Verfassungsrecht
Die deutsche Sicherungsverwahrung als Treffpunkt grundrechtlicher Parallelwelten. Christoph Grabenwarter, EuGRZ 2012, S. 507 ff.
Ausgangspunkt des Aufsatzes sind die Urteile des EGMR und des BVerfG zur Sicherungsverwahrung, wobei Karlsruhe sich nach dem Strassburger Urteil zu einer Änderung der Rechtsprechung veranlasst sah. Anhand des Themas zeigt der Autor auch eine Rechtsprechungsentwicklung des BVerfG auf, welche immer öfter wesentliche Aussagen zur EMRK oder zum EGMR enthält.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Die gesetzlichen Umsetzungsvarianten der SVP-Ausschaffungsinitiative im Lichte des FZA und der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK. Florian Weber, AJP 2012, S. 1437 ff.
Der Autor analysiert die vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickten Umsetzungsvarianten und stellt fest, dass sich angesichts des FZA und der EMRK bei beiden Lösungen - wenn auch in unterschiedlichem Ausmass - unauflösbare Normkonflikte abzeichnen, die vor allem im Automatismus der Verfassungsbestimmung begründet sind.
Umwelt-, Bau- und Planungsrecht
Das schweizerische Umweltschutzgesetz, Rechtsprechung von 2006-2010. Christoph Jäger, URP 5/2012, S. 409 ff.
Der Autor präsentiert in diesem über 100 Seiten starken Rechtsprechungsbericht eine Auswahl der wichtigsten Gerichtsentscheide zum Bundesgesetz über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG, SR 814.01) aus dem Zeitraum von 2006 bis 2010. Der Beitrag setzt frühere Rechtsprechungsübersichten im URP fort. Er soll als Orientierungshilfe dienen und folgt in der Systematik im Wesentlichen dem Aufbau des USG. Präsentiert werden hauptsächlich Entscheide des Bundesgerichts, aber vereinzelt auch Entscheide anderer Rechtsmittelinstanzen, die teilweise gekürzt und jeweils mit Hinweisen auf verschiedene Fundstellen wiedergegeben werden.
Medien- und Kommunikationsrecht
Datenschutz-Pendenzen bei OGD. Beat Rudin, digma 2/12, S. 62 ff.
Das Öffentlichkeitsprinzip gestattet vieles, wonach Open Government Data (OGD) verlangt. Doch stellt sich die Frage nach der gesetzlichen Grundlage, wenn die Behörden Informationen über ihre Aufgabenerfüllung hinaus weiteren Interessenten zur Verfügung stellen. Der Gesetzgeber darf die Veröffentlichung von Personendaten nur zulassen, wenn das öffentliche Interesse am Zugänglichmachen gegenüber den privaten Interessen aller Beteiligten überwiegt. Die Anonymisierung hilft nur, solange sichergestellt ist, dass von verschiedenen Behörden zugänglich gemachte Daten nicht miteinander in Verbindung gebracht werden können. Ansonsten könnten die betroffenen Personen identifiziert werden. Der Autor verlangt ein Instrumentarium und schliesst mit den Worten: «Das gilt es vordringlich zu entwickeln, bevor ‹blind› Risiken geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können.»
Strafrecht Besonderer Teil
Strafbare Beweisverwertung? Auswirkungen der Art. 179bis ff. auf die Beweisverwertung im Strafverfahren. Gunhild Godenzi, AJP 2012, S. 1243 ff.
Die Autorin prüft, ob die Verwertung von in Verletzung der strafrechtlichen Bestimmungen erlangten Informationen selbst auch ein strafbares Verhalten darstellt und welche Erfolgsaussichten eine entsprechende Anzeige gegen Strafverfolgungsorgane oder Richter haben könnte.
Betrug durch Manipulation von legalen Fussballwetten. Alessandra Läser, AJP 2012, S. 1255 ff.
Der Beitrag befasst sich auf der Grundlage des sogenannten Hoyzer-Urteils des deutschen Bundesgerichtshofs mit der Rechtslage nach schweizerischem Recht und kommt zum Ergebnis, dass der Betrugstatbestand nach Art. 146 StGB erfüllt wäre.
Sicherheitslücken im Strafregisterrecht. Philippe Weissenberger / Astrid Hirzel, AJP 2012, S. 1357 ff.
