LL.M. – diese drei Buchstaben auf ihrer Visitenkarte haben Karin Beyeler viele Stunden harte Arbeit und eine Investition von 100000 Franken gekostet. Sie belegen, dass sich die junge Frau mit den Geheimnissen des internationalen Rechts auseinandergesetzt hat. Und zwar erfolgreich. Ihr Titel steht aber auch dafür, dass sie sich den Herausforderungen einer neuen Kultur gestellt hat und sich in einer fremden Sprache nicht nur im Pub, sondern auch im juristischen Streitgespräch durchsetzen kann.
Idealer Zeitpunkt: Nach ein paar Jahren Erfahrung
Karin Beyeler ist Rechtsanwältin bei Bär & Karrer AG, mit 120 Juristen eine der grossen Wirtschaftskanzleien in Zürich. Ihren LL.M. hat sie im letzten Herbst am King’s College in London abgeschlossen. Fast alle ihre Kollegen bei Bär & Karrer haben einen LL.M.-Titel.
Der Abschluss gehört bei den grossen Kanzleien zu den Standardqualifikationen der juristischen Mitarbeiter. «Die meisten jungen Mitarbeiter haben noch keinen LL.M., wenn wir sie einstellen. Sie machen ihn dann jeweils nach zwei bis vier Jahren», sagt etwa Claude Lambert, der für die Einstellung von neuen Mitarbeitern verantwortliche Partner bei Homburger. «Der LL.M. ist für die jungen Kollegen auch eine Chance, sich in einem bestimmten Fachgebiet wie zum Beispiel Steuerrecht oder Immaterialgüterrecht zu spezialisieren», sagt Andrea Mondini, personalverantwortlicher Partner bei Schellenberg Wittmer.
Finanzieren müssen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen das Programm im Normalfall selbst. Immerhin bieten die Kanzleien nach erfolgreichem Abschluss meist die Option eines Wiedereinstiegs. «Für mich war es auch eine Gelegenheit für eine Standortbestimmung. Ich wollte mir bewusst offen lassen, ob ich wieder zurückkomme. Nach ein paar Monaten habe ich dann entschieden, dass ich in der Kanzlei weitermachen möchte», sagt Beyeler.
Für die junge Anwältin war von Anfang an klar, dass sie einen LL.M. im angelsächsischen Raum machen wollte. Wegen der Sprache natürlich, aber auch wegen des unterschiedlichen Rechtsdenkens in den Common-Law-Ländern. Das sind auch die Hauptgründe, weshalb die grossen Wirtschaftskanzleien ihren Mitarbeitern unbedingt empfehlen, einen LL.M. in einem englischsprachigen Land zu wählen. Das können die USA oder England sein, aber auch exotischere Destinationen wie Australien, Singapur oder Südafrika waren eine Zeit lang sehr beliebt. Im Vordergrund stehen jedoch auch heute noch bei vielen die amerikanischen Universitäten. «Ich persönlich empfehle immer noch die USA, weil wir dort die meisten Kundenkontakte haben», sagt Claude Lambert.
Wer die USA wählt, kann nichts falsch machen
Auch Alex Wittmann, der für die Rekrutierung zuständige Partner bei Lenz & Staehelin, empfiehlt darum die USA. Für ihn sprechen noch weitere Gründe für die Staaten: «Man ist geografisch und kulturell einfach noch ein Stück weiter weg als zum Beispiel in Grossbritannien.»
Klingende Namen wie Yale, Harvard, Stanford oder Columbia setzen die Absolventen besonders gerne in Klammern hinter ihren LL.M.-Titel. Die Qualität der Universität soll als Gütezeichen gelten. Welche Bedeutung das Ranking einer Universität aber für die Karriere auf dem Schweizer Arbeitsmarkt hat, ist umstritten. Denn tatsächlich spielt es für viele Kanzleien keine grosse Rolle, an welcher Universität das Programm gemacht wurde. «Wenn man die USA wählt, kann man eigentlich nichts falsch machen», sagt Lambert stellvertretend für weitere Vertreter grosser Anwaltskanzleien.
