Betreibungsrecht
Parteikosten müssen nicht separat betrieben werden
Die einer obsiegenden Partei in einem betreibungsrechtlichen Verfahren nach Art. 251 ZPO zugesprochene Entschädigung ist nicht Gegenstand einer gesonderten Betreibung. Sie wird zu den Betreibungskosten geschlagen und bei der Fortsetzung der Betreibung berücksichtigt. Für die Betreibungskosten hingegen wird nach ständiger Praxis der Luzerner Behörden keine Rechtsöffnung erteilt, weil ihr Ersatz dem Gläubiger bei erfolgreicher Betreibung von Gesetzes wegen zusteht.
Sachverhalt:
Im vorliegenden Verfahren schoss der Gläubiger die Betreibungskosten vor. In der Folge verlangte er nicht nur für die in Betreibung gesetzte Forderung, sondern auch für die Kosten des Betreibungs- und Rechtsöffnungsverfahrens Fortsetzung.
Aus den Erwägungen:
6.3 Nach Art. 68 Abs. 1 SchKG trägt der Schuldner die Betreibungskosten. Sie sind vom Gläubiger vorzuschiessen, können jedoch von den Zahlungen des Schuldners vorab erhoben werden (Art. 68 Abs. 2 SchKG). Zu den Betreibungskosten gehören nicht nur die von den Vollstreckungsorganen in Anwendung der Gebührenverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (GebV SchKG; SR 281.35) verlangten Gebühren und Auslagen. Auch die Gerichtskosten der rein betreibungsrechtlichen Summarsachen nach Art. 251 der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO; SR 272; früher Art. 25 Ziff. 2 SchKG) fallen darunter. Die Parteikosten werden ebenfalls zu den Betreibungskosten geschlagen, soweit sie in einem solchen Verfahren zugesprochen werden. Sie können überdies nicht Gegenstand einer gesonderten Betreibung sein (BGE 133 III 687 E. 2.3 mit zahlreichen Verweisen). Zur Durchsetzung der Kostenersatzpflicht bedarf es weder eines Urteils noch eines Rechtsöffnungsentscheids (Emmel, Basler Komm., 2. Aufl. 2010, Art. 68 SchKG N 16 a.E. mit Verweisen).
6.3.1 Daraus ergibt sich zunächst, dass sämtliche vorinstanzlichen Rechtsöffnungskosten Teil der Betreibungskosten sind und im Rahmen des laufenden Betreibungsverfahrens liquidiert werden müssen. Der Gläubiger kann nicht nur für die in Betreibung gesetzte Forderung, sondern auch für die Kosten des Betreibungs- und Rechtsöffnungsverfahrens Fortsetzung verlangen. Er hat mit dem Fortsetzungsbegehren einen Ausweis über die Betreibungskosten, und dazu gehören auch die Rechtsöffnungskosten, beizubringen. Bezahlt der Schuldner die in Betreibung gesetzte Forderung, obwohl er zunächst Rechtsvorschlag erhoben hat, so hat er damit die Forderung und deren Fälligkeit anerkannt.
Damit ist der Gläubiger berechtigt, falls die Kosten nicht ebenfalls bezahlt wurden, die Fortsetzung für die Betreibungs- und Rechtsöffnungskosten zu verlangen (Lebrecht, Basler Komm., 2. Aufl. 2010, Art. 88 SchKG N 29 – 31; BlSchKG 1995, S. 230 Nr. 47). Die Gesuchsteller können demnach die Fortsetzung der Betreibung verlangen und die offenen Kosten durch Auflegung des Abschreibungsentscheids ausweisen.
Es entspricht ständiger Praxis der Luzerner Behörden, für Betreibungskosten keine Rechtsöffnung zu erteilen. Die Betreibungskosten bilden nicht Gegenstand des Rechtsöffnungsentscheids. Sie teilen das Schicksal der Betreibung. Dafür ist keine Rechtsöffnung zu erteilen, weil dem Gläubiger bei erfolgreicher Betreibung der Ersatz der Betreibungskosten durch den Schuldner von Gesetzes wegen zusteht. Auf Gesuche um Rechtsöffnung (auch) für die Betreibungskosten wird daher mangels Rechtsschutzinteresses nicht eingetreten (LGVE 2012 I Nr. 53 mit zahlreichen Verweisen, 1982 I Nr. 41).
6.3.2 Dass der vorinstanzliche Abschreibungsentscheid den Gesuchstellern die Fortsetzung der Betreibung verunmöglichen soll, weil er ein Einstellungsentscheid im Sinne von Art. 88 Abs. 1 SchKG sei, trifft entgegen der Auffassung der Gesuchsteller nicht zu. Der Rechtsöffnungsentscheid ist kein Einstellungsentscheid im Sinne dieser Bestimmung. Bei der in Art. 88 Abs. 1 SchKG genannten Einstellung geht es um die Einstellung der Betreibung im Sinne von Art. 77 Abs. 3 oder Art. 85 SchKG (Lebrecht, a.a.O., Art. 88 SchKG N 6). Der Fortsetzung der Betreibung steht somit auch unter diesem Aspekt nichts im Wege.
Entscheid 2C 15 74 des Kantonsgerichts Luzern vom 18.2.2016
Betreibung und gleichzeitiger Rückzug zulässig
Die Berner Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen akzeptiert die Praxis von Gläubigern, ein Betreibungsbegehren und zugleich dessen Rückzug einzureichen, um so kostengünstig zu einer Bestätigung einer verjährungsunterbrechenden Handlung zu kommen. Ob dieses Vorgehen materiellrechtlich die Verjährung tatsächlich unterbricht, lässt sie aber offen.
Sachverhalt:
Die Gläubigerin gelangte im Februar und März 2016 nur zum Zweck der Verjährungsunterbrechung an das Betreibungsamt Y und reichte verschiedene Betreibungsbegehren gegen unterschiedliche Schuldner ein. Im Begleitschreiben wurde auf den Zweck der Verjährungsunterbrechung hingewiesen und gleichzeitig der Rückzug der Betreibungen bekanntgegeben. Zudem verlangte die Gläubigerin eine gebührenfreie Eingangsbestätigung.
Aus den Erwägungen:
1. Per Ende 2016 verjähren die ersten altrechtlichen Verlustscheine. Die Betreibungsämter sind deshalb mit einer Vielzahl verjährungsunterbrechender Betreibungen konfrontiert. Die Behandlung solcher Begehren wird in den Kantonen unterschiedlich gehandhabt und in der Lehre ist namentlich umstritten, ob dem Schuldner in diesen Fällen ein Zahlungsbefehl zugestellt werden muss (vgl. etwa Lustenberger, Gültige Handlungen zur Verjährungsunterbrechung sind dem Schuldner zur Kenntnis zu bringen, AJP 2016, S. 815).
Ausschliesslich zum Zwecke der Verjährungsunterbrechung gelangte im Februar und März 2016 die Gläubigerin an das Betreibungsamt und reichte insgesamt neun Betreibungsbegehren gegen unterschiedliche Schuldner ein. Im Begleitschreiben wurde auf den Zweck der Verjährungsunterbrechung hingewiesen und gleichzeitig der Rückzug der Betreibungen bekanntgegeben. Die Gläubigerin ersuchte sodann um gebührenfreie Bescheinigung des Eingangs.
