1. Rechtshängige Verfahren
Die grundlegende Übergangsbestimmung findet sich in Art. 404 ZPO: Verfahren, die am 1. Januar 2011 rechtshängig waren, werden nach bisherigem kantonalem Prozessrecht abgeschlossen.
Der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit bestimmte sich bis zum 31. Dezember 2010 nach kantonalem Prozessrecht.1 Einzig im Bereich des Scheidungsverfahrens war die Frage der Rechtshängigkeit bereits bundesrechtlich geregelt.2 Nach welchem Recht sich die Frage entscheidet, ob ein Verfahren im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO bereits vor Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung rechtshängig wurde, regelt das Gesetz indessen nicht - sinnvoll erscheint es, die Frage nach bisherigem kantonalem Prozessrecht zu beurteilen.
Das kantonale Prozessrecht beantwortet auch die Frage, ob Rechtshängigkeit bereits mit Einleitung des Sühnverfahrens eintritt oder zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt (etwa Ausstellung der Weisung oder Einreichung derselben beim Gericht). Bewirkt nach kantonalem Prozessrecht die schriftliche Klageeinleitung an eine Schlichtungsbehörde oder das Gericht die Rechtshängigkeit, so ist diese noch vor Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung eingetreten, wenn die entsprechende Eingabe vor dem 1. Januar 2011 der schweizerischen Post übergeben wurde.
Bei mündlicher Klageeinleitung, etwa bei Schlichtungsbehörden, begründet die Kenntnisnahme durch die Behörde vor dem 1. Januar 2011 die entsprechende Rechtshängigkeit. Das berufene Verfahrensrecht gilt grundsätzlich umfassend weiter, das heisst für alle prozessualen Fragen des staatlichen Gerichtsverfahrens. Dies umfasst etwa Fragen der Ausstandsregeln, der Parteistellung, Verfahrensgrundsätze, Prozessvoraussetzungen, Prozesshandlungen usw.3 Diese intertemporale Grundnorm gilt vorbehältlich der speziellen Kollisionsregeln zur örtlichen Zuständigkeit,4 zu den Rechtsmitteln5 und zur Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung6 grundsätzlich uneingeschränkt. Trotz entsprechenden Hinweisen in der Vernehmlassung hat der Gesetzgeber davon abgesehen, einen Vorbehalt zugunsten des für die Parteien günstigeren Rechts aufzunehmen.
Die Fortgeltung des bisherigen Rechts wird durch Art. 404 Abs. 1 ZPO zeitlich beschränkt. Kantonales Verfahrensrecht gilt nur so lange, wie das Verfahren vor der betroffenen Instanz noch nicht zum Abschluss gekommen ist. Dabei ist unter «Abschluss vor der betroffenen Instanz» die Beendigung des Verfahrens mit einem Endentscheid beziehungsweise einem hinsichtlich der Verfahrensbeendigung diesem gleichgestellten Urteilssurrogat zu verstehen (gerichtlicher Vergleich, Klageanerkennung, Klagerückzug).7 Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens und dessen Abschluss stellt wohl keine solche Beendigung des Verfahrens vor der betroffenen Instanz dar, soweit im Schlichtungsverfahren nur eine Nichteinigung festgestellt und damit eine Prozessvoraussetzung geschaffen wird.8 Die bisherige Verfahrensordnung bleibt damit nach dieser Auffassung auch im auf ein reines Schlichtungsverfahren folgenden Gerichtsverfahren erhalten, bis der entsprechende Sach-entscheid gefällt ist. Anderes gilt dann, wenn die Schlichtungsbehörde über den Rechtsstreit entscheidet - etwa der Friedensrichter nach der zürcherischen Zivilprozessordnung im Rahmen seiner Spruchkompetenz urteilt oder von Vergleich, Klagerückzug oder -anerkennung Vormerk nimmt und das Verfahren abschreibt. In dieser Konstellation findet ein Verfahren bereits vor der Schlichtungsbehörde seinen Abschluss.
