Vor mehr als einem Jahr ist die schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) in Kraft getreten. Die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts ist damit endlich Wirklichkeit geworden. Der Umfang und die Art der Änderungen fielen in den verschiedenen Kantonen unterschiedlich aus. Nach einem Jahr des Prozessierens gestützt auf eine einzige, eidgenössische Zivilprozessordnung stellt sich die Frage, ob nun auch in der (Gerichts-)Praxis tatsächlich die beabsichtigte Vereinheitlichung stattgefunden hat.
Aufgrund der Übergangsbestimmungen unterstehen viele - noch hängige - Prozesse den alten, kantonalen Prozessordnungen. Von gelebter Praxis und «gefestigter» Rechtsprechung nach der neuen ZPO kann somit noch nicht die Rede sein. Obwohl über die neue ZPO schon viel geschrieben worden ist, sind Richter und Anwälte über einzelne Aspekte unsicher und tasten sich an die neue Rechtsordnung heran. Ob gewisse Lösungsvorschläge der Lehre auch Praxis werden sollen, lässt sich erst in einigen Jahren beurteilen. Über einzelne Themen der neuen Zivilprozessordnung wird im Folgenden - zum Teil noch «prognostisch» - diskutiert.
Gerichtliche Fragepflicht
Die richterliche Einflussnahme im Verfahren kann von beachtlicher Tragweite für den Ausgang des Verfahrens sein. Die Anwälte sind deshalb gespannt auf die konkrete Umsetzung der in der ZPO formulierten richterlichen Fragepflicht. Für Unsicherheit sorgt der Umfang der richterlichen Fragepflicht, da die Verhandlungsmaxime dadurch gemildert wird. Die Fragepflicht soll nicht etwa dazu dienen, Nachlässigkeiten in prozessualer Hinsicht zu beheben. In der Praxis wird bereits heute differenziert, ob die Partei anwaltlich vertreten ist oder nicht.
Dies bestätigt auch die neuste bundesgerichtliche Rechtsprechung (Urteil 4A_169/2011 vom 19. Juli 2011, Erwägung 5.4), welche sich zwar noch mit der gerichtlichen Fragepflicht nach kantonalem Prozessrecht zu befassen hatte. Die richterliche Fragepflicht nach Artikel 56 ZPO statuiert nach aktuellem Verständnis des neuen Prozessrechts eine Fragepflicht und nicht ein Fragerecht. Die richterliche Fragepflicht wird dennoch nach dem Gesetzeswortlaut auf unklare, widersprüchliche, unbestimmte oder offensichtlich unvollständige Vorbringen der Parteien angewendet. Darunter fallen Ausführungen zum Sachverhalt, Beweisanträge und auch Rechtsbegehren.
Die kantonalen Zivilprozessordnungen waren diesbezüglich sehr unterschiedlich ausgestaltet. Während einzelne Richter - beispielweise gestützt auf die altrechtliche bernische Zivilprozessordnung - im Rahmen einer materiellen Prozessleitung auf die Sammlung des «Prozessmaterials» aktiv Einfluss nahmen und zum Beispiel nicht beantragte Zeugen gehört haben, haben andere Richter den Parteien die Wahl des Weges zur materiellen Wahrheitsfindung überlassen und lediglich die formelle Prozessleitung übernommen.
Angesichts des Spannungsfeldes zwischen dem Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung und dem im Zivilprozess herrschenden Verhandlungsgrundsatz ist eine unterschiedliche Handhabung der richterlichen Fragepflicht zu erwarten. Die Leitplanken werden mit der Zeit aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entstehen.
Eventualmaxime und Novenrecht
Bei der Vereinheitlichung der Prozessordnung hat der Gesetzgeber einen Kompromiss zwischen der strengen Eventualmaxime - wie nach altrechtlicher ZPO des Kantons Basel - und einem grosszügigen Novenrecht - wie beispielweise nach luzernischer ZPO - kodifiziert. Die Eventualmaxime ist in der neuen Zivilprozessordnung nicht ausdrücklich erwähnt (ergibt sich aus den Schranken des Novenrechts gemäss Artikel 229 und der Klageänderung gemäss Artikel 227 ZPO), ist aber für den Zeitpunkt des Behauptens und Beweisens von eminenter Bedeutung: Alle Eventualitäten sind dem Gericht - einschliesslich aller notwendigen Behauptungen und Beweisofferten - rechtzeitig vorzulegen.
