plädoyer: Haben Sie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ihres Kreditkartenvertrags gelesen? Wenn ja, sind diese AGB Ihres Erachtens gültig?
Hartmann: In der Regel lese ich die AGB. Damit dürfte ich allerdings zu einer kleinen Minderheit gehören. Auch die meines Kreditkartenvertrags habe ich wohl angeschaut – allerdings nicht im Einzelnen auf ihre Gültigkeit überprüft. Ich kann mir gut vorstellen, dass die AGB Klauseln enthalten, die einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten würden.
Arpagaus: Ich gehöre auch eher zu den kritischen Konsumenten. Den Inhalt der AGB der von mir benutzten Kreditkarten könnte ich aber sicher nicht im Detail wiedergeben. Möglicherweise ist die eine oder andere Klausel umstritten. Ob sie deshalb auch gleich ungültig ist, kann ich nicht sagen.
Hartmann:Dass nur eine kleine Minderheit die AGB überhaupt liest, zeigen auch Umfragen, die ich jeweils bei den Studierenden in meinen Lehrveranstaltungen durchführe: Regelmässig geben weniger als 25 Prozent an, das Kleingedruckte zu lesen. Und wohlgemerkt: Es handelt sich hier um Studierende der Rechtswissenschaften.
plädoyer: Sind ungelesene AGB überhaupt Vertragsbestandteil?
Hartmann: Sofern sich die Parteien auf die Übernahme der AGB einigen, werden grundsätzlich auch ungelesene AGB Vertragsbestandteil. Aufgrund verschiedener Regeln kann es aber im Einzelfall am gültigen Einbezug von AGB fehlen. Selbst in einem solchen Fall zeigt sich indessen eine Problematik der AGB: Der Verwender wird im Streitfall auf die AGB verweisen. Sofern die Gegenseite rechtsunkundig ist, wird sie möglicherweise nicht auf die Idee kommen, dass trotz Übernahme der AGB einzelne Klauseln nicht gültig in den Vertrag einbezogen wurden – beispielsweise, weil eine Bestimmung der AGB gegen zwingendes Recht verstösst.
Arpagaus: Damit AGB als von einer Partei vorformulierte Vertragsbestimmungen in der Schweiz Geltung erlangen, müssen sie in den Vertrag übernommen werden. Dazu muss die zustimmende Partei in zumutbarer Weise zumindest die Möglichkeit haben, vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen. Ob sie das auch tatsächlich tut, ist ihr überlassen. Das gilt auch für online abgeschlossene Verträge.
plädoyer: Es gibt in der Praxis zahlreiche Beispiele von offensichtlich ungültigen AGB: Etwa bei Flugtickets der Verfall des Rückfluges bei Nichtantreten eines Hinfluges, der Verfall von Guthaben auf Prepaid-Handys oder die Belastung von Verzugszinsen auf be-zahlten Kreditkartenbeträgen. Ist es nicht stossend, dass solche AGB trotz fragwürdigem rechtlichem Inhalt nicht aus dem Verkehr gezogen werden können?
Hartmann: Ungelesene AGB werden grundsätzlich nicht gültig in den Vertrag einbezogen, wenn sie erheblich von dem abweichen, was die zustimmende Partei nach Treu und Glauben erwarten durfte und musste. Bei den oben genannten Beispielen muss nach meiner Ansicht bei Vertragsschluss grundsätzlich nicht mit diesen Inhalten gerechnet werden. Selbst wenn eine AGB-Klausel nicht wirksam übernommen wurde, bleibt aber das Problem, dass eine rechtsunkundige Partei möglicherweise nicht auf die Idee kommt, eine bestimmte Klausel könnte unwirksam sein.
Arpagaus: Mit Ihrer Frage ist das Thema der Ungewöhnlichkeitsregel angesprochen. Gewisse Klauseln können ungültig sein, weil sie objektiv oder subjektiv ungewöhnlich sind und weil eine global den AGB zustimmende Partei mit einer solchen Klausel nicht gerechnet hat und aufgrund ihrer Erfahrung auch nicht damit rechnen musste. Der Verfasser von AGB muss nach heutiger Rechtslage eine schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei auf allfällige ungewöhnliche Klauseln gesondert aufmerksam machen. Sonst sind sie ungültig.
plädoyer: Noch ein Beispiel für sehr einseitige AGB: Immer häufiger findet sich darin die Formulierung, dass die eine Partei den Vertrag nach Belieben ändern darf, ohne dass die Gegenseite kündigen kann. Eine zulässige Bestimmung?
