Wie Sie wissen, kam Gott zweimal zur Welt. Zum ersten Mal in Bethlehem und dann nochmal in Bailén», pflegt Luciano Varela, oberster Staatsanwalt Spaniens, seinen Praktikanten zu erklären. Um dann meist nahtlos anzufügen: «Wenn mich etwas auf die Palme treibt, dann sind es Richter, die den Sheriff spielen!» Nicht nur Insider der spanischen Justiz-Szene verstehen die bissige Anspielung auf Anhieb: Aus dem andalusischen Bailén in der Provinz Jaén stammt Varelas Erzrivale Baltasar Garzón. Spaniens wohl bekanntester Richter, der in den letzten zwanzig Jahren mit spektakulären Verfahren immer wieder für weltweite Schlagzeilen sorgte.
Zwei Richter prallen aufeinander
In den letzten Monaten kam es zwischen den beiden zu einem erbitterten Showdown, der sich mehr und mehr als Stellvertreterkrieg zwischen zwei Rechtsauffassungen entpuppt. Was als persönliche Rivalität begann und die Öffentlichkeit bis heute vor allem als solche beschäftigt, ist letztlich nichts anderes als eine Auseinandersetzung um die Glaubwürdigkeit der spanischen Rechtsstaatlichkeit.
Begonnen hatte das Drama 1989 im galizischen Pontevedra, wo sich Luciano Varela einen zwiespältigen Ruf als ebenso prinzipientreuer wie kleinkarierter Richter erworben hatte, den seine Kollegen wegen seines egozentrischen und manchmal auch cholerischen Charakters mieden. Auch wenn Varela selbst seine damalige Vereinsamung gerne dem Umstand zuschreibt, dass er im erzkonservativen Galizien als Gründungsmitglied der «Jueces para la Democracia» geächtet wurde. Der linke Richterverband - vergleichbar mit den Demokratischen Juristen hierzulande - hatte nach dem Ende der Franco-Diktatur die Demokratisierung der spanischen Rechtsordnung massgeblich geprägt und galt schon deshalb in Francos engerer Heimat Galizien als rotes Tuch. Allerdings ist Galizien auch ein berüchtigtes Schmuggler-Eldorado und es war vor allem dies, was die Karriere des Luciano Varela nachhaltig bestimmen sollte.
Denn in jenem Frühjahr 1989 landete auf Varelas Schreibtisch ein Brief des Untersuchungs-Häftlings Ricardo Portabales, eines berüchtigten Drogenschmugglers mit zahlreichen Verbindungen zu den kolumbianischen Kokainkartellen. Portabales bot Varela seine Zusammenarbeit an bei der Enttarnung der galizischen Schmuggler- und Drogenclans - gegen entsprechenden Zeugenschutz und in der Hoffnung auf Strafmilderung natürlich. Sichtlich angewidert und lustlos begann Varela den Fall zu ermitteln. Er stellte das Verfahren aber schnell wieder ein, mit Verweis auf Unglaubwürdigkeit und Eigennutz des Kronzeugen.
Wenig später landete die Akte bei der Madrider «Audiencia Nacional», dem Sondergerichtshof für nationale Sicherheit, der sich neben Staatsschutz- und Terror-Belangen auch mit international vernetzter Kriminalität befasst. Dort beugte sich ein junger Ermittlungsrichter namens Baltasar Garzón über den Fall, was kurz darauf zu einem vernichtenden Schlag gegen die galizische Mafia führte und den ursprünglichen Ermittler Varela steinalt aussehen liess.
