1. Einleitung
In einem neuen Grundsatzentscheid hat das Bundesgericht vor wenigen Monaten seine Rechtsprechung dahingehend bestätigt, dass bei Geltendmachungen einer vertraglichen Haftung durch einen Arbeitnehmer der Beginn der zehnjährigen Verjährungsfrist gemäss Art. 127 OR weiterhin auf den Zeitpunkt der positiven Vertragsverletzung durch den Arbeitgeber abzustellen sei.1 Damit erachtete das Bundesgericht die Forderungen der Hinterbliebenen eines Asbestopfers als verjährt, obwohl im Zeitpunkt der ungeschützten Asbestexposition am Arbeitsplatz und damit behaupteter positiver Vertragsverletzung ein finanzieller Schaden zufolge der jahrzehntelangen Latenz bis zum Ausbruch der tödlich verlaufenden Berufskrankheit noch gar nicht entstanden war.2 Zuvor hatte das Bundesgericht bereits in einem anderen Grundsatzurteil Forderungen gegenüber der Suva gestützt auf Art. 20 des Verantwortlichkeitsgesetzes des Bundes im Zusammenhang mit Asbestschäden als verwirkt erachtet.3
Diese beiden Urteile des Bundesgerichtes rufen in Erinnerung, dass nicht nur im Zusammenhang mit einer Asbestexposition bei Personen sogenannte Spätschäden (oder auch Langzeitschäden) entstehen können. So wurde vor wenigen Monaten auch einer breiteren Öffentlichkeit eine Studie im Zusammenhang mit den Gesundheitsrisiken durch Nanopartikel vorgestellt.4
Die Spätschadensproblematik wird aktuell mit der Atomkatastrophe von Fukushima in Japan allzu deutlich vor Augen geführt.
Das Geltendmachen von Spätschäden kollidiert jedoch mit der bisherigen restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichtes zum Beginn der Verjährungsfristen.
2. Spätfolgen neuer Technologien
Neue Technologien und Werkstoffe, die in Industrie und Wirtschaft mannigfach genutzt werden, bergen Risiken in sich, deren Tragweite bei Inverkehrbringen noch nicht abgeschätzt werden kann, weil Langzeitstudien und Erfahrung fehlen. Während im Bereich der Nanotechnologie im Zusammenhang mit den Risiken von Titandioxid-Nanopartikeln offenbar nun erste aufschlussreiche Studien vorliegen,5 scheint im Bereich der Mobilfunkstrahlen unter den Wissenschaftern noch keine Klarheit über die Schädlichkeit zu herrschen. Dabei geht es vor allem um das Risiko der Verursachung von Hirntumoren zufolge regelmässigen und langjährigen Gebrauchs von Mobiltelefonen.6
Die zunehmende Verbreitung von potenziell gesundheitsgefährdenden neuen Technologien muss in rechtlicher Hinsicht dazu führen, dass der Gesetzgeber de lege ferenda die sich stellende Verjährungs- und Verwirkungsproblematik angeht, zumal die entsprechenden risikobehafteten Produkte teilweise bereits seit vielen Jahren im Umlauf sind und von zahlreichen Endverbrauchern rege genutzt werden. Das Beispiel Asbest mit seinen Spätfolgen hat gezeigt, dass die geltende neuste Praxis des Bundesgerichtes zu verjährungsrechtlich unbefriedigenden Ergebnissen führt. Dies wurde zwischenzeitlich auch von der Politik anerkannt und eine entsprechende Motion ist im nationalen Parlament in Bern eingereicht worden. Diese hat dazu geführt, dass der Gesetzgeber nun im Zusammenhang mit der Revision der verjährungsrechtlichen Bestimmungen des OR ein Vernehmlassungsverfahren durchführt.
Auch bei Spätschäden gilt, dass eine Haftung sowohl aus Vertrags- als auch Deliktsrecht geltend gemacht werden kann (Anspruchskonkurrenz zwischen vertraglicher und ausservertraglicher Haftung). Eine subsidiäre Anspruchsgrundlage ergibt sich zudem aus dem Opferhilfegesetz.
Die deliktsrechtlichen Haftungsgrundlagen wurden durch das Einführen des Bundesgesetzes über die Produktehaftpflicht (PrHG)7 und der darin statuierten Kausalhaftung erweitert.
