1. Arbeitsrecht
1.1 Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses
Das Obergericht des Kantons Zürich hat sich zur vertragsrechtlichen Qualifikation der Rechtsbeziehung zwischen einem Arzt und einer delegierten Psychotherapeutin geäussert und das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses verneint.1 Die Zusammenarbeit habe ihren Grund im versicherungstechnischen Konstrukt der delegierten Psychotherapie, weil die Psychotherapeutin ihre nichtärztlichen Leistungen ohne diese Zusammenarbeit mit dem Facharzt nicht über die Grundversicherung der Krankenkasse abrechnen und dementsprechend nur Patienten mit Zusatzversicherung oder Selbstzahler behandeln könne. Die Psychotherapeutin habe das wirtschaftliche Risiko weitgehend und bewusst selbst getragen. Abgesehen von der Tatsache, dass sie zur Abrechnung auf den Arzt angewiesen und deshalb in einem gewissen Mass seinen fachlichen und einzelnen organisatorischen Weisungen unterlegen war, sei sie in der Gestaltung der Arbeitstätigkeit vollkommen frei gewesen. Vorliegend, so das Fazit des Obergerichts, fehle es am für den Arbeitsvertrag typischen Subordinationsverhältnis und an der Pflicht zur Arbeitsleistung, weshalb das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nicht als Arbeitsverhältnis qualifiziert werden könne. Der Entscheid wurde vom Bundesgericht bestätigt.2
Zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangte das Kantonsgericht Waadt in einem auch medial viel beachteten Entscheid zur Tätigkeit eines Fahrers für den Fahrdienst Uber.3 Gegen das beeindruckende, 82 Seiten starke Urteil wurde kein Rechtsmittel an das Bundesgericht ergriffen, sodass es im Herbst 2020 in Rechtskraft erwuchs. Damit hat erstmals ein zweitinstanzliches Zivilgericht die Vertragsbeziehung zwischen Uber und einem Chauffeur als arbeitsrechtlich qualifiziert. Der Entscheid ist bemerkenswert und hat Signalkraft. Er darf allerdings auch nicht überbewertet werden: So datieren die prozessrelevanten Vertragsgrundlagen mehrere Jahre zurück, sodass sie heute in dieser Form kaum noch zum Einsatz gelangen werden. Dazu kommt, dass der besonders umstrittene und in casu betroffene Fahrdienst «UberPop», der auch Amateurfahrern ohne Taxilizenz die Tätigkeit erlaubte, in der Schweiz mittlerweile eingestellt wurde. Wie andere Gerichte und insbesondere das Bundesgericht allfällige Uber-Fälle in Zukunft entscheiden werden, bleibt damit genauso offen wie das bis heute noch ungeklärte und nicht weniger umstrittene sozialversicherungsrechtliche Statut von Uber-Fahrern.
Die Diskussion um die privatrechtliche Rechtsnatur moderner Beschäftigungsformen wie die Plattformarbeit von Uber & Co. könnte unverkrampfter geführt werden, wenn eine Abkehr von der heute noch dominierenden «Alles oder nichts»-Optik gelänge.4 Die Rechtsprechung und Teile der Literatur neigen noch immer zu stark dazu, im konkret zu beurteilenden Fall entweder das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses und damit die integrale Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Bestimmungen zu bejahen oder aber umgekehrt die Qualifikation als Arbeitsvertrag pauschal zu verneinen und daraus auf einen vollständigen Ausschluss arbeitsrechtlicher Schutznormen zu schliessen.5 Dabei hat das Bundesgericht die methodische Türe für vermittelnde Lösungen mit Augenmass schon vor Jahren überzeugend geöffnet, indem es auch im Bereich des Arbeitsrechts sowohl Innominat- als auch gemischte Verträge für zulässig erklärt hat.6 Dies mit der Folge, dass je nach persönlicher Abhängigkeit und konkreter Schutzbedürftigkeit ausgewählte arbeitsrechtliche Bestimmungen wie etwa der Kündigungsschutz analog zur Anwendung gebracht werden können, auch wenn rechtlich kein Arbeitsverhältnis vorliegt. Der mutigere Griff der Gerichte zu solchen punktuellen Analogieschlüssen würde im Spannungsfeld zwischen berechtigtem Sozialschutz, Vertragsfreiheit und technologischem Wandel differenzierte, damit sachgerechtere und dogmatisch überzeugendere Ergebnisse erlauben, als wenn komplexe Vertragskonstrukte durch ausufernde oder gar ergebnisgetriebene juristische Akrobatik in ein letzten Endes eben doch nicht passendes, rechtlich eindimensionales Korsett gezwängt werden.
1.2 Prekäre Arbeitsbedingungen
Mit prekären, ja haarsträubenden Arbeitsbedingungen sah sich das Bundesgericht in einem strafrechtlichen Fall aus dem Kanton Genf konfrontiert.7 Es bejahte die Strafbarkeit wegen Wuchers (Art. 157 StGB), nachdem eine Arbeitgeberin ihre Cousine während mehrerer Jahre ohne Ferien und Freitage mit durchschnittlich 71 Arbeitsstunden pro Woche als Kinderbetreuerin und Haushaltshilfe ausgepresst hatte. Dies (neben Kost und Logis) für ein Taschengeld von monatlich gerade einmal 50 bis 100 Franken.
1.3 Arbeitszeit
Die umstrittene Frage, ob das Umziehen in einem Spital als Arbeitszeit gilt und – unter arbeitsrechtlichem Blickwinkel keine zwingende Konsequenz – auch zu entschädigen ist, ist in jüngerer Zeit vermehrt in den Fokus gerückt, sowohl auf juristischer wie politischer Ebene. Etwas überraschend bestand dazu bis vor kurzem keine Rechtsprechung, die Orientierung geben konnte. Der Bezirksrat Dietikon hat nun im Fall des Spitals Limmattal einen rückwirkend eingeforderten Anspruch auf Vergütung für Umkleidezeiten verneint. Mit Blick auf die Rechtsgleichheit und die Rechtssicherheit erscheine es angebracht, die Sache auf legislativer Ebene aufzunehmen.8 Der Entscheid wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Zürich im Ergebnis bestätigt.9 Die Zweitinstanz erwog, dass die Nichteinrechnung der Umkleidezeit als Arbeitszeit bzw. ihre Abgeltung durch den Monatslohn in analoger Anwendung von Art. 322 Abs. 1 OR bei den Spitälern üblich sei. Auch verletze das fragliche Spital kein übergeordnetes Recht, insbesondere auch nicht das Arbeitsgesetz, wenn es die Umkleidezeit bei der Auslegung des eigenen Personalreglements nicht separat entschädige. Die grundsätzliche Frage, ob die Umkleidezeit als Arbeitszeit im Sinn des Arbeitsgesetzes gilt, liess das Verwaltungsgericht offen. Eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde hat das Bundesgericht abgewiesen.10
Demgegenüber bejahte das Bezirksgericht Bülach in einem anderen Fall zum gleichen Thema eine teilweise Pflicht des Spitals Bülach zur Bezahlung der eingeklagten Umziehzeiten.11 Die gegenläufigen Entscheide zeigen, dass die Frage einer Vergütungspflicht nicht generell in die eine oder andere Richtung beantwortet werden kann, sondern massgeblich von der im konkreten Fall anwendbaren Arbeitszeitregelung etwa im Arbeitsvertrag oder Personalreglement oder der Branchenübung beeinflusst wird.