Das Prozessrecht verlangt, dass die Parteien dem Gericht den Prozessstoff nicht auf eine bloss summarische Art und Weise unterbreiten, sondern ihre Behauptungen und Bestreitungen substantiiert vorbringen, das heisst, die wesentlichen Tatsachen so umfassend und konkret benennen, dass darüber Beweis abgenommen werden kann (Urteil Bundesgericht 4C.220/2002 vom 7. Oktober 2002 und 5P.210/2005 vom 21. Oktober 2005, Erwägung 4.1).
Ist das Vorbringen einer Partei unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich unvollständig, so gibt ihr das Gericht durch entsprechende Fragen Gelegenheit zur Klarstellung und zur Ergänzung (Artikel 56 ZPO). Aufgrund des beschränkten Novenrechts sind neue Behauptungen nur bis zum Abschluss des Schriftenwechsels oder bis zur letzten Instruktionsverhandlung beziehungsweise bis zu Beginn der Hauptverhandlung beim einfachen Schriftenwechsel zulässig (Artikel 229 ZPO). Im Rahmen des Berufungsverfahrens sind Noven nur ganz eingeschränkt zulässig (Artikel 317 ZPO).
Obwohl die Spielregeln grundsätzlich im Gesetz klar formuliert sind, hat die Anwendung der entsprechenden Normen doch wichtige Fragen aufgeworfen. Die Thematik der Noven im Verfahren mit Untersuchungsmaxime ist kürzlich durch das Obergericht des Kantons Zürich untersucht worden. Das Obergericht hat mit Urteil vom 6. Dezember 2011 entschieden, dass entgegen dem Wortlaut des Gesetzes neue Behauptungen auch in der Berufung uneingeschränkt zulässig sind, wenn der Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären ist (NQ110056-O/U).
Wie sich der nachvollziehbaren Begründung des Gerichtes - unter Verweis auf die Lehre - entnehmen lässt, war es Absicht des Gesetzgebers, dass das Novenrecht im Berufungsverfahren den gleichen Einschränkungen wie im Hauptverfahren vor erster Instanz unterliegt. Gerade bei einem neuen Gesetz stellt die Anwendung den wichtigsten Prüfstand dar.
Streitverkündungsklage
Die Streitverkündungsklage (Artikel 81 ZPO) war bis heute nur in den Westschweizer Kantonen - appel en cause - bekannt. Dieses Instrument öffnet zwar neue Türen für Prozessstrategien, bereitet jedoch noch Anwendungsschwierigkeiten in den noch nicht geübten Kantonen. In gewissen Rechtsbereichen, wie im Bau- und im Haftpflichtbereich, ist dieses neue Instrument besonders praxisrelevant. Die Streitverkündungsklage ist eine Verstärkung der einfachen - bereits bekannten - Streitverkündung. Mit der Streitverkündungsklage kann die streitverkündende Partei (in der Regel der Beklagte) ihre Ansprüche, die sie im Falle des Unterliegens gegenüber der streitberufenen Person zu haben glaubt, beim Gericht, das mit der Hauptklage befasst ist, geltend machen. Dies ist regelmässig der Fall, wenn dem Beklagten respektive dem Streitverkündungskläger ein Regressanspruch gegenüber dem Streitverkündungsbeklagten zusteht.
Eine solche Klage ist dann sinnvoll, wenn der Beklagte seine Gewinnchancen im Hauptverfahren als positiv beurteilt. Ein solches «Gesamtverfahren» bietet zwar viele Vorteile, hat aber auch Nachteile, wie Verzögerungen und Komplikationen des Prozesses.
Grosse Unsicherheit bereitet die Frage der Kostenfolge im Falle der Abweisung der Hauptklage. Eine Erledigung des Hauptprozesses mittels Abweisung der Klage führt automatisch zur Gegenstandslosigkeit der Streitverkündungsklage. Ist in diesem Fall der im Hauptprozess obsiegende Beklagte und Streitverkündungskläger dem Streitverkündungsbeklagten gegenüber entschädigungspflichtig? Oder bleibt der Streitverkündungsbeklagte, der vom Streitverkündungskläger nichts mehr zu befürchten hat, auf seinen Kosten sitzen? Oder sind die Prozesskosten ebenfalls dem Kläger des Hauptprozesses aufzuerlegen?