2. Örtliche Zuständigkeit
Auch hier beschränkt sich die gesetzliche Regelung auf Grundsätzliches: Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach neuem Recht, wobei eine bestehende Zustän-digkeit nach altem Recht für das laufende Verfahren erhalten bleibt.9 Mit dieser Regelung ist der Richter aufgefordert, zunächst zu prüfen, ob das neue Recht einen Gerichtsstand gewährt.10
Ist die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes gestützt auf neurechtliche Bestimmungen zu bejahen, ist die örtliche Zuständigkeit gegeben, und zwar unabhängig davon, ob die Klage nach altem Recht bei einem - damals - allenfalls örtlich unzuständigen Gericht rechtshängig gemacht worden ist. Durch den Rechtswechsel ist die fehlende Zuständigkeit gleichsam geheilt. Sodann fällt eine einmal begründete örtliche Zuständigkeit nicht durch den Rechtswechsel dahin.11 Dies entspricht dem Prinzip der «perpetuatio fori» und liegt klarerweise im Interesse der Parteien, zudem ist es auch prozessökonomisch sinnvoll. Im Resultat erreicht der Gesetzgeber so den Vorrang des für die Zuständigkeit günstigeren Rechts.
Die Anwendung von Art. 404 Abs. 2 ZPO setzt allerdings Rechtshängigkeit des Verfahrens voraus - eine Zuständigkeit kann nur «fortdauern», wenn sie bei Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung auch gegeben war.12
3. Sachliche und funktionelle Zuständigkeit
Die sachliche und funktionelle Zuständigkeit bleibt weiterhin Gegenstand kantonaler Regelungen.13 Soweit sich hier übergangsrechtliche Fragen stellen, sind die Übergangsbestimmungen des kantonalen Rechts massgebend. Nur insoweit, als sich Art. 5 bis Art. 8 ZPO bundesrechtliche Regelungen zur sachlichen und funktionellen Zuständigkeit entnehmen lassen, gilt die Grundregel von Art. 404 Abs. 1 ZPO.
4. Rechtsmittel
Für die Rechtsmittel gilt das Recht, das bei der Eröffnung des Entscheids in Kraft ist.14 Wird der anzufechtende Entscheid nach Inkrafttreten des neuen Rechts - also nach dem 1. Januar 2011 - eröffnet, gilt für das Rechtsmittelverfahren das neue Recht. Wurde umgekehrt der anzufechtende Entscheid noch vor Inkrafttreten des neuen Rechtes eröffnet oder ist im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechtes bereits ein Rechtsmittelverfahren hängig, so wird das Rechtsmittelverfahren nach bisherigem kantonalem Recht abgeschlossen.
Massgeblich ist damit allein der Zeitpunkt der Eröffnung des Entscheids und nicht etwa die Fällung desselben. Dabei ist als Datum der Eröffnung des Entscheids im Falle eines nach kantonalem Recht vorerst ohne schriftliche Begründung im Dispositiv eröffneten Urteils das Datum der Dispositiveröffnung massgebend.15 Dies ent-spricht der erstmaligen mündlichen oder schriftlichen Eröffnung des Entscheids. Die Auswirkungen im Instanzenzug können je nach der konkreten Situation von grosser Bedeutung sein - etwa bei Unterschieden im Novenrecht. Der Gesetzgeber hat auch hier darauf verzichtet, das für den Rechtssuchenden günstigere Gesetz zur Anwendung zuzulassen.
Dem Gesetz können keine Vorschriften darüber entnommen werden, welches Recht zur Anwendung kommt, wenn die Rechtsmittelinstanz den angefochtenen Entscheid aufhebt und zur Fortsetzung des Hauptverfahrens oder zur Durchführung eines Beweisverfahrens an die untere Instanz zurückweist. Allgemeine Prozessgrundsätze halten fest, dass der Prozess in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich vor Ausfällung des angefochtenen Entscheides befunden hat.16 Daraus liesse sich folgern, dass das Verfahren vor unterer Instanz durch die Aufhebung des Urteils noch nicht seinen Abschluss gefunden hat und damit bisheriges Recht auf die Weiterführung des erstinstanzlichen Verfahrens anzuwenden ist. Dies erscheint immer dann als angemessen, wenn das Rechtsmittelverfahren nach altem Recht durchgeführt wurde und die Rechtsmittelinstanz den Vorderrichter zur Korrektur eines unter Anwendung alten Rechts festgestellten Mangels auffordert.
