Verfassungsrecht
Grundrechte
Whistleblowing in der öffentlichen Verwaltung (Yvo Hangartner), AJP 2012, S. 491 ff.
Der Verfasser diskutiert grundrechtliche Aspekte des Whistleblowings und spricht sich aus für eine gesetzliche Regelung zumindest organisatorischer Fragen.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Entwicklungen im Bereich des komplementären Schutzes in der Schweiz und in der Europäischen Union (Muriel Trummer), Asyl 2012/2, S. 10 ff.
Während Kriegsvertriebene in der EU einen vergleichsweise guten «subsidiären Schutzstatus» erhalten, werden sie in der Schweiz zu «vorläufig Aufgenommenen», die kaum eine Integrationsperspektive erhalten, obwohl sie in der Regel dauerhaft hierbleiben. Statt eine Verbesserung zu erfahren, soll der Status mit der laufenden Revision des Asyl- und Ausländergesetzes noch weiter verschlechtert werden. Dies trifft über 20 000 Personen in der Schweiz. Die längerfristigen Folgen wird die Gesellschaft tragen müssen.
Die UNHCR-Position zum menschenrechtlichen Schutz der Ausreisefreiheit und der Reisefreiheit für Personen aus dem Asylbereich (Constantin Hruschka). Asyl 2012/2, S. 31 ff.
Die Verordnung über die Ausstellung von Reisedokumenten für ausländische Personen (RDV) ist in Revision. Neu sollen Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene grundsätzlich nicht mehr ausreisen können, wobei das Bundesamt für Migration die Ausreise ausnahmsweise bewilligen kann, zum Beispiel bei schwerer Erkrankung von Familienangehörigen. Der Autor weist überzeugend nach, dass damit gegen internationale Menschenrechte verstossen und ohne gesetzliche Grundlage in Art. 10 BV (Bewegungsfreiheit) eingegriffen wird.
Umwelt-, Bau- und Planungsrecht
Welche Regelungen braucht es zur Förderung der verdichteten Bauweise? (Rudolf Kappeler) AJP 2012, S. 457 ff.
Lesenswerter Beitrag einschliesslich eines konkreten Regelungsvorschlags zu einem Thema, das angesichts der Notwendigkeit einer haushälterischen Nutzung des Bodens an Bedeutung gewinnen wird.
Übriges Verwaltungsrecht
Anwaltsgesellschaften in der Schweiz (Gaudenz G. Zindel), SJZ 2012, S. 249 ff.
Der Autor zeigt den Rahmen für eine Liberalisierung der Organisationsformen von Anwaltskanzleien auf. Das geplante schweizerische Anwaltsgesetz sieht eine Regelung der Anwaltsgesellschaften vor und enthält die in der Praxis bereits vertrauten Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Anwaltskörperschaften. Der Autor stellt fest, dass die Zulassung von Anwaltsgesellschaften mit den Grundfesten des Anwaltsberufes in Einklang steht.
PPP in Grossbritannien - kein Königsweg (Hedwig Dubler / Ulrich Keusen), Baurecht 2012, S. 4 ff.
Die Public Private Partnership (PPP) findet als alternative Form öffentlicher Beschaffungen eine gewisse Verbreitung. Grossbritannien hat dabei eine Vorreiterrolle. In der Schweiz hat sich die PPP bisher kaum durchgesetzt. Die Autoren geben einen kritischen Bericht des Finanzausschusses des britischen Unterhauses wieder. Sie kommen zum Schluss, dass PPP für das Beschaffungswesen nur Anregungen liefern kann, jedoch kein taugliches Allzweckmittel darstellt.
Vom öffentlichen Restaurationsbetrieb zum privaten Raucherklub (Wolfgang Portmann / Rémy Ribbe), AJP 2012, S. 649 ff.
Die Autoren diskutieren Vereinskonstruktionen, mit denen Gastgewerbebetriebe den gesetzlichen Rauchverboten zu begegnen versuchen. Sie zeigen anhand erster Entscheide von Gerichten und Verwaltungsbehörden, dass es dabei nicht nur um den öffentlichen Charakter der Betriebe geht, sondern dass auch der Arbeitnehmerschutz eine massgebliche Bedeutung hat.
Der Fluch des Gewinners in der öffentlichen Beschaffung (Simon Bühler), AJP 2012, S. 685 ff.
