plädoyer: Die gemeinsame elterliche Sorge ist beschlossene Sache. Weshalb braucht es auch noch eine Revision des Unterhaltsrechts, wo doch Betreuung und Unterhalt gleich verteilt sind?
Monika Pfaffinger: Betreuungs- und Hausarbeit als Beitrag an den Familienunterhalt wird in der Schweiz nach wie vor zum grossen Teil von Frauen erbracht. Diese Leistung muss anerkannt werden. Deshalb braucht es diese Revision im Unterhaltsrecht. Die Geburt eines Kindes bedeutet für Frauen in der Schweiz einen Karriereknick, Männer hingegen erweitern ihr berufliches Engagement mit der Geburt von Kindern, um die Kosten und den Erwerbsausfall auf Seiten der Frau aufzufangen. Statistiken zeigen: Etwa ein Drittel der Frauen gibt die Erwerbsarbeit nach der Geburt eines Kindes ganz auf, ein weiteres Drittel reduziert das Pensum. Es gibt nur wenige Familien, in denen die Frau voll berufstätig bleibt.
Isabelle Schwander: Ich bin auch für eine Änderung des Unterhaltsrechts - aber nicht in die Richtung, wie es der Bundesrat vorschlägt. Das heutige und das vorgeschlagene Unterhaltsrecht sind männerfeindlich. 95 Prozent der Unterhaltspflichtigen sind Männer. Sie werden von den Gerichten stark benachteiligt. Ich erlebe als Rechtsanwältin Männer, die gute Löhne in der Höhe von 7000 oder 8000 Franken verdienen. Nach Bezahlung des Unterhalts an die Ex-Frau und die Kinder bleibt ihnen nur gerade das Existenzminimum.
Pfaffinger: Armut ist in der Schweiz vorrangig weiblich und zeigt sich vor allem bei Frauen, die nach einer Trennung oder Scheidung alleinerziehend sind.
Schwander: Frauen sind hinsichtlich der Betreuung von Kindern oft sehr selbstbezogen. Sie wollen in vielen Fällen die Betreuung nicht an die Väter abgeben. Dabei wäre es wichtig, dass sie einen Anteil der Erwerbstätigkeit übernehmen. Das wäre vom Gesetz her vorgesehen, aber in der Rechtsprechung kommt man dem nicht nach. Wird neu ein Unterhaltsbeitrag für die Betreuung zum Kinderunterhaltsbeitrag geschlagen, reduziert sich der Anreiz für Frauen, erwerbstätig zu sein. Bestehende Rollenbilder werden so noch zementiert.
plädoyer: Die bundesgerichtliche Praxis geht bis heute davon aus, dass Unterhaltsberechtigte erst erwerbstätig werden müssen, wenn das jüngste Kind zehn Jahre alt ist. Und eine Vollzeitstelle gilt erst als zumutbar, wenn das Kind 16-jährig ist. Ist diese Regelung heute noch gerechtfertigt?
Schwander: Man sollte vom Einzelfall ausgehen und ihn genau prüfen. Das sagt auch das Bundesgericht. Berücksichtigt werden müssten zum Beispiel die Anzahl Kinder, die Ausbildung des Elternteils, der die Kinder betreut, oder die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. In Tat und Wahrheit wird das kaum geprüft. Deshalb schöpfen viele Frauen ihr Erwerbspotenzial nicht aus, obwohl das durchaus in ihrem Interesse wäre.
Pfaffinger: Wir haben in der Schweiz verschiedene Mechanismen, die zu einer Abdrängung der Frau aus dem Arbeitsmarkt führen, sobald sie ein Kind geboren hat. Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern beträgt in der Schweiz rund zwanzig Prozent. Es ist also rational, wenn eine Frau nach der Geburt eines Kindes ihr Erwerbspensum reduziert oder ganz aufhört zu arbeiten: Jene Person geht arbeiten, die mehr verdient. Wir haben in der Schweiz zudem zu wenig Krippenplätze. Diese Rahmenbedingungen verunmöglichen eine egalitäre Aufteilung von Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit. Auf dem Weg dorthin ist deshalb eine Abgeltung für die Frauen notwendig, die nun mal vorwiegend die Betreuungsarbeit leisten.
plädoyer: Die Rollenverteilung während der Ehe wird bei der Trennung in der Regel weitergeführt. Sollten die Familien deshalb nicht motiviert werden, die Rollen schon während der Ehe anders aufzuteilen, statt das Unterhaltsrecht zu ändern?