Neu dazugetreten ist aktuell das Bundesgesetz über die Produktesicherheit (PrSG).8
Die Praxis des Bundesgerichtes zur Verjährung wird den Anforderungen an Spätschäden nicht gerecht, wie nachstehend aufzuzeigen ist.
3. Vertragliche Haftung
3.1 Kaufvertrag
Zahlreiche auf dem Markt durch die Konsumenten erstehbare Produkte wie Farben, Kosmetikprodukte, Sonnencremen, Medikamente, Zahnpasta sowie Lebensmittelfarbstoffe enthalten mittlerweile Nanotechnologie.9 Die Endverbraucher schliessen mit den jeweiligen Verkaufsstellen (Läden, Tankstellenshops, Online-Verkaufsgesellschaften usw.) einen Kaufvertrag im Sinne von Art. 184 ff. OR ab.10 Für Schäden gelangen damit die vertragsrechtlichen Verjährungsbestimmungen des OR zur Anwendung, die - wie untenstehend aufgezeigt - bei Langzeitschäden nach aktueller bundesgerichtlicher Praxis ins Nichts führen.
3.2 Arbeitsvertrag
Im Urteil 4A_249/2010 vom 16. November 2010 hatte die I. zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichtes die Grundsätze der vertraglichen Haftung eines Arbeitgebers gegenüber einem Arbeitnehmer nach Asbestexposition und mehr als 15 Jahre später auftretender Krebserkrankung zu prüfen und hat dabei an der bisherigen, mit dem sogenannten Uhrmacherinnenfall11 eingeläuteten Praxis festgehalten.
Medizinisch speziell an den Asbestfällen ist, dass die Latenzzeit bis zum Ausbruch der berufsbedingten Krebserkrankung fast immer mehr als zehn Jahre beträgt. Die Krankheit und damit der Schaden entsteht folglich regelmässig erst mehr als zehn Jahre nach der Exposition; es handelt sich um typische Langzeitschäden.
Das Bundesgericht hat zur damit einhergehenden verjährungsrechtlichen Problematik in Erwägung 2.2 des Urteils festgehalten, was folgt:
«Mit Ablauf von zehn Jahren verjähren alle Forderungen, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt (Art. 127 OR). Diese Norm gilt unter anderem für die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehenden Forderungen auf Leistung von Schadenersatz und Genugtuung. Der Beginn der Verjährungsfrist untersteht in diesen Fällen Art. 130 Abs. 1 OR, das heisst die zehnjährige allgemeine Verjährungsfrist läuft von der Fälligkeit der Forderung an, und zwar unabhängig davon, ob der Gläubiger seine Forderung kennt (BGE 87 II 155 E. 3c, S. 163; BGE 53 II 336 E. 3b, S. 342 f.).»
Weiter hält das Bundesgericht unter Erwägung 2.3 Folgendes fest: «Die Pflicht des Schuldners, Schadenersatz und Genugtuung zu leisten, und das Recht des Gläubigers, sie zu verlangen, entstehen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht erst, wenn dieser die Folgen der Pflichtverletzung erkennen kann. Beruhen sie auf einer Körperverletzung, so erwachsen sie im Zeitpunkt, in dem der Schuldner pflichtwidrigerweise auf den Leib des andern einwirkt. Das folgt aus Art. 46 Abs. 2 OR, der überflüssig wäre, wenn erst die Erkennbarkeit und Feststellbarkeit der Folgen der Verletzung dem Gläubiger ein Recht auf Ersatz des Schadens sowie auf Genugtuung und als Ausfluss des materiellen Rechts den Anspruch auf Rechtsschutz (BGE 86 II 41 E. 4 S. 44 f.) gäbe.
Art. 46 Abs. 2 OR gilt nicht nur für unerlaubte Handlungen, sondern kraft der Verweisung des Art. 99 Abs. 3 OR auch für vertragswidriges Verhalten. Der Verletzte kann vom Zeitpunkt der Verletzung an verlangen, dass ihm der Schuldner allen aus ihr erwachsenen Schaden, auch den erst künftig in Erscheinung tretenden, ersetze und ihm Genugtuung leiste (BGE 87 II 155 E. 3b S. 162 f.). Wenn die Zeit der Erfüllung weder durch Vertrag noch durch die Natur des Rechtsverhältnisses bestimmt ist, kann gemäss Art. 75 OR sogleich geleistet und gefordert werden.
