Die Antworten aus den von plädoyer befragten Kantonen gleichen sich: Noch kaum genutzt werde die neue Möglichkeit, heisst es bei den meisten. Und so war in etlichen Kantonen im ersten Halbjahr keine einzige elektronisch eingegangene Parteieingabe zu verzeichnen. Jedenfalls keine, die alle Bedingungen erfüllt hätte. «Was bisher hereinkam, war nicht korrekt. Das Problem ist die fehlende elektronische Signatur», sagt der Glarner Kantonsgerichtspräsident Andreas Hefti.
Das Echo ist nicht nur in den kleineren Kantonen schwach. «Die Möglichkeit von elektronischen Eingaben wird grundsätzlich geschätzt, jedoch erst sporadisch genutzt», berichtet etwa Nicole Payllier, Informationsbeauftragte in der Justizverwaltung des Kantons Aargau. Und aus dem Kanton Zürich mit der grössten Zahl praktizierender Anwälte ist zu vernehmen, dass die Gerichte bisher mit elektronischen Parteieingaben nicht überschwemmt wurden. Es seien erst «einige Dutzend» eingegangen.
«Es gibt noch technische Hürden»
«Bei den Rechtsanwälten herrscht grosse Zurückhaltung. Das Risiko, wegen einer technischen Unzulänglichkeit eine Frist zu verpassen, scheint vielen zu gross zu sein», glaubt Thomas Anderegg, Gerichtsschreiber am Obergericht des Kantons Zug. Für eine elektronische Eingabe brauche es gewisse Kenntnisse, und nur wenige Anwälte seien entsprechend eingerichtet, sagt Hefti.
«Es setzt ein gewisses Know-how voraus», bestätigt der Zürcher Anwalt Georges Chanson, der sich im Zürcher Anwaltsverband mit dem Thema «Elektronischer Rechtsverkehr» befasst. «Es gibt noch technische Hürden.» Probleme bereitete anfänglich die fehlende Interoperabilität zwischen den zwei anerkannten Zustellplattformen. Pius Blöchlinger, Aktuar des Kantonsgerichts Graubünden, bemängelt zudem die unbefriedigende Implementierung in die Geschäftskontrolle.
Bundesgericht:?Nur 9 von 5300 Eingaben elektronisch
Die Zurückhaltung beschränkt sich nicht auf die Seite der Anwälte. Diesen Eindruck erhält man jedenfalls, wenn man bei den Kantonen den Briefkasten für die elektronische Post sucht. Der Service ist höchst unterschiedlich (siehe Kasten).
«Dort, wo man Formulare hat, wird die Möglichkeit mehr benutzt», stellt Urs Paul Holenstein, stellvertretender Leiter des Direktionsbereichs Zentrale Dienste im Bundesamt für Justiz, fest. Der Anteil der elektronischen Eingaben am Gesamtvolumen ist aber auch dort, wo die Möglichkeit im Vergleich mit anderen Kantonen häufiger genutzt wird, sehr gering.
Die Erfahrungen am Bundesgericht, wo elektronische Eingaben seit dem 1.1.2007 möglich sind, zeigen, dass es wohl eine längere Anlaufzeit braucht, bis der elektronische Rechtsverkehr nicht mehr der Ausnahmefall ist. Die erste elektronische Beschwerde ging erst im Jahr 2009 ein!
Seit damals haben sich die Zahlen verdreifacht, dies allerdings auf tiefstmöglichem Niveau: Von einer einzigen Beschwerde 2009 auf 3 im 2010, bei Gesamteingängen von mehr als 7000. Im laufenden Jahr sind es jetzt 9 (bei Gesamteingängen von rund 5300).
Deutlich später als von den Prozessordnungen vorgegeben steigt Basel-Stadt ein: Nach einer Testphase sollte der Empfang von elektronischen Eingaben im Verlaufe des Oktobers auch an den baselstädtischen Gerichten zur Realität werden.
Diese Kantone machen es den Anwälten einfacher
Bei einigen Kantonen findet man die Infos zum Thema elektronische Eingaben wenn überhaupt, dann erst nach aufwendiger Suche. Viel Komfort liefern hingegen die Luzerner Gerichte (via Behörden › Gerichte oder direkt www.gerichte.lu.ch): Bei jedem Gericht befindet sich in der Kontakt-Box auch gleich der Link zu einem sicheren Kontaktformular. Detaillierte und anschauliche Anleitungen findet man auch in den Kantonen St. Gallen (www.gerichte.sg.ch › Link «Elektronischer Rechtsverkehr» sowie bei den einzelnen Gerichten), Thurgau (Startseite www.tg.ch › Link «Elektronischer Rechtsverkehr») und Zug («elektronische Eingabe» bei den einzelnen Gerichten). Es ist deshalb kein Zufall, dass in den Kantonen Luzern (rund 60) und St. Gallen (rund 80) im ersten Semester 2011 schon vergleichsweise viele Parteieingaben elektronisch zu den Gerichten kamen.
