SVP-Nationalrat Toni Brunner wollte vermeiden, dass Ausländer in der Schweiz nur deshalb heiraten, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Sein Vorstoss «Scheinehen unterbinden» wurde in den Artikeln 98 Absatz 4 und 99 Absatz 4 des Zivilgesetzbuches umgesetzt. Sie sind seit einem Jahr in Kraft. Danach müssen Verlobte ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachweisen. Falls dies nicht möglich ist, muss das Zivilstandsamt die Identität der Verlobten der Migrationsbehörde mitteilen.
plädoyer: Waren die beiden neuen ZGB-Artikel als Zusatz zu Artikel 97a ZGB nötig?
Marc Spescha: Toni Brunner hat seine parlamentarische Initiative am selben Tag eingereicht, an dem das Ausländergesetz verabschiedet und der neue Artikel 97a ins ZGB eingeführt wurde. Darin wurde der Zivilstandsbeamte neu verpflichtet, Ehen nicht zu schliessen, wenn sie offensichtlich dem Zweck dienen, Ausländerrecht zu umgehen. Es ist irritierend, aber im Ausländerbereich ist Legiferitis inzwischen zur Regel geworden. Vorstösse werden ziemlich wahllos eingereicht, ohne den Regelungsbedarf zu klären und die Wirkung neuer Bestimmungen abzuwarten.
Harry Lütolf: Stimmt. Doch es gibt Missstände im Bereich der Scheinehen, die der Gesetzgeber beheben wollte. Die Ehe ist ein Rettungsanker, wenn man auf andere Weise nicht zu einer Aufenthaltsbewilligung kommt. Es gibt aber auch Scheinehen, die toleriert werden: Eheschliessungen aus steuer- oder erbrechtlichen Gründen. Das ist zwar moralisch bedenklich, aber zugelassen.
plädoyer: Sind mit den neuen Artikeln Scheinehen einfacher nachzuweisen?
Lütolf: In der Praxis der Zivilstandsämter hat sich gezeigt, dass es sehr schwierig ist, eine Scheinehe zu beweisen. Dazu ist - laut Bundesgericht - eine Indizienkette notwendig, weil sich eine Scheinehe in aller Regel nicht direkt beweisen lässt. Ein grosser Altersunterschied, fehlende Sprachkenntnisse und widersprüchliche Aussagen können als Indiz dienen. Doch es ist schwierig, diese Indizien mit Dokumenten oder Urkunden zu beweisen. Die Lex Brunner nennt nun ein zentrales Indiz für eine Scheinehe: Die fehlende Aufenthaltserlaubnis.
Spescha: Der «offensichtlich fehlende Wille zur Lebensgemeinschaft» des Artikels 97a bleibt meist toter Buchstabe - er wirkt eher präventiv. Den Zivilstandsämtern fehlen die Ressourcen für umfangreiche Abklärungen. Zudem zieht sich sonst im Ehe- und Familienrecht der Staat aus der Privatsphäre zurück - beispielsweise bei der Scheidung, wo das Verschulden keine Rolle mehr spielt und objektive Kriterien für die rechtlichen Folgen massgebend sind. Sobald aber die Liebe die Landesgrenzen überschreitet, soll nun der Staat wieder vermehrt in die Privatsphäre eindringen? Dies, nachdem der Gesetzgeber in der Ausländergesetzgebung auf den Tatbeweis der gemeinsamen Wohnung gesetzt hat, also auf ein objektives Kriterium. Wer nicht gemeinsam wohnt, verliert seinen Anwesenheitsanspruch.
Lütolf: Eine Eheschliessung ist eine private Angelegenheit, in die sich der Staat nicht einmischen sollte. Doch die Ehe hat öffentlich-rechtliche Wirkungen, die den Staat etwas angehen: Zum Beispiel im Sozialversicherungs- oder Migrationsrecht. Dazu kommen privatrechtliche Wirkungen wie die Unterstützungspflicht oder das Erbrecht. Darum ist es richtig, rein ausländerrechtlich motivierte Ehen gar nicht entstehen zu lassen.
plädoyer: Besteht nicht die Gefahr, dass Zivilstandsämter sich im Zweifelsfall nun gegen die Ehe entscheiden - was auch Liebespaare von der Ehe ausschliesst?