Die Forderungen auf Schadenersatz und Genugtuung aus vertragswidriger Körperverletzung werden daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts grundsätzlich sogleich mit der Verletzung der vertraglichen Pflicht fällig (BGE 87 II 155 E. 3c, S. 163; BGE 106 II 134 E. 2d, S. 139), womit die Verjährung ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnt.»
Das Bundesgericht übersieht dabei, dass bei der vertraglichen Haftung sowohl Wortlaut als auch der Sinn des Gesetzes dafür sprechen, die Verjährung erst ab Fälligkeit der Forderung anlaufen zu lassen, den dies a quo also auf den Zeitpunkt des erkennbaren Schadenseintritts zu setzen. Diese Handhabe hätte den Wortlaut und die Systematik des Gesetzes hinter sich; in Art. 130 OR wird ausdrücklich festgehalten, dass die Verjährung einer vertraglichen Forderung mit deren Fälligkeit beginnt.
Der Hinweis auf Art. 46 Abs. 2 OR ist sachfremd; diese Bestimmung tangiert nicht Spätschäden, sondern bei bereits bekanntem Schaden dessen zukünftigen Verlauf und dessen Abgeltung. Aber auch inhaltlich vermag das Urteil des Bundesgerichts nicht zu überzeugen: dass etwas verjähren soll, bevor es überhaupt zu existieren beginnt, überstrapaziert die Logik. Dasselbe gilt, wenn das Bundesgericht hierorts ausführt, der Geschädigte hätte die Möglichkeit, nota bene noch nicht existente Schadenersatzforderungen innerhalb von zehn Jahren nach Exposition geltend zu machen: Wo (noch) nichts ist, kann auch nichts gefordert werden.
Bereits der erwähnte Uhrmacherinnenfall ist damals auf erhebliche Kritik in der Lehre gestossen; heute teilt die überwiegende Lehre die Ansicht des Bundesgerichts zum Verjährungsbeginn bei vertraglicher Schadenersatzpflicht nicht.12
Das Urteil des Bundesgerichts ist zu bedauern. Schon der Wortlaut der gesetzlichen Regelung von Art. 130 OR spricht für einen Verjährungsbeginn ab Auftreten und Kenntnis des Schadens; auch die zeitgemässe Auslegung vor dem Hintergrund eines immer grösseren Potenzials für Langzeitschäden hätte nahegelegt, den Uhrmacherinnenfall zu korrigieren.
Die Diktion des Bundesgerichts führt dazu, dass Asbestopfer und andere von Langzeitschäden Betroffene ihre Ansprüche inhaltlich nicht gerichtlich beurteilen lassen können, was den von Art. 6 EMRK garantierten Zugang zum Gericht verletzt. Das Asbest-Urteil des Bundesgerichts vom 16. November 2010 wurde zwischenzeitlich in Strassburg angefochten.
4. Ausservertragliche Haftung
4.1 Unerlaubte Handlung
Nebst der vertraglichen Haftung besteht die ausservertragliche sogenannte Deliktshaftung nach Art. 41 ff. OR.
Hier ist die Verjährungshürde vom Gesetzeswortlaut her innerstaatlich tatsächlich höher gesetzt, wird doch in Art. 60 OR ausdrücklich festgehalten, der Verjährungslauf beginne ab der schädigenden Handlung. Aus systematischer Sicht ergibt dies Sinn, ist doch bei der deliktischen Haftung die Bindung der Parteien im Regelfall zufällig; bei der Vertragshaftung indes gewollt.
Die deliktische Haftung ist mit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verwandt (Widerrechtlichkeit); das Bundesgericht hat in strafrechtlicher Hinsicht bei Asbestfällen denn auch ausdrücklich festgehalten, der Täter habe aus Gründen der Spezialprävention das Recht des Verwirkens.13 Im gleichen Entscheid hat die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichtes aber ausdrücklich darauf hingewiesen, in zivilrechtlicher Hinsicht beschränke eine analog dem Strafrecht gehandhabte Verjährungsregelung den Anspruch gemäss EMRK auf Zugang zum Gericht.14 Deswegen verletzt die deliktische Verjährungsregel bei Schäden, die innerhalb der Verjährungsfrist nicht feststellbar sind, ebenfalls den Anspruch gemäss EMRK auf Zugang zum Gericht.
