1. Ausgangspunkt
Die Versicherte ist Bezügerin einer ganzen Invalidenrente mit Erwerbsunfähigkeit von über 70 Prozent. Sie setzt ihre Resterwerbsfähigkeit ein und ist dafür obligatorisch unfallversichert. 2004 erleidet sie einen Unfall an der linken Schulter. In den Arztberichten wird auf mögliche unfallfremde Faktoren hingewiesen, die vom Vorfall im Jahre 1996 stammen, der damals die Invalidität verursacht hatte.
Die Versicherte unterzeichnet das übliche Unfallformular, das folgende Klausel beeinhaltet: «... ich befreie Ärzte, Spitäler, Therapiezentren, private und öffentliche Versicherungen, soziale Organisationen und zuständige Behörden vom Berufsgeheimnis gegenüber XY Versicherungen ..., damit letztere sämtliche Akten einsehen können betreffend meiner früheren und gegenwärtigen Schadenfällen. XY Versicherungen sind ermächtigt, sämtliche Abklärungen vorzunehmen, die sie als für die Festlegung der Versicherungsleistungsansprüche erforderlich halten sollten.»
Die Unfallversicherung ordnet ein Gutachten an. In diesem Zusammenhang bittet sie die Invalidenversicherung (IV) um Zustellung des medizinischen und des verwaltungsärztlichen Dossiers. Die IV leistet dieser Aufforderung Folge und stellt dem Versicherungsgutachter das verlangte Dossier vollumfänglich zu. Der Gutachter erstellt daraufhin ein Gutachten, auf dessen ersten zehn Seiten er lange Auszüge aus den medizinischen Akten zitiert und sie somit der Unfallversicherung zur Kenntnis bringt. Er zitiert dabei nicht nur Diagnosen, sondern auch teilweise sehr persönliche Aussagen der Versicherten mit Bezug auf ihre Jugend und ihre Ängste.
Der Gutachter verneint den adäquat-kausalen und selbst den natürlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den 2005 beklagten Beschwerden. Das Versicherungsgericht hebt den negativen Entscheid der Unfallversicherung auf und stellt fest, dass jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit die natürliche und die adäquate Kausalität gegeben sind, was das Bundesgericht bestätigt.
2. Folgen des Datenaustauschs
Wer einmal beim Arzt war oder ärztlich begutachtet wurde, riskiert, dass sämtliche Aussagen, welche in einem bestimmten Moment und in einem bestimmten Zusammenhang erfolgten, in einem späteren Verfahren zu einem anderen Schadenfall wieder auftauchen und verwendet werden. Dies unabhängig davon, ob sie jemals medizinisch relevant waren.
Dies hat verschiedene Folgen:
< Patienten werden sozusagen «gläsern» - sämtliche medizinischen Daten, die von Geburt an einmal erhoben oder mit deren Weitergabe sie einmal einverstanden waren, können in Zukunft weitergegeben werden, ohne dass sie irgendwelchen Einfluss auf die Weitergabe geltend machen können. Kommt dies nicht einer Aufhebung des Arztgeheimnisses gleich?
< Inwieweit werden Patienten künftig einem Arzt oder Sozialversicherungsmitarbeiter die eigenen Ängste, Empfindungen und Lebenssachverhalte anvertrauen, wenn sie davon ausgehen müssen, dass diese Mitteilungen in unbestimmter Zukunft und in nicht voraussehbarem Zusammenhang gegen sie verwendet werden können?
< Beinhaltet die Forderung auf Herausgabe sämtlicher medizinischer Unterlagen nicht eine Diskriminierung von behinderten Versicherten?
3. Fragestellung
Die nachstehenden Überlegungen befassen sich mit der Frage, in welchem Verhältnis Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung zum Bedürfnis der Sozialversicherungen nach möglichst vollständiger Kenntnis der medizinischen und versicherungsrechtlichen Vorgeschichte sowie nach Vereinfachung der Verfahren und der Kommunikation zwischen verschiedenen Versicherungen stehen.
Mit anderen Worten: Ist es zulässig, medizinische Daten, die im Rahmen eines früheren Versicherungsfalls gesammelt wurden, im Rahmen eines späteren Versicherungsfalls an eine andere Versicherung weiterzuleiten? Wie weit geht die Mitwirkungspflicht des Versicherten in Bezug auf den Umfang der herauszugebenden medizinischen Unterlagen?
Nicht thematisiert werden die Weitergabe von Daten bezüglich laufender Versicherungsleistungen sowie der Datenaustausch im Rahmen der Koordination von Versicherungsleistungen. Ausserdem beschränke ich mich auf das Verhältnis zwischen Invaliden- und Unfallversicherer, das in der Praxis die brisantesten Fragen zu stellen scheint.
