Gegenstand dieses Artikels ist die absichtliche Täuschung beim Vertragsabschluss. Die übrigen Willensmängel sowie eine allfällige Haftung aus culpa in contrahendo werden nicht behandelt. Dagegen bilden die Aufklärungspflicht und die Teilnichtigkeit eines angefochtenen Mietvertrages einen Schwerpunkt der Abhandlung.
Die Gerichtsentscheide über Anfechtungen von Mietverträgen wegen absichtlicher Täuschung sind rar. Die betroffenen Parteien – insbesondere die Vermieterseite – wählen sehr oft einen anderen Rechtsbehelf, als nach Art. 31 OR vorzugehen. Es kommt hinzu, dass die Beweislast für die getäuschte Vertragspartei erdrückend sein kann,1 da sie gestützt auf Art. 8 ZGB die Täuschungshandlung, die Absicht, den Irrtum etcetera beweisen muss.
1. Allgemeines
1.1 Legaldefinition
Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zum Vertragsabschluss verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher ist (Art. 28 Abs. 1 OR). Gemäss Art. 28 Abs. 2 OR kann auch die Täuschungshandlung eines Dritten relevant sein, falls die Gegenpartei davon Kenntnis hat oder haben sollte. Gemäss Wortlaut des Gesetzes ist die Unverbindlichkeit des Vertrags bei einer fremdverursachten Täuschung einfacher zu erreichen als bei der durch eine Vertragspartei verursachten. Ingeborg Schwenzer fordert auf dem Wege der teleologischen Auslegung, dass der Vertrag nur angefochten werden kann, wenn die Gegenpartei Kenntnis von der Täuschungshandlung des Dritten gehabt hatte.2 Es ist unbestritten, dass Art. 28 OR auch für Mietverträge gilt.3
1.2 Tatbestandselemente
1.2.1 Täuschungshandlung
Ein täuschendes Verhalten besteht in der Vorspiegelung falscher Tatsachen oder im Verschweigen vorhandener Tatsachen. Die Vorspiegelung falscher Tatsachen kann darin bestehen, dass jemand ein gefälschtes Dokument vorlegt, etwas Falsches behauptet oder die Gegenpartei in einem vorbestandenen Irrtum bestärkt.4 Auch die Unterdrückung von wahren Tatsachen ist relevant. Die Täuschung kann überdies konkludent erfolgen.5
Das Verschweigen von Tatsachen ist dagegen nur verpönt, wenn eine Aufklärungspflicht besteht, da grundsätzlich jede Partei ihre Interessen selber wahrnehmen muss. Eine Aufklärungspflicht kann sich aus einer besonderen gesetzlichen Vorschrift ergeben (zum Beispiel Art. 607 Abs. 3 sowie Art. 610 Abs. 2 ZGB) oder aus Vertrag sowie daraus, dass eine Mitteilung nach Treu und Glauben und den herrschenden Anschauungen geboten ist, mithin wenn der Vertragspartner nach der Verkehrsauffassung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte.6 Dabei sind die Umstände des Einzelfalls massgebend.7
Bei Dauerschuldverhältnissen gelten besondere Anforderungen an die Aufklärungspflicht.8 Obwohl in der Lehre bei Dauerschuldverhältnissen – im Gegensatz zu reinen Austauschverträgen – von einem besonderen Vertrauensverhältnis ausgegangen wird, verneint das Bundesgericht bei der Absprache von Akontozahlungen eine generelle Aufklärungspflicht für die Vermieterschaft in Bezug auf die zu erwartende Höhe der Nebenkosten.
Das oberste Gericht weist darauf hin, dass im Rahmen von Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien ein Vertrauensverhältnis bestehe. Es zwinge dazu, sich gegenseitig über Tatsachen zu informieren, die den Entscheid, den Vertrag abzuschliessen oder darin bestimmte Klauseln vorzusehen, beeinflussen könnten. Die Tragweite dieser Informationspflicht könne nicht in allgemeiner Weise definiert werden; sie hänge von den Umständen des Einzelfalls wie auch von der Natur des Vertrages ab.9
1.2.2 Absicht
Eine absichtliche Täuschung ist nur dann anzunehmen, wenn eine Partei willentlich falsche Tatsachen vorspiegelt oder andere verschweigt, um bei der Gegenpartei einen Irrtum zu bewirken oder bestehen zu lassen. Das fahrlässige Aufstellen von falschen Tatsachen genügt nicht. Ein blosses «kennen müssen» vermag auch nicht zu genügen.10 Dagegen genügt ein Eventualvorsatz.11 Bei fahrlässiger Täuschung ist der Tatbestand der culpa in contrahendo zu prüfen.