Langsames, schwieriges Anmeldeverfahren
Auch Karin Beyeler wollte ursprünglich in die USA. Weil aber die Anmeldefristen für das kommende Studienjahr bereits abgelaufen waren, hat sie sich schliesslich für ein renommiertes College in England entschieden.
Wichtiger als der Name der Universität ist der Zeitpunkt der Weiterbildung. Einige machen das Nachdiplomstudium gleich nach Studienabschluss, andere erst nach dem Anwaltsexamen. «Ich empfehle, den LL.M. nicht gleich nach Studienabschluss zu machen. Man profitiert vom Gelernten eindeutig mehr, wenn man schon erste Arbeitserfahrungen gesammelt hat», sagt Lambert.
Karin Beyeler hat den Studiengang nach dem Doktortitel, dem Anwaltsexamen und zwei Jahren Berufserfahrung gemacht. Das scheint ein guter Zeitpunkt zu sein, denn Mondini meint, dass man auch nicht zu lange warten sollte: «Einerseits macht sich das fehlende Rechtsenglisch bei der Arbeit bemerkbar, andererseits ist man später vielleicht schon familiär gebunden – und schliesslich ist es auch nicht so lustig, wenn man deutlich älter ist als seine Mitstudenten.»
Wer sich für ein LL.M.-Studium entschieden hat, der hat noch einen weiten Weg vor sich, bis er in der ersten Vorlesung sitzt. Das Anmeldeprozedere ist besonders bei den amerikanischen Universitäten langwierig und mühsam. Es braucht Planung, Organisationsstärke und Durchhaltewillen, um die notwendigen Dokumente alle rechtzeitig zu organisieren. Oft müssen sie mehrere Monate vor Studienbeginn eingereicht werden.
Die Studierenden tragen die Kosten alleine
Die LL.M.-Programme sind auch nicht billig. In Amerika müssen die Absolventen mit rund 45000 Franken Studiengebühren rechnen. In Europa sind die Gebühren etwas tiefer, Beyeler zum Beispiel musste am King’s College in England rund 15000 Franken für das Studium zahlen, dazu kamen noch die Lebenshaltungskosten für ein ganzes Jahr, in dem sie kein Einkommen hatte. Finanziert hat sie es mit ihren Ersparnissen und der Unterstützung ihrer Familie. Stipendien sind rar, werden aber teilweise von den Universitäten selbst oder von Stiftungen angeboten.
Ausländisches Praktikum als valable Alternative
Eine valable Alternative zum teuren LL.M.-Programm ist ein Praktikum in einer anglo-amerikanischen Kanzlei. «Ein solches Praktikum ist für uns grundsätzlich gleichwertig», betont etwa Mondini. Die Qualität der Praktikumsstellen ist aber sehr unterschiedlich. Bei guten Stellen können die Praktikanten an Fällen mitarbeiten und so die Sprache, die Rechts- und die Arbeitskultur vertieft kennenlernen. Letzteres mehr noch als an einer Universität.
Doch auch beim Praktikum gibt es meist keinen Lohn, die Lebenskosten sind hoch und die Plätze rar. «Und mit der Krise ist es sogar noch schwieriger geworden, einen geeigneten Platz zu finden. Denn wer einfach die Kopierjobs übernimmt, der profitiert natürlich nicht sehr viel», sagt Eric Stupp, der für die Rekrutierungen verantwortliche Partner bei Bär & Karrer. Im Vergleich zum LL.M. schauen die Kanzleien darum beim Praktikum viel genauer hin, was der Bewerber oder die Bewerberin in dieser Zeit tatsächlich geleistet hat.
«Wenn schon weg, dann richtig», hat sich Karin Beyeler damals gesagt. Der LL.M. im Ausland bedeutet für die meisten Absolventen nicht nur einen Unterbruch in ihrer beruflichen Karriere, sondern auch die Trennung von ihrem privaten Umfeld. Nicht allen kommt das gelegen. Gisela Schelling zum Beispiel hat sich darum vor acht Jahren für das LL.M.-Programm an der Universität Zürich entschieden: «Für mich war entscheidend, dass ich nicht aus der Schweiz weg musste und den LL.M. berufsbegleitend machen konnte.»