6. Wie sich aus der Beschwerdevernehmlassung ergibt, ist die Dienststelle bereit, auf die Zustellung von Zahlungsbefehlen zu verzichten. Sie akzeptiert demnach die Praxis, dass von Gläubigern zur Unterbrechung von Verjährungsfristen Betreibungsbegehren eingereicht werden, zusammen mit dem gleichzeitigen Rückzug. Aus Sicht der Aufsichtsbehörde ist gegen diese (pragmatische) Lösung nichts einzuwenden.
Damit entspricht das Vorgehen des Amtes dem, was die Gläubigerin mit ihrem Feststellungsbegehren verlangt. Das Feststellungsbegehren wird folglich gegenstandslos.
7. Was die Kosten angeht, präsentiert sich die Lage wie folgt: Von der Gläubigerin nicht bestritten wird, dass für die Eintragung (des zurückgezogenen Begehrens) im Betreibungsregister eine Gebühr gemäss Art. 16 Abs. 4 GebV SchKG von 5 Franken erhoben werden darf.
Das Amt bestätigte der Gläubigerin sodann den Eingang des Betreibungsbegehrens mit einem separaten Schreiben (vgl. BB 5, ABS 16 129). In seiner Vernehmlassung vertritt das Amt die Auffassung, dafür dürfe eine Gebühr für ein nicht tarifiertes Schreiben verlangt werden (Art. 9 Abs. 1 lit. a GebV SchKG). Die Empfangsbestätigung – wie sie im konkreten Fall vorliegt – geht indes nicht über die gebührenfreie Bescheinigung des Eingangs des Betreibungsbegehrens nach Art. 67 Abs. 3 SchKG hinaus. Damit verbietet sich, dafür separat Kosten zu erheben.
8. Allerdings wird eine solche allgemein gehaltene Empfangsbestätigung der besonderen Situation rein verjährungsunterbrechender Betreibungen nicht gerecht.
Den Ämtern wird daher empfohlen, in solchen Fällen gleichzeitig mit der Empfangsbestätigung darauf hinzuweisen, dass das Betreibungsbegehren zurückgezogen wurde und daher keine weiteren Amtshandlungen erfolgen werden. Ob damit die Verjährung materiellrechtlich unterbrochen wird, ist gegebenenfalls vom Sachrichter zu entscheiden. Ein solches Schriftstück – mit dem Hinweis auf den Eingang und den Rückzug des Betreibungsbegehrens und den Nicht Fortgang des Verfahrens – geht über die kostenlose Bescheinigung nach Art. 67 Abs. 3 SchKG hinaus, weshalb dafür eine Gebühr in Anwendung von Art. 9 Abs. 1 lit. a GebV SchKG (zzgl. Auslagen) erhoben werden könnte. Wünschbar wäre ferner, dass eine Kopie des Bestätigungsschreibens dem Schuldner zugestellt wird. Diesfalls wäre auch der Schuldner über das Vorgehen des Gläubigers informiert, was der Rechtssicherheit zugute käme.
Mit diesen Dienstleistungen könnten Gläubiger für (kostengünstige) 15 Franken das Einreichen des Betreibungsbegehrens beweismässig sichern.
Entscheid ABS 16 102 und 16 129 der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen des Kantons Bern vom 19.7.2016
Zivilprozessrecht
Unentgeltlicher Rechtsbeistand schon bei der Schlichtung möglich
Das Mietgericht Zürich heisst ein Begehren um unentgeltlichen Rechtsbeistand im Schlichtungsverfahren gut. Voraussetzung: Die vertretene Partei muss vom Sachverhalt und der Rechtslage her mit dem Verfahren überfordert sein. Zu berücksichtigen ist zudem, ob die Gegenpartei durch einen Anwalt vertreten ist.
Aus den Erwägungen:
I. 2. Im Schlichtungsverfahren werden gemäss Art. 113 Abs. 1 ZPO keine Parteientschädigungen gesprochen, weshalb auch eine Sicherheit für die Parteientschädigung i.S.v. Art. 99 ZPO nicht zur Debatte steht. Die Gegenpartei ist daher gemäss Art. 119 Abs. 3 ZPO e contrario nicht zwingend anzuhören. Vorliegend verzichtete die Gegenpartei anlässlich der Schlichtungsverhandlung vom 14. Dezember 2016 ausdrücklich auf eine Stellungnahme zum Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
II. 1. Für die Beurteilung von Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege vor Einreichung der Klage beim Gericht ist das Einzelgericht des in der Hauptsache örtlich zuständigen Bezirksgerichts im summarischen Verfahren zuständig (§ 128 GOG; Art. 119 Abs. 3 ZPO). Da es sich um eine Klage aus einem Mietverhältnis handelt, dem ein im Bezirk Zürich gelegenes Mietobjekt zugrunde liegt, ist das Mietgericht Zürich als Einzelgericht zur Beurteilung des vorliegenden Gesuchs zuständig (Art. 33 ZPO).
2. Eine Person hat Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands, wenn sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt (sog. «Mittellosigkeit» oder «Bedürftigkeit»), wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 117 ZPO) und wenn die Bestellung eines Rechtsbeistands zur Wahrung der Rechte notwendig ist (Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO).
5.1 Wie ausgeführt, ist für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege nebst der Bedürftigkeit der gesuchstellenden Person auch Voraussetzung, dass ihr Standpunkt im Verfahren nicht als aussichtslos erscheint. Als aussichtslos erscheinen Rechtsbegehren, deren Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und daher nicht mehr als ernsthaft bezeichnet werden können (BSK ZPO-Rüegg, a.a.O., Art. 117 N 18).
Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich die Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 138 III 217 E. 2.2.4). Die Prozesschancen sind in vorläufiger und summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des jeweiligen Aktenstandes zu beurteilen (BGE 131 I 113 E. 3.7.3).
Zur Vornahme der Prüfung ist damit auf die vorhandenen Akten abzustellen und es ist zu untersuchen, ob der geltend gemachte Anspruch aus den behaupteten Tatsachen rechtlich begründet und nicht geradezu ausgeschlossen werden kann (BSK ZPO-Rüegg, a.a.O., Art. 117 N 20). Dies impliziert, dass der Gesuchsteller die fehlende Aussichtslosigkeit seiner Begehren in der Hauptsache zumindest glaubhaft zu machen hat (BSK ZPO-Rüegg, a.a.O., Art. 119 N 1).
5.2 Der Gesuchsteller führte aus, die Aussichtslosigkeit seines Rechtsbegehrens in der Hauptsache sei deshalb nicht gegeben, weil der Kündigungsgrund «Eigenbedarf» ganz offensichtlich vorgeschoben sei. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Vermieterschaft erst Ende September auf die Idee verfalle, für einen angeblichen Studienbeginn ab November diesen Grund geltend zu machen. Fakt sei dagegen, dass an der Universität Zürich das Herbstsemester bereits am 1. August beginne und bis Ende Januar des nächsten Jahres dauere. Vorlesungen starteten bereits ab dem 19. September. An der ETH sei dies in etwa gleich. Unklar seien derzeit auch die familiären Verhältnisse zwischen Vermieterschaft und der neuen Mieterin. Des Weiteren befinde er sich in einer Notlage. Am 13. Oktober 2016 sei er aus der Klinik entlassen worden und seither befinde er sich in ambulanter therapeutischer Behandlung. Die Kündigung sei praktisch zeitgleich mit der Entlassung aus der Klinik erfolgt.