1.2.3 Irrtum
Das täuschende Verhalten muss einen Irrtum bewirken, bestärken oder bestehen lassen. Der Getäuschte macht sich falsche Vorstellungen über einen Sachverhalt.
1.2.4 Kausalität
Der durch die Täuschung hervorgerufene, bestärkte oder aufrechterhaltene Irrtum muss dazu geführt haben, dass der Getäuschte einen Vertrag überhaupt abschliesst oder zu den vereinbarten Bedingungen abschliesst.12 Daran fehlt es, wenn der Getäuschte den Vertrag auch ohne Täuschung überhaupt abgeschlossen oder zu den vereinbarten Bedingungen abgeschlossen hätte.13 Die Kausalität entfällt ebenfalls, wenn ein Vertrag auch in Kenntnis des wahren Sachverhaltes abgeschlossen worden wäre14 oder wenn der Getäuschte die Täuschung hätte erkennen müssen. Er muss jedoch im Allgemeinen keine eigenen Nachforschungen tätigen.15
Täuschungshandlungen sind schlussendlich nur relevant, wenn sie Tatsachen betreffen, die für den Vertragsabschluss relevant sind. Nicht jede Lüge berechtigt zur Vertragsauflösung.
2. Anwendungsfälle
2.1 Von Vermieterseite
2.1.1 Fläche des Objekts
Wird der Mietzins nach Mietfläche berechnet und stellt sich später heraus, dass die im Mietvertrag festgehaltene Fläche 17 Prozent von der tatsächlichen abweicht, kann sich der Mieter wegen Grundlagenirrtums auf die teilweise Ungültigkeit des Vertrags berufen.16
2.1.2 Unzulässige Nutzung
Die Parteien sahen in einem Mietvertrag als Verwendungszweck die Benutzung des Erd- und Untergeschosses für «Verkauf / Ausstellung / Lager / Büro» vor. Diese vereinbarte Nutzung war gemäss verwaltungsrechtlichem Vertrag des Vermieters mit der Stadt Zürich und der Baubewilligung im Untergeschoss nur teilweise zulässig.
Die Mieterin berief sich nach Kenntnisnahme der Nutzungsbeschränkung unter anderem auf eine absichtliche Täuschung. Das Mietgericht Zürich verneinte nach Durchführung eines Beweisverfahrens eine absichtliche Täuschung durch Verschweigen, da sich der Vermieter zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses nicht nachweislich der Nutzungsbeschränkung im ersten Untergeschoss bewusst war.17
Das Amtsgericht Luzern-Land bejahte dagegen in einem Urteil vom 18. Dezember 2003 eine absichtliche Täuschung, da der Vermieter eines Restaurants mit Musikbetrieb die Gegenpartei vor Vertragsabschluss nicht über die restriktiven behördlichen Auflagen informiert hatte.18
2.1.3 Geplante Bauarbeiten
Gemäss Entscheid des Mietgerichtes Zürich vom 31. August 199519 ist ein Vermieter bei Vertragsabschluss verpflichtet, den Mieter über einen in nächster Zukunft geplanten Dachstockausbau mit erheblicher Lärmbelastung aufzuklären. Den Mieter trifft diesbezüglich keine Abklärungspflicht. Verschweigt ein Vermieter diesen Umstand willentlich, liegt eine absichtliche Täuschung vor.