Andreas Kellerhals, Direktor des LL.M.-Lehrgangs an der Universität Zürich, sieht einen weiteren Vorteil im direkten Bezug zum Schweizer Recht: «Wir lehren Stoff, den man in der Schweiz tatsächlich brauchen kann.» Die meisten der Studenten kämen aus industriellen Unternehmen, der Finanzbranche oder kleinen und mittelgrossen Kanzleien. Es gibt aber auch einzelne Vertreter aus den grossen Kanzleien, die sich für die Ausbildung in Zürich entschieden haben.
LL.M.-Lehrgänge auch in der Schweiz
Thomas Sprecher, Partner bei Niederer Kraft & Frey, zum Beispiel: «Ich hatte bereits in einer englischen Kanzlei gearbeitet und war beruflich so engagiert, dass ich nicht aus der Schweiz wegkonnte.» Als Partner einer Grosskanzlei war er unter den Studenten eher ein Exot.
Seine Motivation war denn auch weniger der Titel, sondern vielmehr die fachliche Weiterbildung. «Wohl mehr als bei einem ausländischen LL.M. war das Gelernte direkt anwendbar», sagt Thomas Sprecher. Auch Schelling, heute Präsidentin des Alumnivereins des Zürcher LL.M.-Programms, sieht den grössten Gewinn im erlangten Fachwissen: «Ich kenne niemanden, der wegen dem Titel einen Karrieresprung gemacht hat, aber wir alle haben ein gesundes Basiswissen im internationalen Wirtschaftsrecht erlangt.» Die Kosten für den LL.M.-Lehrgang in Zürich werden mit 32800 Franken angegeben. Bei einem Publikum, das nicht eine Karriere in einer grossen Wirtschaftskanzlei anstrebt, ist er gefragt: Jährlich gibt es mehr Bewerber als angebotene Plätze.
Auch andere Schweizer Universitäten bieten vergleichbare Studiengänge an, die sich aber in Form und Inhalt unterscheiden. In St.Gallen zum Beispiel wird blockweise in Wochenmodulen unterrichtet, statt wie beim Zürcher LL.M. jeweils am Freitagnachmittag und Samstagvormittag.
Schweizer LL.M. ist kein Ersatz für ausländischen
Obwohl ein Schweizer LL.M. mehr direkt anwendbares Fachwissen bietet, findet er bei den Grosskanzleien kaum Gnade. «Wir bevorzugen klar den angelsächsischen LL.M., ein Schweizer LL.M. ist für uns kein Ersatz», sagt Eric Stupp von Bär & Karrer.
Das gilt auch für andere Grosskanzleien wie Schellenberg Wittmer oder Lenz & Staehelin. Für ihren Berufsweg hat Beyeler also richtig gewählt. Aber auch für sie persönlich war der LL.M. in London die richtige Entscheidung. Denn für Karin Beyeler bedeuten die drei Buchstaben heute vor allem, dass sie neue Freundschaften geschlossen und in ihrer Universitätsstadt so etwas wie ein zweites Zuhause gefunden hat.
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Der LL.M.-Studiengang
Der LL.M. (Master of Laws) ist ein international anerkanntes Nachdiplomstudium für Juristen. Es gibt keine globalen Standards für den Titel, so dass es je nach Universität und Land grosse Unterschiede gibt. In der Schweiz ist der LL.M.-Titel bei Juristen, die in Grosskanzleien mit internationalem Kundenkreis arbeiten, sehr verbreitet.
Auswahl der Universität: Es gibt verschiedenste Ranglisten der Universitäten und ihrer LL.M.-Programme. Ein Beispiel findet sich unter www.llm-guide.com.
In den US-Bundesstaaten New York und Kalifornien kann man als zusätzliche Qualifikation das «Bar Exam» ablegen und so die Zulassung als Rechtsanwalt erlangen.
Curriculum:Den LL.M.-Titel erlangt man meist über ein einjähriges Vollzeitstudium, bei dem man aus dem Kursangebot der Universität weitgehend frei wählen kann. Die Studierenden müssen während des Studienjahres eine bestimmte Anzahl Punkte (Credits) erlangen. Neben dem allgemeinen LL.M.-Programm bieten viele Universitäten auch spezialisierte Programme an, wie etwa einen LL.M. in «Intellectual Property» oder «Tax Law».