1.4 Bonus
Das Bundesgericht hat seine umstrittene Akzessorietätsrechtsprechung dahingehend präzisiert, dass im Einkommensbereich «mittlere bis hohe Einkommen»12 aus seiner bisherigen Praxis13 nicht generell abgeleitet werden könne, dass das Akzessorietätserfordernis nicht greife, wenn der Bonus tiefer als der Grundlohn sei.14 In diesem Lohnsegment fehle es grundsätzlich immer an der Akzessorietät, wenn der Bonus regelmässig gleich hoch oder höher als der Grundlohn sei. Liege der Bonus tiefer als der Grundlohn, komme es auf die Umstände des Einzelfalls an; eine feste Verhältniszahl bestehe nicht. Die Quote des Fixlohns, die regelmässig und ohne besonderen Anlass ausgeschüttet werden könne, ohne dass die für Gratifikation notwendige Akzessorietät entfällt, steige vielmehr bei höherem Lohn an.
1.5 Auslagen
Im Frühling 2020, mitten in der ersten Welle der Coronapandemie, sorgte ein vermeintlich neuer und wegweisender Entscheid des Bundesgerichts zur Arbeit im Homeoffice für mediale Aufregung.15 Tatsächlich erging das Urteil schon ein Jahr zuvor, im April 2019, und es fehlte folglich auch ein Bezug zur Pandemie. Nichtsdestotrotz ist der Entscheid erwähnenswert: Das Bundesgericht bejahte einen anteilsmässigen Anspruch auf Ersatz von Mietkosten, die einem Arbeitnehmer entstanden, der seine private Wohnung für berufliche Zwecke als Arbeits- und Archivraum nutzte. Dies war notwendig geworden, weil ihm die im Bereich Treuhand, Buchhaltung, Steuern tätige Arbeitgeberin keinen dauernden und geeigneten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen konnte. Der Entscheid überzeugt vor diesem Hintergrund. Am bundesgerichtlichen Verdikt änderte auch nichts, dass das fragliche Zimmer ohnehin schon vom Arbeitnehmer angemietet war. Die teilweise vertretene Ansicht, wonach in Fällen, in denen Arbeitnehmende das entsprechende Zimmer oder die Wohnung nicht extra im Hinblick auf die Homeoffice-Arbeit gemietet haben, kein Anspruch auf Spesenersatz nach Art. 327a OR bestehen soll, da die Auslagen ohnehin angefallen wären, taxierte das Bundesgericht zu Recht als nicht sachgerecht. Dabei wies es auf die vergleichbare Situation eines privat erworbenen Generalabonnements, das auch für berufliche Reisen eingesetzt werde. Die Lehre schlägt in einer solchen Konstellation die Vergütung zum Halbtaxtarif vor, und zwar entsprechend der im Unternehmen üblicherweise bei Geschäftsreisen benutzten Reiseklasse.16
In beweisrechtlicher Hinsicht hat das Obergericht des Kantons Zürich klargestellt, dass Angestellte auch dann zur Spezifizierung und zum Nachweis von Spesen verpflichtet sind, wenn ihnen eine Firmen- oder Geschäftskreditkarte zur Verfügung gestellt wird.17 Die Kreditkartenabrechnung vermöge weiterführende Angaben und die Vorlage von Belegen wie beispielsweise Kaufquittungen nicht zu ersetzen.
Das Arbeitsgericht des Kantons Wallis hat sich bei der umstrittenen Frage der Verjährungsfrist für Auslagenersatz (fünf oder zehn Jahre?) für die kürzere, fünfjährige Verjährungsfrist ausgesprochen. Dies unter anderem mit der Erwägung, dass der Auslagenersatz sowohl eng mit der geleisteten Arbeit wie auch mit dem Lohn in Zusammenhang stehe, grundsätzlich mit dem Lohn auszurichten sei bzw. der Gesetzgeber wolle, dass dieser schnellstmöglich ausbezahlt werde.18
1.6 Ferien und Urlaub
Einmal mehr hat das Bundesgericht seine strenge Rechtsprechung zur nur ausnahmsweise zulässigen Abgeltung des Ferienlohns durch laufende Lohnzahlung bestätigt.19 Erstens müsse es sich um eine unregelmässige Beschäftigung handeln. Zweitens müsse der für die Ferien bestimmte Lohnanteil klar und ausdrücklich ausgeschieden werden, falls ein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliege. Und drittens sei auch in den einzelnen schriftlichen Lohnabrechnungen der Lohnanteil für die Ferien auszuweisen. Das Bundesgericht stellte allerdings zur ersten Voraussetzung auch klar, dass eine unregelmässige Beschäftigung, die ausnahmsweise eine Ferienlohnabgeltung zulassen könne, nicht nur bei Teilzeit-, sondern auch bei Vollzeittätigkeit möglich sei.