Arpagaus: Ein einseitiges generelles Recht zugunsten der einen Vertragspartei zur Änderung des Inhalts eines abgeschlossenen Vertrages ist nicht zulässig. Solche Fälle sind mir jedenfalls nicht bekannt. Manchmal besteht jedoch bei einem Massengeschäft das Bedürfnis der Vertragsanpassung, etwa als Folge von Gesetzesänderungen. Dann besteht ein praktisches Bedürfnis für alle Beteiligten, beispielsweise alle 100000 Kundenverträge effizient und mit vernünftigem Aufwand anpassen zu können. Dazu ist eine gewisse Flexibilität nötig. Damit möchte ich das Problem nicht herunterspielen, aber auf die Konsequenzen für betroffene Unternehmungen hinweisen.
Hartmann: Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch enthält einen Katalog mit in AGB unzulässigen Klauseln. Nach diesem Katalog ist eine Klausel, die dem Verwender der AGB gestattet, die versprochene Leistung einseitig abzuändern, grundsätzlich unwirksam. Ich bin der Meinung, dass die von Ihnen erwähnte Klausel auch in der Schweiz einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten dürfte: Eine Bestimmung, wonach die eine Partei den Vertrag einseitig und nach Belieben abändern kann, ist meines Erachtens wegen Verstosses gegen Artikel 27 Zivilgesetzbuch (ZGB) unzulässig.
plädoyer: Die Schweizer Gerichte wenden bei AGB die Unklarheits- und die Ungewöhnlichkeitsregel an. Es besteht also eine gewisse Geltungskontrolle. Wenn aber eine Klausel klar und branchenüblich ist, ist sie nach der aktuellen Praxis gültig. Egal, ob sie krass einseitig ist. Andere Länder haben ein AGB-Gesetz und verbieten bestimmte Klauseln. Wäre das nicht auch für die Schweiz eine gute Lösung?
Arpagaus: Die Regelung der AGB im Bundesgesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) ist historisch bedingt. Im Rahmen der UWG-Revision 1986 wurde der geltende Artikel 8 UWG ins Gesetz aufgenommen. Aus systematischen Überlegungen bin ich zwar der Meinung, dass das UWG nicht unbedingt der richtige Ort dafür ist. Vermutlich wäre ein Rahmengesetz zum Schutz von Konsumenten der bessere Ansatz. Es ist aber letztlich nicht ausschlaggebend, wo die AGB-Thematik geregelt wird. Viel wichtiger ist, dass die wirklich schutzwürdigen Fälle erfasst werden. In der Schweiz gibt es erstaunlich wenig Streitfälle – zumindest wenn man von den publizierten Urteilen ausgeht. Unsere Lösung in der Schweiz kann also nicht so schlecht sein.
Hartmann:Da bin ich anderer Meinung. Es ist zutreffend, dass es in der Schweiz bis anhin wenig publizierte Fälle gibt. Ein Grund hierfür dürfte aber auch sein, dass sich für Konsumentinnen und Konsumenten ein Prozess angesichts des häufig doch relativ geringen Streitwerts vielfach nicht lohnt. Zudem ist zu bedenken, dass wir in der Schweiz gerade mal sieben Millionen Einwohner haben – in Deutschland sind es über achtzig Millionen, was sich auch auf die Zahl der Streitfälle auswirkt.
plädoyer: Heute haben wir in der Schweiz reines Richterrecht zu den AGB. Ohne ein AGB-Gesetz bleibt unklar, was rechtens ist und was nicht. Daran sollte eigentlich niemand ein Interesse haben.
Hartmann: AGB werden vor allem auch gegenüber Konsu-mentinnen und Konsumenten verwendet. Bei Konsumentenstreitigkeiten geht es häufig um verhältnismässig geringe Streitwerte. Dementsprechend scheuen Konsumentinnen und Konsumenten bei einer unklaren Rechtslage noch mehr davor zurück, ihre Rechte vor Gericht geltend zu machen. Gerade auch im Interesse des Konsumentenschutzes wäre daher eine höhere Rechtssicherheit wünschbar. Ein Klauselkatalog, wie ihn etwa das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch oder die EU-Klausel-Richtlinie enthält, ist aus meiner Sicht ein geeignetes Instrument, um zusätzliche Rechtssicherheit zu schaffen.