5.3 Eine Kündigung ist gemäss Art. 271 Abs. 1 OR anfechtbar, wenn sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstösst. So ist beispielsweise eine Kündigung missbräuchlich, wenn deren Begründung unwahr oder nur vorgeschoben ist (Mietrecht für die Praxis / Thanei, 9. Aufl., S. 785; ZK-Higi, Art. 271 OR N 115). Bei Gültigkeit der Kündigung fiele zumindest eine Erstreckung des Mietverhältnisses in Betracht, weshalb das Begehren des Gesuchstellers jedenfalls nicht als aussichtslos erscheint. Dies wird auch bestätigt durch den an der Schlichtungsverhandlung vom 14. Dezember 2016 geschlossenen Vergleich, wonach das Mietverhältnis bis zum 31. Juli 2017 erstreckt wurde.
6.1 Wie bereits ausgeführt, wird für die Bestellung eines Rechtsbeistands vorausgesetzt, dass ein solcher zur Wahrung der Rechte notwendig ist. Eine Partei hat Anspruch auf Verbeiständung, wenn ihre lnteressen in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsachlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machen. Zu berücksichtigen sind dabei, neben der Komplexität der Rechtsfragen und der Unübersichtlichkeit des Sachverhalts, auch Gründe, die in der Person der Betroffenen liegen, wie beispielsweise die Fähigkeit, sich im Verfahren zurechtzufinden (Emmel in: Sutter-Somm / Hasenböhler / Leuenberger, ZPO Komm., 3. Aufl., Art. 118 N 5 und N 7).
6.2 Zur Begründung der Notwendigkeit eines Rechtsbeistands wird im Gesuch ausgeführt, der Gesuchsteller befinde sich in einer psychischen Ausnahmesituation und sei nicht in der Lage, seine Interessen adäquat zu vertreten. Dies zumal sich die Beklagte durch einen ausgewiesenen Mietrechtsspezialisten vertreten lasse.
6.3 Dem Prozess liegen sowohl sachverhaltsmässig als auch in rechtlicher Hinsicht Umstände zugrunde, die eine rechtsunkundige Person überfordern. Hinzu kommt, dass die Gegenseite durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Es erscheint deshalb auch im Hinblick auf die Waffengleichheit gerechtfertigt, dem Gesuchsteller in der Person von Rechtsanwalt lic. iur. Michael Ausfeld einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Sinne von Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO für das Verfahren vor der Schlichtungsbehörde in Miet- und Pachtsachen zu bestellen.
Verfügung ED 160 066-L des Mietgerichts Zürich vom 16.12.2016
Klageänderung durch Forderung auf Schadenersatz zulässig
Eine Klageänderung ist zulässig, wenn zusätzlich zu einer Mietzinsforderung noch ein Begehren auf Schadenersatz aus dem gleichen Mietverhältnis geltend gemacht wird.
Sachverhalt:
Der Kläger hat an der Schlichtungsverhandlung lediglich die Bezahlung ausstehender Mietzinsen im Betrag von 5800 Franken gefordert, im Rahmen des vorinstanzlichen Verfahrens aber zusätzlich Verzugszinsen auf den ausstehenden Mietzinsen und – zunächst unbeziffert, anschliessend beziffert – Schadenersatz für Mieterschäden geltend gemacht. Die Vorinstanz sah darin eine zulässige Klageänderung. Entsprechend trat sie auf die neuen Rechtsbegehren des Klägers ein und hiess zusätzlich zur Mietzinsforderung auch die Schadenersatzforderung teilweise gut und sprach Verzugszinsen zu. Umstritten ist hingegen, ob die Vorinstanz in prozessualer Hinsicht überhaupt eine Klageänderung zulassen und neben der klägerischen Forderung für ausstehende Mietzinsen auch die Schadenersatzforderung sowie die Verzugszinsforderung beurteilen durfte.
Aus den Erwägungen:
2. Als Klageänderung gilt die Änderung des Streitgegenstandes, der bei nicht individualisierten Ansprüchen aus dem Rechtsbegehren und dem Lebenssachverhalt besteht (Leuenberger, in: Sutter-Somm / Hasenböhler / Leuenberger, ZPO Komm., Art. 227 N 1; Leuenberger / Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, N 7.3 und 11.111; vgl. auch BGE 139 III 126 E. 3.2.3). Wird dabei, wie vorliegend, eine Schlichtungsverhandlung durchgeführt, ist eine Klageänderung nach Erteilung der Klagebewilligung nur noch unter den Voraussetzungen von Art. 227 ZPO zulässig (Leuenberger, ZPO Komm., Art. 227 N 25; BK-Killias, N 19 zu Art. 227 ZPO).
Demnach muss der geänderte oder neue Anspruch nach der gleichen Verfahrensart zu beurteilen sein wie der bisherige (Art. 227 Abs. 1 ZPO). Sodann muss das mit der bisherigen Klage befasste Gericht auch für die geänderte oder neue Klage sowohl örtlich als grundsätzlich auch sachlich zuständig sein (BK-Killias, N 28 ff. zu Art. 227 ZPO; Leuenberger, ZPO Komm., Art. 227 N 30a ff.; BSK ZPO-Willisegger, Art. 227 N 40 f.; vgl. aber Art. 227 Abs. 2 ZPO für den Fall, dass der Streitwert der geänderten Klage die sachliche Zuständigkeit übersteigt). Zudem muss der geänderte oder neue Anspruch mit dem bisherigen Anspruch in einem sachlichen Zusammenhang stehen oder es muss die Zustimmung der Gegenpartei zur Klageänderung vorliegen (Art. 227 Abs. 1 ZPO).