Pfaffinger: Die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen verlangte unter anderem aus diesem Grund einen Elternurlaub, wie er zum Beispiel in Deutschland und anderen europäischen Ländern besteht. In Deutschland steigt der Anteil der Männer, die einen Vaterurlaub beziehen. Das ist ein Indiz dafür, wie stark sich Männer tatsächlich an der Erziehungs- und Hausarbeit beteiligen wollen. In der Schweiz kennen wir nur einen 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub, eine erste Entlastung nach der Geburt. Elternzeit würde es auch den Vätern ermöglichen, von Anfang an eine aktive Rolle in der neuen Familienkonstellation einzunehmen.
Schwander: In bestehende Ehen darf der Staat nicht eingreifen. Bei der Trennung hingegen sollte schneller als heute eine gleichgestellte Situation geschaffen werden, und zwar durch den Vollzug. Die Gerichtsverfahren dauern heute sehr lange, die Familienkonstellation wird im Eheschutzverfahren oft zementiert. In dieser Phase werden die Kinder noch nicht angehört. Ist die zweijährige Trennungszeit vorbei, sind die Kinder derart instrumentalisiert, dass sie nicht mehr zum Vater wollen. Deshalb braucht es rasche Lösungen, die den Männern bezüglich Betreuung entgegenkommen. Ich mache in der Praxis die Erfahrung, dass Männer bereit wären, ihre Erwerbsarbeit zu reduzieren. Aber die Frauen wollen diese Einkommenseinbusse nicht durch eigene Erwerbstätigkeit kompensieren.
Pfaffinger: Ich sehe die Schwierigkeit in der Beteiligung der Männer an der Haus- und Betreuungsarbeit. Das Eidgenössische Büro für Gleichstellung hat Gelder für das Projekt «Make it work» zur Verfügung gestellt. Es geht dabei um die Förderung von Teilzeitarbeit bei Männern. Das Projekt zeigte, dass Männer zwar sagen, dass sie reduzieren wollen, es aber nicht machen. Da spielen offenbar sehr schwerfällige Mechanismen und Bilder mit.
plädoyer: Die Revision will die Betreuungsleistung zum Teil des Kindesunterhalts machen. Ist das sinnvoll?
Schwander: Im Gegenteil. Die Streitigkeiten werden sich auf ledige Paare ausweiten. Der im Vorentwurf vorgesehene Kindesunterhalt ist ein indirekter Unterhalt an die Mütter. Heute hingegen ist klar: Sind die Eltern ledig, ist nur Unterhalt für das Kind geschuldet. Mit der Einführung des Betreuungsunterhalts wird für eine ledige Mutter ein Anreiz geschaffen, über das Kind einen Unterhaltsbeitrag für sich selbst zu erstreiten. Ich gehe deshalb davon aus, dass mehr Prozesse auf uns zukommen.
Pfaffinger: Die Vorlage will die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter und lediger Eltern aufheben. Das ist richtig. Beiträge für die Betreuung von Kindern sind keine Almosen, sondern auch ein Ausgleich für eine erbrachte Leistung. Die Rechnung ist einfach: Die eine Person kann ihrer Erwerbstätigkeit nur nachgehen, wenn der andere Elternteil die Betreuung übernimmt. Heute muss die ledige Mutter für den eigenen Unterhalt und die Betreuung des Kindes sorgen. Dabei bleiben die Bedürfnisse des Kindes und der betreuenden Person, heute in der Regel die Mutter, auf der Strecke. Obwohl die Uno-Kinderrechtskonvention den gebührenden Unterhalt für ein Kind vorschreibt, sprechen Schweizer Gerichte in Mankofällen noch heute zu tiefe oder keine Unterhaltsbeiträge.
plädoyer: Von verschiedenen Seiten wird vorgeschlagen, dass jedes Kind einen Mindestunterhalt in der Höhe einer AHV-Waisenrente von 928 Franken pro Monat erhalten soll - egal wie es um die Leistungsfähigkeit der Eltern steht. Ist das ein gangbarer Weg?