Der Kampf gegen die Todesschwadron
Für Garzón aber wurde die Affäre Portabales zum Startschuss für eine atemberaubende Karriere. Noch im selben Jahr sorgte er mit der Verhaftung der beiden Anti-Terror-Kommissare José Amedo und Michel Dominguez für Schlagzeilen, die er als führende Köpfe einer Todesschwadron überführte. Die beiden hatten Killer angeheuert, die in Südfrankreich und Portugal als «Antiterroristische Befreiungsgruppen (GAL)» Jagd auf exilierte Mitglieder und Sympathisanten der baskischen Separatisten-Bewegung «ETA militar» machten. Insgesamt wurden mehr als zwei Dutzend Personen bei solchen Anschlägen getötet, unzählige weitere zum Teil schwer verletzt. Finanziert wurde das Ganze aus einem Sonderfonds des spanischen Innenministeriums. Lückenlos aufzuklären vermochte Garzón in mehrjähriger Arbeit zwar nur einen einzigen Fall: Den Mord am Arzt Santiago Marey. Aber das Material über die Todesschwadron reichte später immerhin zur weiteren Verurteilung zweier Staatssekretäre im Innenministerium und hatte 1996 massgeblichen Anteil am Sturz der sozialistischen Regierung von Felipe Gonzalez.
Von der Regierung gehasst, vom Volk verehrt
1993 hatte Gonzalez noch vermocht, Garzón mit einer politischen Karriere als Staatssekretär für Drogenbekämpfung zu ködern und ihn damit vorübergehend von den unbequemen GAL-Ermittlungen abgehalten. Aber der ehrgeizige Garzón fühlte sich bald als moralisches Aushängeschild einer schwer angeschlagenen Regierung missbraucht und verstand sich denkbar schlecht mit den übrigen Spitzenkadern des Justizministeriums. Wie Luciano Varela und der damalige Minister Juan Alberto Belloch hatten auch die beiden Staatssekretärinnen Margarita Robles und Maria Teresa de la Vega - derzeit stellvertretende Ministerpräsidentin in der Regierung Zapatero - zur Gründungsgilde der «Jueces para la Democracia» gehört und empfanden den wirbligen Garzón mit seiner ständigen Medienpräsenz als unberechenbaren Störenfried. Damit erklärt sich die stille Komplizenschaft oder das zumindest peinlich berührte Schweigen vieler spanischer Sozialisten angesichts der späteren Hexenjagd gegen Garzón.
Aber auch die konservativen Nachfolge-Regierungen unter José Maria Aznar wurden mit Garzón nicht glücklich. 1998 brachte er sie mit einem internationalen Haftbefehl gegen den chilenischen Ex?-Diktator und Franco-Bewunderer Augusto Pinochet in höchste Verlegenheit. Später brachte er den argentinischen Junta-Schergen Adolfo Scilingo vor Gericht, liess die Schutzgeld-Mafia im Umfeld der ETA hochgehen und spielte bei der Aufdeckung islamistischer Terrorzellen und internationaler Drogenringe eine führende Rolle. Mit alldem schaffte er sich zahlreiche Feindschaften. Trotzdem scheiterten alle Versuche ihn auszubremsen an seiner Popularität, seiner Prominenz und seiner legendären Unbeirrbarkeit.
Franco-Nostalgiker stoppen den Richter
Aber im Herbst 2008 nahm die vermeintliche Unantastbarkeit des Baltasar Garzón ein plötzliches Ende. Noch bevor das mehrfach verzögerte und verwässerte Wiedergutmachungsgesetz für die Opfer der Franco-Diktatur endlich in Kraft trat, hatte Garzón einer Klage der Opferverbände stattgegeben. Er verfügte die landesweite Erhebung aller ungeklärten Fälle von Verschwundenen aus der Zeit der Diktatur und wies die betreffenden Gemeinden zur Aushebung anonymer Massengräber zwecks Identifizierung der Opfer an. Drei Organisationen aus dem Dunstkreis der Franco-Nostalgiker zeigten ihn wegen Amtsmissbrauchs an. Sein Erlass verstosse gegen das Amnestie-Gesetz von 1977, mit dem das erste wieder demokratisch gewählte Parlament Spaniens alle politisch motivierten Delikte unter der Diktatur für straffrei erklärt hatte.