Lütolf: Das hängt davon ab, wie Artikel 98 Absatz 4 interpretiert wird. Dazu gibt es verschiedene Meinungen: Das Waadtländer Kantonsgericht stellte mit Urteil vom 30. September 2011 fest, dass diese Bestimmung gegen die Bundesverfassung verstösst. Fürs Bundesgericht ist der Artikel hingegen laut Entscheid vom 23. November 2011 dann nicht verfassungswidrig, wenn ein Migrationsamt für die Eheschliessung eine Aufenthaltsbewilligung erteilt.
Spescha: Verfassungskonform umgesetzt hat Artikel 98 Absatz 4 ZGB gegenüber dem Artikel 97a nur den zusätzlichen Effekt, dass im Falle unrechtmässig anwesender Ehewilliger neben dem Zivilstandsamt auch das Migrationsamt involviert werden muss, bevor die Ehe geschlossen werden kann.
Lütolf: Ich möchte beliebt machen, den Vorwurf einer Scheinehe durch die Zivilstandsämter genau prüfen zu lassen.
plädoyer: Marc Spescha, Sie widersprechen sich. Jetzt befürworten Sie, dass die Migrationsbehörden eine wichtige Rolle spielen, einst bezeichneten Sie die Migrationsämter als überfordert.
Spescha: Das Migrationsamt erhält nun zusätzliche Aufgaben. Es könnte das Recht auf Ehe vereiteln, indem es die Abklärungen verzögert. Das Bundesgericht verlangt aber, dass sich das Recht auf Ehe auf dem Territorium verwirklichen lassen muss, auf dem sich die Ehewilligen aufhalten. Es hielt explizit fest, es sei in der Regel unzumutbar, von den Ehewilligen zu verlangen, auszureisen und vom Ausland her das Gesuch zu stellen.
Lütolf: Dies verträgt sich aber nicht mit der klaren Meinungsäusserung von Ständerat Hansheiri Inderkum in der Parlamentsdebatte -, die übrigens auf dem Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates beruhte. Danach muss der Entscheid im Ausland abgewartet werden.
Spescha: In der Parlamentsdebatte wurde vor allem betont, dass der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten und ein überspitzter Formalismus zu vermeiden sei - sprich, die Regelung mit Augenmass umzusetzen ist!
plädoyer: Steigt für Sans-Papiers oder abgewiesene Asylbewerber die Gefahr von Zwangsmassnahmen, wenn das Migrations- statt das Zivilstandsamt entscheidet?
Spescha: Nein. Abgewiesene Asylbewerber haben laut Bundesgericht im Hinblick auf eine Ehe ein Recht auf eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie es nach erfolgter Ehe auch hätten. Das ist eine positive Seite des Entscheides vom 23. November 2011.
Lütolf: Die Migrationsämter haben aber einen stärkeren Reflex, binationale Ehen per se als verdächtig zu behandeln.
Spescha: Das ist so. Aber die Paare gehen zuerst auf das Zivilstandsamt, um ihre Heiratspapiere zu deponieren, und dann erst mit den beglaubigten Unterlagen zu den Migrationsbehörden. Das mag kompliziert sein, doch diesen Bürokratismus hat uns der Gesetzgeber beschert. Ehen mögen zwar im Himmel geschlossen werden, aber binationale Ehen müssen erst noch durch die Vorhölle der Bürokratie, wie es das Soziologenpaar Beck-Gernsheim moniert.
Lütolf: Nimmt man den Zivilstandsämtern faktisch die Möglichkeit, selbst über den Verdacht der Scheinehe zu befinden und delegiert den Entscheid stur ans Migrationsamt, schickt man das Brautpaar erst recht in die «Hölle».
plädoyer: Die Kantone wandten die Lex Toni Brunner unterschiedlich an. Sind mit dem Bundesgerichtsentscheid - provisorische Aufenthaltsbewilligung der Ausländerbehörden für das Vorbereitungsverfahren - Vorgehen und Rechtsanwendung nun klar?