Der Autor befasst sich mit den fehlenden inhaltlichen Schranken für Ausschreibungsbedingungen. Die Schutzmechanismen im Kartell- und Lauterkeitsrecht sowie die Bindung an Grundrechte und verwaltungsrechtliche Schranken bieten seines Erachtens keinen ausreichenden Schutz, weshalb er eine extensive Auslegung des Transparenzgebots anregt.
Sozialversicherungsrecht
Inwieweit darf die Sozialhilfebehörde am sozialversicherungsrechtlichen Honigtopf naschen? (Hardy Landolt) AJP 2012, S. 639 ff.
Der empfehlenswerte Beitrag erläutert einerseits die verschiedenen Normen zur Koordination zwischen Sozialversicherungs- und Sozialhilfeleistungen und geht andererseits der Frage nach, inwieweit Sozialhilfebezüger zum Vorbezug eigentlich für das Alter vorgesehener Vorsorgeguthaben verpflichtet werden können. Den Schluss bilden Ausführungen zur sozialhilferechtlichen Anrechnung von Verzichtsvermögen.
BVG
Änderung des BVG über die Strukturreform in der beruflichen Vorsorge. Hohe Ziele und offene Fragen (Jürg Brechbühl), SZS 56/2012, S. 101 ff.
Umfassende Übersicht über die am 1. Januar 2012 in Kraft getre-tene BVG-Revision: Die Aufsicht und Oberaufsicht erhielten neue Strukturen, die Pensionskassen-Governance wurde verschärft und in einer neuen Verordnung wurde die Aufsicht über die Anlagestiftungen detailliert geregelt.
Strafrecht Allgemeiner Teil
Whistleblowing als Rechtfertigungsgrund (Daniel Jositsch / Claudia Brunner), AJP 2012, S. 483.
Der Beitrag befasst sich mit den Urteilen betreffend die zwei früheren Mitarbeiterinnen des Sozialdepartements der Stadt Zürich wegen Amtsgeheimnisverletzung. Dass die Urteile des Obergerichts und des Bundesgerichts auf Kritik stossen, überrascht nicht, waren die Autoren doch die unterlegenen Verteidiger.
Dem Legalitätsprinzip die Hosen heruntergelassen - Anmerkungen zum «Nacktwanderer»-Urteil des Bundesgerichts (Stefan Maeder), jusletter vom 11. Juni 2012.
Der Beitrag befasst sich mit dem BGE 138 IV 13. Im Lichte von Art. 335 StGB bejaht der Autor die Kompetenz der Kantone zum Erlass solcher Verbotsnormen. Er kritisiert jedoch, dass das Urteil auf eine allgemeine, auf Sitte und Anstand verweisende Strafnorm gestützt wurde, was nicht mit dem Legalitätsprinzip vereinbar sei. Da es zahlreiche, allgemein gehaltene Strafnormen in den Kantonen gibt, ist der Beitrag über das Nacktwandern hinaus relevant.
Privatrecht
Familienrecht
Der persönliche Verkehr des Kindes mit Dritten (Gisela Kilde), FamPra 2/12, S. 311 ff.
Aus dem Blickwinkel des Kindes und der (rechtlich begründeten) Haltung, dass das Kind im persönlichen Umgang als eigenständig anspruchsberechtigte Person gilt, wirft die Autorin einen kritischen Blick auf die Partizipationspraxis. Sie macht Vorschläge, wie das Kind in der Abklärungsphase sowie während und nach der Platzierung wirkungsvoll einbezogen werden kann. Entscheidend sind nebst den gesetzlichen Rahmenbedingungen der Wille, das Kind als eigenständige Rechtspersönlichkeit zu achten, und das interdisziplinäre Zusammenwirken der Beteiligten.
Aufbau einer angemessenen Altersvorsorge und Dauer des nachehelichen Unterhalts (Thomas Geiser), FamPra 2/12, S. 353 ff.
Der Beitrag vermittelt einen guten und konzentrierten Überblick über den Zweck, die Rechtsgrundlage, die unterschiedlichen Berechnungsmethoden sowie die Rechtsnatur des Vorsorgeunterhalts.
Sachenrecht
Die Bürgschaft als Sicherheit? Überlegungen zur Sicherheitsleistung insbesondere beim Bauhandwerkerpfandrecht nach neuem ZGB (Stephan Dusil), ZSR 2012 I, S. 209 ff.