In den Fällen der Einklagung eines weit verstandenen Gesamtschadens werden die Beklagten aus einem unterschiedlichen Klagefundament belangt. Demnach sind grundsätzlich so viele Parteientschädigungen zuzusprechen, wie einheitliche Verursacherkreise ins Recht gefasst werden. Die Prozessordnung regelt jedoch nicht das Zusammenspiel in sogenannten «Gesamtverfahren», die aus einem Hauptprozess und einem Streitverkündungsprozess bestehen. Die ZPO sieht in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer Verteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen nach richterlichem Ermessen vor, namentlich wenn eine Partei in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst war (Artikel 107 Absatz 1 litera b ZPO) oder wenn das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben wird und das Gesetz nichts anderes vorsieht (Artikel 107 Absatz 1 litera e ZPO). Eine Grundlage für die Entlastung des gutgläubigen Streitverkündungsklägers liegt daher vor.
Diese Lösung ist jedoch im Regelfall ungünstig und sogar ungerecht für den zum Streit berufenen Dritten und Streitverkündungsbeklagten. Anderseits ist die Grundlage für die Überbindung der Kosten auf den Kläger des Hauptprozesses nicht offensichtlich. Die Unsicherheit in Bezug auf die Kostenfolge ist wohl der Grund für die zurückhaltende Anwendung des Instituts der Streitverkündungsklage. In der Lehre sind bereits Lösungsversuche skizziert worden. Wir warten gespannt auf die ersten Gerichtsurteile.
Fristen
Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen sind in Zusammenhang mit den Fristen wesentliche Änderungen des Gesetzesentwurfes vorgenommen worden, deren Tragweite offensichtlich übersehen worden ist. Der Entwurf für eine schweizerische Zivilprozessordnung sah - in Übereinstimmung mit der Mehrheit der kantonalen Regelungen - einerseits eine fristgebundene Berufungserklärung mit nachträglicher Einreichung der Berufungsbegründung und anderseits eine richterliche und somit erstreckbare Frist für die Berufungsantwort vor.
Die heute geltende ZPO sieht eine dreissigtägige - nicht erstreckbare Frist - für die begründete Berufung und für die Berufungsantwort vor (Artikel 311 Absatz 1 und 312 Absatz 2 ZPO). Bei einem Entscheid, der im summarischen Verfahren ergangen ist, beträgt die ebenfalls nicht erstreckbare Frist für Berufung und die Antwort jeweils nur zehn Tage (Artikel 314 Absatz 1 ZPO).
Die Vertreter der Anwaltschaft, die an dieser Lösung mitgewirkt haben, hatten leider nicht das Glück, gleichzeitig einige interessante aktenreiche und komplexe forensische Fälle in Bearbeitung und/oder vielbeschäftigte Kunden zu haben, die auch immer wieder geschäftlich oder ferienhalber abwesend sind. Ansonsten hätten sie eine solche Lösung weder vorgeschlagen noch ihr zugestimmt.
Es kann nämlich ein organisatorisches Meisterwerk bedeuten - im ungünstigsten Fall - binnen dreissig Tagen gleichzeitig mehrere Berufungen/Berufungsantworten mit der Klientschaft zu diskutieren, abzustimmen und zu redigieren. Dies auch unter Berücksichtigung des sonstigen Arbeitsanfalles und - im sehr ungünstigen Fall - während der Ferienabwesenheit oder während einer sonstigen Abwesenheit des fallverantwortlichen Anwalts und/oder des Klienten.
Nachdem niemand unersetzbar ist, ist eine solche - ungünstige, allenfalls sehr ungünstige - Situation ohne weiteres lösbar, und zwar mit unnötigem Mehraufwand und somit mit finanziellen Folgen zulasten der Parteien! Da ein solcher zeitlicher Druck in keiner Weise die Effizienz und die Qualität der Prozessführung fördert, ist eine baldige Gesetzesänderung anzustreben.
Vorsorgliche Beweisführung
Das Institut der vorsorglichen Beweisführung ermöglicht die zeitliche Vorverlegung der Beweisabnahme (Artikel 158 ZPO). Die Möglichkeit, vorsorglich Beweis zu führen, ist nicht neu. Diverse kantonale Zivilprozessordnungen kannten vergleichbare Regelungen, selbst wenn jeweils nicht gross Gebrauch davon gemacht wurde. Die meisten Kantone kannten nur die vorsorgliche Beweissicherung bei Gefährdung des Beweismittels.