4. Recht auf Schutz der Privatsphäre
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Teilgehalt des in Art. 10 Abs. 2 Bundesverfassung (BV) verankerten Rechts auf persönliche Freiheit. Ausdrücklich geschützt ist das Recht jeder Person, über die Bearbeitung sie betreffender Daten durch staatliche Stellen und private Personen zu bestimmen ausserdem durch Art. 13 Abs. 2 BV. Das heisst, jede Person hat das Recht, zu bestimmen, wer welche dieser Daten zu welchem Zweck wie bearbeiten darf. Insbesondere kann jede Person selber bestimmen, wem und weshalb sie persönliche Lebenssachverhalte, Gedanken, Empfindungen und Emotionen offenbart.1
Weiter konkretisiert wurde dieser Anspruch durch das Datenschutzgesetz (Art. 2 DSG). Arztzeugnisse beinhalten besonders schützenswerte Personendaten im Bereich der Gesundheit.2 Psychische Leiden, aber allgemein solche, die in der Bevölkerung stigmatisiert sind (beispielsweise Aids, Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaftsunterbrechung usw.), gehören anerkanntermassen zu den ganz besonders heiklen Patientendaten.3
Wie bei jedem Grundrecht ist die Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur zulässig, wenn eine gesetzliche Grundlage besteht, sie im öffentlichen Interesse steht oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig ist. Ausserdem ist der Kerngehalt unantastbar.4
In der Botschaft über die Anpassung und Harmonisierung der gesetzlichen Grundlagen für die Bearbeitung von Personendaten in den Sozialversicherungen vom 24. November 19995 führte der Bundesrat zum Datenschutzgesetz Folgendes aus:
«Das Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1) ist am 1. Juli 1993 in Kraft getreten. Dieses Gesetz bezweckt den Schutz der Persönlichkeit und der Grundrechte von Personen, über die Daten bearbeitet werden. Es gilt insbesondere für das Bearbeiten von Personendaten durch Bundesorgane, und zwar unabhängig von der Bearbeitungsart oder der Art der bearbeiteten Daten. Das DSG sieht vor, dass die Personendaten nur rechtmässig beschafft werden dürfen. Ihre Bearbeitung muss nach Treu und Glauben erfolgen und verhältnismässig sein.»
Zudem, so der Bundesrat, «müssen die Daten richtig sein. Sie dürfen lediglich zu dem Zweck bearbeitet werden, der bei der Beschaffung angegeben wurde, aus den Umständen ersichtlich oder gesetzlich vorgesehen ist. Ausserdem sind die Bundesorgane nur dann berechtigt, Personendaten zu bearbeiten, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. Die gesetzlichen Anforderungen sind noch höher, wenn es sich um besonders schützenswerte Personendaten nach Artikel 3 Buchstabe c DSG oder um Persönlichkeitsprofile nach Artikel 3 Buchstabe d DSG handelt. Nach Artikel 17 Absatz 2 DSG dürfen nämlich solche Daten nur bearbeitet werden, wenn ein formelles Gesetz es ausdrücklich vorsieht. Ausnahmsweise dürfen solche Daten auch bearbeitet werden, wenn dies für eine in einem formellen Gesetz klar umschriebene Aufgabe unentbehrlich ist, wenn der Bundesrat es bewilligt, weil die Rechte der betroffenen Personen nicht gefährdet sind, oder wenn die betroffene Person im Einzelfall eingewilligt oder ihre Daten allgemein zugänglich gemacht hat (Art. 17 Abs. 2 DSG), wobei die Einwilligung der betroffenen Person das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage nicht zu beheben vermag. Die gleichen Voraussetzungen gelten auch für die Bekanntgabe von Personendaten. So dürfen nach Artikel 19 Absatz 3 DSG die Bundesorgane besonders schützenswerte Personendaten oder Persönlichkeitsprofile nur zugänglich machen, wenn ein formelles Gesetz es ausdrücklich vorsieht und wenn keine gesetzliche Schweigepflicht dagegen spricht.»6
Unbestritten ist, dass die Sozialversicherungen, darunter auch private Versicherer nach UVG, zu den Bundesorganen gehören.
Gerade im Gesundheitsbereich geht der Schutz der persönlichen Daten der Patienten über das individuelle Interesse hinaus: Der Datenschutz ist zentral für das Funktionieren des Gesundheitswesens, das schlussendlich auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen Medizinalpersonen und Patienten gründet. Er liegt daher im öffentlichen Interesse.7
Auch der Bundesrat hat mehrmals anerkannt, dass die Pflicht der Behörden, personenbezogene Daten vertraulich zu behandeln, in vielen Beziehungen zwischen den Behörden und den Bürgern ein Vertrauensverhältnis schafft, das einer optimalen Aufgabenerfüllung dient. Die spontane Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts würde beeinträchtigt, wenn die Bürger «befürchten müssten, dass die freiwillig abgegebenen Informationen zu anderen Zwecken oder gar in einem anderen Verfahren zu ihrem Nachteil verwendet werden».8 Die «zahlreichen» (sic!) «berechtigten Ausnahmen vom Vertrauensprinzip sollen nicht ohne sachliche Notwendigkeit ausgedehnt werden»,9 also nur dort, wo es im Einzelfall notwendig erscheint, Angaben der betroffenen Person zu überprüfen oder wo Anhaltspunkte für einen Missbrauch vorliegen.10
Schliesslich ist der Schutz der informationellen Selbstbestimmung auch strafrechtlich verstärkt, so in Art. 320 und 321 StGB (Berufs- und Amtsgeheimnis). Dabei ist auch das Arztgeheimnis ein Instrument der öffentlichen Gesundheit, denn die Träger des medizinischen Berufsgeheimnisses (Art. 321 StGB) können die ihnen obliegenden Aufgaben «nur dann optimal erfüllen, wenn ihre Klientel keine Bedenken haben muss, sich ihnen rückhaltlos anzuvertrauen».11, 12
5. Gesetzliche Grundlagen
Als gesetzliche Grundlagen für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Sozialversicherungsrecht kommen grundsätzlich vier Bestimmungen in Frage: zunächst die im Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vorgesehene Mitwirkungspflicht (Art. 28 ATSG), die Amtshilfe (Art. 32 ATSG) und das Akteneinsichtsrecht (Art. 47 ATSG), sodann die spezialgesetzlichen Bestimmungen zur Datenbekanntgabe.
