Seit der Einführung des neuen Mehrwertsteuergesetzes (MWSTG) per 1. Januar 2010 schliesst die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) ihre Mehrwertsteuerkontrollen mit einer Einschätzungsmitteilung ab (Artikel 78 Absatz 5 MWSTG), die sie neu als Verfügung eröffnet. Unter dem alten Gesetz wurde eine Kontrolle hingegen nicht mit einer Verfügung abgeschlossen.
So konnte die steuerpflichtige Person die Steuernachbelastung gegebenenfalls noch reduzieren - zum Beispiel, indem sie Beweismittel einreichte, die nachbelastete Steuer auf den Leistungsempfänger überwälzte oder mit der ESTV verhandelte. Im Weiteren konnte die steuerpflichtige Person einzelne Punkte der Ergänzungsabrechnung bestreiten, wodurch sich der Streitgegenstand einfacher beziffern liess.
Korrektur der Einschätzung nur noch per Einsprache
Unter dem neuen Gesetz ist eine Korrektur nur noch möglich, wenn die steuerpflichtige Person innert dreissig Tagen nach Eröffnung der Einschätzungsmitteilung Einsprache erhebt. Zudem legt die ESTV mit der Einschätzungsmitteilung neu die Steuerforderung für die gesamte Steuerperiode fest. Dies hat zur Folge, dass die steuerpflichtige Person in ihrer Einsprache genau beziffern muss, in welchem Umfang sie die Einschätzungsmitteilung bestreitet und wie hoch die Steuerforderung für die gesamte Steuerperiode ist. Die Festlegung der Steuerforderung ist dann einfach, wenn die steuerpflichtige Person die Vorsteuer voll abziehen kann und die Einschätzungsmitteilung einzig auf der Umsatzseite bestreitet.
Liegen hingegen komplizierte Verhältnisse vor - zum Beispiel Gruppenbesteuerung, Ermessenseinschätzungen, reduzierte Vorsteuerquote, zusätzliche Vorsteuerkorrektur, fehlende Details zur Mehrwertsteuerabrechnung, nicht ausführlich begründete Einschätzungsmitteilung -, kann sich die Formulierung von Rechtsbegehren als schwierig erweisen, weil diverse Faktoren die Steuerforderung beeinflussen.
Gerade bei komplexen Konstellationen hat sich gezeigt, dass das neue Verfahren die Steuerpflichtigen vor echte Herausforderungen stellt. Diese lassen sich ohne juristische Unterstützung aus mehrwertsteuerlicher und verfahrensrechtlicher Sicht nicht auf eine einfache Weise bewältigen. Darum ist fraglich, ob das Ziel der Mehrwertsteuerreform - die Vereinfachung des Verfahrens - erreicht wurde.
Nach Abschluss einer Kontrolle empfiehlt sich, bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich zu beantragen, dass die Einschätzungsmitteilung ausführlich begründet wird. Dieses Vorgehen könnte einerseits die Formulierung der Rechtsbegehren vereinfachen. Andererseits kann die steuerpflichtige Person vom Sprungrekurs Gebrauch machen (Artikel 83 Absatz 4 MWSTG) und die Einschätzungsmitteilung direkt beim Bundesverwaltungsgericht anfechten.
Anzumerken bleibt, dass eine vollständige Dokumentation der mehrwertsteuerlichen Prozesse und eine automatisierte Berechnung der Vorsteuerkorrektur die Grundvoraussetzung dafür sind, ein mit der Mehrwertsteuer zusammenhängendes Rechtsbegehren in einem Verfahren rechtsgenügend vorzubringen.