Die schweizerische Zivilprozessordnung erweitert den Anwendungsbereich auf vorsorgliche Beweisführung bei «schutzwürdigem Interesse» (Artikel 158 Absatz 1 litera b ZPO). Damit wird die Abklärung von Beweis- und Prozessaussichten auch ohne eine Gefährdung des Beweismittels ermöglicht. Nebst der Möglichkeit zur Beweissicherung stellt die vorsorgliche Beweisführung zum Beispiel in Schadenersatzprozessen einen weiteren wichtigen Anwendungsfall dar. Der Anspruchsteller kann vorsorglich eine gerichtliche Expertise anordnen lassen, um festzustellen, wie die Aussichten einer Klage gegen den Haftpflichtigen sind, beziehungsweise um die Höhe seines Anspruches zu ermitteln.
Aufgrund der Erweiterung des Anwendungsbereiches dieses Instruments kann in den meisten Fällen die Beweisabnahme aus prozessökonomischen Gründen zugelassen werden, wenn die spätere Abnahme nicht unmöglich, aber mit erheblich grösserem Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist. Die Frage, ob die Erschwerung der späteren Beweisabnahme unter den Begriff der Gefährdung subsumiert werden kann, wurde in einem aktuellen Obergerichtsurteil des Kantons Zürich offen gelassen, mit der Begründung, dass das Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses, an welches keine hohen Anforderungen zu stellen sind, genügen würde (Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich LF110059-O/U vom 31. August 2011).
Bei der Frage der Zuständigkeit des für die Beweisabnahme anzurufenden Gerichtes ist zu beachten, dass das Gesuch für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen bei dem für die Hauptsache zuständigen Gericht einzureichen ist (Artikel 13 ZPO). Daraus ergibt sich im Weiteren, dass das Handelsgericht für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen vor Eintritt der Rechtshängigkeit einer Klage zuständig ist (Artikel 6 Absatz 5 ZPO).
Diese zusätzliche Aufgabe der Handelsgerichte ist ein Novum und führt zu gewissen Unsicherheiten, sobald die Zuständigkeit für den Gesuchsteller - oft ein juristischer Laie - nicht offensichtlich ist und das Gesuch dringlich und termingebunden ist. Dies ist etwa der Fall bei der vorläufigen Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechtes. Im Kanton Zürich war die Frage der sachlichen Zuständigkeit bei vorläufiger Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechtes Gegenstand einer richterlichen Diskussion (siehe Entscheid des Einzelrichters «Audienz» Zürich ES110037-L vom 15. Juni 2011; Entscheid des Einzelrichters am Handelsgericht Zürich HE110333 vom 16. Juni 2011; Verfügung des Obergerichts des Kantons Zürich LF110073-O/Z2 vom 12. Juli 2011). Mit seinem Entscheid vom 9. Dezember 2011 hat das Bundesgericht hier die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts festgestellt (5A_453/2011).
Im Kostenpunkt ist zu beachten, dass der Gesuchsteller - gestützt auf das Verursachungsprinzip - die Gerichts- und die Beweiskosten der vorsorglichen Beweisführung grundsätzlich selbst zu tragen hat. Das Prinzip, wonach die Gerichtskosten für die vorsorgliche Beweisabnahme vom Gesuchsteller grundsätzlich selbst zu tragen sind, ist demnach zu durchbrechen, wenn der Gesuchgegner den Anspruch auf eine vorsorgliche Beweisabnahme als solche bestreitet und dadurch ein Verfahren über diese Frage anstrengt. Wird die vorsorgliche Beweisführung auf Antrag des Gesuchgegners ausgedehnt, soll er für die daraus entstehenden Mehrkosten aufkommen. Die ersten Erfahrungen über die Kostenfolgen werden für den effektiven Gebrauch des Instituts der vorsorglichen Beweisführung entscheidend sein.