5.1 Mitwirkungspflicht und deren Verletzung
5.1.1 Art. 28 ATSG: Mitwirkungspflicht
Nach Art. 28 Abs. 2 ATSG muss, wer Versicherungsleistungen beansprucht, unentgeltlich alle Auskünfte erteilen, die zur Abklärung des Anspruchs und zur Festsetzung der Versicherungsleistungen erforderlich sind. Art. 28 Abs. 3 ATSG bestimmt weiter, dass alle Personen und Stellen, namentlich Arbeitgeber, Ärztinnen und Ärzte, Versicherungen sowie Amtsstellen im Einzelfall zu ermächtigen sind, die Auskünfte zu erteilen, die für die Abklärung von Leistungsansprüchen erforderlich sind.
Die Auskunftspflicht nach Abs. 2 - nicht aber die Ermächtigung zur Auskunftserteilung - umfasst auch Unterlagen, die die Auskunft belegen.13 Zu erteilen sind nur Auskünfte mit Bezug auf den Einzelfall, und die Auskunft, beziehungsweise die diese belegenden Akten, muss zur Abklärung des Anspruchs notwendig sein. Es kann also nicht verlangt werden, dass eine allgemeine Ermächtigung erteilt wird, sondern der Gegenstand der Auskunft ist genau zu umschreiben.14 Auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 321 StGB kann die Zustimmung zur Entbindung vom Arztgeheimnis nur gültig erteilt werden, wenn der Patient darüber aufgeklärt wurde, welche Informationen wem und zu welchem Zweck bekannt gegeben werden.15 Eine allgemeine Klausel wie die eingangs erwähnte ist somit nicht geeignet, wirksam vom Daten-, Arzt- oder Behördengeheimnis zu entbinden.
Eine Ausnahme von Art. 28 Abs. 3 ATSG wurde mit Art. 6a IVG eingeführt: Danach ermächtigt die versicherte Person mit der Geltendmachung des Leistungsanspruchs die in der Anmeldung erwähnten Personen und Stellen, den Organen der Invalidenversicherung nicht nur generell alle Auskünfte zu erteilen, sondern auch alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die für die Abklärung von Leistungs- und Regressansprüchen erforderlich sind. Dies bestätigt erneut, dass gemäss Art. 28 Abs. 3 ATSG gerade nicht verlangt werden kann, dass der Versicherte Personen und Stellen ermächtigt, Unterlagen herauszugeben, sondern bloss, Auskünfte zu erteilen.16
In jedem Fall liegt ein Verstoss gegen die persönliche Freiheit vor, wenn die Informationsweitergabe in der Sache selbst nicht gerechtfertigt wäre (vergleiche Art. 27 ZGB), da die Einwilligung der betroffenen Person eine fehlende gesetzliche Grundlage nicht zu ersetzen vermag.17
5.1.2 Art. 43 ATSG: Folgen der Verletzung der Mitwirkungspflicht
Der Versicherungsträger prüft die Begehren von Amtes wegen und holt die erforderlichen Auskünfte ein (Art. 43 Abs. 1 ATSG). Ärztliche oder fachliche Untersuchungen müssen für die Beurteilung notwendig und zumutbar sein, nur dann hat die versicherte Person sich ihnen zu unterziehen (Abs. 2). Dabei liegt es im Ermessen des Versicherungsträgers, darüber zu befinden, mit welchen Mitteln die Sachverhaltsabklärung zu erfolgen hat.18
Kommt eine Person, die Leistungen beansprucht, den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten in unentschuldbarer Weise nicht nach, sieht Art. 43 Abs. 3 ATSG vor, dass der Versicherungsträger entweder aufgrund der Akten verfügen kann oder aber die Erhebungen einstellt und Nichteintreten beschliesst. Dabei ist die betroffene Person vorher schriftlich zu mahnen und auf die Rechtsfolgen hinzuweisen. Ausserdem ist der Person eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen. Prioritär ist aufgrund der Akten zu entscheiden. Erst wenn dies ausgeschlossen ist, soll ein Nichteintretensentscheid gefällt werden.19
Bei der Abklärung nach Art. 43 geht es um die Abklärung des Sachverhaltes.20 Das Prinzip der Rechtsanwendung von Amtes wegen wird vorausgesetzt, ist aber nicht explizit erwähnt.21
Vorzunehmen sind die notwendigen Abklärungen: Zunächst ist abzustecken, welche Bereiche für die zu entscheidende Frage massgebend sind; danach ist der so begrenzte Sachverhalt bis zu seiner zweifelsfreien Eruierung abzuklären, was sich nach dem massgebenden Beweisgrad beurteilt. Die notwendigen Abklärungen sind für den massgebenden Zeitrahmen vorzunehmen.
