Anwalt und Notar zu Recht aus dem Verkehr gezogen

Die Solothurner Behörden haben einem heute 72-jährigen Juristen zu Recht die Berufsausübungsbewilligung als Notar entzogen und ihn im Anwaltsregister gelöscht. Er war vor zwei Jahren vom Bundesstrafgericht wegen Gehilfenschaft zur unbefugten Entgegennahme von Publikumseinlagen schuldig gesprochen worden. Im Auftrag zweier deutscher Staatsangehöriger hatte der Anwalt eine Gesellschaft gegründet und dabei seine beiden 20-jährigen Lehrtöchter als Gesellschafterin und Geschäftsführerin eingesetzt. Das hatte das Bundesstrafgericht als besonders niederträchtig gewertet. Obschon die Gesellschaft keine bankenrechtliche Bewilligung besass, nahm sie Investorengelder entgegen und versprach Zinsen bis zu 8,75 Prozent. Für das Bundesgericht ist das Geschäftsgebaren des Juristen mit dem Anwaltsberuf nicht vereinbar. Auch der Entzug der Berufsausübungsbewilligung als Notar auf unbestimmte Zeit ist laut Bundesgericht keine unverhältnismässige Administrativmassnahme.

Bundesgericht 2C_89/2019 und 2C_90/2019 vom 22.8.2019

Frühere Staatsangehörigkeit der Schweiz hilft nicht

Eine 62-jährige Belgierin muss die Schweiz verlassen, obschon sie in der Schweiz geboren wurde, Schweizer Eltern hatte und bis zu ihrer Heirat mit einem Belgier über einen Schweizer Pass verfügte. Durch die Heirat mit dem Belgier verlor sie ihren roten Pass, weil sie nicht erklärt hatte, dass sie die schweizerische Staatsbürgerschaft behalten wolle. Vor 14 Jahren liess sich die Frau wieder in der Schweiz nieder. Als alleinerziehende Mutter hatte sie finanzielle Probleme und bezog zwischen 2007 und 2016 Sozialhilfe in der Höhe von 264 000 Franken. Die Behörden entschieden in der Folge, die Aufenthaltsbewilligung der Frau nicht mehr zu erneuern. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diesen Entscheid. Dass die Frau früher einmal die schweizerische Staatsbürgerschaft hatte, spielt keine Rolle.

Bundesverwaltungsgericht F-4332/2018 vom 20.8.2019

Polizei muss Kosten für Todesschein übernehmen

Ruft die Polizei nach Auffinden eines Toten einen Arzt zur Feststellung des Todes, stellt sich die Frage, wer für die Kosten dieser Bescheinigung aufzukommen hat. Im konkreten Fall hatten die Erben, an welche der Arzt die Rechnung geschickt hatte, die Erbschaft ausgeschlagen. Der Arzt erhielt einen Verlustschein. Auch die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern weigerte sich, die Kosten zu übernehmen. Zu Unrecht. Mit dem Beizug des Arztes zur Erstellung der ärztlichen Bescheinigung des Todes erteilte ihm die Polizei die Anordnung, als Experte ein kurzes Gutachten zu erstellen. Sie ging ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis ein, für welches gestützt auf das Bundesprivatrecht als subsidiär anwendbares Recht eine Vergütung geschuldet ist. Die Weigerung der kantonalen Behörde, dem Arzt die 152 Franken für die ärztliche Dienstleistung zu vergüten, erweist sich als willkürlich.

Bundesgericht 2C_657/2017 vom 22.8.2019

«Tarnkontrollschilder» für Polizeiauto nicht zulässig

Um Schnellfahrer zu überführen, geht die Baselbieter Polizei seltsame Wege: Sie schraubt mit Einverständnis der Solothurner Polizei auf ihr Polizeifahrzeug Solothurner Kontrollschilder, obschon das Fahrzeug auf eine «BL»-Nummer eingelöst ist. Dieser Einsatz von «Tarnkontrollschildern» verletzt das Legalitätsprinzip – eine gesetzliche Grundlage ergibt sich weder aus dem Bundesrecht noch aus dem kantonalen Polizeigesetz. Entgegen der Auffassung eines erwischten Lenkers unterliegen die durch dieses Vorgehen erlangten Beweise aber keinem Beweisverbot. Ein Beweismittel gilt gemäss Bundesgericht nur dann als in strafbarer Weise erhoben, wenn es durch eine strafbare Handlung erlangt wurde. Im konkreten Fall geht es jedoch um einen Begleitumstand der Beweiserhebung, weshalb nichts gegen die Verwertbarkeit der erhobenen Beweise spreche.