Die Autoren zeigen, inwieweit das geltende Recht ihrer Ansicht nach sicherheitsrelevante Lücken aufweist, und machen konkrete Vorschläge zu deren Schliessung. Interessanter Diskussionsbeitrag.
Übriges Strafrecht
Steuerstrafrecht - Hauptprobleme und Lösungsvorschläge. Andreas Donatsch, ASA 81, S. 1 ff.
Der Autor geht auf die Vor- und Nachteile des geltenden Steuerstrafrechts ein und macht Vorschläge, wie ein künftiges Steuerstrafrecht aussehen könnte. Er schlägt beispielsweise vor, dass anstelle der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs ein Tatbestand der Steuerverkürzung geschaffen werden könnte. Weiter skizziert er das Verfahrensrecht und schlägt vor, dass Steuerbehörden Strafbefehle erlassen können.
Sexuelle Straftaten von Minderjährigen, Ergebnisse einer empirischen Untersuchung im Kanton Zürich. Marcel Aebi / Cornelia Bessler, SZK/RSC, 1/2012, S. 17 ff.
Die Untersuchung versucht wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für den Umgang mit Jugendlichen, welche ein Sexualdelikt begangen haben, zu finden. Von Ursachen und Formen von sexuellen Übergriffen ausgehend, werden Risikofaktoren analysiert und schliesslich Anforderungen an eine weitere Professionalisierung der involvierten Behörden gestellt.
Jugendgewalt im Blickpunkt von Öffentlichkeit und Jugendstrafrecht. Karl-Ludwig Kunz, SZK/RSC, 2/2012, S. 17 ff.
In einem erfreulich kritischen Beitrag setzt sich der Autor mit der medial-öffentlichen Betrachtung des Phänomens Jugendgewalt auseinander. Dabei wagt er insbesondere auch die Frage, ob die Jugendgewalt wirklich zugenommen hat, und leuchtet aktuell geltende Präventionsstrategien aus.
Privatrecht
Familienrecht
Übersicht zur Rechtsprechung im Kindes- und Vormundschaftsrecht (März bis Juni 2012). Philippe Meier / Thomas Häberli, ZKE 2012, S. 317 ff.
Der übliche, für Praktikerinnen und Praktiker hilfreiche Praxisüberblick mit Urteilen des EGMR und des Bundesgerichts.
Miteigentum unter Ehegatten bei bloss einseitigen Investitionen - wer partizipiert am Gewinn? Regina E. Aebi-Müller, ZBJV 9/2012, S. 658 ff.
Die Luzerner Ordinaria setzt sich in kritischen Anmerkungen mit dem kürzlich amtlich publizierten Entscheid BGer 5A_352/2011 vom 17.2.2012 auseinander. Insbesondere ist sie nicht einverstanden mit der vom Bundesgericht vorgenommenen Verteilung des Mehrwerts, den dieses gleichmässig auf beide Ehegatten verteilte, obwohl in casu die Ehefrau auch in den Miteigentumsanteil des Ehemannes investierte. Gemäss Art. 206 Abs. 1 ZGB ist der Mehrwert entsprechend der Höhe der jeweils geleisteten Investitionen den Ehegatten zuzuordnen. Da der Entscheid von der einhelligen Lehre und bisherigen Rechtsprechung ausgeht, schliessen die Ausführungen mit der Bemerkung, dass es sich um ein Versehen gehandelt haben könnte.
Erbrecht
Erblasser, Erbengemeinschaft, Erbe(n) und Erbschaft als Schuldner. Franco Lorandi, AJP 2012, S. 1378 ff.
Der lesenswerte Beitrag befasst sich mit Fragen der Vollstreckung gegen den Erblasser, die Erbengemeinschaft, die Erben bzw. die Erbschaft, wobei auch die Schnittstellen zwischen Zivil-, Vollstreckungs- und Prozessrecht untersucht werden.
Haftpflichtrecht
Ratingagenturen - Haftung für stillschweigende Zusicherung. David Vasella, HAVE 2012, S. 253 ff.
Der Autor erläutert die mögliche Grundlage einer Haftung für Ratings. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme einer stillschweigenden Zusicherung, dass das Rating auf professioneller Basis erarbeitet wurde. Eine Verletzung dieser Zusicherung kann nach Ansicht des Verfassers nicht nur eine Haftung aus enttäuschtem Vertrauen, eine Vertragshaftung oder eine Prospekthaftung begründen, sondern auch eine aus Lauterkeitsrecht. Hochaktuelle Fragestellung.