2.1.4 Kein Handyempfang
Die Parteien schlossen am 22. April 2003 einen langfristigen Mietvertrag über Büroräumlichkeiten und Garagenplätze ab. Mietbeginn war der 1. Juni 2003. Am 19. Mai 2003 teilte die Mieterin der Vermieterschaft mit, sie habe festgestellt, dass in den Mieträumlichkeiten kein Mobiltelefonempfang möglich sei. Sie werde vom Antritt des Mietverhältnisses absehen, falls die Vermieterschaft nicht eine technische Lösung auf eigene Kosten realisieren sollte. Die Vermieterschaft lehnte jede Kostenbeteiligung ab. Die Mieterin teilte umgehend mit, sie wolle den Vertrag nicht halten. Das Kreisgericht Alttoggenburg verneinte eine absichtliche Täuschung (auch den Grundlagenirrtum sowie das Vorliegen eines Mangels). Dabei berief es sich insbesondere darauf, der Mobiltelefonempfang sei kein Thema während der Vertragsverhandlungen gewesen. Uneingeschränkter Mobiltelefonempfang sei nicht etwas Alltägliches und die Vermieterschaft habe den Irrtum nicht erkennen müssen.20
2.1.5 Nebenkosten
Das Bundesgericht geht mit einer nicht restlos überzeugenden Begründung bei der Festlegung der Höhe von Akontozahlungen vom Grundsatz der Vertragsfreiheit aus und verneint eine generelle Aufklärungspflicht des Vermieters über die Höhe der zu erwartenden Nebenkosten.21 Somit liegt eine absichtliche Täuschung bei der Festsetzung von zu tiefen Akontobeträgen gemäss Bundesgericht nur dann vor, wenn die Mieterschaft vor dem Abschluss des Vertrags nachfragt oder falls besondere Umstände vorliegen. Dies könnte der Fall sein, wenn ein Mieter ausdrücklich eine Obergrenze für den Mietzins angibt, der für ihn tragbar ist.
Die Annahme, die Höhe der effektiv geschuldeten Nebenkosten sei für eine Mietpartei irrelevant, wenn sie sich vor Vertragsunterzeichnung nicht danach erkundige,22 ist realitätsfremd und eher zynisch. Man muss wohl grundsätzlich davon ausgehen, die effektive Höhe des Mietzinses interessiere jede Mieterschaft. Weshalb eine Mieterin, die sich in der Kostenstruktur der Liegenschaft nicht auskennt, nachfragen sollte und eine über wesentlich mehr Informationen verfügende Vermieterin nicht informieren muss, bleibt schleierhaft (vgl. unten).
Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass die kantonalen Gerichte eine absichtliche Täuschung im Falle von zu tief angesetzten Akontozahlungen zum Teil bejahen. 23
2.1.6 Umsatzzahlen
Vor Abschluss eines Mietvertrages am 22. Februar 1993 und weiteren Vereinbarungen betreffend Kauf von Inventar und Warenvorräten liess die Vermieterin den Mietinteressenten einen Vergleich der Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 1990 und 1991 zukommen. Obwohl der Geschäftsabschluss und damit die genauen Zahlen für das Jahr 1992 in diesem Zeitpunkt noch nicht vorlagen, war für die Vermieterin bereits absehbar, dass die Umsatzzahlen der Vorjahre im Jahr 1992 nicht erreicht würden. Über diesen absehbaren Umsatzrückgang wurden die Mietinteressenten nicht informiert. Im Mai 1996 fochten die Mieter die Vereinbarungen wegen Täuschung beziehungsweise Irrtum an.
Die Anfechtung wurde abgewiesen, da die Mieter nicht nachweisen konnten, dass ihnen zugesichert worden sei, der Umsatz im Jahre 1992 bewege sich im Rahmen der Vorjahre. Überdies verneinte das Obergericht Zürich den Kausalzusammenhang zwischen Irrtum betreffend Umsatzrückgang und Vertragsabschluss, da die Mieter ein abweichendes Betriebskonzept und mehr Betriebstage als die Vorgänger hatten. 24
2.1.7 Weitere Fälle
Sichert ein Vermieter in einem Einkaufszentrum einer Mieterschaft zu, kein Konkurrenzgeschäft einzumieten, so ist meiner Meinung nach eine absichtliche Täuschung zu bejahen, falls bereits vorab ein Vertrag mit einem Konkurrenzbetrieb abgeschlossen wurde.
2.2 Von Mieterseite
2.2.1 Ausgangslage
Viele Verwaltungen lassen Mietinteressenten Anmeldeformulare ausfüllen, mit denen sie Auskunft über verschiedene Daten verlangen. Sehr oft stehen diese Fragen im Widerspruch zum Datenschutzgesetz. Zu berücksichtigen sind der Zweckbindungs- sowie der Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 4 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 2 DSG).
Vermieter dürfen grundsätzlich nur Fragen stellen, die objektiv notwendig und geeignet sind, um einen Mieter auszuwählen. Die Zulässigkeit der Fragen hängt von der Art des Mietobjekts ab. Für die Anmiete von Gewerberäumen spielt es beispielsweise keine Rolle, ob ein Mieter Kinder hat und wie alt die Kinder sind.
