Die Revision des Kindes- und Erwachsenenschutzrechtes verfolgt neben der Schaffung von professionalisierten interdisziplinären Fachbehörden folgende Ziele:
- Förderung des Selbstbestimmungsrechts
- Massgeschneiderte Massnahmen
- Stärkung der Solidarität in der Familie (gesetzliche Vertretungsrechte)
- Verbesserter Schutz von Personen in Einrichtungen
- Zeitgerechte Terminologie
- Verbesserter Rechtsschutz.
Im ZGB wird die 3. Abteilung des Familienrechts komplett durch die neuen Bestimmungen des Erwachsenenschutzes ersetzt. Im 10. Titel sind die eigene Vorsorge und die Massnahmen von Gesetzes wegen geregelt, im 11. Titel die behördlichen Massnahmen und im 12. Titel die Organisation. Nachfolgend wird auf die ersten zwei genannten Titel eingegangen.
1. Die Änderungen im Erwachsenenschutz
1.1 Eigene Vorsorge und gesetzliche Massnahmen
Der 10. Titel widmet sich ausschliesslich der Selbstbestimmung, der Stärkung der Solidarität in der Familie sowie dem Schutz von urteilsunfähigen Personen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen.
1.1.1 Die eigene Vorsorge
1.1.1.1 Der Vorsorgeauftrag (nArt. 360-369 ZGB)
Eigene Vorsorge bedeutet, für den Fall des Verlustes der Urteilsfähigkeit eine natürliche oder juristische Person zu bestimmen, die sich um die Bereiche Personensorge oder Vermögenssorge kümmert oder die Vertretung im Rechtsverkehr wahrnimmt. Die Bereiche können einzeln oder gesamthaft ausgewählt und mit Auflagen und Weisungen versehen werden. Es können auch mehrere Beauftragte eingesetzt werden. Vorausgesetzt wird, dass der Auftraggeber handlungsfähig ist, was Minderjährige in diesem Bereich von der Selbstbestimmung ausschliesst.
Als Formerfordernis werden die eigenhändige Errichtung oder die öffentliche Beurkundung vorgeschrieben. Bei der eigenhändigen Errichtung ist der Auftrag von Anfang bis Ende von der auftraggebenden Person von Hand aufzusetzen, zu datieren und zu unterzeichnen. Die Tatsache, dass ein Vorsorgeauftrag errichtet wurde, kann ins Zivilstandsregister eingetragen, bei einer vom kantonalen Recht bezeichneten Stelle hinterlegt oder sonstwie, so auch beim Anwalt, aufbewahrt werden.
Vorsicht ist geboten mit den vielen bereits vorhandenen Vorlagen: Eine solche Vorlage kann nur für eine öffentliche Beurkundung verwendet werden; ansonsten dient sie zum Abschreiben.
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) hat, sobald sie von der Urteilsunfähigkeit einer Person erfährt, abzuklären, ob die Urteilsunfähigkeit tatsächlich vorliegt und ob ein Vorsorgeauftrag erstellt wurde. Dieser ist auf seine Gültigkeit hin zu prüfen und allenfalls auszulegen und zu ergänzen. Die KESB klärt die Eignung der beauftragten Person ab, informiert sie über ihre Pflichten gemäss Auftragsrecht und stellt ihr eine Urkunde aus, die ihre Befugnisse wiedergibt. Für die beauftragte Person besteht aber keine Pflicht, den Auftrag anzunehmen.
Als Ausdruck der Selbstbestimmung wird der Vorsorgeauftrag grundsätzlich ohne behördliche Aufsicht und Kontrolle wahrgenommen. Nur wenn die KESB erfährt, dass die auftraggebende Person gefährdet ist oder ihre Interessen nicht mehr gewahrt werden, schreitet sie ein.
Die eigene Vorsorge wird bereits unter geltendem Recht ausgeübt, indem von den obligationenrechtlichen Instituten des Auftrags- und Stellvertretungsrechts Gebrauch gemacht wird. Daran dürfte sich auch in Zukunft nichts ändern. Mit nArt. 397a OR wird aber für Beauftragte eine Meldepflicht eingeführt, wenn der Auftraggeber voraussichtlich dauernd urteilsunfähig wird und wenn eine solche Meldung zur Interessenwahrung angezeigt erscheint.