Kauf- und Mietrecht
Datenschutz im Mietrecht. David Rosenthal, mp 3/12, S. 159 ff.
Anhand von Konstellationen aus der Praxis wird aufgezeigt, welche Daten Vermieter und Immobilienverwalter vor, während und nach Beendigung des Mietverhältnisses über Mieter in welcher Weise erheben und bearbeiten dürfen. Um die Beurteilung eigener datenschutzrechtlicher Sachverhalte zu erleichtern, liefert der Autor eine gute Einführung in die Grundsätze und Funktionsweise des Datenschutzgesetzes.
Die vorzeitige Rückgabe der Mietsache - ausgewählte praktische Aspekte (erster Teil). Hans Bättig,
MRA 3/12, S. 121 ff.
Der Aufsatz legt den Fokus auf Fragen wie Schadenminderungsobliegenheit des Vermieters, die Formvorschriften bei der vorzeitigen Kündigung und die Modalitäten der tatsächlichen Rückgabe der Mietsache.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Zur Sachübernahme: Funktion, Voraussetzungen, Rechtsfolgen bei Verletzung und Revisionsvorschlag. Lukas Müller, AJP 2012, S. 1413 ff.
Der Autor erachtet die von der herrschenden Lehre postulierte Nichtigkeit ex tunc als nicht sachgerechte Rechtsfolge einer Verletzung der Formvorschriften bei einer Sachübernahme. Als Alternative schlägt er die Pflicht des Aktienzeichners vor, den zu wenig liberierten Betrag nachträglich zu leisten.
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Klagerecht des Bundes gegen missbräuchliche AGB. Guido Sutter / Florian Lörtscher, recht 2012, S. 93 ff.
Der Aufsatz zeigt die Neuerungen des revidierten UWG auf und diskutiert die damit erweiterten Interventionsmöglichkeiten des Bundes nach Art. 10 Abs. 3 UWG. Das Seco hat zur Abwehr von Betrügereien neu die Möglichkeit, bei unlauteren Geschäftspraktiken, die öffentliche Interessen gefährden oder verletzen, zivil- oder strafrechtlich gegen den Urheber vorzugehen. Die Autoren verschaffen einen guten Überblick über die Klagevoraussetzungen. In einem zweiten Teil gehen sie auf die Rolle des Bundes bei missbräuchlichen AGB ein und erläutern die Tatbestandsmerkmale des neu formulierten Art. 8 UWG.
AGB-Kontrolle nach dem neuen Art. 8 UWG - eine kritische Auslegeordnung. Markus Hess / Lea Ruckstuhl, AJP 2012, S. 1188 ff.
Die Autoren äussern grosse Zweifel, ob die Revision die Erwartungen erfüllen wird. Anstatt Rechtssicherheit werde durch die Verwendung von interpretierbaren und weitgehend unbestimmten Rechtsbegriffen ein Tummelfeld für Lehre und Praxis geschaffen, bis dereinst Fallgruppen missbräuchlicher AGB-Klauseln gebildet sein würden.
Bank- und Börsenrecht
CoCos, Write-offs: Eigenkapitalschaffung mit dem Zauberstab. Peter Böckli, SZW 3/2012, S. 181 ff.
Der Autor gibt einen kompetenten Überblick über die bis anhin den meisten wohl vollkommen unbekannten Contingent Convertible Bonds - kurz CoCos - und die mit ihnen verwandten Write-off Bonds. Diese Instrumente sollen in der mittleren und späten Phase einer Bankenkrise die Eigenkapitalsituation der jeweiligen Banken verbessern. Der Artikel trägt einiges zum Grundverständnis in diesen Bereichen bei. Empfehlenswert für alle Leser, die in der Finanzpolitik mitdiskutieren wollen.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Öffentliches Verfahrens- und Prozessrecht
Zur Verteidigung im Verwaltungsstrafverfahren. Friedrich Frank, AJP 2012, S. 1266
Der praxisorientierte Beitrag gibt einen guten Überblick über die Beschuldigtensituation und namentlich die Beschuldigtenrechte im Verwaltungsstrafprozess.
Strafprozessrecht
Personalbeweise im Strafverfahren. Diverse Autorinnen und Autoren, AJP 2012, S. 1035 ff.
