Mit Schutzschriften legen Parteien im Voraus, also im Hinblick auf ein erwartetes Gesuch, dem Gericht ihren Standpunkt dar. Es handelt sich um eine Art «Verteidigung ins Blaue». Ein solches Vorgehen macht Sinn, wenn im befürchteten Verfahren eine vorgängige Anhörung der Gegenpartei gesetzlich nicht vorgesehen ist. Das Institut der Schutzschrift ist von der Anwaltschaft entwickelt worden. Mit der auf den 1. Januar 2011 in Kraft getretenen schweizerischen Zivilprozessordnung erfährt die Schutzschrift nun eine ausdrückliche gesetzliche Regelung.
1. Gewährung des rechtlichen Gehörs als Regelfall. Die Gewährung rechtlichen Gehörs (Artikel 29 BV; Artikel 6 EMRK, Artikel 53 ZPO) stellt eine zentrale Verfahrensgarantie dar und ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht wegzudenken. Im ordentlichen wie auch im vereinfachten Verfahren ist die Gegenpartei stets anzuhören, bevor das Gericht ein Urteil fällt. Auch im Summarverfahren stellt die Gewährung des rechtlichen Gehörs die Regel dar. Es gibt hier aber Ausnahmen, in denen von einer Anhörung abgesehen werden kann. Solche einseitige Verfahren finden zum Beispiel in folgenden Fällen statt:
1.1 Superprovisorische Verfügungen (Artikel 265 ZPO). Liegt eine besondere Dringlichkeit vor, so kann das Gericht sofort und ohne Anhörung der Gegenpartei eine Anordnung treffen. Eine besondere Dringlichkeit ist dann gegeben, wenn selbst das Einholen einer Vernehmlassung noch zuviel Zeit in Anspruch nehmen würde, wenn also gewissermassen jede Sekunde zählt.
1.2 Arrest (Artikel 271 ff. SchKG). Der Arrest wird von Gesetzes wegen ohne vorgängige Anhörung des Schuldners angeordnet. Dies soll sicherstellen, dass dem Schuldner keine Möglichkeit gewährt wird, im letzten Moment über die zu verarrestierenden Vermögenswerte zu verfügen, der Schuldner soll vielmehr durch den Arrest überrascht werden.
2. Zulässigkeit und Inhalt der Schutzschrift. Die soeben genannten Fälle der superprovisorischen Verfügung und des Arrests stellen den Hauptanwendungsbereich der Schutzschrift dar. Artikel 265 ZPO sieht nun ausdrücklich deren Zulässigkeit vor. Bis Ende des letzten Jahres hing es von der Praxis des jeweiligen kantonalen Gerichts ab, ob Schutzschriften zugelassen werden oder nicht. Es kam auch vor, dass in einem Kanton unterschiedliche Praxen auszumachen waren. Diese Rechtsunsicherheit ist nun überwunden. Der Bundesgesetzgeber hat sich dafür entschieden, Schutzschriften künftig allgemein zuzulassen.
Die Schutzschrift stellt eine vorgezogene Stellungnahme zum befürchteten Gesuch ab. Aus dieser Funktion kann der Inhalt einer Schutzschrift abgeleitet werden: In der Schutzschrift kann alles vorgebracht werden, das auch Inhalt einer (ordentlichen) Stellungnahme zum entsprechenden Gesuch sein kann.
In einer Schutzschrift gegen superprovisorische Verfügungen kann zum Beispiel ausgeführt werden, weshalb kein Anlass für einen Verzicht auf die Anhörung bestehe, oder weshalb eine vorsorgliche Massnahme materiell nicht begründet sei. Denkbar ist auch, dass sich der Schutzschrifteinreicher darauf beschränkt mitzuteilen, dass er kurzfristig für eine Stellungnahme oder eine mündliche Verhandlung zur Verfügung stehe. Damit bringt er zum Ausdruck, dass er mit kurz angesetzten Fristen oder mit einem kurzfristig anberaumten Verhandlungstermin einverstanden wäre. Dies kann Anlass für das Gericht sein, auf eine superprovisorische Verfügung zu verzichten und etwa eine nicht verlängerbare Vernehmlassungsfrist von wenigen Tagen anzusetzen.