Inkasso- und Ausfallrisiko
Die kantonalen Zivilprozessordnungen regelten die Frage des Vorschusses der Prozesskosten unterschiedlich. Gemäss ZPO kann das Gericht von der klagenden Partei einen Vorschuss bis zur Höhe der mutmasslichen Gerichtskosten verlangen (Artikel 98 ZPO). Diese Regelung entlastet den Beklagten, der nach altrechtlich bernischer Zivilprozessordnung auch zur Zahlung von Kostenvorschüssen im vom Kläger eingeleiteten Verfahren verpflichtet war.
Neu für viele Kantone ist die Auferlegung des vollen Inkasso- und Ausfallrisikos für die Gerichtskosten zulasten des Klägers. Die Gerichtskosten werden gemäss Artikel 111 ZPO mit dem regelmässig vom Kläger geleisteten Vorschuss verrechnet. Die kostenpflichtige Partei ist anschliessend verpflichtet, der anderen Partei die geleisteten Vorschüsse zu ersetzen. Die Information über das Inkasso- und Ausfallrisiko gehört somit nunmehr zu den Aufklärungspflichten des klägerischen Anwaltes. Die nicht vertretenen Parteien sind ja neu durch das Gericht über die anfallenden Prozesskosten aufzuklären (Artikel 97 ZPO).
Sicherstellung der Prozess- und Parteikosten
Die Kaution für die Gerichts- und Parteikosten war vor dem 1. Januar 2011 kantonal unterschiedlich geregelt. Mit der schweizerischen ZPO ist - wie bereits erwähnt - die Kaution für die Gerichtskosten in Artikel 98 ZPO normiert, als «kann»-Bestimmung formuliert, erfolgt ohne Antrag der Parteien und dürfte den Regelfall darstellen. Für die Parteientschädigung hat der Kläger auf Antrag des Beklagten aus folgenden Gründen Sicherheit zu leisten (Artikel 99 ZPO): Der Kläger hat keinen Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz (litera b), erscheint zahlungsunfähig (litera c), schuldet Prozesskosten aus früheren Verfahren (litera d) oder es liegen andere Gründe vor, die zu einer erheblichen Gefährdung für die Parteientschädigung führen (litera d).
Was unter «anderen Gründen» dieses Auffangtatbestandes zu verstehen ist, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Gemäss den Kommentatoren reicht es zur Erfüllung dieses Tatbestandes aus, wenn die Leistungsfähigkeit der klagenden Partei - ohne betreibungsrechtlichen Nachweis - erheblich gefährdet erscheint, indem sie nachweislich einer gesetzlichen, vertraglichen oder ausservertraglichen Verpflichtung gegenübersteht, die ihre Aktiven bei weitem übersteigt. Die Bemessung der Sicherheitsleistung hat nach der mutmasslichen Höhe der Parteientschädigung zu erfolgen.
Aufgrund der erweiterten Möglichkeiten zur Sicherheitsleistung der Parteientschädigung ist zu erwarten, dass damit missbräuchliche und querulatorische Prozesse mit hohen Kostenfolgen eingedämmt werden können.
Verjährungsunterbrechung vor Handelsgericht
Bei Verfahren, für die eine einzige kantonale Instanz zuständig ist - so auch vor dem Handelsgericht - ist kein Schlichtungsverfahren durchzuführen. Bei drohendem Ablauf einer Verjährungsfrist und bei Unmöglichkeit beziehungsweise Schwierigkeiten, gegen den potenziellen Schuldner verjährungsunterbrechende Massnahmen rechtzeitig einzuleiten (beispielsweise mangels eines Betreibungsortes in der Schweiz), kann dies in Fällen, in denen das Handelsgericht zuständig ist, zur Folge haben, dass direkt beim zuständigen Handelsgericht geklagt werden muss, damit die Verjährungsfrist unterbrochen wird.
Der Gläubiger kann die Verjährung seiner Forderung nämlich nur mit Einreichung einer ausgearbeiteten Klage an das jeweilige Handelsgericht unterbrechen, da das Schlichtungsverfahren gestützt auf Artikel 198 litera f in Verbindung mit Artikel 6 ZPO hier entfällt. Der Rückzug derselben führt zu einer res iudicata.
Ein solches Vorgehen ist somit mit Risiken verbunden und erfüllt je nach Situation nicht den gewünschten Zweck. Die Einreichung eines Schlichtungsgesuches vor dem (unzuständigen) Schlichtungsrichter könnte problematisch werden, da sich die Nachfrist gemäss Artikel 63 ZPO gesetzessystematisch nur auf die örtliche, nicht jedoch auf die sachliche Zuständigkeit beziehen dürfte.