Der Autor befasst sich mit den Auswirkungen der Revision des Immobiliar- und Grundbuchrechts, die am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen ist. Damit wurde unter anderem eine einfache Bürgenhaftung des Staates gegenüber den Subunternehmern für Bauleistungen auf Verwaltungsvermögen eingeführt. Der Autor postuliert in der Folge eine neue Definition des Begriffs der hinreichenden Sicherheit gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB, nach der auch eine einfache Bürgschaft ohne Gerichtsstandsklausel genügen soll.
Haftpflichtrecht
Das kleine Schadenregulierungs-ABC des internationalen Strassenverkehrsunfalls
(Patrik Eichenberger), HAVE 2012, S. 32 ff.
Der Beitrag sensibilisiert Praktiker für wichtige Fragestellungen bei internationalen Verkehrsunfällen. Dargestellt werden insbesondere die kollisionsrechtlichen Grundlagen sowie die besonderen Regulierungswege.
Was ist eine Schutznorm? Vito Roberto / Jennifer Rickenbach), ZSR 2012 I, S. 185 ff.
Der Beitrag befasst sich kritisch mit dem Begriff der Schutznorm und seiner Abhandlung in der schweizerischen Lehre. Wegen der allzu vagen und grosszügigen Begriffsumschreibung drohe namentlich bei den reinen Vermögensschäden eine Haftungs-ausuferung, stellen die beiden Autoren fest. Sie postulieren vor diesem Hintergrund, dass Schutznormverletzungen bei reinen Vermögensschäden nur ausnahmsweise zur Begründung einer Haftung dienen.
Kauf- und Mietrecht
Freizeichnungsklauseln in Grundstückkaufverträgen - Gegenstand einer AGB-Kontrolle oder der Selbstverantwortung? (Markus Vischer) SJZ 2012, S. 177 ff.
Der Autor beleuchtet die Bedeutung und Anwendbarkeit des am 1. Juli 2012 in Kraft tretenden neuen Art. 8 UWG. Die neue, erweiterte Kontrolle findet auf Freizeichnungsklauseln in Grundstückkaufverträgen allerdings keine Anwendung, da sie in der Regel durch Notare aufgesetzt werden. Der Autor appelliert daher an die Selbstverantwortung der Grundstückkäufer und fordert sie sowie die Notare auf, bei der Vertragsgestaltung eine aktive Rolle zu spielen.
Übergangsrechtliche Fragen zum revidierten Gewährleistungsrecht (David Rüetschi), jusletter vom 4. Juni 2012.
Der Gesetzgeber hat keine Übergangsregelung zum revidierten Gewährleistungsrecht, dessen Inkrafttreten noch offen ist, geschaffen. Damit kommen die allgemeinen Regeln des intertemporalen Privatrechts zur Anwendung. Der Beitrag zeigt auf, was das im Einzelnen bedeutet.
Arbeitsvertragsrecht
Arbeitsrechtliche Fragen bei Präsentismus (Arbeit trotz Krankheit) (Kurt Pärli / Julia Hug), ARV 1/2012, S. 1 ff.
Die Angst vor Stellenverlust, Bonuszahlungen für absenzfreie Zeiten und die Frühinterventionen der Sozialversicherer führen dazu, dass immer mehr Arbeitnehmer arbeiten, obwohl sie eigentlich krank sind. Was heisst dies für den Kündigungsschutz, die Fürsorgepflicht?
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Die nichteheliche Lebensgemeinschaft als einfache Gesellschaft (Michelle Cottier / Cécile Crevoisier), AJP 2012, S. 33 ff.
Übersicht über die bundesgerichtliche Rechtsprechung und ihre nicht immer befriedigenden Konsequenzen für die Betroffenen. Handlungsbedarf orten die Autorinnen namentlich bei Paaren mit einseitiger Übernahme der Arbeit im Haushalt und bei der Kinderbetreuung - auf der Ebene der Gesetzgebung - in der Frage des nachpartnerschaftlichen Unterhalts.
Der Vertragsübergang bei Vermögensübertragungen nach Fusionsgesetz (Alexander Vogel / Michael Günter), AJP 2012, S. 593 ff.