Als zulässig gelten im Allgemeinen Fragen nach Namen und Vornamen, Adresse, Geburtsdatum, Beruf, Arbeitgeber, Art der Aufenthaltsbewilligung bei Ausländern, Anzahl der Personen, Einkommenskategorie, Betreibungen in den letzten zwei Jahren, Haustieren etcetera. Fragen, wer das bisherige Mietverhältnis gekündigt habe, nach dem Personenstand und Ähnliches sind statthaft.25
Unzulässig sind dagegen Fragen nach der Mitgliedschaft in Vereinen oder Parteien, Fragen nach Leasingverträgen etcetera.26 Werden unzulässige Fragen gestellt, besteht wie im Arbeitsrecht ein Notwehrrecht der Lüge. In solchen Fällen kann sich ein Vermieter bei der Kenntnisnahme der «Lüge» nicht auf eine absichtliche Täuschung berufen. Auch eine Kündigung wäre gestützt auf Art. 271 OR missbräuchlich.
2.2.2 Zahlungsfähigkeit
Grundsätzlich muss ein Mietinteressent Fragen über seine Zahlungsfähigkeit korrekt beantworten. Er muss jedoch nicht sein genaues Einkommen angeben. Es genügt, wenn klar ist, dass er sich die Miete leisten kann. Somit reicht die Angabe von Einkommenskategorien. Eine Aufklärungspflicht wird jedoch verneint. So ist ein Mieter auch nicht verpflichtet, seine Zahlungsunfähigkeit von sich aus ungefragt darzulegen.27
Ein Mieter, der bei Vertragsabschluss verschweigt, dass sich seine finanzielle Situation möglicherweise ändern wird, täuscht den Vermieter nicht absichtlich. Hinsichtlich einer möglichen, aber noch nicht feststehenden Änderung besteht keine Aufklärungspflicht.28
2.2.3 Betreibungsregister
Viele Verwaltungen fordern einen aktuellen Betreibungsregisterauszug. Ändert ein Mietinteressent einen solchen Auszug ab, so handelt es sich um eine Straftat, die den Tatbestand der absichtlichen Täuschung erfüllen kann, falls die weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Der Mieter ist jedoch nicht verpflichtet, ungefragt Auskunft über allfällige Betreibungen zu erteilen.
2.2.4 Falsche Angaben über Notlage
Immer wieder werden Verträge abgeschlossen, in denen die Mieter erklären müssen, sie befänden sich nicht in einer Notlage und der Mietzins entspreche dem ortsüblichen Niveau. Damit wollen Vermieter die Anfechtung des Anfangsmietzinses ausschliessen.
In solchen Fällen kann der Anfangsmietzins trotzdem angefochten werden. Der Vermieter kann sich auch nicht auf eine absichtliche Täuschung berufen.
2.2.5 Falsche Angaben bei zulässigen Fragen
Was ist, wenn ein Mieter bei seiner Staatszugehörigkeit schummelt? Was, wenn er falsche Angaben zur Personenzahl macht? Es kommt auf den Einzelfall an. Entscheidend ist, ob der entsprechende Sachverhalt wesentlich und überdies kausal für den Vertragsentschluss gewesen ist.
Das Bundesgericht hat festgehalten, dass für Gegebenheiten, die den Vertragsentschluss nicht wesentlich beeinflussen, keine Täuschung vorliegen kann.29 Es fehlt am Kausalzusammenhang.
2.3 Aufklärungspflicht
Da das Mietrecht Bestandteil der Sozialschutzgesetzgebung ist und im Allgemeinen ein Informationsgefälle zwischen Vermieter und Mieter besteht, ist eine Aufklärungspflicht des Vermieters hinsichtlich aller wesentlichen Tatsachen zu fordern, nicht jedoch für die Mieterseite. Weshalb?
Das Bundesgericht weist zwar darauf hin, dass im Rahmen von Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien ein Vertrauensverhältnis bestehe, das diese zwinge, sich gegenseitig Informationen über Tatsachen zu geben, die den Entscheid, den Vertrag abzuschliessen oder darin bestimmte Klauseln vorzusehen, beeinflussen könnten. Die Tragweite dieser Informationspflicht könne nicht in allgemeiner Weise definiert werden; sie hänge von den Umständen des Einzelfalls wie auch der Natur des Vertrages ab.30
Für Dauerschuldverhältnisse gelten überdies im Gegensatz zu reinen Austauschverträgen besondere Anforderungen an die Aufklärungspflicht.