4.2 Produktehaftpflicht
Die Bestimmungen des Produktehaftpflichtgesetzes (PrHG) erfassen auch Langzeitschäden. Der Hersteller haftet, falls ein Konsument durch Fehlerhaftigkeit einen Schaden erleidet.15 Das Produktehaftpflichtgesetz statuiert in Art. 9 und 10 eine relative Verjährungs- und eine absolute Verwirkungsfrist. Schadenersatzansprüche verjähren drei Jahre nach dem Tag, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden, dem Fehler und von der Person der Herstellerin/Importeurin erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Gemäss Art. 10 PrHG verwirken zudem Ansprüche zehn Jahre nach dem Tag, an dem die Herstellerin das Produkt, das den Schaden verursacht hat, in Verkehr gebracht hat. Die Verwirkungsfrist gilt dabei als gewahrt, wenn gegen die Herstellerin binnen zehn Jahren geklagt wird.
Generell schwierig gestaltet sich bei Langzeitschäden der Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem schädigenden Material oder der schädigenden Immission und dem Gesundheitsschaden. Dies zeigt sich heute deutlich bei den Asbestfällen. Während die Krebserkrankung Mesotheliom anerkanntermassen fast ausschliesslich auf Asbestexposition zurückzuführen ist, kann Lungenkrebs asbestbedingt, aber auch ohne Asbestexposition auftreten. Die sozialversicherungsrechtliche Praxis aus dem UVG behilft sich für die Kausalitätsfrage einer normativen Regelung nach Immissionsjahren,16 die dem Einzelfall indes kaum gerecht wird.
Das Bundesgericht hat bereits in BGE 133 III 81 im Zusammenhang mit der Beweislast des Geschädigten bei Produktehaftplicht entschieden, dass es ausreichend sei, wenn der Geschädigte beweist, dass das Produkt nicht die Sicherheit aufwies, die der Durchschnittskonsument unter Berücksichtigung der Umstände berechtigterweise erwarten durfte - die genaue Ursache des Fehlers braucht der Geschädigte hingegen nicht zu beweisen. Diese Rechtsprechung hilft dem Geschädigten jedoch bei der Kausalität des Gesundheitsschadens nicht weiter.
In zeitlicher Hinsicht besonders problematisch ist die zehnjährige, absolute Verwirkungsfrist gemäss Art. 10 Abs. 1 PrHG. Damit stellt sich bei Langzeitschäden das gleiche Dilemma wie bei der vertraglichen Haftung, zugespitzt durch den Umstand, dass es sich hier nicht um eine Verjährungs-, sondern sogar um eine Verwirkungsfrist handelt, die nicht einmal einer Verjährungsunterbrechung zugänglich ist.
5. Gesetz über die Produktesicherheit
Am 1. Juli 2010 ist das neue Bundesgesetz über die Produktesicherheit (PrSG) in Kraft getreten.17 Gemäss Art. 1 Abs. 1 PrSG sollen mit dem Gesetz die Sicherheit von Produkten gewährleistet und der grenzüberschreitende freie Warenverkehr erleichtert werden. Dass es indes auch beim PrSG um die Integrität von Menschen, nicht aber von Produkten geht, wird in Art. 3 Abs. 1 klargestellt.18 Damit können auch Geschädigte ausservertragliche Schadenersatzansprüche gestützt auf Art. 41 OR geltend machen, sobald die Schutznormen des PrSG verletzt werden.19
Allerdings erübrigt es sich, sich für die Geltendmachung von Schadenersatz- und Genugtuungsansprüchen auf das PrSG zu berufen, sofern die Voraussetzungen für eine Haftung gemäss PrHG gegeben sind.20 Im hier interessierenden Kontext der Verjährung beziehungsweise Verwirkung der Ansprüche eines Geschädigten ist jedoch relevant, dass die im PrSG enthaltenen Meldepflichten keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen. Somit ist es denkbar, dass bei einem langlebigen Produkt erst nach über zehn Jahren - und damit nach der absoluten Verwirkungsfrist gemäss Art. 10 PrHG - ein Produktfehler auftaucht, der eine Meldepflicht auslöst.
Wird die Meldepflicht missachtet, macht sich der Meldepflichtige nach dem PrSG strafbar.21 Diese zeitlich unbeschränkte Haftung bei Vorliegen eines Verschuldens stösst in der Literatur teilweise auf Kritik.22 Indes haben gerade die Erfahrungen mit Asbestopfern gezeigt, dass bei Langzeitschäden Handlungsbedarf besteht. Gerade auch mit Blick auf die Asbestopfer ist im zuständigen Departement, dem EJPD, die Revision von Art. 60 OR an die Hand genommen worden, welche die Einführung deutlich längerer Verjährungsfristen vorsieht.
