Laut Artikel 1 des Jugendstrafgesetzbuches (JStG) gilt im materiellen Recht, dass nur die abschliessend aufgeführten Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) sinngemäss für Jugendliche anwendbar sind. Hingegen ist die für Erwachsene geltende Strafprozessordnung (StPO) immer dort anwendbar, wo die Jugendstrafprozessordnung (JStPO) als lex specialis nicht ausdrücklich oder sinngemäss besondere Regelungen enthält. Artikel 3 Absatz 2 JStPO führt zudem ausdrücklich jene Bestimmungen der StPO auf, die im Verfahren gegen Jugendliche keine Anwendung finden.
Diese unterschiedlichen Regelungen im JStG und in der JStPO bezüglich des Verhältnisses zu dem für Erwachsene geltenden Recht bereiten der Praxis vermehrt Schwierigkeiten. Dazu trägt nicht zuletzt die Tatsache bei, dass die JStPO nicht wirklich ein von Anfang bis Ende eigenständig durchdachtes Gesetz ist. Selbst dann, wenn - wie im materiellen Jugendstrafrecht - die im Jugendstrafverfahren spezifisch geltenden Grundsätze (Artikel 4 JStPO) wegleitend für die Auslegung der JStPO hinzugezogen werden, führt dies nicht immer zu überzeugenden Ergebnissen.
1. Zwangsmassnahmen
Im Jugendstrafverfahren entscheidet neu die Untersuchungsbehörde und nicht das Zwangsmassnahmengericht über die Anordnung der Untersuchungshaft. Dies verleiht dem Jugendanwalt eine nicht zu unterschätzende Machtfülle. Jugendliche sind aufgrund dieser Regelung schlechtergestellt als Erwachsene: Bei Erwachsenen stellt der Staatsanwalt Antrag auf Untersuchungshaft, die Entscheidung aber liegt von Anfang an beim Zwangsmassnahmengericht. Bei Jugendlichen erfolgt die Anordnung der Untersuchungshaft durch den Jugendanwalt und sie gilt für die ersten sieben Tage (Artikel 27 Absatz 2 JStPO). Eine richterliche Haftprüfung findet aufgrund der Regelung in Artikel 27 JStPO in der Praxis erst nach neun Tagen statt (Artikel 27 Absatz 2 JStPO).
Eine Beschwerde (Artikel 39 Absatz 2 Buchstabe d JStPO) an das Zwangsmassnahmengericht bringt keine Beschleunigung, da das Zwangsmassnahmengericht gemäss Artikel 397 StPO keine explizit festgelegte Erledigungsfrist einzuhalten hat. Entscheidet man sich für ein Haftentlassungsgesuch, kommt der Jugendliche auch nicht früher zu einem Entscheid des Zwangsmassnahmengerichtes.
Dem Jugendlichen muss erst dann ein amtlicher Verteidiger beigegeben werden, wenn die Untersuchungshaft 24 Stunden gedauert hat. Der Verteidiger muss die Akten umgehend beim Jugendanwalt anfordern und studieren. Wegen der Dringlichkeit empfiehlt sich die Zusendung der Akten per Fax als hilfreich, da sie sonst bei der zuständigen Jugendanwaltschaft eingesehen werden müssen. Anschliessend muss die Verteidigung den inhaftierten Jugendlichen so schnell wie möglich besuchen.
Das Gespräch der Verteidigung mit dem Jugendlichen dient insbesondere auch der Darlegung der klaren Interessenvertretung. Kurz- und längerfristige Interessen des Jugendlichen sind mit ihm ebenfalls zu besprechen. Oft zeigt sich, dass ein Jugendlicher aufgrund der Erläuterung der rechtlichen und persönlichen Lage seine Situation besser verstehen kann und Bereitschaft zeigt, seinen Beitrag zu einem sinnvollen Ausgang des Verfahrens zu leisten.
Die JStPO verlangt ferner für die Anordnung der Untersuchungshaft im Gegensatz zur Anordnung einer vorsorglichen Schutzmassnahme und einer Beobachtung (Artikel 29 Absatz 1 JStPO) keine Schriftlichkeit.
