Ja, denn was die Verankerung von Ansätzen feministischer Theorie und der Gender Studies in der Rechtswissenschaft betrifft, liegt die Entwicklung in der Schweiz im internationalen Vergleich weit zurück. An den Rechtsfakultäten des angloamerikanischen Rechtsraumes etwa gehören Kurse in «Feminist Legal Studies» oder «Gender, Sexuality and Law» schon seit längerer Zeit zum Stu-dienangebot. Einige haben in diesem Bereich sogar Forschungsschwerpunkte gebildet, etwa die Columbia Law School in den USA oder die Keele Law School in England.
Im Vergleich dazu ist bei uns die Aktivität in Lehre und Forschungnoch eher bescheiden. Diese unbefriedigende Verankerung auf akademischer Ebene ist für mich als im Bereich der Legal Gender Studies forschende und lehrende Juristin eine wesentliche Motivation, um mich im Verein und in der Stiftung, die hinter dem Feministischen Rechtsinstitut (FRI) stehen, zu engagieren.
Das FRI ist aber kein explizit akademisches Unterfangen. Es beabsichtigt ebenso die Förderung des Austausches zwischen Theorie und Praxis: Von Praktikerinnen und Praktikern wird die Möglichkeit geschätzt, an FRI-Veranstaltungen von den neuesten Forschungs-ergebnissen zu erfahren und die Entwicklungen der Rechtspraxis kritisch zu hinterfragen.
Ein gutes Beispiel dazu war der FRI-Kongress vom September 2006 an der Universität Zürich: Forschende aus verschiedenen Ländern Europas tauschten sich mit Praktikerinnen aus Gerichten, Anwaltschaft und Gleichstellungsbüros aus. Thematisiert wurden beispielsweise die Erfahrungen mit Gleichstellungsgesetzen, die aktuellen Entwicklungen im Unterhalts- und Sorgerecht oder die Debatte um das Burka-Verbot.
Die Veranstaltungen des FRI bilden einen lebendigen Ort des Diskurses, der auch in Publikationen seinen Niederschlag findet. Eine stärkere Institutionalisierung bleibt dennoch wünschenswert. Einen weiteren Schritt in diese Richtung hat das Feministische Rechtsinstitut am 29. Mai 2010 getan: Im Rahmen eines feierlichen Virtual Opening haben Ver-ein und Stiftung gemeinsam die neue Website www.genderlaw.ch eingeweiht und damit das FRI virtuell eröffnet.
Die Festvorträge von Professor Carol Smart (University of Manchester) und Professor Elisabeth Holzleithner (Universität Wien) befassten sich mit zwei Aspekten aktueller Lebensformen im Recht: den Diskussionen um das gemeinsame Sorgerecht, die in England genauso kontrovers geführt werden wie in der Schweiz, und der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.
Der Umgang des Rechts mit verschiedenen Lebensformen ist auch das Thema der nächsten FRI-Tagung: «(K)eine Zeit für Utopien? Perspektiven der Lebensformenpolitik im Recht» findet am 28.Januar des kommenden Jahres in Basel statt. Im Zentrum der Diskussion stehen rechtliche sowie gesellschaftliche Visionen und Utopien. Geplant ist auch der kontinuierliche Ausbau der Informationsplattform www.genderlaw.ch, der virtuellen Heimat des FRI.
Das FRI wird sich auch in Zukunft für feministische Rechtswissenschaft und Gender Law in der Schweiz starkmachen - nicht nur in der virtuellen Welt.
Michelle Cottier, Assistenzprofessorin an der Universität Basel und Mitglied des Stiftungsrats der FRI-Stiftung