Lesenswerter Überblick über die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich des Vertragsübergangs, möglicher Hindernisse sowie der Verhinderung von Missbräuchen.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Formeller Charakter des Replikrechts - Herkunft und Folgen (Markus Lantner), ZBl 2012, S. 167 ff.
Ausgezeichneter Überblick über die Entwicklung und aktuelle Ausgestaltung des allgemeinen Replikrechts als Ausfluss des Gehörsanspruchs, wobei auch praktische Fragen wie diejenige nach der zumutbaren Reaktionszeit abgehandelt werden.
Strafprozessrecht
Erste Erfahrungen mit der Schweizerischen Strafprozessordnung (Niccolò Raselli / Beat Dold), AJP 2012, S. 442 ff.
Der Beitrag informiert anhand der Rechtsprechung des Bundesgerichts über die bisher ergangene Praxis zur StPO, wobei die Zwangsmassnahmen im Vordergrund stehen. Den Abschluss bildet ein Exkurs zu den einschlägigen Bestimmungen des BGG. Hilfreicher Überblick.
Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts über Untersuchungs- und Sicherheitshaft - Bemerkungen zum BGE 1B_442/2011 vom 4. Januar 2012 (Christoph Fricker / Lukas Büttiker), jusletter vom 7. Mai 2012.
Die Autoren setzen sich aus staatsanwaltlicher Sicht kritisch mit dem Bundesgerichtsentscheid auseinander und zeigen auf, welche praktischen Probleme und Fragen mit dessen Umsetzung verbunden sind.
Protokollierungsvorschriften der Schweizerischen Strafprozessordnung - ein Plädoyer für die Revision (Isabelle Egli), AJP 2012, S. 627 ff.
Die Verfasserin stimmt in den Kanon der Kritiker der Protokollvorschriften ein. Aus der Perspektive von Gerichtsschreibern nachvollziehbar unterstützt sie die laufen- den Bestrebungen zu einer Teilrevision der StPO in diesem umstrittenen Punkt.
Zivilprozessrecht
Das Doppelinstanzprinzip und seine scheinbar unbegrenzten Umgehungsmöglichkeiten nach Art. 6 Abs. 3 ZPO (Alexander Brunner), SJZ 2012, S. 25 ff.
Der Autor spricht sich gegen eine ausdehnende Auslegung des Klägerwahlrechts nach Art. 6 Abs. 3 ZPO aus. Aus der Entstehungsgeschichte der Schweizerischen Zivilprozessordnung erhellt sich, dass der Gesetzgeber nur ausnahmsweise vom Doppelinstanzprinzip abweichen wollte, namentlich für die Handelsgerichtsbarkeit. Dabei geht es um Handelsgeschäfte von Unternehmen, die sich typischerweise in einem Gleichgewicht zwischen den Geschäftspartnern manifestieren. Konsum- und arbeitsrechtliche Streitigkeiten sind keine handelsrechtlichen Streitigkeiten und sollen auch nicht vor einem Spezialgericht, wie es das Handelsgericht ist, ausgetragen werden.
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Konkursverfahren über Handelsgesellschaften zufolge Organisationsmangel (Art. 731b OR); (Franco Lorandi), BlSchK 2/2012, S. 41 ff.
Fehlt einer AG, einer GmbH oder einer Genossenschaft das Organ, kann über sie der Konkurs eröffnet werden. Der Autor beschreibt, wie dieses Konkursverfahren vermieden oder widerrufen werden kann.
Europarecht
Wirtschafts- und Sozialrecht
Kommentierte Chronik der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Fällen gegen die Schweiz im Jahr 2011 (Daniel Rietiker), AJP 2012, S. 539 ff.
Ein wertvoller Überblick über die Verfahren, die die Schweiz betrafen. In elf Urteilen kam es dabei zu drei Verurteilungen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: Hüter der Menschenrechte, Appellationsinstanz oder Verfassungsgeber? (Hansjörg Seiler) ZBl 2012, S. 223 ff.
Der Autor kommt nach einer Analyse aller Verurteilungen der Schweiz durch den EGMR zum Schluss, dass sich der Prüfungsmassstab des Gerichtshofs stetig geändert habe und zunehmend Rechtsfortbildung betrieben werde, die auch demokratische Probleme aufwerfe. Die Kritik fällt zwar zuweilen sehr bissig aus, erscheint aber in verschiedener Hinsicht durchaus begründet.