Wenn sich Anwälte gegenüber Medien äussern, sind Zurückhaltung und professionelles Vorgehen angebracht. Entscheidend für das Vorgehen ist allein das Interesse des Klienten. Nicht immer gewinntim Gericht, wer draussen vor der Kamera punktet.
Vor allem in Straffällen können Anwälte in Zugzwang geraten. Die Polizeikorps und Staatsanwaltschaften haben in den letzten zwei Jahrzehnten personell erheblich aufgerüstet und versuchen, die Medien zu beeinflussen. Zwar gelten das Prinzip der gleich langen Spiesse und bis zu einer allfälligen Verurteilung eines Angeschuldigten die Unschuldsvermutung. Doch sind Vorverurteilungen nicht selten. Dies hat beispielsweise dazu geführt, dass das Bezirksgericht Zürich im Fall der wegen Sexualdelikten angeschuldigten Jugendlichen von Seebach die «von der Polizei initiierte Vorverurteilung durch die Medien» als strafmindernd berücksichtigte. Aktuellen Anschauungsunterricht einer Vorverurteilung bieten die Strafuntersuchungen gegen den Meteo-Journalisten Jürg Kachelmann. Den detailreichen Äusserungen der Strafverfolger stehen die generellen Unschuldsbeteuerungen des Beschuldigten gegenüber - das Ungleichgewicht ist offensichtlich.
Es sind denn in der Regel auch nicht die Anwälte, die von sich aus das Licht der Öffentlichkeit suchen. Meistens reagieren sie auf Medienmeldungen der Gegenpartei. Der Binninger Anwalt Christian von Wartburg hält den Gang an die Öffentlichkeit auch in solchen Fällen nur dann für angebracht, wenn er wirklich im Interesse des Klienten ist.
In der Regel gilt: «Gescheiter nichts sagen»
«Der Gang an die Öffentlichkeit könnte sich auch kontraproduktiv auswirken», gibt der auch in publicityträchtigen Fällen erfahrene Zürcher Verteidiger Lorenz Erni zu bedenken. Gerade bei Straffällen wolle der Klient in erster Linie Publi zität vermeiden. Wie aber soll und darf der Anwalt in Fällen, die bereits publik sind oder publik werden, reagieren? Welche Regeln hat er dabei zu beachten? «In aller Regel komme ich zum Resultat, dass man gescheiter nichts sagt», hält Lorenz Erni fest. Und wenn man etwas sage, dann solle man zurückhaltend bleiben. Das Plädoyer soll der Anwalt im Gerichtssaal halten - und nicht vor den Kameras.
Auch Christian von Wartburg begründet seine Zurückhaltung mit den Interessen des Klienten. «Öffentlichkeitsarbeit kann auch darin bestehen, nichts zu sagen.» «Nichts» könne auch eine knappe Mitteilung bedeuten, wie etwa «Die Vorwürfe werden bestritten». Von Wartburg plädiert aber dafür, erreichbar zu bleiben. Falsch sei es, auf Anfragen überhaupt nicht zu reagieren.
Wenn Öffentlichkeitsarbeit, dann professionell, sind sich alle befragten Anwälte einig. Überlegungen zur Öffentlichkeitsarbeit gehörten bei grösseren Fällen zur Vorbereitung, sagt der Zürcher Anwalt Urs Haegi. Er selbst zieht dann externe Medienberater bei. Nach aussen trete ausschliesslich der Medienberater auf. Auch von Wartburg verweist auf die unterschiedlichen Funktionen: Wichtig sei, dass die Öffentlichkeitsarbeit mit dem Anwalt koordiniert und abgesprochen sei.
Das Anwaltsgesetz enthält keine ausdrückliche Bestimmung, die das Verhältnis zwischen Anwalt und Medien regelt. Alle Äusserungen des Anwalts, insbesondere gegenüber den Medien oder in der Öffentlichkeit, sind der Generalklausel von Art. 12 lit. a BGFA unterstellt. Sie verlangt nur gerade, dass Anwälte «ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft» ausüben.
Das Bundesgericht pflegte lange Zeit eine sehr restriktive Praxis gegenüber Verlautbarungen von Anwälten in der Öffentlichkeit. So entschied es in BGE 106 Ia 100 (Kröcher-Möller I), es sei «nicht verfassungswidrig, wenn dem Anwalt die Abgabe von öffentlichen Erklärungen nur dann und nur insoweit gestattet wird, als ‹besondere Umstände› dies als angebracht erscheinen lassen».