Nach Annahme der Referendumsabstimmung am 27. September 2020 ist der neue, zweiwöchige Vaterschaftsurlaub am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Die Finanzierung erfolgt über die Erwerbsausfallentschädigung, weshalb der Kern der Regelung im entsprechenden Gesetz (EOG) niedergelegt ist. Aber auch das Arbeitsprivatrecht erfuhr mit der Grundnorm von Art. 329g, 329b Abs. 3 lit. c OR (keine Ferienkürzung) und 335c Abs. 3 (Verlängerung der Kündigungsfrist) Anpassungen.20 Ebenfalls per 1. Januar 2021 wurde mit Art. 329h OR ein gesetzlicher Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Betreuung von Angehörigen geschaffen.21 Er ist beschränkt auf höchstens drei Tage pro Ereignis und zehn Tage pro Jahr. In einer zweiten Etappe wird per 1. Juli 2021 ein bezahlter 14-wöchiger Urlaub für die Betreuung von schwer kranken oder verunfallten Kindern in Kraft treten.22
1.7 Interne Untersuchung
Von Arbeitgebern initiierte interne Untersuchungen, wenn im Unternehmen Missstände vermutet werden, sind en vogue. Dabei stellen sich heikle und bis heute noch kaum geklärte Verfahrensfragen, insbesondere inwiefern strafprozessuale Verfahrensrechte auch in solchen privaten Untersuchungen zu gewähren sind oder – falls dies nicht geschieht – wie es sich mit der zivil- und strafrechtlichen Verwertbarkeit solcher Informationen verhält.23 Angesprochen sind damit etwa die Ansprüche nach Art. 158 StPO, namentlich jene auf Bestellung einer Verteidigung und Aussageverweigerung. Das Bundesgericht kam unter strafrechtlichem Blickwinkel zu einem differenzierten Ergebnis.24 So könnten die strafprozessualen Regeln in der Praxis von einem Arbeitgeber nie eingehalten werden und sich eine absolute Unverwertbarkeit unter Umständen auch zulasten des Angeschuldigten auswirken. Auf der anderen Seite dürften sich die Strafbehörden den rechtlichen Garantien – insbesondere dem Recht, sich nicht selbst zu belasten –, die der Beschuldigte geniesst, nicht völlig entziehen, indem sie zu seinen Lasten Aussagen verwenden, die im Rahmen einer internen Untersuchung ausserhalb der Strafprozessordnung gemacht wurden. In diesem Spannungsfeld sei auf den Beweiswert der fraglichen Beweismittel abzustellen. Im vorliegenden Fall bejahte das Bundesgericht die strafrechtliche Verwertbarkeit mit Blick auf den geringen Beweiswert des fraglichen Dokuments, das einer blossen Parteibehauptung entspreche.
1.8 Kündigungsrecht
In der letztjährigen Besprechung wurde auf einen auch medial stark begleiteten Entscheid des Verwaltungsgerichts Zürich hingewiesen, der die Entlassung einer Universitätsprofessorin wegen vorgeworfener Amtsgeheimnisverletzung für nichtig erklärte.25 Das Verwaltungsgericht kam im Kern zum Schluss, dass die von der Universität zur Begründung des Kündigungsentscheids angerufenen Beweismittel nicht verwertbar seien, da ihnen eine unzulässige Auswertung von Telefon- und E-Mail-Randdaten und eine rechtswidrige Datenbeschaffung im Rahmen eines Strafverfahrens zugrunde lagen. Das Bundesgericht hat diese vorinstanzliche Auffassung und damit die festgestellte Rechtswidrigkeit der Kündigung mit Urteil vom 3. November 2020 nicht beanstandet.26 Wohl aber in einem anderen Punkt, der Signalkraft für das ganze Zürcher Personalrecht und darüber hinaus für vergleichbare Personalordnungen in anderen Kantonen und Gemeinden haben könnte. Das Bundesgericht hat nämlich die vom Verwaltungsgericht verhängte Rechtsfolge der Nichtigkeit der Entlassung gerügt und das Urteil in diesem Punkt auch aufgehoben. Dies unter Hinweis auf das Zürcher Personalgesetz, das bei rechtswidriger Kündigung gerade keine Nichtigkeit, sondern nur eine finanzielle Kompensation vorsehe. Indem das Verwaltungsgericht dennoch gestützt auf die sogenannte Evidenztheorie Nichtigkeit der Kündigung angenommen habe, sei es in Willkür verfallen.
Gleich hatte es kurz zuvor in bemerkenswert deutlichen Worten in einem anderen Zürcher Fall entschieden. Angesprochen ist das sogenannte «Mad Heidi»-Urteil, das die fristlose Entlassung eines Polizisten betraf, der sich an einem umstrittenen Filmprojekt mit persiflierten Gewaltszenen beteiligt hatte.27 Das Bundesgericht erwog, dass Verwaltungsakte in der Regel nicht nichtig, sondern nur anfechtbar seien. Nichtigkeit einer Verfügung, also die absolute Unwirksamkeit, sei vorbehältlich einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung nur dann anzunehmen, wenn ein tiefgreifender und wesentlicher Mangel vorliege, wenn dieser schwerwiegende Mangel offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar sei und wenn die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet werde. Inhaltliche Mängel hätten nur in seltenen Ausnahmefällen die Nichtigkeit einer Verfügung zur Folge. Erforderlich sei ein ausserordentlich schwerwiegender Mangel. In beiden Fällen erachtete das Bundesgericht diese hohen Voraussetzungen als nicht erfüllt. Die Entlassungen der Professorin wie des Polizisten behielten damit ihre Gültigkeit. Das Verwaltungsgericht wird ihnen eine Entschädigung zusprechen müssen.
1.9 Arbeitszeugnis
In einem zur amtlichen Publikation bestimmten Entscheid hat das Bundesgericht zur strittigen Frage Stellung bezogen, ob die Verjährungsfrist für ein Arbeitszeugnis fünf oder zehn Jahre beträgt. Es hat sich mit guten Gründen der überwiegenden Lehre angeschlossen und sich für die längere, zehnjährige Verjährungsfrist ausgesprochen.28
2. Mietrecht
2.1 Wohnungsfläche zu klein
Eine Vermieterin zeigte einem Ehepaar zwei 6-Zimmer-Wohnungen in einem Neubau mit gleichem Ausbaustandard. Die Mietobjekte lagen auf dem gleichen Stockwerk und wiesen unterschiedliche Flächen auf. Die eine Wohnung wies nach Plan und Mietvertrag 113 Quadratmeter Wohnfläche auf und wurde zu einem Mietzins von monatlich netto 3190 Franken angeboten. Die zweite Wohnung hatte eine Fläche von 108,3 Quadratmeter und kostete 2620 Franken. Das Ehepaar entschied sich für die grössere Wohnung und trat das Mietobjekt am 1. Mai 2010 an. Am 4. Dezember 2014 bemängelte das Ehepaar, die Wohnung umfasse nicht 113 Quadratmeter wie im Vertrag und im Wohnungsplan festgehalten, sondern nur 107,2 Quadratmeter. Es forderte eine Reduktion des Mietzinses ab Mietbeginn auf monatlich netto 2620 Franken. Die Vermieterin räumte ein, dass die Pläne der beiden 6-Zimmer-Wohnungen aus Versehen vertauscht worden seien und die Wohnung des Ehepaares nur eine Fläche von 108,2 Quadratmeter aufweise. Sie bestritt aber, dass es sich bei einer Flächenabweichung von unter 5 Prozent um einen Mangel handle, der zu einer Mietzinsreduktion berechtigt. Nach erfolgloser Schlichtungsverhandlung klagte das Mieterehepaar vor Mietgericht eine Reduktion des Mietzinses ab Vertragsbeginn auf monatlich netto 2620 Franken ein. Sie verlangten die entsprechend zu viel bezahlten Mietzinse zurück. Das Mietgericht Genf reduzierte den Mietzins ab Mietbeginn auf monatlich netto 3057 Franken. Das Obergericht bestätigte diesen Entscheid.