Wird die Schutzschrift gegen ein befürchtetes Arrestgesuch eingereicht, so kann ausgeführt werden, weshalb die Arrestvoraussetzungen nicht gegeben seien (Fehlen einer Arrestforderung, eines Arrestgrundes oder eines Arrestobjektes; Artikel 272 SchKG).
3. Zuständigkeit und Verfahren. Die Schutzschrift ist bei demjenigen Gericht einzureichen, das für die Beurteilung des befürchteten Gesuchs zuständig ist. Der Schutzschrifteinreicher hat zu bedenken, dass womöglich mehrere Gerichte für die Behandlung des Gesuchs zuständig sein könnten (zum Beispiel bei den Wahlgerichtsständen des Artikels 36 ZPO). Will er sicher sein, dass die Schutzschrift beim «richtigen» Gericht eingereicht ist, so muss er daher unter Umständen mehrere Schutzschriften einreichen. Dies kann zu beträchtlichemn Aufwand führen, etwa wenn verschiedene Amtssprachen vor den mehreren Gerichten gelten und so noch Übersetzungsarbeiten zu leisten sind.
Früher höchst umstritten war die Frage, ob die Schutzschrift dem präsumtiven Gesuchsteller zuzustellen sei. Während dies insbesondere in der Zürcher Praxis bejaht wurde, haben zum Beispiel Berner Gerichte von der Zustellung oftmals abgesehen. Artikel 270 Absatz 2 ZPO legt nun ausdrücklich fest, dass die Schutzschrift der Gegenpartei nur zugestellt wird, wenn das Gesuch, auf das sich die Schutzschrift bezieht, beim Gericht auch tatsächlich eingereicht wird.
Die Einreichung der Schutzschrift bedeutet also vorerst nicht mehr, als dass das Gericht diese entgegen zu nehmen und für den Fall einer Gesuchseinreichung bereitzuhalten hat. Für dieses Bereithalten darf das Gericht auch eine Gebühr verlangen, wobei die Gerichtsgebühren auch nach Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung kantonaler Regelung vorbehalten bleiben (Artikel 96 ZPO). Vielfach wird eine Gebühr von einigen hundert Franken verlangt.
Der Umstand, dass die Schutzschrift nicht zugestellt wird, hat grosse Bedeutung. Der Gesuchsteller muss auf diese Weise sein Gesuch ohne Kenntnis der Argumentation des Schutzschrifteinreichers verfassen (wie auch der Schutzschrifteinreicher die Schutzschrift ohne exakte Kenntnis des befürchteten Gesuches redigiert). Eine Zustellung würde dem Gesuchsgegner einen nicht zu rechtfertigenden Vorteil einräumen. Der Gesuchseinreicher wird auf diese Weise durch die Existenz einer Schutzschrift überrascht.
4. Nach Einreichung des Gesuches. Wird das befürchtete Gesuch tatsächlich eingereicht, so steht fest, dass der Schutzschrifteinreicher die Gefahr richtig erkannt hat. Das Gericht ist nun verpflichtet, die Schutzschrift beizuziehen und sie ihm Rahmen der Beurteilung des Gesuches zu würdigen.
Dies bedingt einige organisatorische Vorkehren. Das Gericht muss bei Gesuchseingang prüfen, ob eine Schutzschrift vorliegt. Bei grösseren Gerichten (etwa den Handelsgerichten) wird es angezeigt sein, eigentliche Schutzschriftenregister zu führen. Der mit der Sache befasste Richter muss rasch erkennen können, ob eine einschlägige Schutzschrift vorliegt oder nicht.