6. Öffentlichrechtliche Verantwortlichkeit
Im Urteil des Bundesgerichtes 8C_470/2009 vom 19. Januar 2010 (BGE 136 II 187) hatte sich das Gericht mit der Frage der Verjährung bei Staatshaftung (Suva) auseinanderzusetzen. Es kam zum Schluss, der klare Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Verantwortlichkeitsgesetz (VG), der unabhängig vom Schadenseintritt eine absolute zehnjährige Verwirkungsfrist ab letzter schädigender Handlung/
Unterlassung statuiere, sei massgebend und kaum einer abweichenden Auslegung zugänglich.
Ein Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Verantwortlichkeitsansprüchen zeige denn auch, dass die zehnjährige absolute Verwirkungsfrist ausnahmslos zur Anwendung gekommen sei, so beispielsweise auch bei den Ansprüchen von abgewehrten Flüchtlingen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges.23 Die bisherige bundesgerichtliche Praxis bei ausservertraglicher Haftung zeige überdies, dass die absolute Verjährung auch dort unabhängig vom Schadenseintritt ablaufe, was von einem Teil der Lehre zwar kritisiert werde.24
Zudem zeige die bisher ergangene «Asbest-Rechtsprechung» des Bundesgerichts, dass allein bei der Opferhilfe auf den Schadenseintritt abgestellt werde. In einer Abwägung der Interessen zeige sich, dass die Opferhilfeperspektive einer Sonderstellung entspräche und neben der Straf- und Verwaltungshaftung sowie der ausservertraglichen Haftung nicht sonderlich gewichtig ausfalle. Zudem sei zu beachten, dass der Zeitablauf eine Verdunkelung mit sich bringe. Würde man auf den Schadenseintritt abstellen, bedeute dies wegen der daraus resultierenden Beweisschwierigkeiten eine erhebliche Rechtsunsicherheit.
Der EMRK-Anspruch auf freien Zugang zum Gericht wird im Urteil abgehandelt: Indes wird ausgeführt, die Statuierung eines Verjährungsstatus widerspreche dem EMRK-Anspruch grundsätzlich nicht. Alle Rechtsordnungen kennten Verjährungsstatute, was sich aus dem berechtigten Bedürfnis nach Rechtssicherheit erkläre. Zudem sei in casu zu beachten, dass es die Asbestopfer nicht besonders hart träfe, weil ihnen Versicherungsleistungen der Suva zustünden.
Auch dieser Entscheid vermag in verschiedener Hinsicht nicht zu überzeugen. Das Bundesgericht hat sich wiederum nicht mit der Besonderheit der Asbesterkrankung auseinandergesetzt, nämlich der grundsätzlich fehlenden Möglichkeit, die Erkrankung innert zehn Jahren nach Exposition zu erkennen. Der Vergleich mit den Ansprüchen von Flüchtlingen im Zweiten Weltkrieg hinkt; der Unrechtsgehalt des damaligen Tuns war bereits nach Kriegsende offenkundig. Nicht zu überzeugen vermag auch das Argument der Verdunkelung durch Zeitverlauf. Die beweisrechtlichen Schwierigkeiten hat nach Art. 8 ZGB der Geschädigte als Kläger zu tragen; die Argumentation des Bundesgerichts läuft auf einen im Zivil- und Verwaltungsrecht nicht opportunen Täterschutz hinaus.
Aus systematischer Sicht unrichtig ist insbesondere, wenn ausgeführt wird, die Opferhilfe-Rechtsprechung betreffe eine opferhilferechtliche Sonderproblematik, der im Verantwortlichkeitsrecht nicht zu folgen sei. Das Bundesgericht übersieht, dass die Entschädigung nach Opferhilfe dem ausservertraglichen Haftpflichtrecht nachempfunden und diesem nahe verwandt ist und dass es subsidiär zu diesem zur Anwendung gelangt (vgl. nachfolgend 7. Opferhilfe).
Gänzlich unverständlich ist alsdann der Ansatz, der Zugang zum Gericht sei unter dem Gesichtspunkt von Art. 6 EMRK nicht verletzt, weil die Geschädigten von der Suva Leistungen erhielten. Es handelt sich dabei um ein offensichtlich sachfremdes Argument, ganz abgesehen davon, dass allfällige Leistungen der Suva nicht deckungsgleich sind mit Haftpflichtansprüchen. Zudem ergeben sich Konstellationen, in denen die Ansprecher nicht Suva-versichert sind, zum Beispiel bei erkrankten Familienangehörigen oder bei am Wohnort Immissionsgeschädigten.
