Rückführung nach Ungarn muss überprüft werden
Ungarn hat den Zugang zum Asylverfahren und die Aufnahme von Asylsuchenden in einem Gesetz massiv verschärft. Gemäss Bestimmungen vom März 2017 sollen Asylsuchende entweder in geschlossenen Zentren in den Transitzonen der serbisch-ungarischen Grenze untergebracht oder in sogenannte «Prätransit»-Zonen in Serbien abgeschoben werden. Da unklar ist, welches Regime für Asylsuchende gilt, die in Anwendung der Dublin-III-Verordnung nach Ungarn überstellt werden, muss das Staatssekretariat für Migration jeweils genaue Abklärungen treffen. Insbesondere sind die tatsächlichen Gefahren («real risk»), denen Asylsuchende bei einer Überstellung an Ungarn drohen, zu eruieren.
Bundesverwaltungsgericht D-7853/2015 vom 31.5.2017
Autovermieterin zu Unrecht belangt
Eine aus Florida stammende Person hatte mit einem gemieteten Fahrzeug die erlaubte Geschwindigkeit überschritten. Die Polizei forderte in der Folge von der Autovermieterin als Halterin des Fahrzeugs eine Ordnungsbusse von 240 Franken oder die Herausgabe der Personalien des Fahrers. Die Autovermieterin gab daraufhin Namen und Adresse der Fahrzeugmieterin bekannt. Da die Mieterin auf die Übertretungsanzeige der Polizei nicht reagierte und die Busse nicht bezahlte, forderte die Polizei die Autovermieterin erneut auf, die Busse zu bezahlen. Die Autovermieterin wehrte sich dagegen, blitzte aber bei der Appenzeller Justiz ab. Anders das Bundesgericht: Mit der Bekanntgabe des Namens und der Adresse der Mieterin (und der Vorlage des Mietvertrages) hat die Autovermieterin die ihr obliegenden Pflichten erfüllt; sie kann für die Busse nicht belangt werden.
Bundesgericht 6B_1007/2016 vom 10.5.2017
Schriftliche Begründung des Urteils zwingend
Bei der Anordnung einer stationären Massnahme nach Art. 59 Abs. 1 StGB vermag bereits die Schwere des Grundrechtseingriffs einen Verzicht auf die schriftliche Urteilsbegründung aus verfahrensökonomischen Gründen nicht zu rechtfertigen. Ordnet deshalb ein erstinstanzliches Gericht eine stationäre Massnahme an, darf es nicht auf eine schriftliche Begründung verzichten. Es muss sein Urteil zumindest insoweit schriftlich begründen, dass daraus die Beweiswürdigung und der rechtserhebliche Sachverhalt, die Strafbarkeit des Verhaltens sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der stationären Massnahme hervorgehen. Dies gilt auch, wenn keine Partei um eine schriftliche Begründung des Urteils ersuchte und kein Rechtsmittel ergriffen wurde.
Bundesgericht 6B_1070/2016 vom 23.5.2017
Töfffahrer übersehen – trotzdem Freispruch
Ein Autofahrer ist zu Recht vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen worden, obwohl er beim Abbiegen nach links einen entgegenkommenden und vortrittsberechtigten Motorradfahrer übersehen und einen Unfall verursacht hatte. Der Motorradfahrer zog sich beim Unfall erhebliche Beinverletzungen zu. Dem Autofahrer kann keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden, weil der Motorradfahrer trotz fortgeschrittener Dämmerung ohne Licht unterwegs war und wegen seiner dunklen Kleidung und des überwiegend schwarzen Motorrades nur eingeschränkt erkennbar war. Der Autofahrer musste nicht damit rechnen, dass ihm ein Motorradfahrer ohne funktionierendes Vorderlicht und damit vorschriftswidrig entgegenkommt.
Bundesgericht 6B_1211/2016 vom 26.4.2017
Gerechtfertigte fristlose Entlassung eines Chauffeurs
Wer sich als Berufschauffeur bei der Arbeit mit einem Lastwagen über eine wichtige Verkehrsvorschrift wie ein Stoppsignal vorsätzlich hinwegsetzt und in der Folge mit einem korrekt fahrenden Personenwagen kollidiert, begeht in arbeitsrechtlicher Hinsicht eine schwere Sorgfaltspflichtverletzung. Eine solche Verfehlung ist objektiv geeignet, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage so tiefgreifend zu erschüttern, dass es dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten ist, den Arbeitsvertrag bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Die fristlose Kündigung des Chauffeurs war deshalb gerechtfertigt.
Bundesgericht 4A_625/2016 vom 9.3.2017
Moneyhouse muss Privatsphäre schützen
Die Moneyhouse AG – und andere Wirtschaftsauskunftsdateien – dürfen aus unterschiedlichen Quellen stammende Personendaten nicht in beliebigem Umfange speichern, verknüpfen und reproduzieren. Die Privatsphäre muss beachtet werden. Soweit Angaben über Leumund, Familienverhältnisse, Ausbildung, berufliche Tätigkeit oder Wohnverhältnisse bekannt gegeben werden, muss Moneyhouse die ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Personen einholen. Moneyhouse muss durch geeignete Massnahmen sicherstellen, dass die Bonitätsauskünfte inhaltlich richtig sind und nur an Kunden erteilt werden, die über ein berechtigtes Interesse verfügen. Das Urteil kann in Lausanne angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht A-4232/2015 vom 18.4.2017
Kollusionsgefahr im Hinblick auf Cloud-Daten
Die Zürcher Justiz darf einen Motorrad-Rowdy, der massiv zu schnell gefahren ist, Autos rechts überholt, Rotlichter überfahren und eine Polizeikontrolle missachtet hat, weiterhin in Untersuchungshaft behalten, weil Kollusionsgefahr besteht. Das Bundesgericht begründet die Kollusionsgefahr unter anderem damit, dass der mutmassliche Täter bis zum Abschluss des Entsiegelungsverfahrens und der Sicherung der externen Handydaten die Möglichkeit hätte, in Freiheit allfällige Daten, die sich möglicherweise in einer Cloud befinden, zu löschen. Ob solche existieren oder nicht, steht zwar nicht fest, ist aber auch nicht ausgeschlossen. «Damit kann jedenfalls bis zum Abschluss des Entsiegelungsverfahrens auch in dieser Beziehung Kollusionsgefahr angenommen werden.»
Bundesgericht 1B_146/2017 vom 2.5.2017
WWF darf bei Pestizidzulassung Partei sein
Die Stiftung WWF Schweiz darf in einem Überprüfungsverfahren zu Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff «Quinoclamine» als Partei teilnehmen. Die Stiftung ist legitimiert, eine ideelle Verbandsbeschwerde zu erheben. Da diese Bestimmung die vollständige Parteistellung im Sinne des VwVG gewährt, hätte das Bundesamt für Landwirtschaft der Stiftung WWF die Teilnahme am erstinstanzlichen Verfahren zur gezielten Überprüfung von Wirkstoffen als Partei nicht verwehren dürfen. Das Bundesamt hatte argumentiert, im Pflanzenschutzmittelrecht seien hinreichend Massnahmen vorgesehen, um die bestehenden Interessenkollisionen zwischen Nutzungs- und Umweltschutzinteressen auch ohne den Einbezug von Naturschutz- und anderen Organisationen lösen zu können.
Bundesverwaltungsgericht B-64/2016 vom 25.4.2017