Das Gericht muss alsdann entscheiden, ob die Vorbringen im Gesuch durch diejenigen in der Schutzschrift entkräftet werden. Im Gesuch um Erlass superprovisorischer Verfügungen oder um Bewilligung des Arrests hat der Gesuchsteller die Voraussetzungen glaubhaft zu machen. Das Gericht ist nun gehalten zu prüfen, ob die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen durch den Gesuchsteller auch nach Würdigung der Schutzschrift immer noch gelingt. Falls dies nicht (mehr) zutreffen sollte, ist das Gesuch abzuweisen.
Der Schutzschrifteinreicher ist also gut beraten, der Schutzschrift auch Beweismittel beizulegen. Mit diesen Beweismitteln kann er womöglich die Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruches oder Verfügungsgrundes durch den Gesuchsteller erschüttern und so den Erlass einer superprovisorischen Verfügung verhindern.
Die Schutzschrift macht die Stellungnahme des Gesuchsgegners in der Folge nicht entbehrlich. Da der Schutzschrifteinreicher den genauen Inhalt des Gesuches im Zeitpunkt der Schutzschrifteinreichung nicht kennt und nur Mutmassungen anstellen kann, hat er Anspruch darauf, sich zum Gesuch noch zu äussern. In superprovisorischen Verfügungsverfahren hat das Gericht also, wenn es den Antrag auf superprovisorische Verfügung gutheisst, dem Gesuchsgegner gleichwohl Frist zu Einreichung einer Stellungnahme anzusetzen oder ihn zu einer mündlichen Verhandlung vorzuladen.
Anders verhält es sich im Arrestbewilligungsverfahren. Dieses ist nach der gesetzlichen Konzeption vollumfänglich einseitig. Eine Anhörung des Schuldners ist auch im Nachhinein nicht geplant (Artikel 272 SchKG). Der Schuldner muss sich die Anhörung eigens durch eine Einsprache erkämpfen (Artikel 278 SchKG). Die Arresteinsprache ist selbstredend auch zulässig, wenn vorgängig eine Schutzschrift eingereicht wurde.
5. Aufbewahrungsfrist. Im Zeitpunkt der Schutzschrifteinreichung steht nicht fest, ob das befürchtete Gesuch auch tatsächlich beim Gericht eingeht. Es kann sein, dass die Schutzschrifteinreichung unnötig ist, weil das Gesuch ausbleibt. Das Gericht kann indes nicht verpflichtet sein, die Schutzschrift auf unbestimmte Zeit bereitzuhalten. Artikel 270 Absatz 3 ZPO legt fest, dass die Schutzschrift nach Ablauf der Frist von sechs Monaten zu retournieren ist.
Es ist davon auszugehen, dass im Allgemeinen nach Ablauf dieser Frist mit einer Gesuchseinreichung nicht mehr zu rechnen ist. Dies gilt insbesondere für Gesuche um Erlass superprovisorischer Verfügungen. Solche können nicht verlangt werden, wenn der Gesuchsteller mit der Gesuchseinreichung unnötig zuwartet. Nach sechs Monaten scheint die Gefahr einer Gesuchseinreichung gebannt zu sein.
Ist der Schutzschrifteinreicher hingegen der Ansicht, die Gefahr eines Gesuches sei nach der Retournierung der Schutzschrift noch immer vorhanden, kann er die Schutzschrift wieder neu beim Gericht deponieren. Er muss dann erneut die Aufbewahrungsgebühr bezahlen und das Gericht ist verpflichtet, die Schutzschrift abermals bereitzuhalten.
6. Fazit. Superprovisorische Verfügungen und Arrestbewilligungen können einschneidende Wirkungen für den Gesuchsgegner entfalten. Dass dieser nicht vorgängig angehört wird, stellt eine empfindliche Einschränkung in dessen Verfahrensrechten dar. Die Schutzschrift ist das Instrument, diese Einschränkung zumindest abzumildern.
Liegt eine Schutzschrift im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung vor, ist diese zu berücksichtigen. Es ist unter verfassungsrechtlichen Aspekten besser, eine Schutzschrift zuzulassen, als den Gesuchsgegner gar nicht anzuhören.