Regula Vogt-Kohler
So kommuniziert man mit Gerichten elektronisch
Wer seine Klageschriften bei Gerichten elektronisch eingeben will, muss einige Regeln befolgen und gewisse technische Voraussetzungen erfüllen. Eine Anleitung.
Seit dem 1. Januar 2011 können Klageschriften in Straf- und Zivilsachen bei allen Schweizer Gerichten elektronisch eingereicht werden. Damit die Eingaben gültig sind, müssen ein paar Regeln befolgt werden: Die Klage muss mit einem elektronischen Unterschriftszertifikat unterschrieben werden und auf einem sicheren Weg (Zustellungsplattform) übermittelt werden.
Auch die Gerichte können mit Parteien und ihren Anwälten elektronisch kommunizieren (Art. 86 StPO, Art. 139 ZPO, Art. 39 Abs. 2 und Art. 60 Abs. 3 BGG). Das Bundesgericht war diesbezüglich ein Vorreiter: Schon seit 2007 können dort Beschwerden elektronisch eingereicht werden (Art. 42 Abs. 4 BGG).
Grundsätzlich folgt die elektronische Kommunikation zwischen den Parteien und Rechtsbehörden den gleichen Regeln wie die Kommunikation per Post: Die Sendung muss unterschrieben und der Datenschutz garantiert sein.
Ein Versand mit einem normalen E-Mail erfüllt diese Vorgaben jedoch nicht. Deshalb verlangt die elektronische Kommunikation im Justizbereich sichere Kanäle über eine anerkannte Zustellplattform, einer Art Online-Post. Eine solche Plattform erlaubt das Versenden eines elektronischen Einschreibens mit Empfangsbestätigung. So kann auch der Zeitpunkt der Übermittlung verlässlich festgestellt werden.
Digitale Signatur und Zustellplattform
Um elektronisch mit einem Gericht kommunizieren zu können, müssen ein paar Vorbereitungen getroffen werden: Man muss sich ein Zertifikat für eine elektronische Signatur zulegen und sich bei einer anerkannten Zustellplattform einschreiben.
Klageschriften an ein Gericht müssen unterschrieben werden (Art. 110 Abs. 2 StPO, Art. 130 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO sowie Art. 42 Abs. 4 BGG). Nur die qualifizierte elektronische Unterschrift ist dabei laut Art. 14 Abs. 2bis OR gleichwertig zur handschriftlichen Unterschrift.
Wer eine Eingabe elektronisch unterschreiben will, muss sich also ein entsprechendes Zertifikat der heute existierenden vier Anbieter organisieren: Swisscom (Schweiz) AG, QuoVadis TrustLink Schweiz AG, SwissSign AG und das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT). Die Liste der anerkannten Betreiber gemäss Bundesgesetz über die Elektronische Signatur (ZertES) kann auf der Website des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) eingesehen werden.
Die Klageschriften müssen den Gerichten über eine Zustellplattform zugestellt werden (Art. 4 Verordnung über die elektronische Übermittlung im Rahmen von Zivil- und Strafprozessen sowie von Schuldbetreibungs- und Konkursverfahren VeÜ-ZSSchK und Art. 3 Reglement des Bundesgerichts über den elektronischen Rechtsverkehr mit Parteien und Vorinstanzen ReRBGer). Diese muss namentlich Folgendes bieten, um anerkannt zu werden: Sie muss Quittungen erstellen können über den Zeitpunkt der elektronischen Übermittlung und sie muss den Schutz vor nicht autorisierten Angriffen garantieren.
Zurzeit gibt es drei anerkannte Zustellpattformen: PrivaSphere AG, Schweizer Post (IncaMail Version 3.0) und die Zustellplattform des Kantons Bern. Zudem wurde im Juli 2011 die Zustellplattform «OSIS-BV» des Bundesamtes für Justiz provisorisch anerkannt. Die Liste der anerkannten Zustellplattformen findet sich auf der Website des ISB (Informatikstrategieorgan Bund).