Ein Mietverhältnis ist nun nicht bloss ein Dauerschuldverhältnis, sondern das Mietrecht ist ein Bestandteil der Sozialschutzgesetzgebung.31 Die Vertragsfreiheit bezieht sich auf den Abschluss, die Freiheit der Partnerwahl und auf die inhaltliche Gestaltung. Daneben sind aber verschiedene zwingende Bestimmungen zu berücksichtigen, die das Mietrecht dem öffentlichen Recht annähern. Betroffen ist vor allem die Preisgestaltung. Des Weitern ist wohl unbestritten, dass der Vermieter in der Regel gegenüber der Mieterin einen Informationsvorsprung hat. Das gilt beispielsweise bei der Beschaffenheit des Mietobjekts, bei bevorstehenden Umbauvorhaben und Änderungen im näheren Umfeld sowie bei der Kostenstruktur der Liegenschaft.32
Immerhin wird teilweise eine Aufklärungspflicht bejaht, falls die Gegenpartei den Irrtum des anderen erkennt und realisiert, dass die entsprechende Tatsache für den Entscheid zum Vertragsabschluss relevant ist.33
Das genügt nicht. Dass das Bundesgericht bei der Vereinbarung von Akontozahlungen eine generelle Aufklärungspflicht des Vermieters über die tatsächlich zu erwartenden Nebenkosten verneint, ist weder mit dem Sozialschutzgedanken noch mit der Missbrauchsgesetzgebung vereinbar. Was bringt es, wenn ein Mieter zwar den Anfangsmietzins anfechten kann, die effektive Höhe des tatsächlich geschuldeten Mietzinses jedoch erst mit der ersten Nebenkostenabrechnung erfährt?
Was den Mietzins inklusive der Nebenkosten anbelangt, ergibt sich die Aufklärungspflicht bereits aus der Missbrauchsgesetzgebung,34 mithin aus Sinn und Zweck der Art. 269 ff. OR, insbesondere Art. 270 OR sowie Art. 18 der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (VMWG). Letztlich lässt sich eine Informationspflicht auch aus Art. 257b OR ableiten, der von tatsächlichen Kosten spricht.35
Es ist jedoch eine generelle Aufklärungspflicht der Vermieterschaft zu fordern, die alle wesentlichen Vertragselemente umfasst. Das betrifft die Höhe des effektiven Mietzinses, insbesondere der Nebenkosten, die baurechtlichen Gegebenheiten etcetera sowie die bereits bei Vertragsabschluss bekannten bevorstehenden Änderungen in der Liegenschaft und um sie herum. Das ist nach Treu und Glauben geboten.36
Dagegen ist kein Grund ersichtlich, für die Mieterseite eine generelle Auskunftspflicht zu fordern. Es ist für einen Vermieter ein Leichtes, die relevanten Tatsachen abzuklären.
Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Verletzung der Aufklärungspflicht nicht zwingend zu einer erfolgreichen Anfechtung des Vertrages führt, da für die Annahme einer absichtlichen Täuschung immer noch überprüft werden muss, ob der verursachte Irrtum kausal zum Vertragsabschluss war. Das wird beispielsweise für einen Mieter an der Zürcher Bahnhofstrasse betreffend die effektive Höhe der Nebenkosten weniger zutreffen.
3. Rechtsfolgen
Ein Vertrag, der mit einem wesentlichen Mangel behaftet ist, gilt als genehmigt, falls die Partei, die nicht daran gebunden sein will, nicht innert Jahresfrist seit Entdeckung des Irrtums der andern Partei eröffnet, dass sie den Vertrag nicht halten will oder von der andern Partei die schon erfolgte Leistung zurückfordert (Art. 31 OR). Überdies gilt es zu berücksichtigen, dass gewisse Verhaltensweisen als ausdrückliche Genehmigung qualifiziert werden können.