Im Kanton Zürich wird der Entscheid der Haftanordnung dennoch begründet, was unverzichtbar ist, da es sich um eine einschneidende Zwangsmassnahme handelt. Die Begründung fällt allerdings in der Praxis äusserst kurz aus. Dies insbesondere, wenn das Vorliegen der Kollusionsgefahr mit der theoretischen Möglichkeit der Beeinflussung und Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung begründet wird, ohne dass konkrete Indizien für die Annahme der Verdunkelungsgefahr aufgeführt werden. In solchen Fällen ist eine schnelle Klärung der Sachlage durch die Verteidigung unumgänglich. Wie erwähnt, ist die Ergreifung eines Rechtsmittels oder die Stellung eines Haftentlassungsgesuchs zeitlich keine Option. Es empfiehlt sich deshalb, zuerst mit dem Jugendanwalt Kontakt aufzunehmen und nach vertretbaren Lösungen für den Fortgang des Verfahrens zu suchen.
Die Untersuchungshaft ist nicht Erziehung im engeren Sinne. Sie muss jedoch im weiteren Verfahren erzieherisch verarbeitet werden. Die Anordnung der Untersuchungshaft durch den Jugendanwalt verstärkt die Unsicherheit des Jugendlichen, sich auf eine konstruktive Beziehung mit ihm einzulassen, und kann daher pädagogische Auseinandersetzungen behindern.
Im Jugendstrafverfahren wird die Auseinandersetzung des Jugendlichen mit seinem Fehlverhalten angestrebt. Die Chancen einer erzieherischen Entwicklung hängen auch von der motivierenden Wirkung des ganzen Jugendstrafverfahrens auf den Jugendlichen ab. Jugendliche sind oft mit den Argumenten für die Anordnung der Untersuchungshaft nicht einverstanden. Zieht die Untersuchungsbehörde zum Beispiel während oder nach der Untersuchungshaft die Anordnung einer vorsorglichen Massnahme in Betracht, kann die Tatsache, dass der Jugendanwalt die Untersuchungshaft angeordnet hat, den Widerstand des Jugendlichen verstärken. Im alten Recht ordnete ein Richter die Untersuchungshaft an - diesen Entscheid akzeptierte der Jugendliche aufgrund der klaren Rollenteilung eher. Wegen dieser einschneidenden Neuerung empfiehlt es sich, dass Untersuchungsbehörde und Verteidigung dem Jugendlichen den gesetzlich vorgegebenen Ablauf ausführlich erklären.
Artikel 26 Absatz 3 JStPO nennt nur Zwangsmassnahmen und unterscheidet sprachlich nicht zwischen Zwangsmassnahmen, vorsorglichen Schutzmassnahmen und Begutachtung. Greift man zur Begriffsklärung der Zwangsmassnahmen auf Artikel 196 StPO zurück, sind wohl Schutzmassnahmen und Beobachtungen nicht darunter zu subsumieren. Sie verfolgen eben gerade nicht die gleichen Ziele wie die Untersuchungshaft. Es mag ja sein, dass die Endfassung des Gesetzes, wonach das Gericht für die Anordnung sämtlicher Zwangsmassnahmen und nicht nur für die Sicherheitshaft zuständig ist, für die Harmonisierung des Artikels 26 Absatz 3 mit Artikel 34 Absatz 5 JStPO vorgenommen wurde. Damit wurde aber der unterschiedliche Zweck von Untersuchungshaft einerseits und von Schutzmassnahmen und Beobachtungen andererseits ausser Acht gelassen.
Stellt man sich auf den Standpunkt, dass Zwangsmassnahmen wie Untersuchungs- und Sicherheitshaft wie auch vorsorgliche Schutzmassnahmen und Beobachtung während der Hängigkeit des Straffalles vom Jugendgericht oder der Berufungsinstanz angeordnet werden können (Artikel 26 Absatz 3 und Artikel 40 Absatz 2 JStPO), führt dies zur Frage der Befangenheit. Erweckt denn ein Gericht beispielsweise im Hinblick auf ein später zu fällendes Sachurteil durch seine Anordnung einer vorsorglichen stationären Unterbringung nicht den Anschein der Befangenheit, der durch die Erfüllung mehrerer Funktionen zwangsläufig entsteht?
Eine klare Trennung der Anordnung von Zwangsmassnahmen durch das Gericht und der Anordnung von Schutzmassnahmen und Beobachtung durch die Untersuchungsbehörde überzeugt unter Berücksichtigung der jugendspezifischen Aspekte des Verfahrens als richtige Vorgehensweise.