Die Anwaltschaft wartet mit Spannung den Versuch eines Kollegen ab, der nach der Einreichung der Klage diese umgehend wieder zurückzieht, bevor das Handelsgericht die Klage der beklagten Partei zugestellt hat (Artikel 65 ZPO). Vorteilhaft wäre es, einen solchen Vorfall bis vor Bundesgericht weiterzuziehen, damit eine entsprechende Gerichtspraxis vorliegen würde.
Verfahrensablauf
Über den Verfahrensablauf bestanden unterschiedliche kantonale Regelungen und, wo das Gesetz Raum gelassen hat, auch zusätzliche regional verschiedene Gepflogenheiten. Die neue ZPO lässt den Gerichten viel Spielraum beim Aufbau eines Verfahrens. Abhängig von der Komplexität der Streitsache hat das Gericht die Möglichkeit, nach dem ersten Schriftenwechsel gleich zur Hauptverhandlung vorzuladen oder aber zuerst einen zweiten Schriftenwechsel durchführen zu lassen, eine Instruktionsverhandlung anzuordnen und dann erst den zweiten Schriftenwechsel zu verfügen oder aber eine Instruktions- und später eine Hauptverhandlung durchführen zu lassen. Für die Parteien ist meistens nicht voraussehbar, welche Variante das Gericht im Einzelfall wählen wird. Die verschiedenen möglichen Varianten im Verfahrensablauf haben zur Folge, dass der Zeitpunkt, ab welchem die Parteien nur noch beschränkte Noven einbringen können, variiert. Entsprechend ist die Planung und Einschätzung eines Prozessablaufes schwierig.
Die Transparenz bezüglich Verfahrensablauf wird unterschiedlich gehandhabt. Es ist immerhin festzustellen, dass eine grosse Anzahl der Gerichte mit der neuen ZPO die Parteien ausführlich(er) über die massgeblichen Prozessgrundsätze sowie über die mutmasslichen Gerichtskosten und die Parteientschädigung - selbst wenn die Parteien vertreten sind - orientiert. Ebenfalls erfreulich ist der explizite Verweis auf die nicht erstreckbaren Fristen, welche die meisten Gerichte auf ihren Verfügungen vermerken. Nützlich für die Planung der Arbeiten wäre auch eine Angabe über den voraussichtlichen Verlauf des Verfahrens.
Anforderungen bei Rechtsschutz in klaren Fällen
Hinsichtlich der Anforderungen an die Bestreitung bei Gesuchen um Rechtsschutz in klaren Fällen im Sinne von Artikel 157 ZPO hatte das Bundesgericht bereits Gelegenheit, sich darüber zu äussern. Das Bundesgericht bestätigt den in der Lehre gefestigten Grundsatz, nach welchem offensichtlich haltlose Bestreitungen - sogenannte Schutzbehauptungen - nicht ausreichen, um einen an sich bewiesenen Sachverhalt illiquid erscheinen zu lassen. In Anbetracht der Einigkeit der Lehre, gestützt auf die Ausführungen in der Botschaft zur schweizerischen Zivilprozessordnung, verneint das Bundesgericht zudem das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Urteil Bundesgericht 5A_645/2011 vom 17. November 2011).
Ausblick und Schlusswort
Durch die Inkraftsetzung der schweizerischen Zivilprozessordnung hat der Gesetzgeber tatsächlich eine Vereinheitlichung erzielt, was zu einem Gewinn an Rechtssicherheit führt. Die schweizerische Zivilprozessordnung enthält jedoch zahlreiche Unklarheiten, die entweder durch die Rechtsprechung oder aber durch entsprechende Gesetzesänderungen geregelt werden sollten.
Erstrebenswert ist eine rasche Anpassung derjenigen Regelungen, die sich in der Praxis bereits als Hindernis oder aber als Kostenfaktor erwiesen haben. Darunter fällt beispielsweise die Fristenregelung bei den Rechtsmitteln. Im Anwendungsbereich ist zudem spürbar, dass die Gerichte vielfach nicht von den ihnen bekannten Abläufen abweichen wollen. Es wird vermutlich noch eine Richtergeneration brauchen, bis sich die kodifizierte Einheitlichkeit auch tatsächlich in der Praxis durchgesetzt haben wird.