4. a) Das Bundesgericht hat sich bisher nicht ausdrücklich zur Frage geäussert, wann der vom Gesetz geforderte sachliche Zusammenhang i.S.v. Art. 227 ZPO gegeben ist (vgl. BGer 4A_255/2015 E. 2.2). Das Erfordernis des sachlichen Zusammenhangs zwischen mehreren Ansprüchen wird indes mit den grundsätzlich gleichen Kriterien auch beim Gerichtsstand für die Widerklage (Art. 14 Abs. 1 ZPO), beim Gerichtsstand bei objektiver Klagehäufung (Art. 15 Abs. 2 ZPO) sowie bei der Überweisung bei zusammenhängenden Verfahren (Art. 127 ZPO) verlangt (BK-Killias, N 38 zu Art. 227 ZPO; vgl. das Erfordernis der Konnexität bei BSK ZPO-Willisegger, Art. 227 N 28). Basierend auf der Lehre können dabei drei Abstufungen unterschieden werden:
aa) Der sachliche Zusammenhang ist ohne weiteres gegeben, wenn gestützt auf den gleichen Lebenssachverhalt ein weiterer oder anderer Anspruch geltend gemacht wird, der das Rechtsbegehren verändert (BK-Killias, N 39 zu Art. 227 ZPO; Leuenberger, ZPO Komm., Art. 227 N 18; vgl. BGer 4A_255/2015 E. 2.2.1 und 2.2.3). Solange der Lebenssachverhalt unverändert bleibt, kann dabei neben dem Rechtsbegehren auch der Sachverhalt ergänzt oder erweitert werden (BSK ZPO-Willisegger, Art. 227 N 31). Entsprechend kann eine Klage beispielsweise durch zusätzliche Schadenersatzansprüche ergänzt werden, die erst im Laufe des Prozesses entstanden sind, sofern diese neben den bisherigen Ansprüchen bestehen können (sog. Anspruchskumulation; BSK ZPO-Willisegger, Art. 227 N 32; BK-Killias, N 39 zu Art. 227 ZPO; Pahud, Dike-Komm-ZPO, Art. 227 N 8; vgl. aber Leuenberger, ZPO Komm., Art. 227 N 19, der in diesem Zusammenhang nur Schadenersatzansprüche erwähnt, die im Laufe des Prozesses grösser geworden sind).
Auch Verzugszinsen können ohne weiteres erst nachträglich geltend gemacht werden (Leuenberger, ZPO Komm., Art. 227 N 19; Pahud, Dike-Komm-ZPO, Art. 227 N 4; vgl. BK-Killias, N 12 zu Art. 227 ZPO, wonach die nachträgliche Geltendmachung von Nebenpunkten wie Verzugszinsen gar keine Klageänderung darstellt).
bb) Der sachliche Zusammenhang ist sodann auch gegeben, wenn ein anderer oder weiterer Anspruch geltend gemacht wird, der zwar nicht dem gleichen Lebenssachverhalt entstammt, mit dem ursprünglichen Lebenssachverhalt aber in einem engen Zusammenhang steht, mitunter einen benachbarten oder konnexen Lebenssachverhalt betrifft (Leuenberger, ZPO Komm., Art. 227 N 21; BK-Killias, N 40 zu Art. 227 ZPO; BSK ZPO-Willisegger, Art. 227 N 34, je mit Hinweisen; vgl. BGer 4A_255/2015 E. 2.2.1 und 2.2.3). Die Lebenssachverhalte müssen sich diesfalls immerhin berühren und gleichartige oder ähnliche Tatbestände erzeugen können. Bei der Entscheidung, ob die notwendige Konnexität gegeben ist oder nicht, ist zudem hilfsweise zu berücksichtigen, inwieweit sich die Klageänderung auf die Rechtsstellung des Beklagten auswirkt und ob der bisherige Prozessstoff für die Klage nach der Änderung weiterhin verwertbar bleibt. Jedenfalls darf aber kein völlig neuer Tatbestand in den Prozess eingeführt werden, der einen eigenen Anspruch erzeugt, welcher sich mit dem aus dem ursprünglichen Lebenssachverhalt abgeleiteten Anspruch nicht berührt (BSK ZPO-Willisegger, Art. 227 N 34).
cc) Ausnahmsweise ist der sachliche Zusammenhang schliesslich auch zu bejahen, wenn sich ein anderer oder weiterer Anspruch zwar auf einen verschiedenen Lebenssachverhalt stützt, aber eine enge rechtliche Beziehung besteht (BK-Killias, N 40 zu Art. 227 ZPO; Pahud, Dike-Komm-ZPO, Art. 227 N 9; a.M. BSK ZPO-Willisegger, Art. 227 N 36). Eine solche kann insbesondere vorliegen, wenn sich Ansprüche auf denselben Vertrag stützen (vgl. BGE 129 III 230 E. 3.1 m.w.H.).
b) Vorliegend beruhen sowohl die Forderung wegen ausstehender Mietzinsen als auch die Schadenersatzforderung wegen Mängeln an der Mietsache auf dem gleichen Mietverhältnis bzw. dem gleichen Mietvertrag zwischen den Parteien. Dies verdeutlicht zwar die enge rechtliche Beziehung zwischen den Ansprüchen, reicht indes, wie der Beklagte zu Recht geltend macht, für sich allein noch nicht zur Begründung eines sachlichen Zusammenhangs i.S.v. Art. 227 ZPO aus. Dieser ergibt sich jedoch, wie nachfolgend dargelegt, bei näherer Betrachtung des Zusammenspiels zwischen den beiden Ansprüchen.
aa) Die Verpflichtung zur Zahlung von Mietzinsen entsteht grundsätzlich mit Abschluss des Mietvertrages (Art. 253 OR), Schadenersatzansprüche nach Art. 267 und 267a OR wegen Mängeln an der Mietsache hingegen erst bei der Rückgabe des Mietobjekts. Wie der Beklagte ausführt, ist es folglich zutreffend, dass zum Zeitpunkt der Schlichtungsverhandlung wegen ausstehender Mietzinsen noch gar keine Schadenersatzansprüche wegen Mängeln bestanden, da die Wohnungsrückgabe erst nach der Schlichtungsverhandlung stattfand. Unzutreffend ist hingegen die Schlussfolgerung des Beklagten, dass aufgrund der zeitlich auseinanderfallenden Entstehung der beiden Ansprüche diese nicht auf dem gleichen Lebenssachverhalt beruhen könnten.
Eine Klageänderung gemäss Art. 227 ZPO verlangt gerade nicht, dass die Ansprüche in einem zeitlichen Zusammenhang stehen. Gefordert ist vielmehr ein sachlicher Zusammenhang. Vorliegend haben sowohl die Forderung wegen ausstehender Mietzinsen als auch die Schadenersatzforderung wegen Mängeln an der Mietsache ihren Ursprung in der Kündigung des Mietverhältnisses und der damit zusammenhängenden Rückgabe der Mietsache.
Wie von der Vorinstanz unbestritten festgestellt, hat der Beklagte nach der Kündigung durch den Kläger keine Mietzinsen mehr bezahlt. Der Mietzinsausstand wurde somit durch die Kündigung ausgelöst. Als Folge der Kündigung war der Beklagte sodann zur Rückgabe der Mietwohnung verpflichtet. Dabei wurden die Mängel festgestellt, welche der Kläger mit der Schadenersatzforderung geltend macht. Auch die Schadenersatzansprüche sind somit erst durch die Kündigung und die damit zusammenhängende Rückgabe der Mietsache entstanden.
Den Zusammenhang zwischen dem Entstehen der beiden Ansprüche bestätigt der Beklagte im Übrigen sogar selber, indem er in seiner Stellungnahme vom 22. November 2014 ausdrücklich ausführt, dass er nach der Kündigung «die Zahlung der letzten Miete, das Aufräumen, der Garten und das Putzen» [ …] «bewusst zurückgehalten» habe.