2. Einbindung der gesetzlichen Vertretung
Neu statuiert Artikel 12 JStPO eine ausdrückliche Mitwirkungspflicht der gesetzlichen Vertretung. Das Jugendstrafrecht greift nicht nur in die Rechte des Jugendlichen ein, sondern auch in diejenigen seiner Eltern. Folglich ist die Mitwirkung und Kooperation der Eltern bei der Anordnung von Strafen oder Schutzmassnahmen zur Erreichung des Zielgedankens des Jugendstrafrechts wesentlich. Sicherlich ist der Einbezug der gesetzlichen Vertreter sinnvoll und wünschenswert. Gesetzliche Vertreter, die willens und fähig sind, am Verfahren mitzuwirken, beteiligen sich aus eigener Überzeugung bereits von Beginn weg am ugendstrafverfahren.
Aus Sicht der Praxis sei hier ein Punkt aufgegriffen, der bei problematischen Konstellationen auftritt: Da die gesetzlichen Vertreter Partei sind (Artikel 18 JStPO), werden sie für die Hauptverhandlung vor Jugendgericht vorgeladen (Artikel 35 JStPO). Die Vorladungsverfügung enthält den Hinweis, dass auf entsprechendes Gesuch hin auf das persönliche Erscheinen verzichtet werden kann. Sie enthält auch die Hinweise auf mögliche Bestrafung mit Ordnungsbussen und der polizeilichen Vorführung bei unentschuldigter Nichtbefolgung der Vorladung. Wenn nun gesetzliche Vertreter nur aufgrund der angedrohten Massnahmen an einer Hauptverhandlung erscheinen, schafft dies zusätzliche, unnötige Schwierigkeiten.
Es gibt Fälle, bei denen die Spannungen und Beziehungen des Jugendlichen zu seinen gesetzlichen Vertretern die persönliche Situation massgebend prägen. Wenn die gesetzlichen Vertreter an der Hauptverhandlung anwesend sind, ist es möglich, dass ein Jugendlicher vor Schranken weniger oder gar keine Auskunft über seine persönlichen Verhältnisse gibt. Auch die Verteidigung muss in diesen Fällen ihre Ausführungen über die persönlichen Verhältnisse sorgfältig abwägen, um die Beziehung des Klienten mit den gesetzlichen Vertretern nicht zusätzlich zu belasten.
Im Extremfall muss sich die Verteidigung entscheiden, ob ein Vorgehen nach Artikel 35 Absatz 2 JStPO angezeigt ist: Sie kann dem Gericht den Antrag stellen, die gesetzlichen Vertreter seien von der Verhandlung auszuschliessen, da die innerfamiliären Spannungen den Jugendlichen zu sehr belasten und eine Aussage vor seinen gesetzlichen Vertretern ihre Beziehung für die Zukunft beeinträchtigen könnte.
3. Teilnahmerechte der Privatklägerschaft an der Hauptverhandlung
Gemäss Artikel 20 Absatz 2 JStPO nimmt die Privatklägerschaft an der Hauptverhandlung nicht teil, ausser wenn besondere Umstände es erfordern. Dem Gesetzgebungsprozess sind in diesem Fall keine klaren Äusserungen zu entnehmen, was unter «besondere Umstände» zu verstehen ist. Entsprechend unklar ist die Anwendung der Bestimmung für die Praxis.
Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit hat im Jugendstrafverfahren stets Vorrang. Da das Kriterium für einen Sanktionenentscheid primär in der Persönlichkeit des Jugendlichen liegt und der Straftat nur eine untergeordnete Stellung zukommt, hat die ausführliche Befragung des Gerichts zur Person des Jugendlichen eine grosse Bedeutung. In diesem Sinne läuft eine Teilnahme der Privatklägerschaft an der Verhandlung den Interessen des Jugendlichen zuwider.
Aufgrund der vom Gesetzgeber vorgegebenen Gewichtung müsste daher die Teilnahme der Privatklägerschaft als Ausnahmefall nur dann zulässig sein, wenn die Privatklägerschaft vom Gericht zur Teilnahme verpflichtet wird und ihre Aussagen gestützt auf Artikel 343 Absatz 3 StPO für die Urteilsfällung notwendig erscheinen.
4. Grundsatzentscheid Zivilansprüche
Anders als im Erwachsenenstrafrecht ist ein Entscheid über Zivilansprüche im Strafbefehl gemäss Artikel 32 Absatz 3 JStPO ausdrücklich vorgesehen, sofern deren Beurteilung ohne besondere Untersuchung möglich ist. Für die Hauptverhandlung hält Artikel 34 Absatz 6 JStPO ebenfalls fest, das Jugendgericht könne über Zivilforderungen entscheiden, sofern deren Beurteilung ohne besondere Untersuchung möglich sei.