Lütolf: Nein. Es bleibt offen, ob die Zivilstandsämter ein Gesuch um Eheschliessung zwingend abweisen müssen, wenn keine Aufenthaltsbewilligung vorliegt, oder ob sie bei einer klaren Liebesbeziehung nicht doch eine Ausnahme machen dürfen. Zum Beispiel bei einem Paar, das schon ein gemeinsames Kind hat? Sollen nur die Migrationsbehörden prüfen, ob eine Scheinehe vorliegt? Und wenn sie keinen Grund für eine Scheinehe finden, geht die Sache ans Zivilstandsamt zurück, das dann zwingend aufgrund einer provisorischen oder definitiven Aufenthaltsbewilligung eine Ehe schliesst, auch wenn das Zivilstandsamt noch Anhaltspunkte für eine Scheinehe entdeckt? Doch was ist, wenn das Migrationsamt sich weigert, diese Nachforschungen anzustellen? Oder wenn das Monate oder gar Jahre dauert? Das alles wurde vom Bundesgericht noch nicht beantwortet.
plädoyer: Das Bundesgericht sagt klar, dass das Zivilstandsamt keinen Ermessensspielraum hat. Es darf nur dann ein Ehevorbereitungsverfahren einleiten, wenn die Ehewilligen eine Aufenthaltserlaubnis haben. Dafür sind die Migrationsämter zuständig.
Lütolf: Das erachte ich als falsch. Ein Zivilstandsamt ist eine gute und verlässliche Behörde in der Beurteilung, ob eine Scheinehe vorliegt. Deshalb soll es bei klaren Fällen selbst entscheiden dürfen, egal ob eine Aufenthaltsbewilligung vorliegt oder nicht. Nicht die Aufenthaltsbewilligung ist zentral, sondern die Frage der Scheinehe.
Spescha: Das widerspricht der Auffassung des Gesetzgebers. Wenn er die Aufenthaltsbewilligung explizit als Formerfordernis erwähnt, dann wird das Migrationsamt zwingend einbezogen.
plädoyer: Wie muss das Vorberei- tungsverfahren für eine Ehe laut Bundesgericht ablaufen?
Spescha: Die Ehewilligen gehen zum Zivilstandsamt, das den Ehewillen prüft. Dann überweist es das Dossier an das Migrationsamt, das nach dem Grundsatz «in dubio pro matrimonio» zu entscheiden und die Eheschliessung im Zweifel zu ermöglichen hat. Entscheidet es anders, müssen die Betroffenen während eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens in der Schweiz bleiben dürfen, womit das Paar auch gleich den Tatbeweis für den bestehenden Ehewillen erbringen kann.
Lütolf: Das geht nicht auf. Für mich ist eine fehlende Aufenthaltsbewilligung ein wichtiges Indiz für eine Scheinehe. Doch nun sagt man: Es liegt zwar keine Aufenthaltsbewilligung vor, deshalb müsste das Zivilstandsamt das Gesuch verweigern - doch man schickt das Paar einfach ans Migrationsamt, wo die Bewilligung zwingend erteilt werden muss, wenn nach Meinung des Migrationsamtes keine Scheinehe vorliegt. Dieser Umweg entspricht nicht der Absicht des Gesetzgebers.
Spescha: Doch, er ist die zwingende Folge der gesetzgeberischen Konzeption! Das zeigt: Der Artikel 98 Absatz 4 ZGB ist unnötig und insgesamt wohl ein untauglicher Versuch, Missbrauch zu verhindern. So sieht symbolische Gesetzgebung aus. Sie passt zur Tendenz, im Ausländerbereich ohne Rücksicht auf Inkohärenzen laufend neue Gesetze zu produzieren.
plädoyer: Ist der Entscheid des Bundesgerichts vereinbar mit der Menschenrechtskonvention?
Spescha: Das Bundesgericht hat einen EMRK-kompatiblen Weg aufgezeigt. Ein Problem entstünde dann, wenn die Migrationsämter die Erteilung provisorischer Bewilligungen zwecks Vorbereitung der Eheschliessung monatelang verzögerten. Das Bundesgericht machte klar, dass das Beschleunigungsgebot zu beachten ist.
plädoyer: Laut der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es unzulässig, eine ganze Gruppe von Menschen von der Ehe auszuschliessen. Richtet sich die Lex Brunner nicht generell gegen Asylbewerber und Sans-Papiers?