Die Lehre geht davon aus, dass dem Beauftragten kein Ermessensspielraum eröffnet wird, wenn der Auftraggeber dauernd urteilsunfähig wird und die Geschäfte oder das Wirken des Beauftragten nicht mehr im Geringsten überwachen kann. Der Beauftragte muss diesfalls die Erwachsenenschutzbehörde am Wohnsitz des Auftraggebers benachrichtigen.
1.1.1.2 Patientenverfügung (nArt. 370-373 ZGB)
Das Rechtsinstitut der Patientenverfügung wird erstmals auf Bundesebene geregelt. Eine urteilsfähige Person, und somit auch eine minderjährige, kann im Hinblick auf den Eintritt ihrer Urteilsunfähigkeit festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie zustimmt oder nicht zustimmt. Sie kann eine oder mehrere natürliche, nicht aber juristische, Personen bestimmen, die in ihrem Namen entscheiden sollen und ihnen Weisungen erteilen. Die Patientenverfügung ist schriftlich zu errichten, zu datieren und zu unterzeichnen. Sie kann auf der Versichertenkarte registriert, bei einer vom Kanton bezeichneten Stelle oder anderweitig, so auch beim Anwalt, hinterlegt werden.
Vorlagen für Patientenverfügungen existieren bereits in Hülle und Fülle und können, mit dem Datum und der Unterschrift versehen, verwendet werden. Ein Überblick über die Patientenverfügungen in der deutschsprachigen Schweiz, Stand Juni 2011, ist auf www.curaviva.ch → Fachinformationen → Themendossier → Erwachsenenschutzrecht abrufbar.
Dem Arzt kommt die Aufgabe zu, abzuklären, ob der Patient urteilsunfähig ist, und wenn ja, ob eine Patientenverfügung vorliegt. Ist das nicht bekannt, beschränkt sich die Abklärungspflicht auf die Konsultation der Versichertenkarte.
Die KESB hat eine reaktive Rolle inne: Sie schreitet ein, wenn sie Kenntnis davon erhält, dass der Patientenverfügung nicht entsprochen wird, die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt werden oder die Patientenverfügung nicht auf freiem Willen beruht.
1.1.2 Gesetzliche Massnahmen
1.1.2.1 Vertretung Ehegatte, Partner (nArt. 374-376 ZGB)
Ehegatten oder eingetragenen Partnern kommt von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht für die urteilsunfähig gewordene Person zu, mit der sie in einem gemeinsamen Haushalt leben oder der sie regelmässig und persönlich Beistand leisten. Konkubinatspaare sind bei dieser gesetzlichen Vertretung nicht erwähnt. Sie können die Vertretung per Vollmacht erwirken.
Das Vertretungsrecht erstreckt sich auf alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhalts üblicherweise erforderlich sind, auf die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte und umfasst nötigenfalls eine Postöffnungsbefugnis.
Die ordentliche Vermögensverwaltung lässt sich von der ausserordentlichen nach den ehegüterrechtlichen Regeln der Art. 227 f. ZGB abgrenzen. Für ausserordentliche Vermögensverwaltungshandlungen ist die Zustimmung der KESB erforderlich.
Die KESB hat einzuschreiten, wenn die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt sind. Nötigenfalls hat sie dem Ehegatten oder dem eingetragenen Partner eine Urkunde auszuhändigen, welche die Befugnisse wiedergibt.
Die Vertretung von Gesetzes wegen kann parallel zu einem Vorsorgeauftrag oder einer Vertretungsbeistandschaft für Bereiche wahrgenommen werden, die durch den Vorsorgeauftrag oder die Vertretungsbeistandschaft nicht abgedeckt sind. Besteht beispielsweise eine Vertretungsbeistandschaft für die Vermögenssorge, kann die Vertretung von Gesetzes wegen weiterhin in den anderen Bereichen ausgeübt werden.
1.1.2.2 Ärztliche Behandlung (nArt. 377-381 ZGB)
Hat sich eine urteilsunfähige Person zur Behandlung nicht in einer Patientenverfügung geäussert, so plant der behandelnde Arzt unter Beizug der zur Vertretung bei medizinischen Massnahmen berechtigten Person die erforderliche Behandlung. Vertretungsberechtigt sind der hierarchischen Reihenfolge nach:
- die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person
- der Beistand mit einem Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen
- Ehepartner und eingetragene Partner
- Personen im gemeinsamen Haushalt
- Nachkommen
- Eltern oder Geschwister.