Die Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005 sah noch vor, dass im Strafbefehlsverfahren (BBI 2006 1369) und an der Hauptverhandlung (BBI 2006 1370) nur über Zivilansprüche entschieden werden könne, wenn diese unbestritten seien. Der Zusatzbericht des Bundesrates änderte diese Voraussetzung für das Strafbefehlsverfahren und hielt fest, es werde nicht mehr vorausgesetzt, dass die Zivilforderung unbestritten sei (BBI 2008 3147). Entscheidend müsse sein, ob die Beurteilung der Zivilforderungen ohne besondere Untersuchung möglich sei.
Es stellt sich nun die Frage, ob im Jugendstrafverfahren ein Grundsatzentscheid über die Zivilforderungen möglich ist. Die JStPO erwähnt diese Möglichkeit weder für das Strafbefehlsverfahren noch für die Hauptverhandlung explizit.
Im Kanton Zürich war vor Inkrafttreten der JStPO ein Grundsatzentscheid über die Zivilansprüche im Jugendstrafverfahren nicht möglich (ZR 103 Nr. 32). Der Entscheid des Kassationsgerichts des Kantons Zürich aus dem Jahre 2003 stützte sich dabei auf die damals durch das Opferhilfegesetz (OHG) eingeräumte Kompetenz, wonach die Kantone für Zivilansprüche im Strafmandatsverfahren sowie im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche vom OHG abweichende Bestimmungen erlassen konnten. Das Kassationsgericht schloss daraus, dass der zürcherische Gesetzgeber von der ihm eingeräumten Kompetenz Gebrauch gemacht und dabei bewusst nicht auf die gerichtlichen Bestimmungen des Erwachsenenstrafverfahrens, sondern auf jene des Strafbefehlsverfahrens verwiesen habe. Dies mache deutlich, dass es für das Jugendstrafverfahren bewusst eine abweichende Regelung habe treffen wollen.
Nach altem Recht war es im Kanton Zürich im Strafbefehlsverfahren nicht möglich, nur dem Grundsatz nach einen Entscheid im Zivilpunkt zu fällen. Das Kassationsgericht wies abschliessend darauf hin, dass diese Rechtsauffassung mit dem Vorentwurf des Bundesgesetzes über das Schweizerische Jugendstrafverfahren übereinstimme, und verwies auf Artikel 32 VE JStV und den Begleitbericht zum Vorentwurf.
Aufgrund des oben erläuterten Gesetzgebungsverfahrens wird nun aber nicht mehr vorausgesetzt, dass Zivilforderungen unbestritten sind. Stützte man sich im Kanton Zürich für die Verneinung des Grundsatzentscheides über Zivilansprüche auf die Begründung des massgebenden Entscheides des Kassationsgerichts ab (ZR 103 Nr. 32), so dürfte dies zumindest im Hinblick auf die nun geltende Bestimmung und deren Zustandekommen nicht mehr möglich sein.
Im Verfahren vor Jugendgericht spricht die aufgrund von Artikel 3 JStPO anwendbare Bestimmung von Artikel 126 Absatz 3 StPO nun ebenfalls für die Möglichkeit eines Grundsatzentscheides bezüglich der Zivilansprüche. Dazu sei angemerkt, dass der in Artikel 126 Absatz 3 StPO genannte unverhältnismässige Aufwand sich auf die Beweiserhebung beziehen muss und nicht auf die rechtliche Beurteilung.
Aufgrund der neu geltenden Notwendigkeit der Konstituierung der Privatklägerschaft kann folgender Hinweis im Zusammenhang mit der Legalzession hilfreich sein: Will sich die geschädigte Person am Strafverfahren als Zivilklägerin beteiligen, muss sie dies ausdrücklich erklären. Erklärt sie den Verzicht der ihr zustehenden Rechte, ist dieser endgültig (Artikel 120 Absatz 1 StPO). Ein solcher Verzicht verhindert eine Rechtsnachfolge, sofern er vor dem gesetzlichen Übergang der Ansprüche auf Dritte erklärt wurde. Stellt zum Beispiel ein Versicherer nach endgültig erklärtem Verzicht der geschädigten Person den Antrag, der Jugendliche sei zur Zahlung von Schadenersatz zu verpflichten, kann diesem Begehren nicht entsprochen werden.