Arpagaus: Ein Klauselkatalog bringt sicher gewisse Vorteile, über die Eignung zur Schaffung von höherer Rechtssicherheit bin ich mir jedoch nicht so sicher. Denn ein Klauselkatalog ist nichts anderes als der Versuch, gewisse Falltypen zu kodifizieren. Versucht man, solche Fälle zu definieren, stellt sich bei einem ähnlichen, aber eben nicht exakt gleichen Fall dann sofort die Frage, ob dieser auch darunter zu subsumieren ist, oder aber – weil er abweicht – gerade nicht. Dann wäre die Qualifikation auch wieder den Gerichten überlassen.
Hartmann: Regelungstechnisch sind zwei Extremlösungen denkbar: Die eine Lösung ist eine reine Generalklausel. Hier hat das Gericht ein weites Ermessen und kann dem Einzelfall Rechnung tragen. Der Nachteil ist die geringe Rechtssicherheit. Die andere Extremlösung ist ein reiner Klauselkatalog, der die unzulässigen Klauseln abschliessend aufzählt. Die Lösung, wie sie in der EU-Richtlinie vorgesehen ist, hat den Vorteil, dass sie mit einer Generalklausel und einem Katalog mit Beispielen von unzulässigen Klauseln die beiden Regelungstechniken kombiniert: Die Generalklausel gibt dem Gericht die Möglichkeit, auch unvorhergesehene Fälle sachgerecht zu lösen. Gleichzeitig haben die Gerichte mit dem Klauselkatalog eine Leitlinie, an die sie sich bei der Konkretisierung der Generalklausel orientieren können.
plädoyer: Wie weit dürfen AGB vom dispositiven Gesetzesrecht abweichen? Gibt es in der heutigen Gerichtspraxis dazu klare Schranken?
Arpagaus: Die Gerichtspraxis hat im Bereich der AGB verschiedene Regeln entwickelt, die ein Korrektiv für ungewöhnliche oder unklare Klauseln darstellen. Meines Erachtens würde man aber klar über das Ziel hinausschiessen, wenn man gar nicht mehr vom dispositiven Recht abweichen dürfte, sobald AGB im Spiel sind. Damit würde die in der Schweiz grundlegende und auch erprobte Unterscheidung zwischen dispositivem und zwingendem Gesetzesrecht bei den AGB aufgehoben. Dafür sehe ich keine Veranlassung.
Hartmann: Das dispositive Gesetzesrecht wird von einem de-mokratisch legitimierten Organ aufgestellt. Es berücksichtigt verschiedene Interessen. Die AGBdagegen berücksichtigen zumeist einseitig die Interessen des Verwenders. Die Gegenseite kann zudem vielfach nicht tatsächlich frei entscheiden, ob sie den AGB zustimmen will. Rechtspolitisch ist daher schon zu überlegen, inwiefern es zulässig sein soll, mittels AGB vom demokratisch legitimierten dispositiven Gesetzesrecht abzuweichen. Eine Inhaltskontrolle der AGB setzt da Grenzen. Die Frage nach solchen Grenzen stellt sich aus meiner Sicht etwa bei Gewährleistungs- oder Haftungsbestimmungen des dispositiven Rechts.
plädoyer: Im Zusammenhang mit den AGB wird häufig das Loblied der Vertragsfreiheit gesungen. Meint man damit nicht einfach das Recht des Stärkeren?
Hartmann: In der politischen Diskussion wird immer wieder argumentiert, man wolle kein AGB-Gesetz, kein Widerrufsrecht etc., weil es gegen die Vertragsfreiheit verstosse. Zumeist wird dann aber nicht weiter ausgeführt, was unter dem Begriff der Vertragsfreiheit verstanden wird. Handelt es sich um eine rein formelle oder um eine tatsächliche Vertragsfreiheit? Inwiefern kann eine Vertragspartei heute überhaupt noch frei entscheiden, ob sie AGB zustimmen will oder nicht? Das Recht muss den Menschen dienen und dafür die tatsächlichen Verhältnisse berücksichtigen. Darum sollte die Vertragsfreiheit nicht rein formell verstanden werden; vielmehr ist vorab zu fragen, inwiefern sich die Menschen heute tatsächlich frei für oder gegen einen Vertrag zu bestimmten Bedingungen entscheiden können.