Die Vermieterin gelangte ans Bundesgericht. Dieses gestand dem Mieterehepaar bezüglich der Grösse der Wohnfläche einen Grundlagenirrtum zu, der sich auf den Mietzins bezieht. Es erachtete die Fläche der Wohnung als wesentlichen Vertragsbestandteil. Die Mieter seien, anders als beim Kauf, nicht verpflichtet, die Flächenangaben der Vermieterin zu überprüfen. Es sei weiter offensichtlich, dass die Mieter den monatlichen Mietzins von 3190 Franken nicht akzeptiert hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass es sich dabei um die kleinere der beiden Wohnungen handelt. Damit lägen sowohl die subjektiven als auch die objektiven Voraussetzungen für einen Grundlagenirrtum im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 vor. Es sei nicht zu beanstanden, dass die kantonalen Richter den korrekten Mietzins entsprechend der Flächenabweichung von 4,15 Prozent reduziert und auf monatlich netto 3057 Franken festgesetzt haben.29
2.2 Rückforderung bei ungültigem Anfangsmietzins
Per 1. Januar 2004 schloss der Mieter einen Mietvertrag über eine Wohnung im Kanton Waadt ab. Am 23. Juni 2016 teilte er dem Vermieter mit, dass er den Mietvertrag auflöse. In der Folge stritten sich die Parteien über die noch geschuldeten Mietzinse. Der Mieter nahm am 6. Juli 2016 Kontakt mit seiner Rechtsschutzversicherung auf und erfuhr dabei, dass sein Anfangsmietzins mangels Anzeige mit obligatorischem Formular ungültig sei. Der Mieter beglich die Mietzinse bis Ende August 2016. Der Vermieter klagte in der Folge die noch fehlenden Mietzinse bis 31. Dezember 2016 zuzüglich Nebenkosten ein. Der Mieter gelangte seinerseits am 5. Juli 2017 an die Schlichtungsbehörde mit der Klage auf Feststellung der Ungültigkeit des Anfangsmietzinses und den Anträgen auf richterliche Festsetzung des monatlichen Mietzinses ab Vertragsbeginn sowie auf Rückforderung von zu viel bezahlten Mietzinsen. Das Mietgericht erachtete die Klage als rechtzeitig, setzte den monatlichen Nettomietzins auf 1650 Franken fest und wandte auf die Rückforderung die Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung an. Es stellte fest, dass die Rückforderungen verjährt sind, soweit sie zu viel bezahlte Mietzinse betreffen, die vor über zehn Jahren seit Anhängigkeit der Klage fällig geworden sind. Es verpflichtete den Vermieter unter Verrechnung seiner Forderungen auf die Rückzahlung von 43 834 Franken. Das Obergericht stimmte diesen Erwägungen zu.
Der Vermieter gelangte ans Bundesgericht. Das Bundesgericht stellte fest, dass für die Rückforderung von zu viel bezahlten Mietzinsen im Falle eines ungültigen Anfangsmietzinses die Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung gelten. Danach verjährt der Bereicherungsanspruch mit Ablauf eines Jahres seit Kenntnis des Anspruchs, spätestens aber nach zehn Jahren seit Entstehung des Anspruchs (Art. 67 Abs. 1 OR). Nach der allgemeinen Regel von Art. 130 Abs. 1 OR beginnt die Verjährung mit der Fälligkeit der Forderung. In der Lehre ist der Beginn dieses Fristenlaufs (dies a quo) im Falle eines ungültigen Anfangsmietzinses umstritten. Nach einem Teil der Lehre beginnt diese Verjährung mit dem Abschluss des Mietvertrags. Da es sich stets um eine Rückforderung handelt, die gesamthaft eingeklagt wird, betrachtet sie dieser Teil der Lehre gleichsam als eine einzige Forderung. Nach einem anderen Teil der Lehre beginnt die absolute Verjährung mit der Fälligkeit eines jeden Monatsmietzinses neu. Dem stimmte das Bundesgericht mit einer schlichten Begründung zu: Nur eine bereits fällige Forderung kann überhaupt verjähren. Es kam daher zum gleichen Schluss wie die kantonalen Instanzen: Der Mieter kann alle Mietzinse zurückfordern, die er in den letzten zehn Jahren zu viel bezahlt hat. Rückzahlungen von Mietzinsen, die dagegen zehn und mehr Jahre vor der Klageeinleitung fällig wurden, sind absolut verjährt.30
2.3 Rückforderung Mietzinskaution
Wird die Mietzinskaution auf Weisung des Vermieters bei einem Dritten hinterlegt, kann der Mieter die Kaution auch vom Dritten zurückfordern.31
2.4 Vertragsänderung bei Nebenkosten
Werden die Warmwasserkosten nicht mehr nach Quadratmetern, sondern neu nach Verbrauch verteilt, muss dies dem Mieter mit amtlichem Formular angezeigt werden.32
Sämtliche Änderungen des Mietvertrags, die für den Mieter mit spürbar höheren Kosten verbunden sind, müssen mit amtlichem Formular angezeigt werden, so auch ein Wechsel der Hauswartung, der die Nebenkosten verteuert.33
2.5 Mietzinsherabsetzung wegen Covid-19-Pandemie
Zwischen den Parteien besteht seit dem 1. Juli 2015 ein Geschäftsmietvertrag mit einer 15-jährigen Laufzeit über ein Restaurant in Luzern. Das Restaurant musste gestützt auf Art. 6 Abs. 2 lit. b der Covid-19-Verordnung 2 ab dem 17. März 2020 schliessen und den Betrieb einstellen. Um die finanziellen Folgen dieser Massnahme zu mindern, führte die Mieterin einen Take-away-Service ein. Somit konnte der Betrieb in einem gewissen Umfang weitergeführt werden. Dennoch konnten die Geschäftsräumlichkeiten im Rahmen eines Take-away-Services nicht im gleichen Umfang wie bisher genutzt werden, zumal in der luzernischen Gesetzgebung der reine Take-away-Service um 18.30 Uhr geschlossen werden muss. Die Mieterin forderte eine Reduktion des Mietzinses um 90 Prozent für den Zeitraum vom 18. März 2020 bis zur Aufhebung der Massnahmen. Die Vermieterin war nicht bereit, den Mietzins zu reduzieren. Die Parteien einigten sich in der Folge, die Frage durch ein Schiedsgericht beurteilen zu lassen.