Lütolf: Es steht nicht im Gesetz, dass Sans-Papiers und abgewiesene Asylbewerber generell von der Heirat ausgeschlossen werden. Die fehlende Aufenthaltsbewilligung ist neu aber ein wichtiges und von den Betroffenen zu widerlegendes Indiz. Das Bundesgericht schreibt für diese Leute nun eine zusätzliche Verfahrensschlaufe bei den Migrationsämtern vor.
plädoyer: Ist so das neue Recht noch im Sinne von Toni Brunner? Wollte er nicht erreichen, dass ohne Aufenthaltsbewilligung ein Eheschluss unmöglich ist?
Lütolf: Dann hätte er als Titel seines Vorstosses nicht «Scheinehen unterbinden» gewählt, sondern «Keine Ehe für Sans-Papiers».
Spescha: Aber es ging ihm von der Formulierung her um Sans-Papiers und abgewiesene Asylbewerber. Für ihn gilt die Gleichung: Wer keine Bewilligung hat, heiratet nur zur Umgehung des Ausländerrechts. Das Parlament hat diesbezüglich aber eine differenzierende Haltung eingenommen.
Lütolf: Ich bin auch der Meinung: Die fehlende Aufenthaltsbewilligung ist ein starkes Indiz für Missbrauch. Will jemand ohne Bewilligung heiraten, müssten auf dem Zivilstandsamt die Alarmglocken läuten. Dann soll eine Umkehr der Beweislast stattfinden; die Brautleute haben ihren wahren Ehewillen nachzuweisen.
Spescha: Die Beweislastumkehr darf aber nicht so weit gehen, dass das Recht auf Ehe vereitelt wird. Dieses Recht ist so fundamental, dass der Staat nicht von seiner Beweispflicht enthoben werden darf.
plädoyer: Was raten Sie Brautpaaren, bei denen ein Partner keine Aufenthaltsbewilligung hat?
Lütolf: Ein gemeinsames Kind ist sicher ein starkes Indiz, das gegen eine Scheinehe spricht.
Spescha: Taugliche Indizien für den Bestand des Ehewillens sind auch Fotos, Briefe Dritter, Willenserklärungen der Brautleute.
plädoyer: Gäbe es eine bessere Lösung als die Lex Brunner, um das Problem von Scheinehen mit Ausländern zu lösen?
Lütolf: Ich hätte klare Anhaltspunkte ins Gesetz aufgenommen, die für eine Scheinehe sprechen.
Spescha: Kann man eine Norm-ehe definieren? Angesichts der heutigen Bandbreite legitimer Paarungsformen ist eine Umgehungsehe nicht leichthin zu bejahen.
Lütolf: Ein anderer Ansatz wäre, die Ehe von den öffentlich-rechtlichen Wirkungen zu entrümpeln.
Spescha: Das träfe alle Paare - auch die Schweizer. Wenn der Staat sich sonst überall aus dem Privaten zurückzieht, ist es weder logisch noch akzeptabel, ihn im binationalen Kontext vor der Schlafzimmertüre zu postieren. Der Staat muss hier vor der Liebe in allen ihren Varianten weitestgehend kapitulieren.
Marc Spescha, 55, ist in Zürich als Rechtsanwalt tätig und Lehrbeauftragter für schweizerisches Migrationsrecht an der Universität Freiburg. Er ist Autor des «Kommentars Migrationsrecht» und zahlreicher Publikationen zum Thema.
Harry Lütolf, 41, ist Juristischer Sekretär beim Gemeindeamt des Kantons Zürichs, der kantonalen Aufsichtsbehörde im Zivilstandswesen. Er arbeitet zudem als Redaktor beim Orell Füssli Verlag. Er ist aktiver CVP-Politiker.
Die neuen Bestimmungen im Wortlaut
Artikel 97a ZGB
1 Die Zivilstandsbeamtin oder der Zivilstandsbeamte tritt auf das Gesuch nicht ein, wenn die Braut oder der Bräutigam offensichtlich keine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Bestimmungen über Zulassung und Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern umgehen will.
2 Die Zivilstandsbeamtin oder der Zivilstandsbeamte hört die Brautleute an und kann bei anderen Behörden oder bei Drittpersonen Auskünfte einholen.
Artikel 98 ZGB
4 Verlobte, die nicht Schweizerbürgerinnen oder Schweizerbürger sind, müssen während des Vorbereitungsverfahrens ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachweisen.
Artikel 99 ZGB
4 Das Zivilstandsamt teilt der zuständigen Behörde die Identität von Verlobten mit, die ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nicht nachgewiesen haben.