Pfaffinger: Der Familienarbeit wird nach wie vor kein Wert zugemessen, sie gilt als selbstverständlich. Im Gesetz und namentlich vor Gericht ist sie nur so viel wert, wie der Unterhaltspflichtige leisten kann. Bei einem Manko, also wenn kein Betrag über dem Existenzminimum des Pflichtigen vorhanden ist, gehen Kind und Frau heute leer aus. Wie viel geleistet werden kann, müsste aber eine Frage der Vollstreckung sein, nicht der Festsetzung der geschuldeten Beträge. Ein Mindestunterhalt hätte immerhin den Vorteil, dass der Mechanismus der Alimentenbevorschussung und des Inkassos spielt. 928 Franken für ein Kind sind wenig, aber gar nichts zusprechen ist noch weniger.
Schwander: Das Institut des Betreuungsunterhalts, wie ihn der Bundesrat vorschlägt, muss gestrichen werden. Ein betraglich fixer Mindestunterhalt wird dem Einzelfall nicht gerecht und kommt für mich nicht in Frage. Die heutige Unterhaltsregelung ist insofern gut, als sie flexibel ist. Solange es bei der Betreuung keine echte Gleichstellung von Mann und Frau gibt, sollte man nicht über die finanziellen Auswirkungen der Betreuung diskutieren.
plädoyer: Fänden Sie die Mankoteilung auf Vater und Mutter fair, wenn dabei zugleich die Betreuung gerecht verteilt würde?
Schwander: Gerechtigkeit bedeutet nicht immer teilen. Gerecht ist, dass man einem arbeitenden Menschen das Existenzminimum belässt.
plädoyer: Ohne Mankoteilung ist die Betreuungsperson aufs Sozialamt angewiesen. Wer Sozialhilfe bezieht, muss sie bei guten Verhältnissen später zurückzahlen. Müsste man dies nicht so ändern, dass das Sozialamt auf beide Eltern zurückgreifen kann?
Schwander: Es ist stossend, wenn ein Elternteil die Last der zurückzuzahlenden Sozialhilfegelder allein tragen muss. Das sieht das Bundesgericht richtig. Man sollte aber stets im Einzelfall abwägen, was stossend und was weniger stossend ist. Geht jemand einer Erwerbsarbeit nach, ist es weniger stossend, wenn man ihm das Existenzminimum lässt und sich die andere Person an die Sozialhilfe wendet. Damit will ich die Frauenarbeit nicht abwerten. In gewissen Fällen muss man von Frauen auch verlangen dürfen, dass sie einer Arbeit nachgehen, um nicht auf die Sozialhilfe zurückgreifen zu müssen. Unter Umständen müssten sie auch Arbeiten annehmen, die unter ihrem Ausbildungslevel liegen. Genau das möchten aber viele Frauen nicht.
Pfaffinger: Sie sagen, einem arbeitenden Menschen darf man nicht ins Existenzminimum eingreifen. Es arbeiten aber beide, Vater und Mutter. Sie meinen wohl die entgeltliche Arbeit. Darin zeigt sich das systemimmanente Denken in unserem Rechtssystem, das - zumindest bisher - Betreuung nicht als Leistung betrachtet. Es gibt das Uno-Abkommen, das jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet. Dort steht: Familiäre Lasten und Rechte sind zwischen den Geschlechtern gleichmässig zu verteilen. Ebenso sind die Trennungsfolgen gleich zu verteilen. Deshalb ist es nicht richtig, eine Person in die Sozialhilfe samt allfälliger Rückzahlungspflicht zu drängen, obwohl sie ihre Leistung in Form von Kinderbetreuung erbracht hat.
plädoyer: Soll ein Mindestunterhaltsbeitrag eingeführt und bevorschusst werden, wenn der Pflichtige nicht zahlen kann?
Pfaffinger: Ja. Armut ist verheerend für das Wohl eines Kindes, und genau da greift die Revision nicht. Der Staat ist verpflichtet, einen Mindestunterhalt für Kinder zu sichern. Die heutige Praxis steht nicht im Einklang mit dem Wohl und den Rechten des Kindes und diskriminiert Frauen. Das hat das Bundesgericht zugegeben und erklärt, dass sich der Gesetzgeber um eine Systemänderung kümmern müsse (BGE 135 III 66). Das Bundesgericht hat also nichts anderes gemacht, als die heisse Kartoffel weiterzureichen. Dasselbe tut nun der Bundesrat. Er sagt, er habe bei der Sozialhilfe keine Gesetzgebungskompetenz, da sie bei den Kantonen liege. Er zieht sich einfach aus der Affäre.