Nicht abgehandelt hat das Bundesgericht auch das vorgebrachte Argument der Diskriminierung von Opfern nach Langzeitschäden wie beispielsweise Asbestopfer. Der Fakt, dass diese Rechtsprechung Asbestopfer nur deswegen vom Geltendmachen der Ansprüche ausschliesst, weil ihre Krankheit mehr als zehn Jahre nach der Exposition auftritt, stellt diese gegenüber anderen Verunfallten oder Erkrankten schlechter, allein aufgrund der Begebenheiten ihrer spezifischen Erkrankung.
Das Urteil verletzt zudem ebenfalls den Zugang zum Gericht im Sinne von Art. 6 EMRK. Auch dieses Urteil ist zwischenzeitlich in Strassburg angefochten.
7. Opferhilfe
In BGE 134 II 308 äusserte sich das Bundesgericht zur Frage der Anwendbarkeit des Opferhilfegesetzes und bejahte die Opferstellung von Geschädigten, selbst wenn sich das tatbestandsmässige Verhalten vor Inkrafttreten des OHG (1993) ereignet habe. Das Bundesgericht nimmt ausdrücklich Bezug auf seine strafrechtliche Rechtsprechung und führt aus, die täterbezogene Sichtweise lasse sich für den Anwendungsbereich des Opferinteresses nicht teilen.
Nach Massgabe der Opferhilfe gelte eine Tat erst dann als begonnen, wenn der Erfolg eingetreten sei. Ein Opfer müsse die Schädigung beziehungsweise die Verletzung erkennen, bevor es sich überhaupt auf das OHG berufen und einen entsprechenden Antrag unterbreiten könne.25 Dass dies die Absicht des Gesetzgebers sei, zeige sich auch an der revidierten Fassung des OHG,26 wonach das Gesuch auf Entschädigung innert fünf Jahren nach der Straftat oder fünf Jahre nach Kenntnis der Straftat einzureichen sei. Die unterschiedliche Interpretation im Straf- und Opferhilferecht beruhe auf den unterschiedlichen Zielsetzungen beider Bereiche.
Das Bundesgericht hat in begrüssenswerter Weise erkannt, dass das Verwirken von Rechten, bevor der Ansprecher davon Kenntnis hat, zu unbilligen Resultaten führt, und knüpft dabei an seine Praxis an, wonach bei einer HIV-Infektion auf den Ausbruch und die Erkennbarkeit der Krankheit und nicht den Zeitpunkt der Ansteckung abgestellt wurde.27 Das Bundesgericht hält fest, dass es sich im Anwendungsbereich des OHG und im Gegensatz zum Strafrecht nicht rechtfertige, eine Täterperspektive einzunehmen, weshalb sich ein opferhilfe-relevantes Verhalten erst im Zeitpunkt des Erfolgseintritts manifestiere.
Das Opferhilfeverfahren nimmt eine Zwitterstellung zwischen dem ausservertraglichen Haftpflicht- und dem Sozialversicherungsrecht ein. Der Anspruch aus Entschädigung ist mit dem Schadenausgleichssystem des ausservertraglichen Haftpflichtrechts verwandt; die Opferhilfeentschädigung wurde allein deshalb geschaffen, weil ein Straftäter in der Regel über keine finanziellen Mittel und insbesondere nicht über eine Versicherungsdeckung verfügt, um den angerichteten Schaden zu begleichen. Die Entschädigung aus Opferhilfe ist denn auch regressierbar (Art. 7 OHG). Entsprechend sollte der höchstrichterliche Entscheid zur Opferhilfe sowohl für das vertragliche wie auch ausservertragliche Haftpflichtrecht richtungsgebend sein.28
8. Laufende Gesetzesrevisionen
In der Literatur zum Verjährungsrecht wurde bereits bei den haftpflichtrechtlichen Verjährungsbestimmungen auf die laufende Gesetzesrevision29 eingegangen und es wurden verschiedene Szenarien vorgeschlagen. So führt Krauskopf30 aus, dass bei der Festlegung von längeren Verjährungsfristen im Obligationenrecht differenziert vorgegangen werden müsse, je nach Risiko, das zur Diskussion steht. Zudem macht der genannte Autor geltend, dass erhebliche Probleme im Bereich der Versicherbarkeit von derartigen Risiken entstehen.