Das Schiedsgericht kam zum Schluss, dass die Vermieterin im Mietvertrag der Mieterin zusicherte, dass die Räumlichkeiten für einen Restaurationsbetrieb genutzt werden können und dürfen. So durfte die Mieterin auch nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass sich die Mieträumlichkeiten in einem Zustand befinden würden, um die Führung eines Restaurationsbetriebs zu ermöglichen, zumal sie einen Mietzins für einen Restaurationsbetrieb entrichte. Aufgrund der Covid-Massnahmen sei die Führung eines Restaurationsbetriebes nun aber nicht mehr möglich. Im Übrigen dürfe der Vermieter seine Gebrauchsüberlassungspflicht aufgrund der Covid-Massnahme gar nicht mehr (vollumfänglich) erfüllen. Der Ist-Zustand weiche vom Soll-Zustand ab, weshalb ein Mangel an der Mietsache vorliege.
Der Argumentation, dass behördliche Betriebsschliessungen grundsätzlich den Risikobereich des Mieters betreffen und keinen Mangel des Mietobjekts darstellen, folgte das Schiedsgericht nicht. Die vorliegende öffentlich-rechtliche Vorschrift sei nicht speziell an einen Mieter oder an alle Mieter adressiert. Sie betreffe die Vermieter gleichermassen, da diese, solange die Covid-Massnahmen anhalten, ihre Räume auch nicht für eine Nutzung im Sinne von Art. 6 der Covid-Verordnung 2 zur Verfügung stellen dürfen. Ausserdem habe der Mieter keinen Einfluss auf den Mangel. Die Wiedereröffnung des Betriebs hänge nicht von ihm ab – im Unterschied zu einer Lage, in der er das Hindernis zur Verwendung des Objekts gemäss dem abgemachten Zweck selbst aufheben könnte (etwa indem er sich ein Wirtepatent beschafft). In der Folge berechnete das Schiedsgericht gesondert die Mietzinsherabsetzung für das Restaurant, die Küche, das Lager, die Nasszellen sowie das Büro und kam zum Schluss, dass eine Mietzinsherabsetzung von 60 Prozent angemessen sei.34
2.6 Vermieterrendite wird aufgestockt
Mieter können unter gewissen Voraussetzungen die Höhe des Anfangsmietzinses für Wohn- und Geschäftsräume als missbräuchlich anfechten und dessen Herabsetzung verlangen. Ob ein Mietzins missbräuchlich ist, bestimmt sich entweder danach, ob damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird (Nettorendite) oder ob sich der Mietzins im Rahmen des Orts- oder Quartierüblichen bewegt. Bei weniger als 30 Jahre alten Liegenschaften ist prioritär auf die Nettorendite abzustellen. Im konkreten Fall betrug der monatliche Anfangsmietzins für eine 4,5-Zimmer-Wohnung im Kanton Waadt 2190 Franken (exklusive Nebenkosten) und für die zwei Einstellhallenplätze je 130 Franken. Das zuständige Mietgericht senkte die Wohnungsmiete auf Klage der Neumieter aufgrund einer Berechnung der Nettorendite auf 900 Franken pro Monat, die Miete für die beiden Parkplätze auf je 50 Franken pro Monat. Das Waadtländer Kantonsgericht bestätigte diesen Entscheid.
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Vermieterin – einer Pensionskasse – teilweise gut. Es legt den zulässigen monatlichen Mietzins für die Wohnung auf 1390 Franken fest und für die Parkplätze auf je 73 Franken. Bei seinem Entscheid ändert das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Berechnung der Nettorendite (BGE 120 II 100; 112 II 149). Konkret geht es dabei um zwei Parameter: Erstens ist das investierte Eigenkapital neu zu 100 Prozent – und nicht wie bisher nur zu 40 Prozent – an die Teuerung anzupassen. Zweitens darf der Ertrag neu den Referenzzinssatz um 2 Prozent – und nicht wie bisher nur um ein halbes Prozent – übersteigen, wenn der Referenzzinssatz zwei Prozent oder weniger beträgt.35
2.7 Anpassung Indexmiete nach fester Vertragsdauer
Die Mieter einer 4-Zimmer-Wohnung im Kanton Waadt schlossen einen Vertrag mit Indexmiete und einem Anfangsmietzins von monatlich netto 2550 Franken ab. Die erste fünfjährige Laufzeit dauerte bis 30. November 2018. Ohne Kündigung verlängerte sich der Vertrag jeweils um weitere fünf Jahre und blieb während dieser Dauer für den Vermieter unkündbar. Per 1. Dezember 2018 beantragten die Mieter eine Herabsetzung des monatlichen Mietzinses auf 1050 Franken. Sie machten eine übersetzte Nettorendite geltend und verlangten vom Vermieter die Herausgabe aller Unterlagen zur Berechnung dieser Rendite. Mietgericht und kantonales Gericht folgten dem Antrag der Mieter. Der Vermieter gelangte ans Bundesgericht und war dabei erfolgreich. Das Bundesgericht entschied, dass der Mietzins einer Indexmiete auf Ablauf einer für den Vermieter unkündbaren Vertragsdauer ausschliesslich nach der relativen Methode angepasst werden kann. Der Mieter kann im Wesentlichen die Weitergabe des gesunkenen Referenzzinssatzes für Hypotheken verlangen und der Vermieter eine Mietzinserhöhung zur Anpassung an einen gestiegenen Referenzzinssatz. In beiden Fällen können die betroffenen Parteien dieser Veränderung die Einrede der übersetzten Rendite (Mieterseite) oder der unzureichenden Rendite (Vermieterseite) entgegenhalten bzw. des noch nicht ausgeschöpften ortsüblichen Mietzinses oder eines über diesem Niveau liegenden Mietzinses.