Arpagaus: Der Konsument informiert sich im Rahmen der Nachfrage nach einem Produkt selbständig nach den Anbietern und kommerziellen Konditionen. Ein gewisses Ungleichgewicht in der Verhandlungsposition wird dabei wohl immer bestehen. Der entscheidende Punkt ist hingegen, dass dies nicht ein spezifisches AGB-Problem ist. Denn an der Tatsache, dass etwa ein Hypothekarvertrag schlussendlich mehr oder weniger zu den Bedingungen der Bank festgelegt wird, wird sich auch mit einem AGB-Gesetz nichts ändern.
Hartmann: Ein gewisses tatsächliches Ungleichgewicht zwischen den Verhandlungspartnern wird sich in der Tat nie völlig vermeiden lassen. Mit dem Aufkommen von massenweise abgeschlossenen Verträgen ist aber ein strukturelles Ungleichgewicht dazugekommen, dem es Rechnung zu tragen gilt. Eine Bank etwa hat einen Rechtsdienst, der die AGB für eine Vielzahl von Verträgen nach den einseitigen Interessen der Bank formulieren kann. Der einzelne Konsument ist insofern schon rein strukturell im Nachteil, als er einen bestimmten Vertrag häufig nur einmal abschliesst und es sich für ihn deshalb auch nicht lohnt, den Vertrag mit der gleichen Sorgfalt zu prüfen. Wenn man gesetzlich vorschreiben würde, dass gewisse Punkte – beispielsweise die Haftung oder Gewährleistung – in den AGB nicht wegbedungen werden dürfen, würde dieses strukturelle Ungleichgewicht zwischen Bank und Konsumenten ein Stück weit abgemildert.
plädoyer: Im Moment ist es aber so, das nicht das Parlament die vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien festhält, sondern Private. Ist dies überhaupt im Sinne der Verfassung?
Arpagaus: Dass Private in Ver-trägen Rechte und Pflichten festlegen, ist durchaus im Sinne unserer liberalen Verfassungsordnung, die unter anderem die Wirtschaftsfreiheit kennt.
Hartmann: Pauschal zu sagen, man könne beim Einsatz von AGB nicht mehr vom dispositiven Recht abweichen, wäre zu einfach. Es gibt verschiedene Arten von dispositiven Normen: Solche mit Gerechtigkeitsgehalt und andere, die technische Fragen regeln. Eine Regelung, die Abweichungen vom dispositiven Gesetzesrecht Schranken setzt, müsste den verschiedenen Arten von dispositiven Bestimmungen Rechnung tragen.
plädoyer: Wo soll das geregelt werden? Reicht dafür das heutige UWG?
Arpagaus: Die AGB-Fragen sind im UWG eher ein Fremdkörper. Denn von seiner Struktur her betrachtet, geht es in diesem Gesetz um zivilrechtliches Deliktsrecht – eine Konkretisierung also von OR 41 für den ausservertraglichen Bereich. Das UWG ist auch kein reines Konsumentenschutzgesetz. Vielmehr soll das UWG die Interessen der Anbieter, der Nachfrager und der Allgemeinheit gleichwertig schützen. Meines Erachtens wäre es deshalb sachlich richtiger, das Thema AGB direkt im OR oder in einem speziellen Konsumentenschutzgesetz zu regeln.
Hartmann: Das Wichtigste ist, endlich eine Inhaltskontrolle der AGB einzuführen. Die Einführung einer solchen Kontrolle sollte nicht mit rechtssystematischen Argumenten verhindert werden. Die Regelung im UWG ist zudem systematisch nicht so falsch. Im UWG wird geregelt, wie der Wettbewerb inhaltlich auszusehen hat. Regeln zum Schutz der Konsumenten fördern auch den lauteren Wettbewerb. Sie stellen sicher, dass Anbieter, welche die schwächere Stellung der Konsumenten ausnützen, keinen Wettbewerbsvorteil haben gegenüber Anbietern, die sich konsumentenfreundlich verhalten. Ein weiterer Punkt, der für eine Regelung im UWG spricht: Das UWG sieht Klagerechte des Bundes und von Konsumentenorganisationen vor. Die Regelung im UWG ermöglicht zudem eine abstrakte Inhaltskontrolle. Insofern hat die Regelung im UWG auch diverse Vorteile. Die Frage ist, inwieweit man sie durch eine Regelung im OR oder durch einen speziellen Konsumentenschutzerlass ergänzen möchte.
plädoyer: Der Entwurf für den revidierten Artikel 8 des UWG sieht vor, dass AGB dann unlauter sind, wenn sie von der gesetzlichen Ordnung erheblich abweichen. Das wäre in etwa der Standard in Deutschland. Der Bundesrat lanciert aber in seinem Entwurf eine weitere Hürde: Die Abweichung müsste auch «in Treu und Glauben verletzender Weise» gehalten sein, damit sie ungültig wird. Ist das nicht wieder eine erhebliche Einschränkung?