So wird eine Klageschrift versendet
Wer diese Vorbereitungen erledigt hat, geht für den Versand einer Eingabe ans Zivil-, Straf- oder Bundesgericht wie folgt vor:
Form: Die Partei schreibt ihre Klageschrift in einer freien Form oder mittels des zur Verfügung gestellten Formulars. Formulare für Zivilprozesse finden sich auf der Website des Bundesamts für Justiz. Bei Beschwerden ans Bundesgericht muss das Formular zwingend benutzt werden. Dieses lässt sich von der Website des Bundesgerichts herunterladen. Das Formular und die Anhänge müssen im PDF-Format übermittelt werden. Im Falle des Bundesgerichts ist zudem eine Übermittlung im XML-Format vorgeschrieben, was durch das entsprechende Formular automatisch generiert wird.
Unterschrift: Anschliessend wird die Eingabe mit einer anerkannten elektronischen Unterschrift versehen (siehe oben).
Adresse: Die Klageschrift muss an die offizielle Adresse des Gerichts auf der Zustellplattform geschickt werden. Diese offiziellen Adressen finden sich für die kantonalen Instanzen im Verzeichnis der Behördenadressen der Bundeskanzlei und für das Bundesgericht im Anhang des ReRBGer.
Frist: Die Frist zur Klageeinreichung ist gewahrt, wenn das System des Gerichtes den Empfang vor Ablauf der Frist bestätigt (Art. 91 Abs. 3 StPO, Art. 143 Abs. 2 ZPO und Art. 48 Abs. 2 BGG). Die Empfangsbestätigung der Zustellplattform wird dabei einer Empfangsbestätigung des Informatiksystems des Gerichtes gleichgestellt. Denn ab diesem Zeitpunkt hängt es nur noch vom Gericht ab, von dieser Zusendung Kenntnis zu nehmen. Diese Regel unterscheidet sich von der Zustellung auf postalischem Weg, wo es reicht, dass der Versand der Schweizerischen Post am letzten Tag der Frist zugestellt wird.
Unterschiedliche Praxis bei Kantonen und Bundesgericht
Auch wenn im Allgemeinen die gleichen Regeln für die elektronische Kommunikation mit kantonalen Behörden und dem Bundesgericht gelten, so gibt es doch ein paar Unterschiede:
Anwendungsbereich: Die Verordnung des Bundesrates zur elektronischen Übermittlung (VeÜ-ZSSchK) regelt nur die Kommunikation zwischen den Parteien und Gerichten. Das Reglement des Bundesgerichts (ReRBGeR) hingegen enthält Vorgaben zur Kommunikation zwischen dem Gericht und den Parteien einerseits und solche zur elektronischen Übermittlung von Dossiers zwischen dem Gericht und den Vorinstanzen andererseits.
PDF- und XML-Format für Eingaben ans Bundesgericht
Zustimmung: Kantonale Gerichte dürfen nur mit Zustimmung der Parteien elektronisch eine Gerichtsurkunde zustellen. Diese Zustimmung kann für ein einzelnes Verfahren oder generell gegeben werden (Art. 9 Abs. 2 VeÜ-ZSSchK). Das Bundesgericht hingegen geht davon aus, dass die Anmeldung bei einer Zustellplattform als Zustimmung zur elektronischen Kommunikation gilt (Art. 3 Abs. 2 ReRBGeR).
Format: Dokumente, die kantonalen Justizbehörden zugestellt werden, müssen (nur) im PDF-Format sein. Dies gilt, solange das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement nicht von seiner Kompetenz nach Art. 6 Abs. 2 VeÜ-ZSSchK Gebrauch macht, ein strukturiertes Format wie beispielsweise XML vorzuschreiben. Dokumente an das Bundesgericht müssen im PDF- und im XML-Format sein. Dieses strukturierte Format wird bei der Verwendung der Prozess-Formulare automatisch generiert und erlaubt es dem Bundesgericht, die Prozessdaten in seine Dossierverwaltung zu übernehmen.
Beide Kommunikationswege: Die Parteien können von den kantonalen Gerichten verlangen, dass ihnen ein Entscheid, der ihnen auf postalischem Weg zugeschickt wurde, auch auf elektronischem Weg zugestellt werde (Art. 12 VeÜ-ZSSchk). Diese Möglichkeit ist hingegen für Mitteilungen des Bundesgerichts nicht vorgesehen.
Dr. iur. Jacques Bühler, Stv. Generalsekretär des Bundesgerichtes