Eine Veränderung des Mietzinses nach der absoluten Methode ist aber nicht möglich. Die Indexmiete ist für das Bundesgericht nicht vergleichbar mit der Staffelmiete, die eine gesamthafte Mietzinsentwicklung vorwegnimmt und damit ein starkes aleatorisches Moment enthält. Zudem könne der Mieter den Anfangsmietzins innert 30 Tagen seit Übernahme der Mietsache anfechten. Eine spätere grundlegende Veränderung des Mietzinses aufgrund der absoluten Methode würde gleichsam eine zweite Möglichkeit bieten, den Anfangsmietzins in Frage zu stellen. Das widerspreche den Regeln des Missbrauchsschutzes. Für die Mieter hatte dies harte Konsequenzen. Da sie nur eine Mietzinsanpassung nach absoluter Methode beantragt und begründet hatten, wurde ihre Klage trotz gesunkenem Referenzzinssatz für Hypotheken vollumfänglich abgewiesen.36
2.8 Mietereinbauten am Ende des Mietverhältnisses
In der Lehre ist umstritten, ob der Mieter bei Mietende ein Rückbau- und ein Wegnahmerecht für den Mieterausbau hat, der sachenrechtlich Bestandteil der Mietsache wurde. Diese Frage konnte das Bundesgericht anhand eines Walliser Falls klären. Der Mieter übernahm ein Objekt im Rohbau und baute es auf eigene Kosten aus. Ursprünglich war die Absicht, dass der Mieter das Objekt kauft. Dazu kam es nicht, da über den Verkäufer der Konkurs eröffnet wurde. Das voll ausgebaute Objekt wurde versteigert. Der Käufer stellte dem Mieter einen Mietvertrag zu. Nachdem das Mietverhältnis durch den Vermieter gekündigt worden war, baute der Mieter einen Teil seiner Mieterausbauten zurück und liess die Wohnung beschädigt zurück. Die Parteien stritten sich um Schadenersatz für den Vermieter beziehungsweise widerklageweise um eine Mehrwertentschädigung des Mieters. Die Gerichte im Kanton Wallis hiessen die Schadenersatzklage gut. Der Mieter gelangte an das Bundesgericht und erhielt teilweise recht. Das Bundesgericht hielt unter anderem fest, dass dem Mieter ein ius tollendi extra legem zuerkannt werden müsse für den Fall, in dem er keine Mehrwertentschädigung verlangen kann.37 Dies führte im Ergebnis zu einer Reduktion der Schadenersatzforderung. Im Zusammenhang mit dem ius tollendi hat das Mietgericht Zürich bereits früher entschieden, dass der Mieter das Wegnahmerecht für seine Vorrichtungen vor der Rückgabe der Mietsache ausüben muss.38
2.9 Abwälzung der Unterhaltspflicht
Die Parteien schlossen einen Geschäftsmietvertrag in Zürich ab. Zweck war der Betrieb eines Speiserestaurants mit Barbetrieb. Gemäss dem Mietvertrag übernimmt die Mieterin die Sache im vorgefundenen Zustand und ist für den Betrieb und Unterhalt von Aus-, Um- und/oder Einbauten in den gemieteten Flächen verantwortlich. Die Vermieterin ist nur für den Unterhalt von «Dach und Fach» verantwortlich, das heisst «zum Beispiel für Reparaturen und Erneuerungen an der Fassade». Im Juni 2018 unterbreitete die P. Service AG, die jeweils im Auftrag der Mieterin die beiden Lüftungsanlagen in der Küche und im Restaurant gewartet hatte, eine Reparaturofferte, gemäss welcher insbesondere Schäden an Ventilatoren und Motoren mit voraussichtlichen Kosten von 7360 Franken behoben werden sollten. Darauf gelangte die Mieterin an die Vermieterin und verlangte, dass sie die Arbeiten an den Lüftungsanlagen vornehmen lasse. Nachdem die Vermieterin die Kostenübernahme unter Hinweis auf die «Dach-und-Fach-Klausel» im Mietvertrag ablehnte, gelangte die Mieterin an die Schlichtungsbehörde und danach an das Mietgericht. Das Mietgericht wies die Klage ab. Die Klägerin gelangte an das Obergericht.
Das Obergericht hielt zunächst allgemein fest, dass der Vermieter verpflichtet ist, die Sache zum vereinbarten Zeitpunkt in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand zu übergeben und in demselben zu erhalten. Abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des Mieters sind namentlich nichtig, wenn sie in Mietverträgen über Wohn- oder Geschäftsräume enthalten sind (Art. 256 Abs. 2 lit. b OR). Diese Bestimmung ist zwingender Natur. Eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung ist dann nicht nichtig, sondern gültig, wenn der Mieter für die von ihm übernommen Sacherhalts- oder Sachherstellungspflicht eine volle Entschädigung erhält, vorab durch einen tieferen Mietzins oder anderweitige geldwerte Leistungen des Vermieters.