Hartmann: Bei der Kontrolle von AGB ist eine gewisse Flexibilität nötig. Wenn Artikel 8 UWG von «Treu und Glauben» spricht, dann kann berücksichtigt werden, ob die AGB beispielsweise zwischen zwei Grosskonzernen, gegenüber einem Konsumenten oder einem KMU verwendet werden. Ähnliche Formulierungen finden sich auch etwa im deutschen Recht oder in der EU-Klausel-Richtlinie.
Arpagaus: Ja, dies ist gerade die Flexibilität, die man sich bewahren sollte. Darum plädiere ich dafür, mit offenen Begriffen zu arbeiten. Es spricht meines Erachtens nichts gegen den neuen Artikel 8 UWG. Sinnvoll ist sicher das Weglassen des Tatbestandsmerkmals der Irreführung zum Nachteil einer Vertragspartei. Ich habe mich aber gefragt, ob die explizite Nennung von «Treu und Glauben» überhaupt nötig ist. Das ganze UWG steht nach Artikel 2 ohnehin unter dem Aspekt von Treu und Glauben. Der Umstand, dass der Begriff in Artikel 8 UWG nun wiederholt wird, schafft eine gewisse Unsicherheit, weil nicht klar ist, ob damit allenfalls etwas Zusätzliches gemeint ist. Aber das kann man sich eigentlich kaum vorstellen, denn sonst würde sich die Frage nach dem Unterschied zwischen «Treu und Glauben» nach Artikel 2 UWG und «Treu und Glau-ben» in Artikel 8 UWG stellen.
Hartmann: Ich möchte dennoch festhalten, dass, egal wo der Begriff von «Treu und Glauben» steht, die neue Version im Vergleich zur geltenden Fassung (in «irreführender Weise») eine Verbesserung darstellt. Die Bestimmung ist weiter gefasst; sie ermöglicht eine Inhaltskontrolle. Nach der bisherigen Formulierung von Artikel 8 UWG dagegen geht es nur um die Art und Weise, wie die AGB übernommen werden; es ist ausreichend, die Vertragspartei auf das Kleingedruckte aufmerksam zu machen, Transparenz zu schaffen und schon greift Artikel 8 nicht mehr.
plädoyer: Wirtschaftsnahe Parteien lehnen eine Revision des Artikels 8 UWG ab. Als Argumentation dient die Vertragsfreiheit. Und dass der Ermessensspielraum der Gerichte nicht erweitert werden soll.
Arpagaus:Ich teile grundsätzlich diese Einschätzung, glaube allerdings nicht, dass durch die Revision von Artikel 8 UWG der Ermessensspielraum der Gerichte tatsächlich erweitert wird. Das Problem der Vertragsfreiheit darf man nicht mit der Frage nach der wirtschaftlichen Realität verwechseln. Die entscheidende Frage ist, ob die Politik steuernd in einen privatrechtlich geschlossenen Vertrag eingreifen soll oder nicht. Am Schluss läuft dies immer darauf hinaus, inwieweit der Staat die Vertragsgestaltung regulieren darf. Das ist eine ausschliesslich politische Frage, die nicht auf das Thema AGB beschränkt ist.
Hartmann: In vielen Situationen, in denen AGB übernommen werden, besteht die Vertragsfreiheit nur rein formell. Gerade Konsumenten können sich häufig nicht wirklich frei für oder gegen die AGB entscheiden. Angesichts der häufig fehlenden oder eingeschränkten Vertragsfreiheit scheint es mir richtig, eine Inhaltskontrolle der AGB einzuführen.
-- BOX --
Geltender Artikel 8 UWG:
Unlauter handelt insbesondere, wer vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die inirreführender Weise zum Nachteil einer Vertragspartei:
a. von der unmittelbar oder sinngemäss anwendbaren gesetzlichen Ordnung erheblich abweichen oder
b. eine der Vertragsnatur erheblich widersprechende Verteilung von Rechten und Pflichten vorsehen.
Revisionsvorschlag Art. 8 UWG:
Unlauter handelt insbesondere, wer allgemeine Geschäftsbedingungen vewendet, die in Treu und Glauben verletzender Weise:
a. von der gesetzlichen Ordnung erheblich abweichen; oder
b. ein erhebliches und un-gerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten vorsehen.