Die Vertretungspersonen sind über die vorgesehenen medizinischen Massnahmen zu orientieren. Sie haben ihre Entscheidungen, sofern Weisungen in einer Patientenverfügung fehlen, nach dem mutmasslichem Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person zu treffen. Wollen sie das Vertretungsrecht nicht ausüben oder fehlen vertretungsberechtigte Personen, errichtet die KESB eine Vertretungsbeistandschaft.
Für die Behandlung einer psychischen Störung einer urteilsunfähigen Person in einer psychiatrischen Klinik gelten die Bestimmungen über die fürsorgerische Unterbringung.
1.1.2.3 Wohn- und Pflegeheime (nArt. 382-387 ZGB)
Das neue Erwachsenenschutzrecht sieht für urteilsunfähige Personen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen einen verbesserten Schutz vor. Wird eine urteilsunfähige Person für längere Dauer in einer Wohn- oder Pflegeeinrichtung betreut, so muss schriftlich in einem Betreuungsvertrag festgelegt werden, welche Leistungen die Einrichtung erbringt und welches Entgelt dafür geschuldet ist. Die Vertretung richtet sich nach den Bestimmungen über die Vertretung bei medizinischen Massnahmen.
Die Kantone müssen Wohn- und Pflegeeinrichtungen, in denen urteilsunfähige Personen betreut werden, einer Aufsicht unterstellen. Das dürfte praktisch auf alle Einrichtungen zutreffen, die Wohnen und/oder Pflege anbieten. Wie die Aufsicht über Wohn- und Pflegeeinrichtungen geregelt wird, ist von den Kantonen zu bestimmen. Für die Aufsicht von Kinderheimen gelten Art. 316 ZGB, die eidgenössische Pflegekinderverordnung und die jeweiligen kantonalen Vollzugsbestimmungen.
Neu haben die Wohn- und Pflegeeinrichtungen Protokollierungs- und Informationspflichten, wenn sie urteilsunfähigen Personen die Bewegungsfreiheit einschränken. Solche Einschränkungen sind nur zulässig, wenn es gilt, eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität der betroffenen Person oder Dritter abzuwenden oder wenn eine schwerwiegende Störung des Gemeinschaftslebens zu beseitigen ist. Vertretungsberechtigte Personen sind über die Massnahmen der Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu informieren und können jederzeit das Protokoll einsehen.
Die KESB hat einzuschreiten, wenn sie feststellt, dass die Massnahme nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, und benachrichtigt nötigenfalls die Aufsichtsbehörde der Einrichtung. Wenn urteilsunfähige Heimbewohner keine Bezugspersonen haben, muss die Einrichtung die KESB benachrichtigen, damit notwendige Massnahmen geprüft werden können.
Jede Betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann sich bei der KESB am Sitz der Einrichtung gegen eine bewegungseinschränkende Massnahme schriftlich beschweren.
1.2 Die behördlichen Massnahmen
Ein Kernstück der Revision bilden die behördlichen Massnahmen des 11. Titels: Die Beistandschaften und die fürsorgerische Unterbringung. Sie verfolgen den Zweck, das Wohl und den Schutz hilfsbedürftiger Personen sicherzustellen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu fördern und wahren.
1.2.1 Die Beistandschaften (nArt. 390-425 ZGB)
Das heute starre System der amtsgebundenen Massnahmen wird durch die Beistandschaften abgelöst: Ab dem 1. Januar 2013 gibt es keine Vormundschaften mehr über Erwachsene. Die neue Beistandschaft wird massgeschneidert, entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Person, angeordnet. Die im Gesetz vorgesehenen drei Arten der Beistandschaft, die Begleit-, Vertretungs- und Mitwirkungsbeistandschaften können je einzeln für sich oder in Kombination angeordnet werden.
Die Aufgabenbereiche der Personensorge, Vermögenssorge und der Vertretung im Rechtsverkehr sind im Beschluss klar und eindeutig aufzulisten. Dabei wird aber nicht die Aufzählung jeder einzelnen Aufgabe verlangt, eine Umschreibung genügt. Bei der Vertretungsbeistandschaft sind die Vertretungsbefugnisse individuell anzuordnen und die Handlungsfähigkeit kann punktuell eingeschränkt werden, muss aber nicht.