5.2 Art. 32 ATSG: Amts- und Verwaltungshilfe
5.2.1 Voraussetzungen
Die Verwaltungs- und Rechtspflegebehörden des Bundes, der Kantone, Bezirke, Kreise und Gemeinden geben den Organen der einzelnen Sozialversicherungen unter folgenden Bedingungen Daten bekannt:
< Schriftliche und begründete Anfrage: Die Anfrage soll für die ersuchte Stelle nachvollziehbar sein,23 womit wohl an die Begründung keine besonders hohen Anforderungen gestellt werden;
< die Anfrage muss im Einzelfall erfolgen;
< es sollen und dürfen nur diejenigen Daten bekannt gegeben werden, die erforderlich sind zur Festsetzung, Änderung oder Rückforderung von Leistungen, Verhinderung ungerechtfertigter Bezüge, Festsetzung und Bezug der Beiträge und Rückgriff auf haftpflichtige Dritte. Die Amtshilfe ist nur zu erbringen, wenn und soweit die ersuchende Stelle ohne die beantragte Hilfe die notwendigen Daten nicht oder nur unter erheblichem Mehraufwand erhalten könnte; insoweit geht die Mitwirkungspflicht der Partei nach Art. 28 ATSG vor.24 Andererseits erübrigt sich dort, wo Art. 32 ATSG greift, die Mitwirkung der versicherten Person.25
Da somit die Zustimmung der betroffenen Person zur Weitergabe von einmal mitgeteilten Daten unter Umständen nicht mehr erforderlich ist, ist diese zum Schutz ihrer Persönlichkeit besonders darauf angewiesen, dass die Verwaltungshilfe leistende Stelle einerseits darauf achtet, die Schweigepflicht nach Art. 33 ATSG nicht zu verletzen und andererseits bei der Beurteilung der Anfragen die allgemeinen Voraussetzungen nach DSG zu berücksichtigen,26 das heisst insbesondere den Grundsatz der Verhältnismässigkeit (siehe Art. 19 Abs. 4 lit. a DSG).
Bei der Datenbekanntgabe bezüglich eines Ereignisses, dessen Folgen rechtskräftig beurteilt worden sind, im Rahmen eines späteren zweiten Versicherungsfalles, wäre im Übrigen auch der Grundsatz der Zweckgebundenheit zu beachten. Amtshilfe darf nicht erteilt werden, nur weil dies für den Empfänger der einfachere oder praktikablere Weg ist, um an eine Information zu gelangen.27 Reine Beweisausforschungen («fishing expeditions») sind verboten.28
5.2.2 Gegenstand und Umfang der Amts- und Verwaltungshilfe
Während Art. 28 bei der Mitwirkungspflicht desjenigen, der eine Leistung beantragt, davon spricht, dass diese die Abklärung des Anspruchs und die Festsetzung der Versichertenleistungen betrifft, spricht Art. 32 ATSG von den für die Festsetzung, Änderung oder Rückforderung von Leistungen erforderlichen Daten. Bedeutet dies eine Einschränkung des Gegenstandes der Amtshilfe? Man könnte meinen ja: Sie betrifft nicht die Abklärung des Leistungsanspruchs an sich, sondern die Festsetzung der geschuldeten Leistung, zum Beispiel die Höhe des Betrages oder im Rahmen der Koordination zwischen Sozialversicherungen (siehe Art. 63 ff. ATSG). Sonst wäre nicht einzusehen, weshalb Art. 28 ATSG von zur Abklärung und Festsetzung des Leistungsanspruches erforderlichen Auskünften, Art. 32 ATSG hingegen nur von solchen zur Festsetzung von Leistungen spricht.
Ebenfalls nicht einzusehen ist, weshalb bei der Mitwirkungspflicht nach Art. 28 Abs. 3 ATSG bloss die Ermächtigung Dritter zur Erteilung von Auskünften zu erteilen wäre, wenn Art. 32 ATSG es ermöglicht, auch ohne Einverständnis des Versicherten nicht nur Auskünfte, sondern auch Daten (Unterlagen) von anderen Sozialversicherungen einzuholen.29 Der Datenaustausch zur Abklärung von Leistungsansprüchen wäre danach auf diejenigen Fälle begrenzt, in denen anfragender und angefragter Leistungsträger beide Parteien sind (Akteneinsichtsrecht, Art. 47 ATSG, siehe nachstehend Ziffer 5.4), das heisst insbesondere in jenen Fällen, bei denen verschiedene Sozialversicherungsträger für denselben Lebenssachverhalt leistungspflichtig sind oder dort, wo eine spezialgesetzliche Pflicht zur Datenbekanntgabe vorliegt (vergleiche unten Ziffer 5.5).
5.2.3 Art. 32 ATSG als gesetzliche Grundlage für Datenbekanntgabe?
Entgegen einer offenbar weitestverbreiteten Ansicht,30 ist Art. 32 keine gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht: Art. 19 DSG verlangt nämlich «nicht nur eine Rechtsgrundlage für die Bekanntgabe von Personendaten an Dritte, sondern besagt auch, dass allfällige Bestimmungen über die Schweigepflicht vorbehalten sind (Abs. 4 Bst. b)».31
In der Botschaft über die Anpassung und Harmonisierung der gesetzlichen Grundlagen für die Bearbeitung von Personendaten in den Sozialversicherungen führte der Bundesrat denn auch aus, dass er für den Datenaustausch folgende Lösung vorschlage: «einerseits einen Verweis auf die Bestimmungen des Bundesgesetzes (dasselbe Gesetz oder ein Gesetz über eine andere Sozialversicherung), aus denen sich eine Pflicht zur Datenbekanntgabe ergibt, und andererseits die Einführung einer Bestimmung über die Amts- und Verwaltungshilfe in das andere Gesetz, dort wo eine solche Regelung noch fehlt. Gleichzeitig werden die Bestimmungen über die Amts- und Verwaltungshilfe so weit als möglich vereinheitlicht» (nach dem Modell des ATSG-Entwurfes).32 Als Ausnahmen zur Schweigepflicht wurde folgerichtig der Anspruch auf Akteneinsicht aufgeführt sowie diejenigen Fälle, die im jeweiligen Artikel «Datenbekanntgabe» aufgezählt sind.33
Im Rahmen der Einführung des ATSG wurden danach die spezialgesetzlichen allgemeinen Artikel betreffend Schweigepflicht sowie Amts- und Verwaltungshilfe wieder aufgehoben, während diejenigen betreffend Datenbekanntgabe konsequenterweise beibehalten wurden.34
Auch im Rahmen der Amts- und Verwaltungshilfe nach Art. 112 des Bundesgesetzes über die direkten Bundessteuern prüft das Bundesgericht jeweils zunächst, ob die Voraussetzungen für die Amtshilfe gegeben sind,35 und sodann, ob besondere Vorschriften im für das angefragte (oder das anfragende) Amt ausschlaggebenden Spezialgesetz der Auskunftspflicht entgegenstehen.36
Gerade mit Bezug auf die IV ist Art. 32 ATSG im Übrigen auch ausdrücklich eingeschränkt: Art. 66a IVG bezüglich Datenbekanntgabe verweist mit Bezug auf die Datenbekanntgabe an andere Sozialversicherungen durch die IV auf Art. 50a AHVG «mit seinen Abweichungen vom ATSG». Nach Art. 50a AHVG dürfen Organe, die mit der Durchführung usw. dieses Gesetzes betraut sind, Daten in Abweichung von Art. 33 ATSG an Organe anderer Sozialversicherungen bekannt geben, «wenn sich in Abweichung von Art. 32 Abs. 2 ATSG eine Pflicht zur Bekanntgabe aus einem Bundesgesetz ergibt». Das heisst einerseits, dass Art. 32 Abs. 2 ATSG gerade keine gegenseitige Pflicht zur Datenbekanntgabe unter Sozialversicherungen vorsieht, andererseits, dass die IV grundsätzlich nicht berechtigt ist, Daten an andere Sozialversicherungen herauszugeben: Für medizinische Daten ist dies im Übrigen in Art. 3c Abs. 5 IVG zumindest bei der Früherfassung explizit vorgesehen.