Anders als das Mietgericht sah das Obergericht vorliegend die Beweislast bei der Vermieterin. Diese habe die Zulässigkeit der Einschränkungen ihrer vertraglichen Verpflichtungen zu beweisen, da sie damit die Aufhebung des vertraglichen Leistungsanspruchs der Mieterin auf Unterhalt der Sache nach Art. 256 Abs. 1 OR behaupte. Eine nachteilige Abweichung im Sinne dieser Bestimmung liege regelmässig dann vor, wenn die Vereinbarung eine Schmälerung der Hauptleistungspflicht des Vermieters zum Inhalt hat, ohne dass eine entsprechende Schmälerung der Mietzinspflicht damit einhergeht. Auch sei er namentlich im Verzicht des Mieters auf die Geltendmachung von Mängelrechten zu sehen. Nicht notwendig sei, dass sich der Nachteil sogleich einstelle. Auch eine blosse, künftige, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mögliche Benachteiligung des Mieters genüge. Weiter war unbestritten, dass die Lüftungsanlage Teil der Mietsache ist. Daraus folgt die Unterhaltspflicht der Vermieterin. Zu prüfen blieb damit, ob die Vermieterin den Nachweis erbringen konnte, dass eine allfällige Vereinbarung der Übertragung der Unterhaltspflicht der Lüftungsanlage nicht zum Nachteil der Mieterin ist. Das gelang der Vermieterin nicht. 39
2.10 Streitgenossenschaft bei Mietzinsanfechtung
Der Mietvertrag über eine Wohnung in Genf unterstand der behördlichen Mietzinskontrolle für subventionierte Wohnungen. Er lautete auf zwei Mitmieter. Diese verlangten vom Vermieter gemeinsam eine Mietzinsreduktion auf den Zeitpunkt, in dem ihre Wohnung aus der behördlichen Kontrolle entlassen wurde. Der eine Mitmieter verliess später die Wohnung und teilte dies dem Vermieter mit. Die zurückgebliebene Mieterin benutzte die Wohnung weiterhin zusammen mit ihren Töchtern. Sie erstritt in der Folge die beantragte Mietzinsreduktion, trat dazu als alleinige Klägerin auf und richtete die Klage gegen den Vermieter und ihren ausgezogenen Mitmieter.
Der Vermieter zog den Fall ans Bundesgericht weiter und machte hier unter anderem geltend, die Mieterin sei nicht legitimiert gewesen, die Klage alleine durchzuziehen. Sie hätte nur gemeinsam mit ihrem Mitmieter vorgehen können, da eine notwendige Streitgenossenschaft vorliege. Beim Kündigungsschutz hat das Bundesgericht zu dieser Frage bereits eine Rechtsprechung entwickelt und erklärt, dass es sich bei den Rechtsmitteln zur Abwehr einer missbräuchlichen Kündigung oder Gewährung einer Mieterstreckung um einen Sozialschutz handle, der jedem einzelnen Mieter persönlich zustehe. Aus diesem Grund müsse einem Mitmieter erlaubt sein, den Kündigungsschutz auch allein einzufordern und dafür als alleiniger Kläger aufzutreten. Da er aber eine notwendige Streitgenossenschaft mit dem Mitmieter bilde, müsse er dazu nebst dem Vermieter auch den Mitmieter als Beklagten in das Verfahren einbeziehen.
Nun weitet das Bundesgericht die so entwickelte Rechtsprechung auch auf die Rechtsbehelfe aus, mit denen sich der Mieter gegen missbräuchliche Mietzinse wehren kann. Die Begründung ist naheliegend und folgerichtig: Der gleiche Sozialschutzgedanke, der dem Mieter erlaubt, gegen Kündigungen vorzugehen, gilt auch bei der Abwehr von missbräuchlichen Mietzinsen. Diese Pfeiler der mietrechtlichen Sozialschutzgesetzgebung gehören zusammen. Das Bundesgericht schützte daher das Vorgehen der Genfer Mieterin.40
2.11 Säumnisfolgen im vereinfachten Verfahren
Nach gescheitertem Schlichtungsversuch auf eine Schadenersatzforderung über rund 10 000 Franken eines Mieters gelangte dieser mit einer Klage im vereinfachten Verfahren mittels Formular gemäss Art. 400 Abs. 2 ZPO an das Bezirksgericht Weinfelden. Die Vermieterin wurde zur Hauptverhandlung vorgeladen. Da die Klage keine den Anforderungen von Art. 221 ZPO genügende Begründung enthielt, verfuhr das Bezirksgericht nach Art. 245 Abs. 1 ZPO und lud die Parteien gleich zur Verhandlung vor. Diesem Termin blieb die Vermieterin und Beklagte ohne Entschuldigung fern. Das Gericht verpflichtete die Vermieterin zur Leistung eines Schadenersatzes von Fr. 9167.15. Das Obergericht des Kantons Thurgau wies die dagegen erhobene Berufung ab. Die Vermieterin zog den Fall ans Bundesgericht weiter.
In diesem Urteil entschied das Bundesgericht die bislang noch nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, wie das Gericht im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens bei Säumnis der beklagten Partei vorgehen müsse. Bleibt die beklagte Partei im vereinfachten Verfahren der Verhandlung nach Art. 245 Abs. 1 ZPO unentschuldigt fern, ist laut Bundesgericht nicht in analoger Anwendung von Art. 223 Abs. 1 ZPO zu einem neuen Gerichtstermin vorzuladen. Vielmehr könne das Gericht gestützt auf Art. 234 Abs. 1 ZPO fortfahren, die Verhandlung in Abwesenheit der säumigen beklagten Partei durchführen und einen Sachentscheid fällen. Die Gehörsrüge der Vermieterin wurde aus diesen Gründen abgewiesen.41
2.12 Anspruch auf mündliche Verhandlung
Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis und verlangte im Verfahren um Rechtsschutz in klaren Fällen (Art. 257 ZPO) die Ausweisung des Mieters. Dabei ersuchte er, auf eine Verhandlung zu verzichten. In seiner Stellungnahme beantragte der Mieter jedoch eine mündliche Verhandlung. Das Regionalgericht Bern-Mittelland wies den Antrag ab und verpflichtete den Mieter, die Wohnung zu verlassen. Dieses Vorgehen wurde vom Obergericht des Kantons Bern geschützt. Der Mieter gelangte ans Bundesgericht, das damit seine Rechtsprechung in dieser Frage (BGer 4A_440/2016) präzisieren konnte. Zunächst hielt es fest, dass auch eine Mieterausweisung im summarischen Verfahren in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK fällt. Danach hat jede Person ein Recht darauf, dass unter anderem über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen öffentlich verhandelt wird.
Indes ist diese Pflicht nicht absolut. Die Parteien können explizit oder stillschweigend auf eine Verhandlung verzichten. Zudem kann von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint, auf eine Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder sogar rechtsmissbräuchlich ist. Das kann bei einer Zahlungsverzugskündigung aber nicht von vornherein unterstellt werden. Da das Bundesgericht keine Anhaltspunkte für eine reine Verzögerungstaktik des Mieters erkennen konnte, hiess es die Beschwerde gut, hob den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern auf und schickte den Fall zur Neubeurteilung an das Regionalgericht Bern-Mittelland zurück.42
1 Urteil LA190003 vom 23.12.2019. Zur separat zu beurteilenden sozialversicherungsrechtlichen Qualifikation sind zwei neuere Entscheide ergangen: BGE 146 V 139 (AHV-beitragsrechtlich selbständige Erwerbstätigkeit einer von der Kesb ernannten Fachbeiständin) und BGE 145 V 320 (AHV-rechtliche Anrechnung von Ausbildungsentschädigungen von Lernvikaren). Vgl. Adrian von Kaenel, Roger Rudolf, «Elektronischer Update-Service zum Praxiskommentar», in: Ullin Streiff, Adrian von Kaenel, Roger Rudolf (Hrsg.), Arbeitsvertrag. Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, N 2 zu Art. 319 OR, Zürich 2012. Teile der vorliegenden Rechtsprechungsübersicht fussen auf diesen Updates.