Schwander: Ich erstritt vor Bundesgericht, dass es unzulässig ist, einen Unterhalt festzulegen, den der Vater gar nicht zahlen kann. Es ging in jenem Fall nur darum, die Bevorschussung der Alimente einfordern zu können. Unter dem Strich wäre dies eine Aufbesserung der Kinderzulagen. Wäre man ehrlich, müsste man in solchen Fällen die Beiträge des Staates an Kinder erhöhen - doch das ist eine politische Frage.
plädoyer: Liegt das Problem bei der vorgeschlagenen Revision also darin, dass sie die Harmonisierung von Unterhaltsrecht, Alimentenbevorschussung und Sozialhilfe auf die lange Bank schiebt?
Pfaffinger: Das kann man so sagen. Das Problem der Revision ist, dass sie unter der Fahne des Kindeswohles grundrechtlich anerkannte Rechte nicht umsetzt, sich gesellschaftlichen Entwicklungen verschliesst und keine Systemgrenzen sprengt. Gerade in den finanziell prekärsten Fällen werden keine Wege zur Verbesserung gefunden. Die Vorlage verpasst es, dringliche Revisionspunkte anzugehen - so das Problem der Mankoteilung und des Kindesunterhaltes.
Schwander: Die vorgeschlagene Revision bringt eine reine Umverteilung der finanziellen Lasten innerhalb der Familie zum Nachteil der Männer. Der Staat entzieht sich jeder eigenen Verantwortung, indem er nur Armut umverteilt und vor allem eine Lösung im Sinne echter Gleichberechtigung versäumt. Damit entlarvt sich der unbrauchbare Vorschlag als Mogelpackung und muss an den Absender zurück.
Isabelle Schwander, 44, Rechtsanwältin, ist im Bereich Eheschutz- und Scheidungsrecht tätig. Sie arbeitete sieben Jahre als Gerichtsschreiberin am Kantonsgericht Schwyz, bevor sie vor acht Jahren ihre Tätigkeit als Anwältin in Zürich und Brunnen aufnahm. Sie ist Vorstandsmitglied der FDP des Bezirks Schwyz, verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von sieben und neun Jahren.
Monika Pfaffinger, 38, ist Assistenzprofessorin für Privatrecht an der Universität Luzern mit Schwerpunkt ZGB. Das Familienrecht gehört zu ihren Forschungsschwerpunkten. 2010 wurde sie Mitglied der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen, seit 2012 ist sie Vizepräsidentin der Kommission. Sie lebt mit ihrem Partner und ihrer 15 Monate alten Tochter in Zürich.
Vorschläge zur Änderung des Kinder-Unterhaltsrechts
Die Vorlage sieht eine Änderung der ZGB-Bestimmungen über den Unterhalt für unmündige Kinder vor. Sie ist der zweite Teil des Revisionsprojekts, mit dem die elterliche Verantwortung neu geregelt wird. Im ersten Teil wurde die gemeinsame elterliche Sorge festgelegt.
Nun soll sichergestellt werden, dass Kindern hinsichtlich des Unterhalts keine Nachteile aufgrund des Zivilstands der Eltern erwachsen. Vorgesehen ist, die Kinderbetreuung neu in den Unterhaltsanspruch des Kindes einzurechnen, diesem Anspruch Vorrang vor allen anderen familiären Unterhaltspflichten zu geben und das Inkasso über alle Kantone hinweg zu harmonisieren. Werden Kind und Mutter wegen fehlender Mittel des Unterhaltspflichtigen sozialhilfeabhängig, wird neu für das Kind ein separates Dossier eröffnet. Diese Beiträge müssen nicht zurückgezahlt werden.
Für Kritik sorgt, dass weder Mankoteilung noch Mindestunterhalt für das Kind eingeführt werden. Bei fehlenden finanziellen Mitteln wird weiterhin nicht ins Existenzminimum des Pflichtigen eingegriffen. Als Folge werden zu tiefe oder gar keine Unterhaltsbeiträge für das Kind gesprochen. Und weil meist die Frau die Betreuungsarbeit leistet und sie damit in die Armut gedrängt wird, kritisiert das Bundesgericht die fehlende Mankoteilung als indirekte Diskriminierung, was sich mit Blick auf die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) bestätigt. Die Revision verfehlt so ihr Ziel, die Ansprüche des Kindes zu stärken. sz