In späteren Entscheiden hält das Bundesgericht am Erfordernis der besonderen Umstände fest: Soweit der Anwalt Kritik an der Rechtspflege in den verfahrensmässigen Formen vorbringt, stehe ihm weitgehende Freiheit zu. Weiter heisst es im Entscheid der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11.8.2004 (2A.600/2003): «Strengere Anforderungen sind hingegen an Äusserungen gerichtet, die nicht innerhalb des Verfahrens ergehen, sondern an die Öffentlichkeit gerichtet sind. Um einer möglichen Beeinflussung des Gerichts vor zubeugen, sind diese nur insoweit zulässig, als besondere Umstände, namentlich die Wahrung der Interessen des Klienten, die Abwehr persönlicher Angriffe gegen den Anwalt oder gesteigerte öffentliche Interessen an einem Verfahren dies rechtfertigen.» Trete der Anwalt an die Öffentlichkeit, so könne verlangt werden, dass er objektiv und sachlich bleibe. Immerhin: «Allzu strenge und übertriebene Anforderungen sind jedoch nicht zulässig.»
Medientipps von Anwälten und Journalisten
Anwälte empfehlen
- Die Wahrung der Interessen des Klienten ist das oberste Gebot. Das Einverständnis des Klienten ist Voraussetzung für den Gang an die Öffentlichkeit.
- Wer sich in der Öffentlichkeit äussert, sollte in jedem Fall Zurückhaltung üben.
- Immer sachlich bleiben, sich auf die Faktenbeschränken und sich präzise ausdrücken.
- Alle Äusserungen haben respektvoll zu erfolgen.
- Es gilt das Berufsge-heimnis, Schweigepflichten sind zu beachten.
- In die Strategie einbeziehen, dass es auch Persönlichkeitsrechte anderer Personen zu wahren gilt.
- Die Gefahr der Beeinflussung von Gerichtsverfahren beachten.Äusserungen in den Medien können sich später im Rahmen eines Prozesses als kontraproduktiv erweisen.
Medienprofis empfehlen
Die Journalisten Esther Banz und Wangpo Tethong zu häufig gestellten Fragen zum Umgang mit den Medien:
Wie verhalte ich mich bei einem Anruf eines Journalisten?
Nie unmittelbar auf eine heikle Frage antworten. Erkundigen Sie sich nach den Fragen und dem Medium und bitten Sie den Journalisten um einen Rückruf. Nehmen Sie ein Blatt Papier und schreiben Sie zu jeder Frage eine prägnante Antwort auf, die Sie dann freundlich vortragen.
Wie verhalte ich mich bei bohrendem Nachfragen?
Verweisen Sie auf Ihre vorherige Antwort und sagen Sie nichts, was Sie sich nicht gut überlegt haben.
Wie stelle ich sicher, dass meine Aussage unverfälscht in den Medien erscheint?
Eine Garantie dafür gibt es nicht. Je kürzer undeinfacher Ihre Antwort ist, desto höher sind dieChancen. Verzichten Sie - soweit es möglich ist - konsequent auf Nebensätze und juristischen Jargon.
Kann ich eine Aussage zurückziehen?
Was Sie gegenüber einem Journalisten geäussert haben, darf er zitieren. Bestehen Sie aber immer darauf, dass Ihnen die Textstellen, in denen Sie direkt zitiert werden, nochmals zur Prüfung vorgelegt werden.
Wie verhalte ich mich bei einer Gruppe von TV-Journalisten vor dem Gerichtsgebäude? Denken Sie daran, dass Ihre anwaltliche Tätigkeit fürden Mandanten durch Ihren Auftritt in der Öffentlichkeit beeinflusst wird. Ein kurzer und souveräner Auftritt kann Ihrem Mandanten helfen.
Soll ich aktiv auf Journalisten zugehen, um ihnen Informationenzukommen zu lassen?
Konsultieren Sie einen erfahrenen Berufskollegen oder einen Medienberater, bevor Sie sich zum Gang in die Öffentlichkeit entschliessen. Für Ihren Mandanten oder für Ihr Anliegen kann die Medialisierung eine grosse Chance bedeuten. Sie muss aber sehr gut durchdacht und juristisch korrekt sein.