Das neue Recht bietet im Rahmen der Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung die Möglichkeit, eine Kontosperre zu verfügen oder die Verfügung über ein Grundstück zu untersagen, ohne dass die Handlungsfähigkeit eingeschränkt wird.
Die vierte Art der Beistandschaft, die umfassende Beistandschaft, führt zu einem Entzug der Handlungsfähigkeit und entspricht in etwa der heutigen Vormundschaft.
Weiterhin können betroffene Personen eine Vertrauensperson als Beistand vorschlagen. Auf diese Vorschläge ist einzutreten, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme bereit und geeignet ist. Ebenso können Angehörige oder nahestehende Personen Wünsche anbringen, ihnen kommt aber keine Vorrangstellung zu.
Abgeschafft wird die erstreckte elterliche Sorge nach Art. 385 Abs. 3 ZGB. Zukünftig können aber Ehegatten, der eingetragene Partner, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin, die eine Beistandschaft führen, von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und Rechnungsablage und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbunden werden.
1.2.2 Fürsorgerische Unterbringung (nArt. 426-439 ZGB)
Die bisherige fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE) wird in fürsorgerische Unterbringung (FU) umbenannt und lehnt sich eng an das bisherige Recht an. Neu werden die medizinischen Massnahmen bei einer psychischen Störung und die Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf Bundesebene geregelt und das Gesetz räumt den Kantonen die Kompetenz ein, die Nachbetreuung zu regeln und ambulante Massnahmen vorzusehen.
1.2.2.1 Einweisung, Zurückbehaltung und Entlassung
Eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann. Unter einer Einrichtung sind auch offene Institutionen oder Wohngemeinschaften zu verstehen, es kommt lediglich darauf an, dass die Person gegen ihren Willen beziehungsweise von der Behörde angewiesen wird, sich dort aufzuhalten.
Die Einweisungszuständigkeit liegt bei der KESB. Die Kantone können auch Ärzte für die befristete Anordnung von höchstens sechs Wochen als zuständig bezeichnen. Das wurde unterschiedlich umgesetzt, so dürfen die Berner Ärzte nur einweisen, wenn Gefahr in Verzug ist, die Solothurner nur für 72 Stunden und Basel-Landschaft behält die Einweisungskompetenz bei der Behörde.
Das Verfahren für die ärztliche Einweisung ist ausführlich geregelt und das Gesetz hält fest, welche Angaben der Unterbringungsentscheid enthalten muss. Der Arzt ist auch zuständig für die Erteilung der aufschiebenden Wirkung. Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Aufenthaltsprinzip.
Die Entlassungskompetenz liegt bei der behördlichen Einweisung bei der KESB, kann von ihr aber auf die Einrichtung übertragen werden. Bei der ärztlichen Einweisung liegt die Entlassungskompetenz bei der Einrichtung. Die Entlassungsvoraussetzung ist aber nicht mehr wie im bisherigen Recht erfüllt, sobald es der Zustand der betroffenen Person erlaubt, sondern dann, wenn die Voraussetzungen für die Unterbringung nicht mehr erfüllt sind. Damit soll der Drehtürpsychiatrie begegnet werden, indem Entlassungen ohne stabilisierende Massnahmen verhindert werden können.
Freiwillig eingetretene Personen können von der ärztlichen Leitung maximal drei Tage zurückbehalten werden, wenn sie sich selbst an Leib und Leben gefährden oder das Leben oder die körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährden. Liegt innerhalb dieser Frist kein vollstreckbarer Unterbringungsentscheid vor, kann die betroffene Person die Einrichtung verlassen.
1.2.2.2 Beizug einer Vertrauensperson
Jede in einer Einrichtung untergebrachte Person kann eine Vertrauensperson beiziehen, die sie während des Aufenthalts und bis zum Abschluss aller damit zusammenhängenden Verfahren unterstützt. Der Vertrauensperson kann ein Akteneinsichts- und Auskunftsrecht eingeräumt werden und auf Wunsch der untergebrachten Person ist sie auch für die Erstellung des Behandlungsplans und das ärztliche Aufklärungsgespräch beizuziehen. Es steht ihr ein Besuchsrecht zu. Sollte eine Vertrauensperson die Interessen der betroffenen Person gefährden, hat die KESB einzuschreiten. Die Einrichtung kann die Vertrauensperson nicht ablehnen.