Das kann dann zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, wenn im Rechtsmittelverfahren neues Recht zur Anwendung gelangt. Im Berufungsverfahren hat die Rechtsmittelinstanz umfassend neues Recht zu beachten.17 So ist etwa die Zulässigkeit von Noven oder der Klageänderung im Rechtsmittelverfahren einzig nach Art. 317 ZPO zu prüfen - ein Vorbehalt zugunsten des für die Partei günstigeren Rechts fehlt auch hier. Hebt die Rechtsmittelinstanz im Berufungsverfahren in Anwendung der Regeln der neuen Prozessordnung den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache - ausnahmsweise - zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück, muss es daher beim Rechtswechsel bleiben.
Anders ist die Rechtslage im neurechtlichen Beschwerdeverfahren: In diesem Verfahren ist die Überprüfungsbefugnis der Rechtsmittelinstanz eigentlich auf eine Rechtskontrolle beschränkt, erweitert um die Korrektur einer offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung.18 Neue Anträge, Behauptungen und Beweismittel sind im neurechtlichen Beschwerdeverfahren ausgeschlossen.19 Damit hat die Beschwerdeinstanz im Resultat nur - aber immerhin - die Anwendung des kantonalen Rechts zu überprüfen. Wird die Beschwerde gutgeheissen, ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und an die untere Instanz zurückzuweisen.20 Damit erscheint es gerechtfertigt, diesfalls im wieder aufzunehmenden Verfahren weiterhin das bisherige, kantonale Verfahrensrecht zur Anwendung zu bringen.21
5. Einzelfragen
5.1 Ansetzung der Frist zur Klage
Die gestützt auf das kantonale Prozessrecht angesetzten Klagefristen (etwa Frist zur Einreichung einer ordentlichen Klage im Zusammenhang mit der Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechtes), welche sich über den Rechtswechsel hinaus erstrecken, können zu Fragen Anlass geben. Nach kantonalem Verfahrensrecht ist in der-artigen Fällen gelegentlich ein Sühnverfahren vorgeschrieben, die eidgenössische Prozessordnung sieht die direkte Klageeinleitung vor.22 Insoweit, als derartige Fristen noch unter der Herrschaft des alten Rechts (somit vor dem 31. Dezember 2010) wahrgenommen wurden, sind die Verfahrensvorschriften der Kantone zu beachten und entsprechende Klagen beim zuständigen Friedensrichteramt einzuleiten. Insoweit, als die Klagefristen unter neuem Recht wahrgenommen werden, ist auch verfahrensrechtlich das neue Recht anwendbar und die entsprechende Klage direkt beim Gericht einzureichen.
5.2 Gerichtsferien
Insoweit, als aufgrund der vorstehenden Ausführungen altes Verfahrensrecht Anwendung findet, sind wohl auch die Regeln über die Gerichtsferien nach dem kantonalen bisherigen Verfahrensrecht anwendbar. Insoweit, als neurechtliche Bestimmungen zur Anwendung gelangen, ist die Regelung der Gerichtsferien von Art. 145 ZPO massgebend. Zu beachten sind damit für den Rechtssuchenden unterschiedliche Bestimmungen: Das neue Recht orientiert sich hinsichtlich des zeitlichen Verlaufs an den Gerichtsferien im Bundesgerichtsgesetz (Art. 46 Abs. 1 BGG),23 was nicht mit den bisherigen kantonalen Bestimmungen übereinstimmt.