Für ein Mietverhältnis als Dauer-schuldverhältnis ist die Auflösung ex tunc mit der Rückabwicklung von bereits erbrachten Leistungen nicht praktikabel und könnte zu stossenden Resultaten führen. Das Bundesgericht neigt in solchen Fällen meiner Ansicht nach zu Recht dazu, eine Auflösung des Vertrags ex nunc wie im Falle einer ausserordentlichen Kündigung anzunehmen.37
Vor allem für getäuschte Mietende kann jedoch auch eine Auflösung ex nunc zu stossenden Ergebnissen führen.
Obwohl bei der gesetzlichen Regelung der Willensmängel analoge Bestimmungen wie bei der Teilnichtigkeit von Art. 20 Abs. 2 OR fehlen, hat sich die Rechtsprechung wiederholt für die Möglichkeit der Teilanfechtung eines Vertrages ausgesprochen, falls der vom Willensmangel betroffene Inhalt teilbar ist und man davon ausgehen kann, dass die Vertragsparteien den Vertrag in Kenntnis dieses Mangels in angepasster Form geschlossen hätten.38
Im Falle einer absichtlichen Täuschung muss jedoch das Erfordernis, dass die Parteien den Vertrag in Kenntnis des Mangels in angepasster Form abgeschlossen hätten, relativiert werden. Das könnte zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, da die willentlich täuschende Partei den Vertrag allenfalls zu andern Bedingungen nicht abgeschlossen hätte. Es muss deshalb genügen, wenn die getäuschte Partei den Vertrag in Kenntnis der wahren Sachlage zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte.39 Im Übrigen darf auch die Anfechtung des Vertrages nicht gegen Treu und Glauben verstossen, weshalb das Gericht eine Anfechtung ablehnen oder lediglich eine Teilnichtigkeit annehmen und allenfalls die Gegenleistung entsprechend anpassen kann.40
4. Andere Rechtsbehelfe
4.1 Alternativen
Beruht der Irrtum einer Vertragspartei nicht auf einer absichtlichen Täuschung der Gegenpartei, ist der Irrende auf die Regeln über den Irrtum verwiesen (Art. 23 ff OR). Zu überprüfen ist auch eine Haftung aus culpa in contrahendo.
4.2 Kündigung und Mängelrechte
Da es sich bei der Miete um ein Dauerschuldverhältnis handelt, sind auch andere Rechtsbehelfe möglich. Zu erwähnen ist beispielsweise eine ordentliche oder ausserordentliche Kündigung seitens beider Vertragsparteien.
Eine Mieterschaft kann je nach Situation auch Mängelrechte geltend machen. Das Mietgericht hat im Falle eines nicht angezeigten bevorstehenden Dachstockausbaus auch die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung nach Art. 259b OR bejaht.41
Sowohl im Falle einer Kündigung als auch bei der Geltendmachung von Mängelrechten bleiben Schadenersatzansprüche vorbehalten, falls die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.
1 Urteil des Bundesgerichts 4A_641/2010 E.3.4.1.
2 Ingeborg Schwenzer, N 15 zu Art. 28 OR, in: Heinrich Honsell / Nedim Peter Vogt / Rolf Watter / Wolfgang Wiegand (Hrsg.), Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht,
Basel 2007.
3 Schwenzer, a.a.O., N 4 zu Vorbemerkungen Art. 23 bis 31 OR.
4 Urteil des Bundesgerichts 4C.383/2001 E. 1e.
5 Bruno Schmidlin, N 16 zu Art. 28 OR, in: Berner Kommentar, Art. 23–31 OR Allgemeine Bestimmungen: Mängel des Vertragsabschlusses, Bern 1995.