1.2.2.3 Zustimmung zum ärztlichen Behandlungsplan
Urteilsfähige Personen werden im Rahmen eines Behandlungsplanes vom Arzt umfassend über die Behandlung der psychischen Störung aufgeklärt. Dieser Behandlungsplan wird schriftlich erstellt und ist der betroffenen Person zur Zustimmung zu unterbreiten.
Fehlt die Zustimmung der betroffenen Person, kann der Chefarzt nur unter folgenden kumulativ vorliegenden Voraussetzungen eine Behandlung anordnen:
- wenn ohne Behandlung der betroffenen Person ein ernsthafter gesundheitlicher Schaden droht oder das Leben oder die körperliche Integrität Dritter ernsthaft gefährdet ist;
- wenn die betroffene Person bezüglich ihrer Behandlungsbedürftigkeit urteilsunfähig ist; und
- wenn keine angemessene Massnahme zur Verfügung steht, die weniger einschneidend ist.
Die Anordnung wird der betroffenen Person und ihrer Vertrauensperson verbunden mit einer Rechtsmittelbelehrung schriftlich mitgeteilt.
Wird die von einer medizinischen Massnahme betroffene Person entlassen und besteht eine Rückfallgefahr, hat der Arzt ein Austrittsgespräch durchzuführen. Dieses Gespräch ist zu dokumentieren und es sollen Behandlungsgrundsätze für eine erneute Unterbringung in der Einrichtung vereinbart werden.
1.2.2.4 Nachbetreuung und ambulante Massnahmen
Die Kantone haben die Verpflichtung, die Nachbetreuung zu regeln, und zwar für alle von einer fürsorgerischen Unterbringung betroffenen Personen. Zudem können die Kantone ambulante Massnahmen vorsehen. Die Lehre ist sich jetzt schon uneins bei der Frage, ob ambulante medizinische Zwangsbehandlungen zulässig sind. In den parlamentarischen Beratungen sprach sich der Gesetzgeber gegen eine zwangsweise Verabreichung von Medikamenten aus.2
Die Kantone haben die Nachbetreuung und ambulanten Massnahmen in unterschiedlicher Weise geregelt. In den meisten Kantonen wird von einer Vollstreckung ambulanter Massnahmen abgesehen, in Schaffhausen ist eine Vollstreckung hingegen gesetzlich verankert.
1.2.2.5 Einschränkungen der Bewegungsfreiheit
Für Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung gelten die Bestimmungen für den Aufenthalt in Wohn- und Pflegeheimen sinngemäss, mit der Ausnahme, dass sie nicht von der Urteilsfähigkeit abhängen.
1.2.2.6 Rechtsschutz bei fürsorgerischer Unterbringung
In verfahrensrechtlicher Hinsicht bleibt der bisherige Rechtsschutz bestehen. Die betroffene Person kann also jederzeit ein Entlassungsgesuch stellen und gegen Einweisungen, Zurückbehaltungen und Abweisungen von Entlassungsgesuchen das Gericht anrufen. Das gilt ebenso bei Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung und bei Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Hingegen wird die bisherige schriftliche Informationspflicht der Anstalt gemäss Art. 397e Ziff. 2 ZGB gestrichen.
Neu kommt hinzu, dass die Unterbringung periodisch überprüft werden muss, und zwar erstmals innert sechs Monaten, dann nach weiteren sechs Monaten und anschliessend mindestens einmal jährlich. Die Überprüfung muss mit einem Entscheid abgeschlossen werden.
2. Änderungen im Kindesschutz
Die materiell-rechtlichen Normierungen im Kindesrecht und Kindesschutz haben in der Revision praktisch keine Änderungen erfahren. Terminologisch wurde der Begriff Unmündige durch Minderjährige ersetzt und die Bestimmungen der Vormundschaft für Minderjährige wurden im Kindesrecht (nArt. 327a -327c ZGB) eingefügt. Neu besteht die Pflicht, ein Kindesvermögensinventar einzureichen, nur noch bei Tod eines Elternteils (nArt. 318 ZGB).
Im Handlungsfähigkeitsrecht wird die bisherige Doktrin kodifiziert (nArt. 19-19d ZGB). Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu Rechtsgeschäften, die Rückabwicklung von Geschäften, wenn die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht erfolgt und die Ausübung von Persönlichkeitsrechten werden präzisiert.
Im Kindesschutzverfahren wird nun sinngemäss auf die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde verwiesen (nArt. 314 Abs. 1 ZGB). Zudem wird die Aufforderung zu einem Mediationsversuch, analog zur ZPO, gesetzlich verankert (nArt. 314 Abs. 2 ZGB).
