Die Vermeidung von Fehlern ist in der Luftfahrt schon längst ein Thema. Erkannte Probleme führen zum Verfassen von Checklisten. Auch unter Ärzten setzt sich dieses Denken immer mehr durch, um Kunstfehler zu verhindern. Wie aber gehen Anwälte mit Fehlern um? Gibt es in den Kanzleien eine Art Fehlerreporting, sodass alle aus den Fehlern ihrer Kanzleikollegen lernen könnten?
Abneigung gegen formalisierte Meldestruktur
Wer sich in der Schweizer Anwaltsszene auf die Suche nach solchen Antworten macht, stösst auf eine Mauer des Schweigens. Nur wenige wollen sich dazu äussern, keiner will sich namentlich zitieren lassen. Die Antwort hört sich überall ähnlich an und klingt etwa wie jene einer grossen Anwaltskanzlei in Zürich: «Ein eigentliches Fehlerreporting-System haben wir nicht. Wir sind überzeugt, dass die bei uns gelebte offene Kommunikationskultur formalisierten Meldestrukturen überlegen ist.» Die Kanzlei verweist auf den grossen Stellenwert der internen Aus- und Weiterbildung. Zudem würden die Anwälte jeweils Beispiele sammeln, diese kommentieren und anschliessend allen Anwälten zur Verfügung stellen. Ganz wichtig - das betonen ausnahmslos alle angefragten Anwälte und Kanzleien - sei die gelebte «Open-Door»-Politik. Diese lasse einerseits hierarchieunabhängige Diskussionen zu, und andererseits könne so auch stufenübergreifend ein Austausch darüber stattfinden, welche Lehren man aus einem Fehler gezogen hat.
«Wir haben zwar kein Selbstanzeigesystem, verfügen aber über transparente Abläufe», sagt der Partner einer anderen grossen Zürcher Anwaltskanzlei. Alle Partner könnten jederzeit sehen, wo genau die diversen Mandate im Moment stünden: «Wir wissen stets, was läuft.» Zudem gebe es periodische Besprechungen - das sogenannte «Partners Meeting».
Partner diskutieren die wichtigen Fehler
Dort stellen die Partner die gemachten Fehler den anderen vor. Falls diese präjudiziellen Charakter haben, geschieht dies sogar sehr ausführlich. «Wir diskutieren offen darüber. Das Ziel ist, gemeinsam aus den Fehlern zu lernen und gemeinsam die Lehren daraus zu ziehen», führt der Rechtsanwalt aus. Je nachdem, welcher Art der Fehler gewesen und wie ergiebig die anschliessende Diskussion ausgefallen sei, ändere die Kanzlei gar die Richtlinien. «So oder so passen wir unsere Prozesse laufend an. Wir leben diese Kultur der offenen Türen», so der Anwalt.
Teamarbeit mit Vier-Augen-Prinzip als interne Kontrolle
Ein Anwalt einer anderen grossen Kanzlei, der ebenfalls anonym bleiben möchte, weist darauf hin, dass heutzutage sowieso meistens in Teams gearbeitet werde. «So kommt es zwangsläufig zu einer gewissen internen Kontrolle», sagt er. Ausserdem gelte «ein mehr oder weniger konsequent umgesetztes Vier-Augen-Prinzip».
Es fällt auf, dass vor allem in kleineren Kanzleien dieses «Prinzip des Gegenlesens» ein wichtiger Aspekt für die Vermeidung von Fehlern ist. Viele Anwälte lassen durchblicken, dass kleinere Kanzleien Fehler nicht systematisch erfassen, sondern viel eher an gemeinsamen Mittag- oder Abendessen sowie an sonstigen Anlässen darüber diskutieren.
Häufigster Fehler: Frist verpasst
Wenn schon die Anwälte kaum über ihre Fehler und den Umgang damit sprechen wollen, kann man jene fragen, die für diese Fehler bezahlen: die Berufshaftpflichtversicherer. Dabei stellt sich heraus: Der häufigste Fehler der Anwälte - da sind sich die Versicherer einig - ist das Verpassen von Fristen; egal, ob es sich dabei um Verjährungsfristen oder Rechtsmittelfristen handelt.
«Die Sorgfaltspflichtverletzungen in den Anwaltshaftpflichtfällen sind aber sehr weit gefächert», sagt Franco Tonozzi von der Zürich Versicherung.
Pascal Hollenstein vom Marktführer Axa Winterthur zählt einige Beispiele auf: mangelhafte Beratung und Aufklärung, Formfehler, mangelhafte Substanziierung sowie die unvollständige Geltendmachung von Forderungen. Heutzutage übernehme die Anwalts-Haftpflichtversicherung auch immer mehr eine Rechtsschutzfunktion. «Mandanten, die mit dem von ihrem Anwalt erreichten Resultat unzufrieden sind, nehmen dies nicht einfach so hin, sondern gehen mit einem neuen Anwalt gegen den ‹alten› vor», sagt Pierre-André Luder, von RMS Risk Management Service. Der Lloyd's Broker bietet zusammen mit dem Schweizerischen Anwaltsverband die Haftpflichtversicherung SwissLawyersRISK an.
Elektronische Kontrolle bringt Abhilfe
Das «Fristenproblem» dürften zumindest die Grosskanzleien mittlerweile alle ähnlich lösen: Mit einem Kontrollsystem, das die Fristen elektronisch erfasst und bei drohendem Ablauf darauf hinweist. Oder indem immer mindestens zwei Personen den Fristenlauf kennen, das heisst diesen erfassen und kontrollieren müssen. Einige Kanzleien wenden auch beide Systeme parallel an.
Die Tipps von Axa Winterthur zur Vermeidung von Fehlern
- Auftragsinhalt und Auftragsziel stets schriftlich bestätigen lassen
- Tätigkeiten nachverfolgbar dokumentieren
- Bei wichtigen Entscheiden und Fragen die schriftliche Zustimmung des Mandanten einholen
- Nur Mandate annehmen, für die das Know-how vorhanden ist. Sonst ehrlich sein und von Anfang an einen Spezialisten beiziehen
- Die Zeit und den Einsatz der nötigen Ressourcen bewusst planen
- Abläufe und Kontrollen festlegen (Fristen!)
- Den Mandanten regelmässig hinreichend aufklären und informieren (schriftlich festhalten)
- Falls es trotzdem zu einem Schaden gekommen ist: Diesen aktiv angehen und rechtzeitig die Berufshaftpflichtversicherung informieren