Leistungsnachweise im Studienjahr:Kursteilnahme, Prüfungen, Hausarbeiten, teilweise eine Master-Thesis.
Bewerbung: Bei amerikanischen Universitäten empfiehlt es sich, etwa ein Jahr vor Studienbeginn mit den Vorbereitungen für die Bewerbung zu beginnen. Meist sind folgende Dokumente einzureichen: Lebenslauf, Empfehlungsschreiben, offizielles Transkript aller erbrachten Studienleistungen, Beschreibung des Studienvorhabens, Toefl-Test.
Fristen: Wer das Studium im Herbst 2011 beginnen möchte, muss sich an den amerikanischen Universitäten bis Ende 2010/Anfang 2011 anmelden. Die Fristen in Grossbritannien laufen meist deutlich später ab.
Kosten: In den USA betragen die Studiengebühren je nach Universität rund 45000 Franken. Die Lebenshaltungskosten bewegen sich je nach Lebenswandel und Ort zwischen 1500 und 2500 Franken pro Monat.
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Brief aus Berkeley
Wir sind das einzi-ge LL.M.-Paar mit Kind unter den etwa hundert anderen Studierenden aus aller Welt, die zurzeit einen LL.M.-Studiengang an der Law School der University of California in Berkeley (Boalt Hall) absolvieren.
Abgesehen von wenigen Pflichteinheiten haben wir als LL.M.-Studierende eine grosse Freiheit bei der Wahl der Fächer, die wir zusammen mit den amerikanischen Studierenden belegen. Die Palette reicht von praxisbezogenen Fächern wie «Negotiation» und «Drafting Legal Documents» über spezifische wie «International BusinessTrans-actions» oder «International IP» bis zu klassischen wie «Corporations».
Berkeley gehört zu den Top Ten Law Schools der USA; die Professoren und Professorinnen sind fachlich ausgezeichnet und meist auch sehr zugänglich. So laden sie ihre Klasse oft zu einem Essen zu sich nach Hause oder in ein Restaurant ein. Einer bot uns sogar an, sein Haus während der Ferien zu hüten. Das Niveau der Studierenden ist hoch, und meistens sind alle auf die Stunden gut vorbereitet. So ergeben sich im Unterricht, in den wir freiwillig oder per Aufruf (cold calling) stark einbezogen werden, viele spannende Diskurse. Zudem halten wir oft Vorträge, schreiben und präsentieren Papers. Neben dem Unterricht bietet die Universität viele andere lohnenswerte Veranstaltungen und insbesondere Gastreferate an. Damit wir uns als LL.M.-Paar all dem widmen können, während unser bald dreijähriger Sohn eine Krippe der Universität besucht, ist ein effizientes «Time Management» erforderlich.
Unser Sohn hat sich hier bestens eingelebt und spricht schon ganz gut Englisch. Wir können ihn auch an LL.M.-Partys und Anlässe mitnehmen, denn erstaunlich viele unserer Kommilitonen haben ebenfalls Kinder. Wir unternehmen viel, fahren zum Beispiel mit einer Familie aus Chile zum Strand, feiern Thanksgiving mit den Amerikanern oder steuern zu den Spezialitäten einer iranischen Familie, die gleich neben uns im speziell für Familien errichteten «University Village» wohnt, ein Züri-Geschnetzeltes bei.
Der finanzielle Aufwand für die ganze Familie beträgt rund 150000 Franken, wobei die Studiengebühren etwa 95000 Franken ausmachen. Bis jetzt hat sich unser USA-Jahr auf alle Fälle gelohnt: Das Studium ist sehr interessant, wir schätzen die Vielfalt und Offenheit der Menschen hier und sind in der Bay Area mit ihrer hohen Lebensqualität sehr glücklich.
Mit kollegialen Grüssen
Karin Gisler Kissling und Mischa Kissling
Karin Gisler Kissling (35) und Mischa Kissling (35) sind zurzeit zusammen mit ihrem dreijährigen Sohn in Berkeley, Kalifornien. Sie studieren beide an der Law School und schliessen den LL.M.-Studiengang voraussichtlich im Mai ab. Link zur Universität Berkeley: www.law.berkeley.edu