Die Schwerpunktthema-Ausgabe der AJP vereinigt Beiträge, die sich u.a. mit Theorie und Praxis der Aussagebeurteilung, den rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten der Erhebung und Verwertung von Personalbeweisen aus staatsanwaltlicher Sicht, aktuellen Fragen zum Konfrontationsrecht und der Geschädigtenaussage im Spannungsfeld des Opferrechts befassen. Für Strafrechtler sehr empfehlenswert.
Europarecht
Die Vorlagepraxis der EU-Mitgliedstaaten - Eine statistische Analyse zur Nutzung des Vorabentscheidungsverfahrens. Hannes Rösler, EuR 2012, S. 392 ff.
Der Autor präsentiert eine der raren empirischen Untersuchungen über die Auswirkungen verfahrensrechtlicher Normen in der Praxis. Konkret geht es um die Anwendung des Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV durch die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten. Der quantitative Befund zieht die Auffassung von der harmonisierenden Wirkung des Vorabentscheidungsverfahrens in Zweifel und rückt stattdessen die mögliche Vertiefung rechtskultureller Unterschiede durch die unterschiedliche Handhabung des Verfahrens in den Fokus.
«The final countdown...» - Austritt und Ausschluss aus der Eurozone. Hannes Hofmeister, EUZ 2012, 102 ff.
Aus aktuellem Anlass untersucht der Autor die Frage, ob ein Austritt oder ein Ausschluss eines Mitgliedstaates der EU allein aus der Eurozone und ohne gleichzeitigen Austritt aus der Union als Ganzes rechtlich zulässig wäre. Der allen am Europarecht Interessierten zu empfehlende Artikel schliesst mit dem bemerkenswert apodiktisch formulierten Fazit, dass das geltende EU-Recht und insbesondere Art. 50 EUV einen Austritt oder einen Ausschluss eines EU-Mitgliedstaates allein aus der Eurozone nicht zulasse.
Völkerrecht
Menschenrechte
Mehr Transparenz für die Wahrung professioneller Qualität bei den Richter-Wahlen zum EGMR. Norbert Paul Engel. EuGRZ 2012, S. 486 ff.
Der Autor bietet einen konzisen Überblick über die Mängel der Richterwahlen zum EGMR und schlägt auch gleich drei Massnahmen zu deren Abhilfe vor. Dass sich diese Vorschläge am Vorbild der Eignungsprüfungen für die EU-Gerichte EuGH, EuG und GöD orientieren, überrascht aus schweizerischer Sicht.
Übriges Völkerrecht
L'impact du droit étranger et international sur les systèmes juridiques nationaux - comparaisons de développement juridique. Lukas Heckendorn Urscheler, SZIER 2012, S. 429 ff.
Gestützt auf Fallbeispiele zur Rezeption «fremden» und internationalen Rechts untersucht der Autor, ob «Entwicklungshilfe» in Sachen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit «neutral» sein kann oder aber zu Rechtsimperialismus führt.
Rechtstheorie, Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte
Gibt es «faire» Managersaläre? Daniel Daeniker und Ulrich Pestalozzi, SJZ 2012, S. 393 ff.
Mit Blick auf die aktuelle Boni-Diskussion in Politik und Gesellschaft gehen die Autoren der Frage nach, inwiefern das Recht und die Wirtschaftsethik Massstäbe bereitstellen, Boni als fair und angemessen zu qualifizieren. Dabei zeigen sie die Entwicklung der gesetzlichen Regelungen zur Offenlegung und Kompetenz zur Festlegung von Salären sowie deren Anwendung in der Praxis auf. Auch die anstehende Abstimmung über die Abzocker-Initiative und der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments fliessen in die Überlegungen ein. Eine klare Antwort auf die Frage, wie viel zu viel ist, bieten im Ergebnis weder das Recht noch die Wirtschaftsethik.
Über die Tätigkeit des Sachrichters, über gute Juristen und gerichtliche Entscheidfindung. Martin Wirthlin, recht 2012, S. 137ff.
Gute Übersicht darüber, was einen guten Juristen ausmacht und wie wichtig dabei die gut präparierte Schilderung des Sachverhalts ist. Der Autor, selbst Richter, betont mehrfach die zentrale Bedeutung der Sprache in der Tätigkeit der Juristen. Zudem wird das Bestehen von festen Seilschaften unter den Richtern und die damit zusammenhängende Vorhersehbarkeit der Stimmverteilung kritisiert.