Gewiss gilt es, solche Probleme im Auge zu behalten, zumal die Versicherbarkeit mit entsprechenden risikogerechten Prämien für die entsprechenden Berufsgruppen gewährleistet bleiben muss.31 Indes verbietet es sich, durch einen restriktiv zu handhabenden Katalog von Risikogruppen gewisse Spätschäden dem Schutz vor der Verjährung zu entziehen.
Die Vergangenheit hat gerade auch im Bereich von Spätschäden durch Asbestexposition am Arbeitsplatz aufgezeigt, dass sich gewisse Risiken von Technologien mitunter erst Jahrzehnte nach der Einführung der neuen Technologie zeigen und auch erst dann verwirklichen. Somit hat der Gesetzgeber in der anstehenden Gesetzesrevision dafür zu sorgen, dass nicht im Sinne eines einschränkenden Katalogs lediglich gewisse Risikogruppen berücksichtigt werden.
Eine weitere Problematik ist die Rückwirkung der anstehenden Gesetzesrevision. Der Gesetzgeber hat dafür besorgt zu sein, dass Opfer von Spätschäden nicht ihrer berechtigten Ansprüche verlustig gehen, welche bereits mitunter Jahrzehnte vor dem Zeitpunkt des zukünftigen Inkrafttretens der revidierten Verjährungsbestimmungen erkrankt und gestorben sind. Der Gesetzgeber in Bern hat deshalb eine grosszügige Regelung einzuführen, welche auch den berechtigten Ansprüchen solcher Opfer und ihrer Hinterbliebenen gerecht wird.
Zu verhindern sind auf alle Fälle Regelungen, bei denen nur jene Opfer in den Genuss von längeren Verjährungs- und Verwirkungsfristen gelangen, die erst nach Inkrafttreten der Gesetzesnovelle mit solchen Materialien und Produkten in Kontakt gekommen sind und die dann erst viele Jahre oder Jahrzehnte später an Spätschäden erkranken oder gar sterben.
9. Fazit
Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung im Zusammenhang mit Spätschäden zufolge Asbestexposition am Arbeitsplatz die von Asbestopfern und ihren Angehörigen eingeklagten Forderungen im Bereich der vertraglichen Haftung sowie im Bereich des Verantwortlichkeitsgesetzes des Bundes zufolge Verjährung respektive Verwirkung der Ansprüche de lege lata abgewiesen.
Es ist demnach mittlerweile unbestritten, dass de lege ferenda im Bereich von Spätschäden gerade auch im Hinblick auf neue Technologien ein dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement wird im Sommer 2011 deshalb einen Entwurf zur Revision von Art. 60 OR in die Vernehmlassung schicken.
Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen im Gesetzgebungsverfahren nicht nur die Revision von Art. 60 OR anstreben. Wie aufgezeigt worden ist, sollte auch das Produktehaftpflichtrecht im Zusammenhang mit den Bestimmungen über die Verwirkung der Ansprüche gemäss Art. 9 PrHG einer analogen Revision unterzogen werden. Gleiches gilt auch für die Verwirkungsbestimmungen des Verantwortlichkeitsgesetzes des Bundes. Bei der anstehenden Gesetzesrevision sollte auch ein Blick auf die Gesetzgebung in anderen europäischen Ländern geworfen werden, wo teilweise sehr grosszügige verjährungsrechtliche Regelungen gerade auch mit Blick auf die Asbestopfer eingeführt wurden.32 Dabei wird sich zeigen, dass die anstehenden Gesetzesrevisionen nicht nur richtig, sondern auch dringend sind.
Massimo Aliotta, Fachanwalt SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht, Winterthur, David Husmann, Fachanwalt SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht, Zürich
1 BGE 4A_249/2010 vom 16.11.2010. Die Problematik von Spätschäden durch Asbestexposition beschäftigte bis dato die Gerichte vor allem im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen, bei denen Arbeitnehmer am Arbeitsplatz dem Asbeststaub ausgesetzt waren.
2 Siehe hierzu auch die Berichterstattung in der NZZ vom 1.2.2011: «Verjährung bei Asbest-Tod.»
3 BGE 136 II 187.
4 Siehe hierzu NZZ vom 19.1.2011: «Nanopartikel - der neue Asbest?», sowie Tages-Anzeiger online
vom 18.1.2011: «Inhaltsstoffe von Zahnpasta sind offenbar so gefährlich wie Asbest.»