Art. 32 ATSG ist somit eine gesetzliche Grundlage, welche zwar einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht rechtfertigen würde, aber nicht von der Schweigepflicht nach Art. 33 ATSG entbindet.
5.2.4 Rechtsprechung zu Art. 32 ATSG
Rechtsprechung (zumindest bundesgerichtliche) zu Art. 32 ATSG ist kaum vorhanden: BGE 136 V 2 S.6 E. 2.6 führt aus, «Sinn und Zweck von Art. 32 Abs. 2 besteht darin, einen raschen Austausch von Informationen unter den verschiedenen Versicherungsträgern ohne ungerechtfertigte Barrieren sicherzustellen (...)». Weiter wird ausgeführt, die IV-Akten hätten relevante Dokumente enthalten können zur Frage, ob jemals eine Verletzung im Sinne des Unfallversicherungsrechts diagnostiziert worden sei sowie allenfalls auch zur Frage der Kausalität der Beschwerden, womit «die Erforderlichkeit der Datenbekanntgabe im Sinne von Art. 32 ATSG bei gebotener prognostischer Sicht zu bejahen» sei. In diesem Fall stand dem UVG-Versicherer ein Akteneinsichtsrecht zu.
In anderen Entscheiden wird hervorgehoben, der behördliche Datenaustausch entbinde nicht von der Meldepflicht, da er nicht automatisch und unverzüglich erfolge.37
5.3 Art. 33 ATSG: Schweigepflicht
Nach Art. 33 ATSG sind diejenigen Personen, die an der Durchführung und Kontrolle sowie an der Beaufsichtigung der Durchführung der Sozialversicherungsgesetze beteiligt sind, verpflichtet, gegenüber Dritten Verschwiegenheit zu bewahren. Nach Kieser scheint Art. 32 ATSG bezüglich Amts- und Verwaltungshilfe unter Umständen eine Ausnahme zur Schweigepflicht darzustellen und steht zu dieser jedenfalls in einem Spannungsverhältnis.38 Wie oben dargelegt, sind bei Datenbekanntgabe jedoch immer sowohl die Voraussetzungen nach Art. 32 ATSG zu prüfen, als auch, ob ein Spezialgesetz den unter das ATSG fallenden Sozialversicherer von der Schweigepflicht nach Art. 33 ATSG entbindet. Ist dies nämlich nicht der Fall, hat der angefragte Versicherer die Bekanntgabe gemäss Art. 19 Abs. 4 lit. b DSG abzulehnen.
Ziele der Schweigepflicht sind einerseits der Schutz der Persönlichkeit jener Person, über welche eine Kenntnis vorliegt, andererseits aber auch der Schutz derjenigen Personen, welche die betreffende Kenntnis vermittelt haben. Schliesslich soll die Schweigepflicht den geordneten Lauf der Verwaltung und das Vertrauen der Bevölkerung in die Verwaltung sicherstellen.39
Art. 33 ATSG schützt somit indirekt auch das Arztgeheimnis, indem dieses dem Sozialversicherer eher und umfangreicher preisgegeben wird, wenn die Sicherheit besteht, dass es auch dort verbleibt. Dieser Aspekt sollte auch im Rahmen der Interessenabwägung jeweils vermehrt beachtet werden.
5.4 Art. 47 ATSG: Akteneinsicht
Art. 47 gewährt nebst der versicherten Person insbesondere den Parteien Anspruch auf Akteneinsicht. Als Parteien gelten dabei Personen, die aus der Sozialversicherung Rechte oder Pflichten ableiten sowie Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung eines Versicherungsträgers oder eines ihm gleichgestellten Durchführungsorgans zusteht bzw. die sich damit zu befassen haben (Behörden). Das Akteneinsichtsrecht bildet Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör und ist - was die Parteien anbelangt - auf diejenigen Daten beschränkt, die sie benötigen, um einen Anspruch oder eine Verpflichtung nach einem Sozialversicherungsgesetz zu wahren oder zu erfüllen oder um ein Rechtsmittel gegen eine aufgrund desselben Gesetzes erlassene Verfügung geltend zu machen (Art. 47 Abs. 1 lit. b). Zu den Akten gehören die Eingaben von Parteien und Vernehmlassungen von Behörden, alle als Beweismittel dienenden Aktenstücke sowie Niederschriften eröffneter Verfügungen (vgl. Art. 26 VwVG).