Damit ergibt sich, dass beide hier geltend gemachten Ansprüche ihren Ursprung im Lebenssachverhalt der Kündigung des Mietverhältnisses haben. Sie beruhen auf dem gleichen, jedenfalls aber auf einem benachbarten oder konnexen Lebenssachverhalt. Zudem ist weder ersichtlich noch auch nur ansatzweise (rechtzeitig) geltend gemacht worden, dass die Verteidigung des Beklagten durch die Klageänderung übermässig erschwert worden wäre oder der Prozess dadurch zum Nachteil des Beklagten verschleppt worden sei. Vielmehr sprechen vorliegend gerade auch Gründe der Prozessökonomie klar dafür, die erst nach der Schlichtungsverhandlung zutage getretenen Mängel an der Mietsache noch zu berücksichtigen und über beide Ansprüche gemeinsam zu entscheiden.
bb) Die Behauptung des Beklagten, es handle sich vorliegend um einen völlig neuen Tatbestand bzw. um komplett unterschiedliche Lebenssachverhalte, überzeugt hingegen nicht. Daran vermag auch sein Hinweis auf einen Entscheid des Kantonsgerichts vom 6. Januar 2012 i.S. FS.2011.43 sowie auf einen (vorliegend ohnehin nicht bindenden) Entscheid des Zürcher Mietgerichts vom 19. September 2012 i.S. MG110015-L/U nichts zu ändern. Ersterer betraf ein Begehren um Erlass sichernder Massnahmen sowie um Abänderung der Unterhaltsregelung in einem Eheschutzverfahren, folglich einen vollkommen anderen Sachverhalt. Der Zweite behandelte eine mietrechtliche Streitigkeit, in welcher die Mieterin vor der Schlichtungsbehörde zunächst eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes geltend machte und übermässig bezahlte Mietzinsen in der Höhe der Nebenkostennachzahlung zurückforderte, anschliessend aber ihr Rechtsbegehren modifizierte und ihre Forderung zusätzlich mit Mängeln am Mietobjekt wegen Bauarbeiten begründete (Entscheid des Zürcher Mietgerichts vom 19. September 2012 i.S. MG110015-L/U, S. 11 f.). Auch dieser Sachverhalt war somit anders gelagert, weshalb die darin gezogenen Schlüsse nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden können.
c) Somit ist der bereits von der Vorinstanz festgestellte sachliche Zusammenhang zwischen dem vom Kläger ursprünglich geltend gemachten Anspruch wegen ausstehender Mietzinsen und dem erst später zusätzlich geltend gemachten Schadenersatzanspruch wegen Mängeln an der Mietsache klar gegeben.
Entscheid BO.2015.42 des Kantonsgerichts St. Gallen vom 25.5.2016
Strafprozessrecht
Vorgehen bei Ablehnung der Zeugnisverweigerung
Verweigert ein Zeuge die Aussage mit Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht und lehnt das Gericht dies ab, so kann der Zeuge mündlich zu Protokoll eine Überprüfung durch die Beschwerdekammer verlangen. Es widerspricht dem Prinzip der zeitlichen Dringlichkeit des Rechtsmittels, zusätzlich eine Frist für eine schriftliche Beschwerde zu verlangen.
Sachverhalt:
Eine zu befragende Person verweigerte die Zeugenaussage. Sie machte geltend, sie habe ein Zeugnisverweigerungsrecht, was das Gericht aber anders sah.
Aus den Erwägungen:
2.1 Gemäss Art. 174 Abs. 2 der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO) kann ein Zeuge sofort nach der Eröffnung des Entscheids über die Zulässigkeit der Zeugnisverweigerung die Beurteilung durch die Beschwerdeinstanz verlangen. Obschon die Beurteilung durch die Beschwerdekammer erfolgt, handelt es sich nicht um eine Beschwerde im eigentlichen Sinn. Das Verfahren richtet sich jedoch im Wesentlichen nach den Regeln des Beschwerdeverfahrens, allerdings unter der Berücksichtigung, dass ein Entscheid rasch zu erfolgen hat, da die Nicht Gewährung des Zeugnisverweigerungsrechts ein Verfahren unter Umständen blockieren kann (Botschaft Vereinheitlichung Strafprozessrecht, BBl 2006, S. 1085, 1206).
2.2 Vorab stellt sich die Eintretensfrage. Zur hier fraglichen Frist und Form der Beschwerde führt Donatsch aus, was folgt: «Nach Art. 396 Abs. 1 ist die Beschwerde innert 10 Tagen schriftlich einzureichen. Da der Zeuge nach dieser Bestimmung in der Zeit ab dem Entscheid der befragenden Strafbehörde bis zum Einreichen der Beschwerde kein Zeugnisverweigerungsrecht hätte, muss es richtigerweise genügen, dass der Zeuge entweder schriftlich oder aber mündlich zu Protokoll erklärt, die Ablehnung des Zeugnisverweigerungsrechts durch die Beschwerdeinstanz überprüfen lassen zu wollen (vgl. Abs. 3). Innert der vorgeschriebenen 10 Tage ab dem Entscheid ist alsdann die Beschwerde einzureichen (Art. 396 Abs. 1). Verstreicht die Zehntagesfrist zur Einreichung der Beschwerde trotz Ankündigung einer solchen unbenützt, entfällt das Zeugnisverweigerungsrecht», so Donatsch, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 10 f. zu Art. 174 StPO.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Richtigerweise halten Goldschmid / Maurer / Sollberger fest, dass ein Weiterzug «unmittelbar an die Eröffnung des Entscheides erfolgen» muss, «ansonsten Absatz 3 keine Wirkung entfaltet und die betroffene Person unter Zeugnispflicht steht und sofort einvernommen werden kann. Im Zuge einer Einvernahme genügt der Hinweis zu Protokoll, dass eine Überprüfung des Entscheids durch die Beschwerdeinstanz verlangt wird. In dringenden Fällen mit elementarer Bedeutung des Entscheids über die Zulässigkeit der Zeugnisverweigerung für den unmittelbaren Fortgang des Strafverfahrens, dürfte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdeinstanz angezeigt sein.» (Goldschmid / Maurer / Sollberger, in: Kommentierte Textausgabe zur schweizerischen Strafprozessordnung, 2008, S. 166).
Es reichte somit aus, dass der Gesuchsteller mündlich zu Protokoll eine Überprüfung durch die Beschwerdekammer verlangte. Zusätzlich eine Frist(ansetzung) für eine schriftliche Beschwerdeeingabe zu verlangen, widerspricht dem Prinzip der zeitlichen Dringlichkeit des Rechtsmittels (vgl. auch Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, 2011, N. 137; Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern BK 12 59 vom 4. April 2012 E. 2). Kommt hinzu, dass die Staatsanwaltschaft den Gesuchsteller am Tag der Einvernahme auf nichts dergleichen hingewiesen hat und sie das Einvernahmeprotokoll erst rund drei Wochen später an die Beschwerdekammer sandte.
Beschluss BK 2016 164 des Obergerichts Bern vom 8.6.2016
Sozialversicherungsrecht
IV-Renten: Gemischte Methode gilt weiterhin
Bezügerinnen einer IV-Rente, die ihr Arbeitspensum wegen der Kinder reduzieren wollen, behalten ihre Invalidenrente. An der umstrittenen gemischten Methode hält das Bundesgericht in diesem Revisionsentscheid aber grundsätzlich fest, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der damit verbundenen Diskriminierung eine Verletzung der Konvention sah.