Parteientschädigungen und die Mehrwertsteuer
Die meisten Rechtsanwälte sind wohl häufiger mit Mehrwertsteuerfragen betroffen, wenn es um Rechtsbegehren und die Festlegung von Parteientschädigungen geht. In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass die Gerichte mit der Funktionsweise der Mehrwertsteuer zu wenig vertraut sind. Sie bezeichnen die Parteientschädigungen als «inkl. MwSt.», als handle es sich um steuerbare Umsätze. Gerichtlich festgesetzte Parteientschädigungen, die von der Verliererpartei zu bezahlen sind, gelten aber als Schadenersatz. Dieser unterliegt nicht der Mehrwertsteuer und bedingt keine Korrektur des Vorsteuerabzugs (Artikel 18 Absatz 2 lit. i MWSTG in Verbindung mit Artikel 33 Absatz 2 MWSTG).
Das Gleiche gilt für Vereinbarungen zwischen den Parteien über eine Parteientschädigung. Aus den entsprechenden Dokumenten muss aber klar hervorgehen, dass die Zahlung einen Schaden ersetzt. Andernfalls kann ein Leistungsaustausch vorliegen, der zum Normalsatz von 8 Prozent zu versteuern ist.
Die Parteientschädigung enthält insbesondere Kosten, die der Siegerpartei durch die anwaltliche Vertretung entstanden sind. Es stellt sich dabei die Frage, ob die vom Anwalt verrechnete Mehrwertsteuer im Rechtsbegehren als zusätzlicher Kostenfaktor zu berücksichtigen ist.
Fälle ohne Mehrbelastung für siegende Partei
Werden einer voll vorsteuerabzugsberechtigten Partei die Anwaltskosten für einen Prozess im Zusammenhang mit ihrer Unternehmenstätigkeit in Rechnung gestellt, kann sie die Mehrwertsteuer zu hundert Prozent als Vorsteuer abziehen. Keine Mehrkosten entstehen zudem, wenn:
- der Anwalt nicht mehrwertsteuerpflichtig ist (bei einem Umsatz unter 100 000 Franken);
- der Anwalt seinen Sitz im Ausland hat, die Partei nicht mehrwertsteuerpflichtig ist und keine Dienstleistungen für mehr als 10 000 Franken aus dem Ausland (zum Beispiel für Anwaltsleistungen) bezieht (vergleiche Artikel 45 Absatz 2 lit. a und b Mehrwertsteuergesetz);
- der Anwalt seinen Sitz in der Schweiz hat und die Partei mit Sitz im Ausland dort keinen Dienstleistungsbezug aus dem Ausland deklarieren muss.
In diesen Fällen stellt die Mehrwertsteuer keinen zusätzlichen Kostenfaktor dar und ist bei der Formulierung der Rechtsbegehren nicht zu berücksichtigen.
Mehrbelastung im Rechtsbegehren einfordern
Werden hingegen einer Partei, die nicht oder nur teilweise vorsteuerabzugsberechtigt ist, die Anwaltskosten für einen Prozess in Rechnung gestellt, entstehen durch die Mehrwertsteuer zusätzliche Kosten. Das Gleiche gilt auch, wenn:
- der Anwalt seinen Sitz im Ausland hat und die nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigte Partei diese Dienstleistungen als Bezugssteuer deklarieren muss (Artikel 45 MWSTG);
- der Anwalt seinen Sitz in der Schweiz hat und die nicht oder nur zum Teil zum Vorsteuerabzug berechtigte Partei mit Sitz im Ausland einen Dienstleistungsbezug aus dem Ausland deklarieren muss.
Geht eine solche Partei in einem Prozess als Siegerin hervor, muss sie diese zusätzlichen Kosten bei der Formulierung der Rechtsbegehren berücksichtigen. Andernfalls wird das Gericht diese Kosten nicht zusprechen.
Macht der Steuerpflichtige diese Mehrkosten mit seinem Rechtsbegehren auf Parteientschädigung geltend, muss er sie beziffern und nachweisen. Der Nachweis der Mehrwertsteuer ist mit der Rechnung des Anwalts leicht zu erbringen. Hingegen kann sich der Nachweis der effektiven Mehrbelastung bei komplizierten Abrechnungsmethoden - Gruppenbesteuerung, reduzierter Vorsteuerquote und anderen - als schwierig erweisen.