Bundesgericht 6B_477/2019 vom 8.8.2019

Gefährdungshaftung der SBB

Vor drei Jahren wurde ein 86-jähriger Mann schwer verletzt, als er auf dem Bahnsteig im Bahnhof Affoltern am Albis auf den Zug wartend von einem drogenabhängigen und schuldunfähigen Mann unter den einfahrenden Zug der S-Bahn gestossen und einige Meter vom Zug mitgeschleift wurde. Das Opfer klagte beim Zürcher Handelsgericht und forderte von den Schweizerischen Bundesbahnen 35 000 Franken Genugtuung. Das Handelsgericht hiess die Klage gut; es gelangte zum Schluss, das mit dem Betrieb einer Eisenbahn verbundene charakteristische Risiko habe sich verwirklicht und eine Entlastung oder Kürzung der Genugtuung aufgrund der Dritteinwirkung sei ausgeschlossen. Das Bundesgericht hat dieses Urteil in einem ausführlichen Entscheid bestätigt und dabei alle Aspekte der strengen Kausalhaftung (sog. Gefährdungshaftung) nach solchen Unfällen beleuchtet.

Bundesgericht  4A_602/2018 vom 28.5.2019

Unzulässige Beschlagnahme des Gefangenenlohnes

Gemäss Art. 263 Abs. 1 lit. b der Strafprozessordnung können Vermögenswerte einer beschuldigten Person beschlagnahmt werden, wenn sie voraussichtlich zur Sicherstellung von Verfahrenskosten, Geldstrafen, Bussen oder Entschädigungen gebraucht werden. Von der Beschlagnahme ausgenommen sind Vermögenswerte, die nach den Art. 92–94 nicht pfändbar sind. Unpfändbar ist auch das Arbeitsentgelt eines Strafgefangenen. Es war deshalb unzulässig, dass das Nidwaldner Obergericht 4000 Franken beschlagnahmt hat, die ein Strafgefangener als Entgelt für die von ihm in der Anstalt erbrachte Leistung erhalten hatte. 

Bundesgericht 1B_82/2019 vom 30.7.2019

Kein Schadenersatz vom Staat für den Hauptaktionär

Der ehemalige Hauptaktionär der Tempus Privatbank in Zürich erhält keinen Schadenersatz von der Eidgenossenschaft. Der Bankdirektor hatte der Bundesanwaltschaft und der Bankenaufsicht vorgeworfen, widerrechtlich gehandelt und dadurch einen gravierenden Wertverlust der Bankaktien von 16,2 Millionen Franken verursacht zu haben. Die Bundesanwaltschaft hatte 2003 gegen die Bank ein Verfahren wegen des Verdachts auf qualifizierte Geldwäscherei eingeleitet und den Hauptaktionär verhaftet. Acht Jahre später stellte das Bundesstrafgericht das Verfahren ein bzw. sprach den Hauptaktionär von Schuld und Strafe frei. Gemäss den Grundsätzen des Haftpflichtrechts hat prinzipiell nur jene Person Anspruch auf Ersatz ihres Schadens, die durch widerrechtliches Verhalten direkt betroffen ist und einen direkten Schaden im Vermögen erleidet. Beim Aktionär liegt ein indirekter Schaden vor; geschädigt wurde einzig die Bank.

Bundesgericht 2C_809/2018 vom 18.6.2019

Tod durch Wetterumsturz ist kein Unfall

Vor drei Jahren wurde ein Ingenieur, der sich auf einer mehrtägigen Wandertour in Island befand, im Gebiet eines Vulkans tot aufgefunden. Er war an Unterkühlung gestorben. Die Suva lehnte den Anspruch der Witwe ab, Versicherungsleistungen zu erbringen. Die Witwe wandte sich ans Bundesgericht und argumentierte, die Unterkühlung und der Tod seien auf einen Wetterwechsel mit starkem Regen, Wind, Nebel und Temperaturen um den Gefrierpunkt verursacht worden. Entgegen der Auffassung der Witwe kann auch nach Meinung des Bundesgerichts ein Kälteeinbruch – trotz der unerwarteten und schwerwiegenden Folgen – nicht als ungewöhnlicher äusserer Faktor und der dadurch verursachte Tod des Versicherten nicht als Unfall qualifiziert werden.

Bundesgericht 8C_268/2019 vom 2.7.2019

Amtlicher Verteidiger für Strafgefangenen

In der Strafanstalt Lenzburg kam es zwischen mehreren arabischen und albanischen Gefangenen zu einer Schlägerei, wobei es mehrere Verletzte gab. Die Aargauer Staatsanwaltschaft verurteilte einen der Beteiligten, der wegen qualifizierten Drogenhandels siebeneinhalb Jahre absass, wegen Raufhandels zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 60 Tagen. Im Rahmen seiner Einsprache forderte der Verurteilte die Einsetzung eines amtlichen Verteidigers, was die Aargauer Justiz ablehnte. Gemäss Art. 130 lit b. StPO muss eine beschuldigte Person verteidigt werden, wenn ihr eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr droht. Da der Gefangene im Fall einer Verurteilung wegen Raufhandels wohl nicht nach Verbüssung von zwei Dritteln seiner Strafe entlassen wird und ihm somit gesamthaft ein Freiheitsentzug von deutlich über einem Jahr droht, muss ihm ein amtlicher Verteidiger beigegeben werden.

Bundesgericht 1B_93/2019 vom 14.5.2019