6 Schmidlin, a.a.O., N 35 zu Art. 28 OR; BGE 116 II 434; BGE 117 II 228; BGE 132 II 161 E.4.1.
7 Beispiele aus der Rechtsprechung in: Schmidlin, a.a.O., N 45 ff. zu Art. 28 OR.
8 Schmidlin, a.a.O., N 39 zu Art. 28 OR; Schwenzer, a.a.O., N 9 zu Art. 28.
9 Urteil des Bundesgerichts 4A_268/2009, Mietrechtspraxis (mp) 2/10, S. 116 ff.
10 Urteil des Mietgerichts Zürich vom 20. Oktober 1994, ZMP 3/94 Nr. 24.
11 Vgl. dazu BGE 136 III 532 E.3.4.2.
12 BGE 136 III 528 E.3.4.2.
13 BGE 129 III 320.
14 BGE 129 III 320 E.6.3 betreffend Zahlung von Schmiergeldern.
15 Urteil des Bundesgerichts 4C.64/2002.
16 Urteil des Bundesgerichts 4A_99/2009 vom 10.6.2009, mp 4/09, S. 215.
17 Entscheidsammlung Zürcher Mietrechtspraxis (ZMP) 3/94 Nr. 24.
18 Urteil des Amtsgerichtes Luzern-Land vom
18. Dezember 2003 in Sachen M.K. gegen A.F.
19 ZMP 2/95 Nr. 12.
20 Urteil des Kreisgerichts Alttoggenburg vom 18.8.2004 in Sachen P.R.AG gegen I AG.
21 BGE 132 III 24, Urteil des Bundesgerichts 4A_268/2009 vom 4.2.2010, mp 2/10, S. 116 ff., insbesondere S. 118.
22 So auch Monika Sommer, Mietrecht aktuell (MRA) 3/05, S. 144, sowie Beat Rohrer, MRA 4/03, S. 153.
23 Bezirksgerichtspräsidium Arlesheim, 12.2.2004, mp 4/04, S. 194 ff.; Zivilgericht Bezirk Boudry,
6.1.2000, mp 1/01, S. 11 ff.;Tribunal Civil du District du Val-de-Ruz, 5.1.2004, mp 1/04, S. 24 ff.; Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 6.3.2012 (410 12 11): Das Gericht überprüfte zwar nicht den Tatbestand der absichtlichen Täuschung, ging jedoch davon aus, dass die Akontobeträge grundsätzlich den zu erwartenden Kosten entsprechen müssen.
24 Urteil des Bundesgerichts 4C.225/2004 vom 11.1.2005, MRA 3/05, S. 140 ff.
25 Vgl. zum Ganzen: David Rosenthal, Datenschutz im Mietrecht, mp 3/12, S. 168 f.
26 Vgl. zum Ganzen: David Rosenthal, a.a.O., S. 168 ff.
27 Mietgericht des Saanebezirks vom 5.3.1993, mp 1/97, S. 20; vgl. auch BGE 125 III 86: Eine spontane Aufklärung über die eigene Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit ist in der Regel nicht erforderlich.
28 Mietgericht Zürich, 16.3.1995, ZMP 1/95 Nr. 2.
29 Vgl. dazu Auszug aus Urteil des Bundesgerichts 4C.225/2004, MRA 3/05, S. 142.
30 Urteil des Bundesgerichts 4A_268/2009, mp 2/10, S.116 ff.
31 Vgl. auch Peter Higi, Zürcher Kommentar, Zürich 1994, N 7 zu Art. 253–274g OR.
32 Gemäss Schmidlin kann ein erheblicher Informationsvorsprung rasch zur Täuschung führen, wenn er nicht ausgeglichen wird (N 40 zu Art. 28 OR).
33 So auch Monika Sommer, MRA, 3/05, S. 145.
34 Vgl. dazu: Richard Püntener, Der Vertrauensschutz bei der Mietzins- und Nebenkostengestaltung, mp 1/06, S. 1 ff., insbesondere S. 15; Anita Thanei, mp 4/05, S. 232 ff., Rolf H. Weber, N 2a zu Art. 257b OR mit diversen Zitaten, in: Berner Kommentar, Bern 2007.
35 Mietrecht für die Praxis, 8. Auflage 2009, Lachat / Béguin, S. 246 f.
36 Vgl. dazu auch allgemeine Ausführungen zur Aufklärungspflicht in: Schmidlin, a.a.O., N 34 ff. zu Art. 28 OR.
37 BGE 129 III 320, insbesondere E.7.1, wo das Bundesgericht Art. 320 Abs. 3 OR auf alle Dauerschuldverhältnisse für anwendbar erklärt; BGE 137 III 243; Mietgericht Zürich, Urteil vom 20.10.94, ZMP 3/94 Nr. 24; a. M. Mietrecht für die Praxis, 9. Auflage, Lachat / Wyttenbach, S. 118: Auflösung ex tunc.
38 BGE 130 III 49 E.3.2., S. 56, mit Hinweisen.
39 Sowohl Schwenzer, a.a.O., N 18 zu Art. 28 OR, als auch Schmidlin, a.a.O., N 89 zu Art. 28 OR.
40 Schwenzer, a.a.O., N 18 zu Art. 28.
41 ZMP, 1995, Nr. 12.