Im Zusammenhang mit der Anerkennung der Zivilforderungen durch den Jugendlichen sei daran erinnert, dass bei Unmündigen für die Gültigkeit einer Anerkennung der Forderungen die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter erforderlich ist. Nicht selten wird der Jugendliche zum Beispiel bereits anlässlich polizeilicher Einvernahmen gefragt, ob er die Zivilforderungen anerkenne.
5. Anwalt der ersten Stunde
Im Jugendstrafverfahren wird dieser sicher seltener verlangt als bei Erwachsenen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ob der Jugendliche bei der Rechtsbelehrung wirklich verstehen kann, was das Institut des Anwalts der ersten Stunde bedeutet, ist fraglich. Auch der Hinweis auf sein Kostenrisiko schreckt wohl eher ab.
Wird der Jugendliche verhaftet und der Polizei vorgeführt, müsste er Rücksprache mit den gesetzlichen Vertretern nehmen, um abzuklären, ob finanzielle Mittel für den Beizug eines Anwalts zur Verfügung stehen. Ein solches Vorgehen ist in dieser Phase der Untersuchung nicht realistisch.
Anders gestaltet sich die Anfrage für einen Anwalt der ersten Stunde, wenn der Jugendliche auf Vorladung hin bei den Untersuchungsbehörden erscheinen muss. In solchen Fällen haben die Betroffenen mehr Spielraum, um eine Vertretungsmöglichkeit für die erste Befragung abzuklären und zu organisieren.
6. Verteidigung im Vollzugsverfahren
Eine wertvolle Klärung hat das Bundesgericht in Bezug auf die notwendige und amtliche Verteidigung im Vollzugsverfahren vorgenommen: In BGE 6B_532/2011 hat es festgehalten, dass der Vollzug der gegen die Jugendlichen verhängten Sanktionen Gegenstand der JStPO (Artikel 1 JStG) bildet und daher Artikel 24 und Artikel 25 JStPO anzuwenden sind.
7. Kosten amtlicher Verteidiger
Gemäss JStPO gelten für den Entscheid über die Kostenfolge bei Verurteilung des Jugendlichen nach Artikel 44 Absatz 2 JStPO die Bestimmungen der Artikel 422-428 StPO sinngemäss. Artikel 426 Absatz 1 StPO nennt die Regelung von Artikel 135 Absatz 4 StPO. Die Kosten der amtlichen Verteidigung sind laut Artikel 422 Absatz 2 Buchstabe a StPO Verfahrenskosten. Gestützt auf Artikel 425 StPO können die Verfahrenskosten von der Strafbehörde unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der kostenpflichtigen Person herabgesetzt oder erlassen werden, der Verzicht auf die Erhebung der Kosten kann ganz oder teilweise geschehen.
Die Kosten von Untersuchung und Gerichtsverfahren werden auch heute unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Jugendlichen diesem zwar auferlegt, aber in den meisten Fällen folgerichtig in einem angemessenen Umfang oder im vollen Betrag abgeschrieben. Bei teilweiser Auferlegung der Kosten belaufen sich die Summen im Kanton Zürich zwischen 200.- und 1000.- Franken, je nach Alter und beruflichem Werdegang des Jugendlichen.
Anders sieht es in Bezug auf die neue Regelung von Artikel 135 Absatz 4 StPO aus. Der Rückerstattungsanspruch gegenüber dem Jugendlichen verjährt in zehn Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des Kostenentscheides und die Verfahrenskosten werden auf dem Weg des SchKG eingetrieben. Der Kostenentscheid stellt somit einen definitiven Rechtsöffnungstitel dar. Nicht selten belaufen sich die Kosten der amtlichen Verteidigung, insbesondere in Verfahren, bei denen eine Unterbringung angeordnet wird, auf mehrere Zehntausend Franken. Werden die Kosten der amtlichen Verteidigung nur unter Vorbehalt der in Artikel 135 Absatz 4 StPO festgehaltenen Bestimmung und nicht definitiv auf die Staatskasse genommen, wird sich ein Jugendlicher, der auf gutem Wege der Resozialisierung ist, in seiner Zukunft mit erheblichen Schulden konfrontiert sehen. Diese Tatsache darf die Verteidigung beim Antrag und der Begründung der Kostenfolge nicht ausser Acht lassen.