5 Siehe NZZ a.a.O. In einer Studie wurde ein entzündlicher Effekt von Nano-TiO2 in Lunge und Bauchfell festgestellt, der dem in Zusammenhang mit Asbest hervorgerufenen ähnlich ist.
6 Zu dieser Problematik siehe NZZ vom 12.5.2010: «Risikoforschung und kein Ende.» Erwähnenswert st an dieser Stelle vor allem die sogenannte «Inter-phone-Studie», eine grossangelegte europäische Untersuchung unter Leitung der Weltgesundheitsorganisation zum Zusammenhang von Handystrahlen und Tumoren.
7 SR 221.112.944.
8 SR 930.11.
9 Siehe hierzu NZZ vom 19.1.2011: «Nanopartikel - der neue Asbest?», sowie Tages-Anzeiger online
vom 18.1.2011: «Inhaltsstoffe von Zahnpasta sind offenbar so gefährlich wie Asbest.»
10 Basler Kommentar Obligationenrecht I, Koller, Art. 184 OR, N 1 ff.
11 BGE 106 II 134.
12 Siehe hierzu die Aufstellung bei David Husmann / Massimo Aliotta, «Zeit heilt nicht alle Wunden - Zur verjährungsrechtlichen Problematik bei Personenschäden durch Asbest», in HAVE 2/2010, S. 128 ff.
13 BGE 134 IV 297.
14 BGE 134 IV 297.
15 Siehe hierzu Näheres bei Naohi D. Tahei, «Produktehaftungsrisiken im Zeitalter der Nanotechnologie», in: Jusletter vom 5.11.2007.
16 Siehe hierzu Urteil des Bundesgerichts U 249/06 vom 16.11.2007.
17 SR 930.11.
18 Eugenie Holliger-Hagmann, «Produktesicherheitsgesetzgebung», in: Jusletter 5.10.2009, S. 3.
19 Zu den weiteren Auswirkungen des PrSG im schweizerischen Privatrecht siehe unter anderen Andreas Furrer, «Produktesicherheit, Produktehaftung und technische Normierung», in: Produktsicherheit und Produkthaftung - Neue Herausforderungen für schweizerische Unternehmen, Bern 2011, S. 18 ff.
20 Eugenie Holliger-Hagmann, a.a.O.
21 Eugenie Holliger-Hagmann, a.a.O. Siehe auch die laufende Revision des Lebensmittelgesetzes. Nach Vorliegen des Vernehmlassungsberichtes wird nun vom EDI ein Gesetzesentwurf mit dazugehöriger Botschaft ausgearbeitet.
22 So vor allem Eugenie Holliger-Hagmann, a.a.O.
23 BGE 126 II 145.
24 Urteil des Bundesgerichts 8C_470/2009, E.7.4.4.
25 BGE 126 II 248 E. 5d.
26 Art. 25 Abs. 1 OHG, in Kraft seit 1.1.2009.
27 BGE 126 II 348.
28 So bereits David Husmann / Massimo Aliotta, «Zeit heilt nicht alle Wunden - Zur verjährungsrechtlichen Problematik bei Personenschäden durch Asbest», in HAVE 2/2010, S. 128 ff.
29 Siehe hierzu auch Tages-Anzeiger vom 22.1.2009: «Asbestopfer bekommen mehr Zeit für Schadenersatzansprüche.»
30 Siehe Frédéric Krauskopf, «Die Verjährung der haftpflichtrechtlichen Ansprüche wegen Personenschäden unter Berücksichtigung der aktuellen Reformbestrebungen im Inland und in Europa», in: HAVE Personen-Schaden-Forum 2011, S. 133 f.
31 Siehe zu dieser Problematik NZZ vom 15.10.2010: «Versicherbarkeit von Nanotechnologie offen.» Siehe auch René Beck, «Der Umgang mit Emerging Risks aus der Sicht des Haftpflichtversicherers», in: Festschrift 50 Jahre SGVHR (2010). Die Versicherungswirtschaft - insbesondere die Rückversicherungen - betreibt ein intensives Monitoring betreffend die mit den neuen Technologien einhergehenden Risiken.
32 Siehe auch die rechtsvergleichende Darstellung bei Nathalie Voser, «Aktuelle Probleme zivilrechtlicher Verjährung bei körperlichen Spätschäden aus rechtsvergleichender Sicht», in: recht 2005, S. 121 ff.