Als Antwort auf eidgenössische Volksinitiativen werden oft indirekte Gegenvorschläge beschlossen: Gesetze oder Gesetzesrevisionen also, die nur dann im Bundesblatt publiziert werden, wenn die Volksinitiative zurückgezogen worden oder an der Urne gescheitert ist. Für ein Initiativkomitee ist der Rückzug des Volksbegehrens zugunsten eines indirekten Gegenvorschlages unter Umständen riskant: Wenn der indirekte Gegenvorschlag darauf in einer Referendumsabstimmung vom Volk verworfen wird, stehen die Initianten mit leeren Händen da. Deshalb können Komitees seit zweieinhalb Jahren ihre Initiative bedingt zurückziehen. Der Rückzug wird in diesem Fall nur wirksam, wenn der Gegenvorschlag tatsächlich in Kraft tritt. Sonst gelangt die Initiative nach dem Nein zum indirekten Gegenvorschlag an einem separaten Termin doch noch zur Abstimmung.
Seit 2010 wurde der bedingte Rückzug viermal in Anspruch genommen: bei der Renaturierungs-, der Klima-, der Offroader- und der Landschaftsinitiative. Die Rückzüge der ersten drei Volksbegehren sind unterdessen definitiv, da ihre Gegenvorschläge (Gewässerschutz- und zweimal CO2-Gesetz) in Kraft getreten sind. Ganz anders im vierten Fall: Das revidierte Raumplanungsgesetz als indirekter Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative stösst auf Widerstand. Im letzten Herbst sind die nötigen 50 000 Referendumsunterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht worden, weshalb das Volk am 3. März über dieses Gesetz abstimmen wird.
Doch hier erst beginnt die Krux. Die Befürworter der Volksinitiative, welche in der Regel den Gegenvorschlag dem geltenden Recht vorziehen, sehen sich am Abstimmungstermin in einem Dilemma: Einerseits sollten sie der Gesetzesvorlage zustimmen, um zumindest eine Verbesserung des Status quo zu erreichen. Diese Lösung ist für sie aber nicht die beste aller drei Varianten. Andererseits sollten sie die Referendumsvorlage verwerfen, um die Volksinitiative überhaupt an die Urne zu bringen. Sie riskieren dabei aber, dass auch die Volksinitiative scheitern könnte und es somit beim ungewünschten Status quo bliebe.
Taktische Überlegungen notwendig
Die Befürworter des Status quo befinden sich in einer inversen Zwickmühle: Sollen sie bei der Referendumsabstimmung den indirekten Gegenvorschlag annehmen, um dadurch wenigstens die unerwünschte Volksinitiative endgültig zu begraben? Oder sollen sie eher aufs Ganze gehen, indem sie die Referendumsvorlage ablehnen, dann an einem zweiten Abstimmungstermin auch die Volksinitiative verwerfen, um den bevorzugten Status quo zu bewahren?
Was bei der Einführung des bedingten Rückzugs von Volksinitiativen versprochen wurde, bleibt unerfüllt: «Es ist wichtig, die Verfahren so auszugestalten, dass alle beteiligten Akteure ihren Willen ungehindert zum Ausdruck bringen können, ohne in Entscheidungsdilemmas zu geraten», hiess es im Bericht der ständerätlichen Staatspolitischen Kommission, welche diese Gesetzesnovelle innert weniger Monate durch die beiden Räte peitschte. Da im Jahr 2009 mit der Renaturierungs-Initiative ein erster Anwendungsfall - ja der Anstoss schlechthin - drängte, begnügte sich der Bundesrat mit spärlichen achtzehn Zeilen, um sich zum übereilten Verfahrenswechsel zu äussern.