Sachverhalt:
Die 1977 geborene und zu 50 Prozent arbeitsunfähige Frau erhielt ab 2002 eine halbe Invalidenrente. Im Februar 2004 wurde sie Mutter von Zwillingen, der Invaliditätsgrad wurde in der Folge neu berechnet. Dies geschah nach der Methode, die bei teilzeitbeschäftigten Personen mit Haushaltspflichten zur Anwendung kommt.
Nach dieser Methode, der sogenannten gemischten Methode, betrug der Invaliditätsgrad nun bloss noch 27 Prozent. Deshalb bekam die Frau in der Folge von der Invalidenversicherung kein Geld mehr. Dagegen wehrte sie sich und stellte nach der Verurteilung der Schweiz durch den EGMR wegen Verstosses gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) in Verbindung mit dem Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) beim Bundesgericht ein Revisionsgesuch mit dem Rechtsbegehren, es sei ihr rückwirkend ab dem 1. September 2004 mindestens eine Viertelrente der Invalidenversicherung zuzusprechen.
Aus den Erwägungen:
1.1 Die Gesuchstellerin beruft sich auf den Revisionsgrund gemäss Art. 122 BGG. Danach kann die Revision eines Entscheids des Bundesgerichts verlangt werden, wenn der EGMR in einem endgültigen Urteil festgestellt hat, dass die EMRK oder die Protokolle dazu verletzt worden sind (lit. a), eine Entschädigung nicht geeignet ist, die Folgen der Verletzung auszugleichen (lit. b), und die Revision notwendig ist, um die Verletzung zu beseitigen (lit. c; vgl. BGE 136 I 158 E. 2.1, S. 163 f. mit Hinweisen). Das Gesuch ist beim Bundesgericht innert 90 Tagen einzureichen, nachdem das Urteil des EGMR gemäss Art. 44 EMRK endgültig geworden ist (Art. 124 Abs. 1 lit. c BGG). Findet das Bundesgericht, dass der Revisionsgrund zutrifft, so hebt es den früheren Entscheid auf und entscheidet neu (Art. 128 Abs. 1 BGG).
1.2 Das die Gesuchstellerin betreffende Urteil vom 2. Februar 2016 ist mit der am 4. Juli 2016 erfolgten Ablehnung des Antrages der Schweiz auf Verweisung an die Grosse Kammer endgültig geworden (Art. 42 und Art. 44 Abs. 2 lit. c EMRK). Mit der Einreichung des Revisionsgesuchs am 8. September 2016 ist die 90-tägige Frist gewahrt. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf das Revisionsgesuch einzutreten. Es ist somit zu prüfen, ob die Revision nach den Voraussetzungen der lit. a–c von Art. 122 BGG, die kumulativ erfüllt sein müssen, zulässig ist.
2.1 Gemäss Art. 122 lit. a BGG ist für eine Revision zunächst erforderlich, dass der EGMR in einem endgültigen Urteil eine Verletzung der EMRK oder der Protokolle dazu festgestellt hat.
In seinem Urteil vom 2. Februar 2016 (Dispositiv-Ziffer 3) hat der EGMR eine Verletzung der Bestimmung des Art. 14 (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) festgestellt. Das Urteil ist am 4. Juli 2016 endgültig geworden (Art. 42 und 44 Abs. 2 lit. c EMRK). Die Voraussetzung des Art. 122 lit. a BGG ist damit erfüllt.
2.2 Eine Revision wegen Verletzung der EMRK setzt nach Art. 122 lit. b BGG weiter voraus, dass eine Entschädigung nicht geeignet ist, die Folgen der Verletzung auszugleichen.
Nach der Rechtsprechung (BGE 137 I 86 E. 3.2.2, S. 90 mit Hinweisen) besteht für die Revision eines bundesgerichtlichen Urteils kein Anlass mehr, wenn der EGMR eine die Folgen der Konventionsverletzung ausgleichende Entschädigung gesprochen hat. Möglich bleibt die Revision nur insoweit, als sie geeignet und erforderlich ist, um über die finanzielle Abgeltung hinaus fortbestehende, konkrete nachteilige Auswirkungen der Konventionsverletzung im Rahmen des ursprünglichen Verfahrens zu beseitigen. Stehen materielle Interessen zur Diskussion, bezüglich welcher die Konventionsverletzung zwar mit einer Entschädigung grundsätzlich vollständig gutgemacht werden könnte, hat der EGMR aber eine Entschädigung abgelehnt, weil ein Schaden fehlt, oder hat er sich mangels eines entsprechenden Begehrens über das Vorliegen eines Schadens nicht ausgesprochen, so kommt die Revision durch das Bundesgericht nicht mehr in Frage.
Gemäss Dispositiv-Ziffer 6 des Urteils vom 2. Februar 2016 steht der Versicherten eine Genugtuung von 5000 Euro und eine Parteientschädigung von 24 000 Euro zu. Den von ihr geforderten Ersatz des als materieller Schaden geltend gemachten «Rentenverlusts» in der Höhe von 88 135 Franken (etwa 85 818 Euro [Urteil Ziff. 116]) für die Zeit vom 1. September 2004 bis 31. März 2011 hat der EGMR nicht zugesprochen, weil die Versicherte selber angegeben hatte, dass ihr dieser materielle Schaden im Rahmen ihres gestützt auf Art. 122 BGG einzureichenden Gesuches um Revision des Urteils vom 28. Juli 2008 ersetzt werden könne (Ziff. 120).
Hat der EGMR der Gesuchstellerin demnach keine die Folgen der Konventionsverletzung ausgleichende Entschädigung zuerkannt, steht die Voraussetzung des Art. 122 lit. b BGG einer Revision nicht entgegen.
2.3 Schliesslich setzt eine Revision wegen Verletzung der EMRK nach Art. 122 lit. c BGG voraus, dass die Revision notwendig ist, um die Verletzung zu beseitigen. Dies ist der Fall, wenn das Verfahren vor Bundesgericht ohne Konventionsverletzung einen anderen Verlauf genommen hätte oder hätte nehmen können und somit nachteilige Auswirkungen der Konventionsverletzung fortbestehen (BGE 142 I 42 E. 2.3, S. 47 f.; 137 I 86 E. 3.2.3, S. 91 und E. 7.3.1, S. 97).
Es steht fest, dass das Verfahren vor Bundesgericht, wenn die gemischte Methode nicht in der vom EGMR im Urteil vom 2. Februar 2016 beanstandeten Weise angewendet worden wäre, einen anderen Verlauf genommen hätte. Der in der Beschwerde an den EGMR als materieller Schaden geltend gemachte «Rentenverlust» bleibt als konkrete nachteilige Auswirkung der Konventionsverletzung bestehen, wenn und solange der Invaliditätsgrad der Gesuchstellerin nach dieser Methode ermittelt wird. Da die Revision in diesem Sinne notwendig ist, um die Verletzung zu beseitigen, ist auch die Voraussetzung des Art. 122 lit. c BGG erfüllt.
