei untersuchten sie die juristische Argumentation mit neuen, computergestützten Forschungsmethoden der Linguistik.

Das Resultat: Argumentative Begründungen gingen zurück. ­Dagegen stieg die Zahl der Verweise auf Gesetzesartikel, Botschaften, andere Urteile oder die Literatur markant an. «Überspitzt gesagt wird logisches Denken durch archivarisches Auffinden und Reproduzieren von Bestehendem ersetzt», sagt Abegg. Und das Bundesgericht schaffe mit ­seinen Textbausteinen, wenn es um die Interpretation eines Gesetzes geht, eine Detaillierung des Gesetzes und damit gewisser­massen eine selbst erlassene «Verordnung», sagt Abegg. «Problematisch daran ist natürlich, dass das Bundesgericht nicht zur Gesetzgebung legitimiert ist, es darf nur die Normen auf den konkreten Einzelfall anwenden.»

«Sprache und Sprachgebrauch des Rechts», Verlag Dike, Download unter https://doi.org/10.3256/978-3-03929-004-8