Das Akteneinsichtsrecht eines Sozialversicherers als verfahrensrechtlicher Anspruch ist somit auf noch nicht abgeschlossene Verfahren beschränkt, in denen er Parteistellung einnimmt.40 Darunter fallen diejenigen Verfahren eines anderen Versicherungsträgers, deren Abschluss die eigene Leistungspflicht berühren und bei denen daher die von einem anderen Träger erlassene Verfügung eröffnet werden muss (siehe beispielsweise Art. 49 Abs. 4 ATSG, Art. 73ter IVV), nach Kieser aber unter Umständen auch solche, die zum Beispiel die Unterstellung oder Beitragserhebung berühren.41
Interessant ist dabei die Definition des Berührtseins: Soweit nämlich nicht eine eigene Bindung an den durch den anderen Träger getroffenen Entscheid besteht, sondern dieser bloss mitzuberücksichtigen ist, wird ein Berührtsein gerade noch nicht angenommen werden können,42 womit die Parteistellung und das Akteneinsichtsrecht nicht gegeben sind.
Ausdrücklich vorbehalten bleiben ausserdem überwiegende Privatinteressen. Als Beispiel für solche überwiegende Privatinteressen wird etwa angeführt, dass die versicherte Person ein Interesse daran haben kann, dass die in den Akten liegenden Daten eines als sensibel zu beurteilenden Gesundheitsbereichs (beispielweise einer psychiatrischen Behandlung) nicht bekannt gemacht werden.43
Das Akteneinsichtsrecht nach Art. 47 ATSG ist somit einerseits umfassender als die Verwaltungshilfe nach Art. 32 ATSG, andererseits aber auch auf Fälle beschränkt, in denen dem Sozialversicherer Parteistellung zukommt.
5.5 Bekanntgabepflicht im Verhältnis IV und UVG
Wie oben zu Art. 32 ATSG ausgeführt, gibt die IV Organen anderer Sozialversicherungen Daten nur bekannt, wenn sich dazu eine Pflicht aus einem Bundesgesetz ergibt (Art. 66a IVG i.V.m. Art. 50a AHVG), wobei wie oben dargelegt Art. 32 ATSG eine solche Pflicht gerade nicht begründet. Eine solche Pflicht der IV zur Datenbekanntgabe gegenüber einem Unfallversicherer (wie sie umgekehrt etwa in Art. 6a Abs. 1 IVG vorgesehen ist) beziehungsweise Anspruch des UV auf Bekanntgabe von Daten durch die IV ist ausserhalb koordinationsrechtlicher Tatbestände und dem damit verbundenen Akteneinsichtsrecht nicht erkennbar.
6. Notwendige Abklärungen
Mitwirkungspflicht, Abklärung und Datenaustausch sehen immer vor, dass nur die zu einem bestimmten Zweck notwendigen beziehungsweise erforderlichen Daten mitzuteilen sind. Die modernen Arten der Datenaufbewahrung und -übermittlung erlauben es unter anderem, selbst grosse Mengen Daten ohne grossen Aufwand zu übermitteln, weshalb es aufwendiger sein kann, bloss einzelne Daten weiterzugeben (was heisst, dass sie zunächst herausgesucht werden müssen) als ein ganzes Datenpaket.
Die Frage nach der Erheblichkeit der Daten, die weitergegeben werden dürfen, ist daher von besonderer Brisanz und hat auch Implikationen mit Bezug auf den Aufwand, der insbesondere der auskunftsleistenden Stelle zugemutet wird.
Zu den entscheiderheblichen Fragen gehört bei der Unfallversicherung unter anderem, ob die Folgen eines Unfalls natürlich und adäquat kausal sind.44 Wenn Hinweise für einen erheblichen Vorzustand vorliegen, darf somit Zugang zu den entsprechenden medizinischen Akten verlangt werden.45 Demnach kann für einen Unfallversicherer die Kenntnis der vollständigen Anamnese «erforderlich» sein. Andererseits benötigt zum Beispiel die Arbeitslosenkasse einzig die Angaben zur aktuellen Arbeitsfähigkeit, ohne deren Grund kennen zu müssen.46
Die Anforderungen an die Erforderlichkeit scheinen in der Rechtswirklichkeit nicht sehr hoch zu sein (siehe dazu oben zu Art. 32 ATSG). Erheblich zur Abklärung eines Leistungsanspruchs sind aber allenfalls Gesundheitsdaten, nicht auch persönliche Vorkommnisse im Leben einer Person, die vielleicht vor Jahren auch gesundheitliche Auswirkungen hatten, beziehungsweise zu deren Beurteilung relevant sein mochten, deren aktuelle Aussagekraft aber gering ist.
In dieser Hinsicht ist meines Erachtens somit insbesondere bei psychiatrischen oder anderen besonders stigmatisierten Erkrankungen einzig die damalige Diagnose herauszugeben, nicht aber beispielsweise ausführliche Gutachten oder Berichte zur damaligen Befindlichkeit, zu Tagesablauf, Aktivitäten, Beziehungsanamnese, sozialem Netz und Ähnlichem.