Was zunächst als durchsichtige Propaganda-Posse der Ewiggestrigen abgetan wurde, geriet zum bitteren Ernst. Denn das Dossier landete ausgerechnet bei Luciano Varela. Dieser hatte mit der Berufung zum Ankläger beim obersten Gerichtshof zwanzig Jahre nach Garzón endlich auch den Sprung nach Madrid geschafft und liess sich die einzigartige Chance nicht entgehen. Anfang 2009 liess er die Klage der Franco-Nostalgiker gegen Garzón zur allgemeinen Verblüffung zu und eröffnete Ende Mai ein formelles Verfahren, worauf die oberste Justizaufsichtsbehörde Garzón bis zum Abschluss des Verfahrens seiner Funktionen als nationaler Untersuchungsrichter enthob. Dies, obwohl Garzón bereits seinerseits um Beurlaubung ersucht hatte, weil er als Berater an den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag berufen worden war. Offensichtlich ging es aber Varela wie dem Aufsichtsrat darum, Garzón definitiv loszuwerden und ihm jede Rückkehr in ein spanisches Richteramt zu verbauen - droht dem heute 55-Jährigen doch bei einer rechtsgültigen Verurteilung ein Amtsverbot von bis zu zwanzig Jahren!
Der Preis der faulen Kompromisse
Dass die Dinge einen derart grotesken Verlauf nehmen konnten, erklärt sich nicht nur mit den persönlichen Verstrickungen und Intrigen der direkt Beteiligten. Vielmehr wird Spanien erneut eingeholt von den faulen Kompromissen beim Übergang von der Diktatur zur Demokratie nach Francos Tod. Das Amnestiegesetz von 1977 sollte die Handlanger der Diktatur vor der juristischen Verantwortung für Willkürakte gegen die republikanischen Verlierer des Bürgerkrieges bewahren. Der grosszügige Strafverzicht der Opfer soll die Integration ihrer früheren Gegner in ein demokratisches System erleichtern.
Der Erlass spricht aber ausdrücklich nur von «politisch motivierten» Delikten und lässt Verbrechen gegen die Menschlichkeit unerwähnt. Weil Spanien aber 1977 gleichzeitig mit der europäischen Menschenrechtserklärung die Zuständigkeit des Strassburger Gerichtshofes anerkannt hatte und sich inzwischen auch dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag unterstellt hat, kann das nationale Sondergesetz universale Verbrechen wie Massenexekutionen, -deportationen oder -enteignungen und Zwangsarbeit nicht einseitig von Strafe befreien - zumal diese auch als unverjährbar gelten. Darauf berief sich Garzón bei seinen Verfahren gegen Pinochet und Scilingo und versuchte dasselbe später bei den Verfahren zur Klärung des Schicksals spanischer Bürgerkriegsopfer. Dass ihm das Varela nun als Amtsmissbrauch oder vorsätzliche Gesetzesverletzung anlastet, dürfte also zumindest vor unabhängigen Strassburger oder Haager Richtern nicht standhalten.
Verpolitisierung der spanischen Justiz
Dass die spanische Justiz die Posse von sich aus beendet, ist angesichts ihrer völligen Verpolitisierung dagegen unwahrscheinlich. Der für Garzóns Suspendierung verantwortliche Justizaufsichtsrat wird mit Dreifünftelsmehrheit vom Parlament gewählt und ist nicht nur Aufsichtsbehörde, sondern auch Wahlorgan der höchsten Gerichte. Weil die Regierung Zapatero seit 2004 über keine parlamentarische Mehrheit verfügt, werden die höchsten Organe der spanischen Justiz bis heute von einer konservativen Mehrheit beherrscht, die noch von den rechten Aznar-Regierungen bestellt wurde. Darunter befinden sich jede Menge Justiz-Notabeln, die sich mit ihrem Amtseid noch unter der Diktatur zu «Loyalität mit der nationalen Bewegung (Falange) und dem Caudillo» verpflichtet hatten. Wortführerin der nicht franquistischen Minderheit ist wiederum Ex-Staatssekretärin Margarita Robles, die mit Garzón noch eine offene Rechnung hat aus Zeiten der GAL-Affäre. Dass ein solches Gremium in der Causa Garzón freiwillig über die Bücher geht, bleibt deshalb ein frommer Wunsch. Viel eher werden sich Varela, Robles & Co. in die lange Reihe jener einreihen, die Spaniens überfällige Vergangenheitsbewältigung immer wieder aufs Neue vertagen.