Zur Verdeutlichung der verfassungsrechtlichen Position Minderjähriger in Kindesschutzverfahren präzisiert das neue Recht die Anhörung von Kindern. Eine Protokollierungspflicht wird gesetzlich verankert und urteilsfähigen Kindern kommt ein Beschwerderecht bei Verweigerung der Anhörung zu (nArt. 314a ZGB).
Die Bestimmung über die «Kinderanwältin oder den Kinderanwalt» fand erst im Zuge der parlamentarischen Debatten Eingang ins Gesetz.3 Eine unabhängige Kindesvertretung ist anzuordnen, namentlich bei Unterbringung und Regelung der elterlichen Sorge und des Besuchsrechts (nArt. 314abis ZGB).
Dem behördlichen Ermessensspielraum zur Einsetzung einer Kindesvertretung sind enge Grenzen gesetzt, wenn der Stellung von Kindern in sie betreffende Verfahren grundsätzlich Nachachtung verschafft werden soll.
Der fürsorgerischen Unterbringung von Minderjährigen widmet sich ein einziger Artikel im Kindesrecht (nArt. 314b ZGB). Sinngemäss kommen die Bestimmungen des Erwachsenenschutzrechts über die fürsorgerische Unterbringung, materielle wie verfahrensrechtliche, zur Anwendung. Das urteilsfähige Kind kann das Gericht selber anrufen, ohne dass zusätzlich ein bestimmtes Mindestalter erreicht sein muss.
Die sinngemässe Anwendung des Erwachsenenschutzrechts auf die fürsorgerische Unterbringung von Minderjährigen ist bisweilen noch ungeklärt, insbesondere hinsichtlich der periodischen Überprüfung der Unterbringung, der medizinischen Behandlung bei urteilsunfähigen Minderjährigen und den Massnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
Unabhängig von den Änderungen der Revision des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts stehen die Revision der elterlichen Sorge und die Revision des Unterhaltsrechts noch bevor. Bereits verabschiedet wurde das neue Namensrecht, es wird am 1. Januar zusammen mit der Revision des Kindes- und Erwachsenenschutzrechts in Kraft treten.
1 ZKE 2010, S. 414.
2 AB N 2008 1535.
3 AB S 2007 842; AB N 2008 1841 ff.
125 000 Dossiers bearbeiten
Nach rund 16 Jahre dauernden Revisionsarbeiten tritt das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht am 1. Januar 2013 in Kraft. Ende 2008 wurde die Revision vom Parlament verabschiedet. Den Kantonen blieben somit vier Jahre für die Umsetzung. Doch die Arbeiten laufen in den Kantonen immer noch auf Hochtouren. Die neuen interdisziplinären Fachbehörden müssen per Januar 2013 sämtliche bestehenden und neu hinzukommen-den kindes- und erwachsen-enschutzrechtlichen Dossiers führen können. Das ist viel Arbeit, auch für die jetzt noch tätigen Vormundschaftsbehörden. Rund 125 000 Dossiers1 müssen in der Schweiz für die Übertragung bearbeitet und vor Ende 2012 übergeben werden, zusätzlich zum laufenden Tagesgeschäft. Zudem sind den Vormundschaftsbehörden zwischenzeitlich Mitarbeiter abgesprungen, die sich in die neuen Fachbehörden oder angegliederte Dienste wählen liessen. Es ist damit zu rechnen, dass am 1. Januar des nächsten Jahres etliche Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden noch in der Aufbauarbeit stecken werden.
Die Umsetzung in den Kantonen und die Behördenorganisation
Das materielle Kindes- und Erwachsenenschutzrecht sowie einige verfahrensrechtliche Bestimmungen sind im ZGB geregelt. Die Organisation der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) und das Verfahren bleiben aber föderalistisch. Der Vorschlag der Expertenkommission, ein bundesrechtliches Verfahrensgesetz zu erlassen, scheiterte bereits in der Vernehmlassung. Für die anwaltliche Vertretung werden deshalb vorab das ZGB, die kantonalen Einführungsgesetze zum ZGB oder Kindes- und Erwachsenenschutzgesetze, die kantonalen Verwaltungsverfahrensgesetze und subsidiär die ZPO, die kantonalen Gesundheits- oder die Patientengesetze sowie das kantonale Staatshaftungsrecht massgebend sein.