Gerade bei IV-Akten mit externen oder internen Gutachten würde somit wohl die Herausgabe der Diagnose sowie die Beurteilung des Schweregrades der diagnostizierten Störung im Allgemeinen auch unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit beziehungsweise Notwendigkeit zur Beurteilung der Leistungspflicht ausreichen. Zur Festsetzung, Änderung oder Rückforderung von Leistungen und Verhinderung ungerechtfertigter Bezüge, Festsetzung und Bezug von Beiträgen sind medizinische Personendaten nicht relevant. Eine spezielle Beurteilung erfordern allenfalls Auskünfte zur Geltendmachung des Regressrechtes gegenüber Dritten.
7. Schlussthesen
7.1 Art. 32 ATSG ist kein Blankocheck
Art. 32 ATSG ist keine ausreichende gesetzliche Grundlage zur Entbindung von der Schweigepflicht gemäss Art. 33 ATSG bzw. gemäss Art. 19 DSG zum Austausch besonders schützenswerter Personendaten unter Sozialversicherungsträgern, und zwar weder von Auskünften noch von Unterlagen (Art. 50a Abs. 1 lit. b AHVG e contrario; Art. 19 Abs. 4 lit. b DSG).
7.2 Keine Pflicht zur Datenherausgabe IV an UV
Sind die Voraussetzungen der Amts- und Verwaltungshilfe gegeben, ist zusätzlich zu prüfen, ob eine gesetzliche Grundlage zur Datenbekanntgabe vorhanden ist. Weder IVG noch UVG sehen eine Pflicht des Invalidenversicherers gegenüber dem Unfallversicherer zur Bekanntgabe von Personendaten und/oder Herausgabe von Unterlagen vor, mit Ausnahme des Akteneinsichtsrechts in denjenigen Fällen, in denen der IV-Entscheid für die Leistungspflicht des Unfallversicherers verbindlich ist und ihm die Verfügung gemäss Art. 49 Abs. 4 ATSG eröffnet werden muss.
7.3 Ausnahmen nur bei tangierter Leistungspflicht
Die Bekanntgabe medizinischer Daten sowie Auskünfte zur Festlegung der Leistungspflicht des anfragenden Sozialversicherers ohne ausdrückliche Zustimmung des Versicherten im Einzelfall (oder allenfalls generell, Art. 6a Abs. 1 IVG) ist daher höchstens im Rahmen des Akteneinsichtsrechts gemäss Art. 47 ATSG zulässig, genauer dort, wo der Entscheid eines Versicherungsträgers die Leistungspflicht eines anderen Trägers berührt (Art. 49 Abs. 4 i.V.m. Art. 47 ATSG).
7.4 Amts-/Verwaltungshilfe: Auskünfte statt Unterlagen
Im Rahmen der Amts- und Verwaltungshilfe nach Art. 32 ATSG dürfen allenfalls nur Auskünfte, nicht Unterlagen herausgegeben werden.
7.5 Art. 28: Einwilligung gilt nicht für Datenaustausch
Auch die Einwilligung des Betroffenen gemäss Art. 28 Abs. 3 ATSG ermächtigt nicht zum Datenaustausch, sondern nur zur Erteilung von Auskünften.
7.6 Art. 32 ATSG: Keine medizinischen Daten
Im Rahmen der Amts- und Verwaltungshilfe nach Art. 32 ATSG dürfen jedenfalls keine Auskünfte über medizinische Daten erteilt und schon gar nicht entsprechende Unterlagen herausgegeben werden, da sie nicht relevant sind für die Festsetzung, Änderung oder Rückforderung von Leistungen, Verhinderung ungerechtfertigter Bezüge und Festsetzung und Bezug von Beiträgen, sondern höchstens für die Abklärung des Anspruchs. Eine spezielle Beurteilung erfordern allenfalls Auskünfte zur Geltendmachung des Regressrechtes gegenüber Dritten.
7.7 Diagnose, nicht Lebensumstände
Mit Bezug auf die Notwendigkeit/Erforderlichkeit von beantragten Auskünften und Unterlagen sowie unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes und der Zweckgebundenheit allgemein sind allenfalls Diagnose und Beurteilung des Schweregrades der diagnostizierten Störung herauszugeben, nicht aber im Rahmen eines früheren Versicherungsfalles gesammelte Angaben zur damaligen Befindlichkeit, zu Tagesablauf, Aktivitäten, Beziehungsanamnese, sozialem Netz und Ähnlichem.
7.8 Verweigerung der Mitwirkung möglich
Eine Verweigerung der Mitwirkung durch den - urteilsfähigen - Versicherungsnehmer ist zu akzeptieren. Deren Folgen sind in Art. 43 ATSG geregelt.
1 David Rosenthal / Yvonne Jöhri, Handkommentar zum Datenschutzgesetz, Zürich 2008, N 4 f. ad Art. 1 DSG; Rainer J. Schweizer, St. Galler Kommentar zu Art. 13 Abs. 2 BV; Nathalie Brunner, «Quelques considérations sur la réglementation de la protection des données médicales dans le cadre des assurances» in L'expertise médicale, vol. 3, Chêne-Bourg 2008, S. 26.
2 Art. 3 lit. c und d DSG; s. z.B. Urteil K 7/05 vom 18.05.2007, E. 5.2.1.
3 Einer für viele: Hanspeter Kuhn, Datenschutz und KVG, «Überlegungen zu Privatsphäre, Patientengeheimnis und Datenschutz in der Sozialversicherung am Beispiel des KAVG», in: Schweiz. Ärztezeitung 2001; 82: Nr. 24, S. 1266 ff.