5.3 «Falsche» Rechtsmittelbelehrung
Nicht auszuschliessen ist, dass - aus welchen Gründen auch immer - Entscheide mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen sind. Insbesondere denk-bar ist dies, wenn die schriftliche Entscheidzustellung noch vor dem 31. Januar 2010 erwartet wurde und der Entscheid damit eine altrechtliche Rechtsmittelbelehrung enthält. Muss die Zustellung wiederholt werden oder erfolgt sie wider Erwarten erst nach Inkrafttreten der schweizerischen Zivilprozessordnung, so ist eine Korrektur der Rechtsmittelbelehrung empfehlenswert. Jedenfalls sollte der Partei, welche sich in guten Treuen auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung verlässt, kein Nachteil erwachsen.24
6. Weitergeltung kantonalen Prozessrechtes
Die kantonalen Prozessrechte fallen durch die Einführung der eidgenössischen Zivilprozessordnung nicht gänzlich dahin. Die Gerichtsorganisation ist nach wie vor eine kantonale Angelegenheit.25 Ebenso ist die sachliche und funktionelle Zuständigkeit grundsätzlich immer noch in kantonaler Hoheit. Indessen sind die diesbe-züglichen Vorgaben der eidgenössischen Zivilprozessordnung und des Bundesgerichtsgesetzes zu beachten. Diese Vorgaben verpflichten die Kantone etwa auf den Grundsatz der «double instance»,26 wonach jeder erstinstanzliche Entscheid an eine obere kantonale Instanz weiterziehbar sein muss. Einzige kantonale Instanzen können lediglich für immaterialgüterrechtliche Streitigkeiten ausgebildet werden, als Handelsgericht, als Gericht bei Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung sowie im Zusammenhang mit vermögensrechtlichen Streitigkeiten bei einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken.27
Kantonaler Hoheit sind sodann weiterhin die Tarife für die Gerichts- und Parteikosten unterstellt.28 Auch hier sind indessen die Vorgaben der schweizerischen Zivilprozessordnung zu beachten, wobei neu eine generelle Kostenvorschusspflicht in der Prozessordnung enthalten ist.29 Schliesslich sind einzelne Fragen bezüglich Parteivertretung in der kantonalen Hoheit verblieben.30
1 BGE 98 II 182.
2 Art. 136 aZGB, aufgehoben mit Inkrafttreten
der schweizerischen Zivilprozessordnung (Anhang 1 Ziff. 3).
3 Andreas Frei / Daniel Willisegger, Basler Kommentar zur ZPO, 2010, Art. 404 N 9.
4 Art. 404 Abs. 2 ZPO.
5 Art. 405 ZPO.
6 Art. 406 ZPO.
7 Thomas Sutter-Somm / Benedikt Seiler, in: Sutter-Somm / Franz Hasenböhler / Christoph Leuenberger, ZPO-Kommentar, 2010, Art. 404 N 10; Frei / Willisegger, a.a.O., Art. 404 N 10.
8 Frei/Willisegger, a.a.O., Art. 404 N 11, mit Hinweis auf Thomas Geiser / Monique Jametti Greiner, Basler Kommentar zum IPRG, Art. 198 N 12; a.M. Sutter-Somm/Seiler, a.a.O., Art. 404, N 9 in fine, welche die Schlichtungsbehörde unter Hinweis auf den Normzweck von Art. 404 ZPO als «Instanz» bezeichnen.
9 Art. 404 Abs. 2 ZPO.
10 Vgl. ZPO 2. Titel 2. Kapitel, örtliche Zuständigkeit, Art. 9 bis Art. 46 ZPO.
11 Art. 404 Abs. 2 ZPO.
12 Frei/Willisegger, a.a.O., Art. 404 N 20
13 Art. 4 ZPO.
14 Art. 405 ZPO.
15 Frei/Willisegger, a.a.O., Art. 405 N 4; Sutter-Somm / Seiler, a.a.O., Art. 405 N 6.
16 Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 1979, S. 487.
17 Frei/Willisegger, a.a.O., Art. 405 N 13.
18 Art. 320 ZPO.
19 Art. 326 ZPO.
20 Art. 327 Abs. 3 ZPO.
21 Frei/Willisegger, a.a.O., Art. 405 N 15/16
22 Art. 198 lit. h ZPO.
23 Art. 145 ZPO.
24 Art. 5 Abs. 3 BV; Frei/Willisegger, a.a.O., Art. 405 N 4.
25 Art. 3 ZPO.
26 Art. 75 BGG.
27 Art. 5 bis Art. 8 ZPO.
28 Art. 96 ZPO.
29 Art. 98 ZPO.
30 Art. 68 Abs. lit. b ZPO.