2.4 Das Verfahren, das zum Urteil vom 28. Juli 2008 geführt hat, ist demnach wieder aufzunehmen und die Rechtslage so zu beurteilen, wie dies ohne die EMRK-Verletzung geschehen wäre (Art. 128 Abs. 1 BGG; BGE 136 I 158 E. 3, S. 164).
3. Im Urteil vom 2. Februar 2016 wird die (von der Mehrheit bejahte) Konventionsverletzung (Art. 14 [Diskriminierungsverbot] in Verbindung mit Art. 8 EMRK [Achtung des Privat- und Familienlebens]) wie folgt begründet (zur abweichenden Minderheitsauffassung: E. 3.6 nachfolgend):
3.1 Vorab rief der EGMR in Erinnerung, dass es sich bei Art. 14 EMRK nicht um ein selbständiges Diskriminierungsverbot handle und die Konventionsstaaten nur verpflichtet seien, die in der EMRK garantierten Rechte diskriminierungsfrei zu gewähren. Die Anwendung des Art. 14 EMRK setze indessen nicht voraus, dass ein EMRK-Recht substanziell verletzt sei; es genüge vielmehr, wenn der zu beurteilende Fall in den Schutzbereich eines EMRK-Rechts falle (Ziff. 58). Andererseits lasse sich aus der EMRK kein Anspruch auf eine (bestimmte) Sozialleistung ableiten (Ziff. 59).
Der Begriff «Familienleben» im Sinne von Art. 8 EMRK umfasse aber nicht nur soziale, moralische oder kulturelle, sondern auch wirtschaftliche Aspekte (Ziff. 60). Massnahmen, die einen Einfluss auf die innerfamiliäre Organisation hätten – indem sie einem Elternteil erlaubten, zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern –, fielen ebenfalls in den Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK (Ziff. 61). In der zu beurteilenden Streitigkeit sei auch das in Art. 8 EMRK ebenfalls aufgeführte, im Sinne einer weiten Begriffsumschreibung zu verstehende «Privatleben» betroffen; die Anwendung der gemischten Methode könne Fragen der Lebensgestaltung hinsichtlich Erwerbs- und Familienleben beeinflussen (Ziff. 63 f.).
Da die gemischte Methode in der überwiegenden Mehrheit auf Frauen angewendet werde, die nach der Geburt eines oder mehrerer Kinder ihren Beschäftigungsgrad reduzieren wollten, könne die Versicherte zu Recht behaupten, Opfer einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne von Art. 14 EMRK geworden zu sein (Ziff. 66). Bei dieser Sachlage erübrige es sich, eine Ungleichbehandlung auch aufgrund der Behinderung zu prüfen (Ziff. 67). Die Bestimmung des Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 EMRK sei vorliegend anwendbar (Ziff. 68).
3.2 Nach der Rechtsprechung liege eine indirekte Diskriminierung vor, wenn die nachteiligen Auswirkungen einer staatlichen Massnahme überproportional eine vor Diskriminierung geschützte Gruppe treffe (Ziff. 80 am Ende). Die Mitgliedstaaten hätten zwar einen gewissen Ermessensspielraum zu bestimmen, ob und inwiefern sich unterschiedliche Behandlungen rechtfertigten (Ziff. 81). Allerdings sei die Geschlechtergleichheit in den Mitgliedstaaten des Europarates ein wichtiges Ziel und eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts nur in sehr engen Grenzen zulässig. Namentlich genüge eine Bezugnahme auf Traditionen oder allgemeine gesellschaftliche Vorstellungen hierfür nicht (Ziff. 82). Bewiesen werden könne eine indirekte Diskriminierung auch unter Berufung auf offizielle Statistiken (Ziff. 86).
3.3 Gemäss der von der schweizerischen Regierung zur Verfügung gestellten Statistik sei die gemischte Methode im Jahr 2009 in etwa 7,5 Prozent aller IV-Rentenentscheide (in 4168 Fällen im Jahr 2009) angewendet worden. Davon hätten 97 Prozent (4045) Frauen und nur 3 Prozent (123) Männer betroffen (Ziff. 88).
In seinen Urteilen vom 28. Juli 2008 (9C_49/2008) und vom 8. Juli 2011 (BGE 137 V 334) habe im Übrigen auch das Bundesgericht anerkannt, dass die gemischte Methode hauptsächlich auf Frauen, welche nach der Geburt eines Kindes ihr erwerbliches Pensum reduzierten, Anwendung finde. Dies bestreite auch die schweizerische Regierung nicht. Im Übrigen habe auch der Bundesrat in seinem Bericht vom 1. Juli 2015 (in Erfüllung des Postulates Jans [12.3960 «Schlechterstellung von Teilerwerbstätigen in der Invalidenversicherung»] vom 28. September 2012) angegeben, dass die gemischte Methode zu 98 Prozent auf Frauen angewendet werde (bei den im Jahr 2013 berechneten Renten [Ziff. 89]).
3.4 Die schweizerische Regierung bemühe sich, die aus der streitigen Regelung resultierende Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, dies unter Berufung auf Sinn und Zweck der Invalidenversicherung, welcher darin bestehe, Ersatz für den versicherten gesundheitsbedingten Erwerbsausfall und/oder die gesundheitsbedingte Leistungseinbusse im bisherigen Aufgabenbereich zu bieten (Ziff. 92). Der Gerichtshof anerkannte, dass der vom Gesetz über die Invalidenversicherung verfolgte Zweck Ungleichbehandlungen grundsätzlich rechtfertigen könne (Ziff. 93).
3.5 Dieser Zweck sei nun aber vor dem Hintergrund der Gleichstellung von Frau und Mann zu beurteilen. Unter diesem Blickwinkel könne eine Ungleichbehandlung nur bei sehr gewichtigen Überlegungen als konventionskonform betrachtet werden; insofern bestehe vorliegend ein sehr eingeschränkter Ermessensspielraum («La Cour en conclut que la marge d’appréciation des autorités était fortement réduite en l’espèce.»; Ziff. 96).
Es sei zwar in erster Linie Sache der nationalen Behörden, insbesondere der gerichtlichen Instanzen, das interne Recht auszulegen und anzuwenden. Im zu beurteilenden Fall sei es aber wahrscheinlich, dass die Versicherte, wäre sie (hypothetisch) vollerwerbstätig gewesen oder hätte sie sich ausschliesslich um den häuslichen Aufgabenbereich gekümmert, eine Teilrente erhalten hätte. Im Übrigen sei ihr anfänglich, nachdem sie vollerwerbstätig gewesen war, eine solche zugesprochen worden, dies bis zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder. Daraus ergebe sich klar, dass ein Rentenanspruch verneint worden sei, weil die Versicherte angegeben hatte, sie hätte ihre Erwerbstätigkeit einschränken wollen, um sich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern.
Für die Mehrheit der Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder teilzeitlich erwerbstätig sein möchten, erweise sich die gemischte Methode damit faktisch als diskriminierend (Ziff. 97). Die gemischte Methode stehe denn auch seit längerer Zeit in der Kritik (Ziff. 98). Auch der Bundesrat habe in seinem Bericht vom 1. Juli 2015 anerkannt, dass sie zu tieferen Invaliditätsgraden führen könne und sich die Frage einer indirekten Diskriminierung stelle (Ziff. 100). Die von der Regierung vorgebrachten Argumente vermöchten die aus der Anwendung der gemischten Methode resultierende Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen (Ziff. 103 f.).