Mit der Professionalisierung der Behörden wurde ein grosses Ziel der Revision erreicht. In nArt. 440 ZGB wird geregelt, dass die Erwachsenenschutzbehörde eine von den Kantonen zu bestimmende Fachbehörde sein muss. Sie hat ihre Entscheide mit mindestens drei Mitgliedern zu fällen, wobei die Kantone für bestimmte Geschäfte Ausnahmen vorsehen können. Die Erwachsenenschutzbehörde hat auch die Aufgaben der Kindesschutzbehörde zu erfüllen. Weitere Kriterien definiert das Gesetz nicht. Die Kantone brachten im Vernehmlassungsverfahren klar zum Ausdruck, dass sie ihre Organisationsfreiheit gewahrt haben wollen. Nun können sie selbst entscheiden, ob sie eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht als KESB einsetzen wollen, ebenso bleibt es ihnen überlassen, ob sie die KESB auf Gemeinde-, Bezirks-, Kreis- oder Regionsebene organisieren. So entschieden sich die einzelnen Kantone:
Verwaltungsbehörde:?AI, AR, BE, BL, BS, GL, GR, JU, LU, NW, OW, SG, SO, SZ, TI, TG, UR, VS, ZG, ZH
Gerichtliche Behörde: FR, GE, NE, VD, AG, SH
Zwar definiert das Gesetz auch den Begriff Fachbehörde nicht, der gesetzgeberischen Intention liegt aber zugrunde, dass es sich dabei um eine interdisziplinäre Behörde handeln muss. Die Konferenz der Kantone für Kindes- und Erwachsenenschutz (Kokes) hat deshalb Empfehlungen als Entscheidungshilfe ausgearbeitet und schlägt darin folgende drei Kernkompetenzen der interdisziplinären Fachbehörde vor: Soziale Arbeit, Recht, Pädagogik/Psychologie/Medizin. Diesen Empfehlungen sind die Kantone weitgehend gefolgt. So hat der Zürcher Souverän entschieden, dass die Mitglieder der KESB über einen Universitätsabschluss oder einen eidgenössisch anerkannten Ausbildungsabschluss auf Tertiärstufe in den Fachbereichen Recht, Soziale Arbeit, Pädagogik, Psychologie, Gesundheit oder Treuhandwesen sowie über mehrjährige berufliche Tätigkeit in einem dieser Fachbereiche verfügen müssen. Dahingegen werden für die Luzerner Behördenmitglieder eine Aus- oder Weiterbildung namentlich aus den Disziplinen Recht, Medizin, Psychologie, Pädagogik oder Sozialarbeit oder eine mehrjährige Berufserfahrung im Kindes- und Erwachsenenschutz vorausgesetzt.
Den neuen KESB sind neben ihren eigentlichen Spruchkörpern auf unterschiedliche Weise weitere Dienste angegliedert. Das Modell des Kantons Zürich sieht so aus wie in der Grafik (oben) dargestellt.
Im Kanton Aargau, der sich für ein Familiengerichtsmodell entschieden hat, sind für die Sachverhaltsabklärungen weiterhin die Gemeinden zuständig.
Unterschiedliche Modelle haben die Kantone auch bei der zukünftigen Organisation der mandatsführenden Dienste gewählt. Im Kanton Zug sollen private Mandatstragende und Fachstellen im gleichen Umfang wie bisher beibehalten werden, hingegen wird die amtliche berufliche Mandatsführung (Amtsvormundschaft oder auch gesetzlicher Betreuungsdienst genannt) neu vom Kanton in einem zentralen Mandatszentrum übernommen. Im Kanton Zürich hingegen hat die Neuorganisation keine unmittelbaren Auswirkungen auf die bisherige Organisation der mandatsführenden Stellen.
Wie die KESB und die mandatsführenden Dienste ab 2013 organisiert sind, muss für jeden Kanton separat abgeklärt werden. Einen guten Überblick liefert die Kokes-Website, die den gesamtschweizerischen Umsetzungsstand beobachtet und dokumentiert. Komfortabel können Informationen zur Umsetzung in den Kantonen, Fachartikel, bundesrechtliche Vorgaben und Informationen zu Behördenschulungen abgerufen werden unter: www.kokes.ch → Dokumentation → Revision Vormundschaftsrecht.