4 Art. 36 BV.
5 BBl 2000/255 ff. vom 8.2.2000.
6 Ebd., S. 257.
7 Adriano Previtali, «La carta sanitaria: fra protezione dei dati, principio della legalità, surrogazione della legge e sperimentazione», in: RDAT II-2002, p. 482; siehe auch unten zu Art. 33 ATSG.
8 Austausch personenbezogener Daten zwischen Behörden des Bundes und der Kantone, Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Lustenberger 07.3682 vom 5.10.2007 «Erleichterter Datenaustausch zwischen Bundes- und Kantonsbehörden», S. 37. In diesem Bericht wird übrigens mehrmals darauf hingewiesen, dass bei der Identifizierung und Überprüfung eines Missbrauchverdachts dem Datenaustausch keine grosse Bedeutung zukommt, sondern dass für die Aufdeckung von Verdachtsfällen ein systematisches Vorgehen mit Checklisten und regelmässigen Revisionen entscheidend ist.
9 Ebd., S. 3.
10 Siehe beispielsweise den obengenannten Bericht des Bundesrates.
11 Hanspeter Kuhn, «Datenschutz und KVG, Überlegungen zu Privatsphäre, Patientengeheimnis und Datenschutz in der Sozialversicherung am Beispiel des KVG», in: Ärztezeitung 2001; 82: Nr 24, S. 1268,
der seinerseits Stratenwerth zitiert.
12 Zu den einzelnen Zweckrichtungen des Berufsgeheimnisses siehe auch die strafrechtliche Literatur, zum Beispiel Stefan Trechsel / Hans Vest in: Trechsel Stefan et al., StGB Praxiskommentar, St. Gallen 2008, N 1 ad Art. 321 StGB.
13 Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2009, 2. Auflage, N 31, 34, 38 ad Art. 28.
14 Kieser, a.a.O., N 37 ad Art. 28, Brunner, a.a.O., S. 38.
15 Brunner, a.a.O., S. 29.
16 Zu diesem und weiteren Unterschieden zwischen Art. 6a Abs. 1 IVG und Art. 28 Abs. 3 ATSG
vgl. Edwin Murer, Invalidenversicherung: Prävention, Früherfassung und Integration, Bern 2009, S. 91 f., N 3 ad Art. 6a IVG.
17 Kuhn, a.a.O., S. 1266.
18 Siehe beispielsweise Urteil 8C_770/2008, publiziert in SVR 2009 UV 43, E. 4.3.
19 Kieser, a.a.O., N 53 ad Art. 43 ATSG; Urteil 8C_770/2008, publiziert in SVR 2009 UV Nr. 43, E. 5.2.
20 Vgl. Kieser, a.a.O., N 9 ff. ad Art. 43 ATSG.
21 Kieser, a.a.O., N 8 ad Art. 43 ATSG.
22 Kieser, a.a.O., N 12 ad Art. 43 ATSG.
23 Kieser, a.a.O., ad Art. 32.
24 Kieser, a.a.O., N 16 ad Art. 32.
25 Kieser, a.a.O., N 40 ad Art. 28.
26 Rosenthal / Yvonne, a.a.O., N 43 ad Art. 2 DSG: Amtshilfeverfahren sind nicht vom Geltungsbereich des DSG ausgenommen.
27 Rosenthal / Jöhri, a.a.O., N 24 ad Art. 19 Abs. 1 DSG.
28 Vgl. BGE 125 II 65 Erw. 6 und 128 II 407 Erw. 5.2, BGE 2A.534/2001 vom 15.3.2002, Erw. 4.1 - es handelt sich um Fälle des Steuer- und Finanzaufsichtsrechts, der Grundsatz gilt aber allgemein.
29 Auch Kieser, a.a.O., N 38 ad Art. 28 nimmt die Herausgabe von Unterlagen aus dem Anwendungsbereich von Art. 28 Abs. 3 aus.
30 Im mir vorliegenden Fall beriefen sich sowohl die IV als auch der Unfallversicherer und der Gutachter direkt oder indirekt auf Art. 32 Abs. 2 ATSG bzw. auf Art. 28 Abs. 3 ATSG (trotz der unzulässig generellen Ermächtigung); auch der Ombudsmann der Privatversicherer und Suva sah kein Problem.
31 Botschaft über die Anpassung und Harmonisierung der gesetzlichen Grundlagen für die Bearbeitung von Personendaten in den Sozialversicherungen vom 24.11.1999, BBl 2000 295; siehe auch Rosenthal / Jöhri, a.a.O., N 102 ff. ad Art. 19 Abs. 4 DSG.
32 Botschaft, S. 262.
33 Botschaft, S. 264.
34 Siehe AS 2002 3371 ff.
35 Siehe oben Ziffer 5.2.1.
36 Siehe Urteil 2A.96/2000, Erw. 5.
37 So beispielsweise Urteil 834/2010 vom 2.12.2010.
38 Kieser, a.a.O., N 5 ad Art. 33 ATSG und N 3 ad Art. 32 ATSG.
39 Kieser, a.a.O., N 3 ad Art. 33.
40 Kieser, a.a.O., N 15 ad Art. 28 ATSG.
41 Kieser, a.a.O., N 47 ad Art. 49 ATSG.
42 Kieser, a.a.O., N 49 f. ad Art. 49 ATSG.
43 Kieser, a.a.O., N 15 ad Art. 47 ATSG.
44 Vgl. Urteil 8C_770/2008, publiziert in SVR 2009 UV Nr. 43, E. 5.5.3.
45 Vgl. Urteil 8C_770/2008, publiziert in SVR 2009 UV Nr. 43, E. 5.5.2.
46 Siehe auch Brunner, a.a.O., S. 38 f.