3.6 In ihrer «opinion dissidente» erklärte die unterliegende Gerichtsminderheit, die Rügen der Versicherten fielen nicht in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK. Es fehle an einem hinreichenden Zusammenhang mit dem Privat- und Familienleben. Die Vorbringen der Versicherten seien in erster Linie vermögensrechtlicher Natur und fielen somit unter die Eigentumsgarantie des ersten Zusatzprotokolls vom 20. März 1952 zur EMRK, welches die Schweiz allerdings nicht ratifiziert habe.
4.1 Das Urteil des EGMR vom 2. Februar 2016 betrifft eine versicherte Person, welche unter dem Status einer Vollerwerbstätigen eine Invalidenrente beanspruchen konnte und diesen Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt allein aufgrund des Umstandes verliert, dass sie wegen der Geburt ihrer Kinder und der damit einhergehenden Reduktion des Erwerbspensums für die Invaliditätsbemessung neu als Teilerwerbstätige mit einem Aufgabenbereich qualifiziert wird.
Denn diese als Revisionsgrund geltende Statusänderung (Urteil 8C_441/2012 vom 25. Juli 2013 E. 3.1.1, in: SVR 2013 IV Nr. 44, S. 134; Meyer / Reichmuth, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl. 2014, Rz. 27 zu Art. 30 – 31 IVG) hat zur Folge, dass der Invaliditätsgrad nicht mehr anhand eines (auf Vollerwerbstätige anwendbaren) Einkommensvergleichs im Sinne von Art. 28a Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG ermittelt wird, sondern nach der (auf Teilerwerbstätige mit einem Aufgabenbereich anwendbaren) gemischten Methode im Sinne von Art. 28a Abs. 3 IVG, was im Falle der am Recht stehenden Versicherten zur revisionsweisen Aufhebung der Invalidenrente bzw. zur Befristung der rückwirkend zugesprochenen Rente führt (BGE 131 V 164 und 125 V 413 E. 2d, S. 417 f.; Meyer / Reichmuth, a.a.O., Rz. 11 und 19 zu Art. 30 – 31 IVG).
Als Verletzung von Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 EMRK ist demnach zu betrachten, wenn die von der versicherten Person getroffenen, in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK fallenden Dispositionen – die Geburt von Kindern und die damit (hypothetisch) verbundene teilweise Aufgabe der Erwerbstätigkeit – die einzige Grundlage des Statuswechsels bilden und aus der Änderung der Invaliditätsbemessungsmethode (Anwendbarkeit der gemischten statt der Einkommensvergleichsmethode) die revisionsweise Aufhebung der Invalidenrente (bzw. die Befristung der rückwirkend zugesprochenen Rente) resultiert.
4.2 Zur Herstellung des konventionskonformen Zustandes ist in der in E. 4.1 beschriebenen Konstellation auf die Aufhebung der Invalidenrente im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG alleine zufolge eines Statuswechsels von «vollerwerbstätig» zu «teilerwerbstätig mit Aufgabenbereich» zu verzichten. In diesem Fall ist die Aufhebung der Invalidenrente EMRK-widrig. Für die Gesuchstellerin bedeutet dies, dass sie über den 31. August 2004 hinaus unverändert Anspruch auf eine halbe Rente der Invalidenversicherung hat; Sachverhalt und geltende Rechtslage belassen keinen Spielraum.
4.3 Diese Erwägungen führen zur Gutheissung des Revisionsgesuches der Versicherten vom 8. September 2016 und zur Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 1 des Urteils des Bundesgerichts 9C_49/2008 vom 28. Juli 2008, mit welcher die damalige (mit dem Antrag auf Bestätigung des Einspracheentscheides eingereichte) Beschwerde der IV-Stelle gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichtes des Kantons St. Gallen vom 30. November 2007 aufgehoben wurde, sodass es bei der Verneinung eines Rentenanspruchs der Versicherten für die Zeit ab 1. September 2004 blieb (mit Einspracheentscheid vom 14. Juli 2006 bestätigte Verfügungen vom 26. Mai 2006).
Die damalige Beschwerde der IV-Stelle ist abzuweisen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 30. November 2007 insoweit abzuändern, als die Rückweisung an die IV-Stelle aufgehoben und festgestellt wird, dass die Versicherte über den 31. August 2004 hinaus Anspruch auf eine halbe Rente der Invalidenversicherung hat.
Das Bundesgericht geht damit nicht über das Begehren der Gesuchstellerin hinaus (vgl. Art. 107 Abs. 1 BGG). Abgesehen davon, dass ihr Hauptantrag im Revisionsgesuch – wie bereits ihr Antrag im Einspracheverfahren – auf Zusprechung mindestens einer IV-Viertelsrente lautet, beruht er auf einer rechtlichen Begründung, die von der geltenden Rechtslage abweicht und das Bundesgericht nicht bindet. Dazu kommt, dass es der Versicherten aus prozessualen Gründen nicht möglich war, den kantonalen Entscheid vom 30. November 2007 anzufechten.
Ob und inwieweit die gemischte Bemessungsmethode als solche rechtlich neu zu ordnen ist, ist nicht im vorliegenden Verfahren zu beantworten. Weiterungen zu den diesbezüglichen Ausführungen der Gesuchstellerin erübrigen sich daher.
4.4 Es bleibt darauf hinzuweisen, dass das EGMR-Urteil vom 2. Februar 2016 unter der geltenden Rechtslage nichts daran ändert, dass die gemischte Methode in Fällen, welche ausserhalb der in E. 4.1 beschriebenen Konstellation (vgl. IV-Rundschreiben Nr. 355 des BSV vom 31. Oktober 2016) weiterhin Anwendung finden kann. Zu denken ist beispielsweise an eine versicherte Person, deren Statusfestsetzung als Teilerwerbstätige mit einem Aufgabenbereich nicht familiär bedingt ist (Urteile 9C_179/2016 vom 11. August 2016 E. 5 und 9C_650/2015 vom 11. August 2016 E. 5.5), oder an die erstmalige Rentenzusprache an eine während des ganzen massgebenden Beurteilungszeitraums als teilerwerbstätig mit Aufgabenbereich zu qualifizierende versicherte Person (in diesem Sinne auch Urteil 8C_633/2015 vom 12. Februar 2016 E. 4.3).
5. Der EGMR hat der Gesuchstellerin im Verfahren, das zum Urteil vom 2. Februar 2016 geführt hat, die ihr vor den nationalen Instanzen in der Schweiz entstandenen Kosten in dem von ihm unter den gegebenen Umständen für angemessen gehaltenen Umfang bereits ersetzen lassen (Dispositiv-Ziffer 6 und Ziff. 123 – 125 des Urteils vom 2. Februar 2016). Insoweit erübrigt sich eine Revision des Bundesgerichtsurteils vom 28. Juli 2008 in Bezug auf die Dispositiv-Ziffern 2 bis 5, welche Kosten- und Entschädigungsfragen betreffen.
Urteil 9F_8/2016 des Bundesgerichts vom 20.12.2016