2 BGer 4A_84/2020 vom 27.8.2020. Erstinstanz: Arbeitsgericht Zürich, Entscheide 2019 Nr. 2; vgl. ferner den Parallelfall des Obergerichts Zürich, Urteil LA190021 vom 23.12.2019, ebenfalls bestätigt in BGer 4A_64/2020 vom 27.8.2020.
3 Urteil HC/2020/535 vom 23.4.2020.
4 Dazu und zum Folgenden: Roger Rudolf, Richterliche Rechtsfindung im Arbeitsrecht, Zürich, Basel, Genf 2021, Rz 177.
5 Vgl. Olivier Steiner, «Die arbeitnehmerähnliche Person – auf Phantomsuche in der schweizerischen Rechtslandschaft», in: ArbR 2008, S. 65 ff., 97; vgl. Streiff, von Kaenel, Rudolf, a.a.O., N 2 zu Art. 319 OR. Nach nicht einheitlicher Terminologie wird in solchen Fällen von arbeitnehmerähnlichen oder scheinselbständigen Personen gesprochen.
6 Vgl. insb. BGE 109 II 462, 112 II 41, 115 II 108 und 118 II 163 f.
7 BGer 6B_430/2020 vom 26.8.2020.
8 Beschluss GE.2019.29/2.02.05 vom 9.10.2019.
9 Urteil VB.2019.00766 vom 24.6.2020.
10 BGer 8C_514/2020 vom 20.1.2021.
11 Urteil AN190021 vom 19.2.2021.
12 Nach den Zahlen des Bundesamts für Statistik beträgt der Bruttomedianlohn in der Privatwirtschaft 6235 Franken pro Monat bzw. 74 820 Franken pro Jahr (Stand: 2016). Damit liegt ein im Sinn der Akzessorietätsrechtsprechung mittleres bis hohes Einkommen zwischen 74 820 und 374 100 Franken vor (= ein- bis fünffacher Jahresmedianlohn).
13 BGer 4A_714/2016 vom 29.8.2017.
14 BGer 4A_155/2019 vom 18.12.2019. So z.B. die Interpretation von BGE 4A_714/2016 vom 29.8.2017 durch Wolfgang Portmann, Roger Rudolph,
Basler Kommentar OR I, 7. Aufl., Basel 2020, N 19 zu Art. 322d OR.
15 BGer 4A_533/2018 vom 23.4.2019.
16 Streiff, Von Kaenel, Rudolf, a.a.O., N 2 zu Art. 327a OR.
17 Obergericht Zürich, ZR 2019 Nr. 64.
18 Entscheid J209/2016 vom 7.6.2018.
19 BGer 4A_619/2019 vom 15.4.2020.
20 Vgl. ferner auch Art. 329 OR (Randtitel) und Art. 362 Abs. 1 OR (Aufnahme in den Katalog der relativ zwingenden Bestimmungen).
21 In diesem Kontext wurde auch die öffentlich-rechtliche Parallelnorm von Art. 36 ArG angepasst.
22 2Vgl. dazu die neuen bzw. revidierten Art. 329i, 329b Abs. 3 lit. d, 336c Abs. 1 lit. cbis und 362 Abs. 1 OR.
23 Zu weitgehend und teilweise widersprüchlich zur eigenen Rechtsprechung BGer 4A_694/2015 vom 4.5.2016, der in internen Untersuchungen generell strafverfahrensähnliche Garantien fordert. Weiterführend zur Kritik an diesem Entscheid und zum Ganzen Roger Rudolph, «Interne Untersuchungen: Spannungsfelder aus arbeitsrechtlicher Sicht», in: SJZ 2018, S. 385 ff.
24 BGer 6B_48/2020 und 6B_49/2020 vom 26.5.2020. Diese strafrechtliche Optik ist zu betonen. Zivilrechtlich richtet sich die Frage in erster Linie nach der Reichweite und den Grenzen der arbeitsrechtlichen Treuepflicht gemäss Art. 321a OR.
25 Urteil VB.2019.00174 vom 14.11.2019.
26 BGer 8C_7/2020 vom 3.11.2020.
27 BGer 8C_242/2020 vom 9.9.2020, insbesondere E. 6.7: «Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid in der Begründung und im Ergebnis Verfassungsrecht verletzt, indem er sich in offensichtlich unhaltbarer und damit willkürlicher Weise über die kantonalen Gesetzesgrundlagen hinwegsetzt.»
28 BGer 4A_295/2020 vom 28.12.2020.
29 BGer 4A_108/2019 vom 22.1.2020, übersetzt in mp 3/20, S. 318.
30 BGE 146 III 82, übersetzt in mp 2/20, S. 144.
31 Obergericht des Kantons Bern vom 9.4.2020 (ZK19 522) in mp 1/21, S. 37.
32 Obergericht des Kantons Solothurn vom 23.7.2019, in mp 2/20, S. 177.
33 Kantonsgericht Basel-Landschaft vom 9.4.2019, in mp 2/20, S. 183.
34 Entscheid des Schiedsgerichts Schenkel & Serrago Rechtsanwälte, Luzern, 30.3.2020, in mp 2/20, S. 152.
35 BGE 147 III 14, übersetzt in mp 1/21, S. 45.
36 BGE 147 III 32.
37 BGer 4A_305/2020 vom 11.2. 2021, E. 5.4.2.
38 Mietgericht Zürich vom 4.5.2018 in ZMP 2018 Nr. 9.
39 Obergericht des Kantons Zürich vom 23.4.2020 (PD190010-O); ZMP 2020 Nr. 9.
40 BGE 146 III 346, übersetzt in mp 3/20, S. 361.
41 BGE 146 III 297.
42 BGer 4A_ 451/2020 vom 12.11.2020.