Der Begleitbericht der Staatspolitischen Kommission hob zwar immerhin die «Perspektive der Stimmberechtigten» hervor. Er unterliess es aber, die weitverbreiteten Präferenzordnungen «1. Volksinitiative, 2. indirekter Gegenvorschlag, 3. Status quo» sowie «1. Status quo, 2. indirekter Gegenvorschlag, 3. Volksinitiative» zu beleuchten, die zu den oben dargelegten Dilemmasituationen führen. Das Fazit ist ernüchternd: Die neu geschaffene Abstimmungskaskade überzeugt nicht. Das nicht ausreichend durchdachte Verfahren ritzt gar die verfassungsmässige Garantie der politischen Rechte (Art. 34 Abs. 2 BV), da viele Stimmberechtigte ihren Willen an der Urne nur verfälscht ausdrücken können.
Gleichzeitige Abstimmung zeigt wahren Volkswillen
Daher drängt sich eine Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte auf: Sollte gegen einen indirekten Gegenvorschlag das Referendum zustande kommen, so muss dieser Gegenvorschlag gleichzeitig mit der zu seinen Gunsten bedingt zurückgezogenen Volksinitiative zur Abstimmung gelangen. Wenn sich die Volksinitiative und der indirekte Gegenvorschlag widersprechen, soll wie bei einem direkten Gegenentwurf das bereits bekannte Verfahren der Variantenabstimmung angewendet werden. In Übereinstimmung mit dem geltenden Verfassungsrecht ist indessen nur bei der Volksinitiative das Ständemehr erforderlich.
Keine Koppelung trotz verwandten Themen
Wenn sich die Volksinitiative und der Gegenvorschlag eher ergänzen als widersprechen, ist es sinnvoll, die beiden Vorlagen nicht wie in einer Variantenabstimmung zu koppeln. Die beiden Abstimmungen sollen aber am gleichen Termin stattfinden. Gleichzeitige Abstimmungen über sachlich verwandte, nicht gekoppelte Vorlagen sind durchaus kein Novum. So fanden beispielsweise am 17. Mai 1992 sowohl die Abstimmung über die damalige Volksinitiative «zur Rettung unserer Gewässer» als auch die Referendumsabstimmung über ihren indirekten Gegenvorschlag Gewässerschutzgesetz vom 24. Januar 1991 statt. Das gleiche Vorgehen wurde bei Abstimmungen 1994 (Volksinitiative «für eine gesunde Krankenversicherung») sowie 1995 (Volksinitiative «zum Ausbau von AHV und IV») angewandt.
Bei indirekten Gegenvorschlägen zu bedingt zurückgezogenen Volksinitiativen sind die fragwürdigen Abstimmungskaskaden zu vermeiden. Stattdessen ist mit dem oben dargestellten Abstimmungsverfahren sicherzustellen, dass alle Stimmberechtigten ihre Präferenzen tatsächlich unverfälscht ausdrücken können. Eben diese Forderung wurde von Ständerat Thomas Minder (parteilos, SH) im vergangenen Herbst als Bestandteil seiner Motion «Unverfälschtes Abstimmungsverfahren bei Volksinitiativen mit Gegenentwurf» in die eidgenössischen Räte getragen.
In seiner knappen Stellungnahme lehnte der Bundesrat die gleichzeitige Abstimmung über eine Volksinitiative und ihren indirekten Gegenvorschlag jedoch prinzipiell ab. Im Falle einer synchronen, aber formell getrennten Abstimmung könnten beide Vorlagen angenommen werden und in Kraft treten. Obschon dieser Abstimmungsmodus nur für einander ergänzende Vorlagen vorgesehen ist, befürchtet der Bundes--rat potenzielle Rechtsunsicherheit wegen Widersprüchen zwischen der Verfassung und dem Gesetz. Auch die Möglichkeit der gekoppelten Abstimmung lehnte der Bundesrat ab, ohne diese Haltung genauer zu erläutern. Schliesslich sei das Verfahren des bedingten Rückzugs noch relativ neu, weshalb es vor einer Änderung weiter erprobt werden sollte.
Die kleine Kammer schloss sich in der letzten Wintersession diesen Überlegungen an und lehnte einen Überweisungsantrag an die Staatspolitische Kommission wie auch den Vorstoss selbst ab. Damit ist die Motion vom Tisch und die fragwürdigen Abstimmungskaskaden bleiben bestehen.