Nur die bisherigen Amtsgerichtspräsidenten stehen im Kanton Solothurn im ersten Wahlgang zur Wahl. So will es § 45 des Gesetzes über die politischen Rechte des Kantons Solothurn (GpR): «Liegt für Stellen mit besonderen Wählbarkeitsvoraussetzungen keine Demission vor, unterbleiben die Ausschreibung und das Anmeldeverfahren für den ersten Wahlgang. Teilnahmeberechtigt ist einzig der bisherige Stelleninhaber.»
Das Bundesgericht hält diese Bestimmung für unproblematisch, wie es im Entscheid 1C_88/2017 vom 30. März 2017 feststellte. Die Professorinnen Denise Buser der Uni Basel und Astrid Epiney der Uni Freiburg sowie der St. Galler Professor Benjamin Schindler stimmten dem höchstrichterlichen Entscheid zu (
plädoyer 4/17).
Kritik übt nun aber Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der Uni Basel. In einem gemeinsam mit Assistent Lukas Schaub verfassten Artikel hält Schefer fest, Gleichheit im Bereich der politischen Rechte sei Grundvoraussetzung legitimer demokratischer Verfahren und Entscheide (Jusletter vom 25. September 2017): «Die gleiche Massgeblichkeit aller Menschen ist der zentrale normative Massstab für die weitere, konkrete Ausgestaltung demokratischer Verfahren gesellschaftlicher Willens- und Entscheidbildung.» Laut Schefer ist anerkannt, dass die Garantie politischer Gleichheit nach Artikel 34 der Bundesverfassung (BV) der kantonalen Organisationsautonomie im Bereich der politischen Rechte Grenzen setze. «Die besonders strenge Ausgestaltung politischer Gleichheit äussert sich etwa darin, dass föderalistisch begründete Zurückhaltung, wie sie das Bundesgericht gegenüber dem kantonalen Gesetzgeber im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes übt, hier nicht zum Tragen kommt.»
Strenge Anforderungen der Bundesverfassung
Entsprechend wende das Bundesgericht bei der Überprüfung kantonaler Ungleichbehandlungen im Bereich von Artikel 34 BV einen erhöhten Prüfungsmassstab an. Es halte fest, dass «nur einzelne wenige spezifische Elemente im Bereich der politischen Rechte eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen» könnten. So habe das Gericht in jüngerer Zeit die Anforderungen an natürliche und direkte Quoren im Rahmen von Proporzwahlen der kantonalen Legislative merklich verschärft. Es lasse die Majorzwahl nur noch unter engen Voraussetzungen zu.
Schefer verlangt einen solch strengen Prüfungsmassstab auch für den Solothurner Fall. «Die durch Artikel 34 BV garantierte politische Gleichheit ist nicht auf das aktive Wahlrecht beschränkt, sondern umfasst auch die Gleichheit des passiven Wahlrechts bzw. der Amtsfähigkeit aller Stimmberechtigten.»
Der Basler Staatsrechtler kritisiert vor diesem Hintergrund die Solothurner Regelung deutlich: «Die Bestimmung schmälert die Wahlchancen neuer Kandidaten gegenüber den bisherigen systematisch.» Damit greife § 45 GpR in schwerwiegender Weise in die Garantie der Gleichheit des passiven Wahlrechts ein.
Schefer hält das von § 45 GpR verfolgte Interesse für legitim – die Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit. Ob es die entgegenstehenden Interessen an der Gewährleistung politischer Gleichheit überwiege, habe das Bundesgericht aber nicht geprüft. Statt die erforderliche eingehende Verhältnismässigkeitsprüfung vorzunehmen, belasse es das Bundesgericht «bei einem wenig differenzierten Verweis auf die kantonale Organisationsautonomie».
Schefer vermisst eine sorgfältige Evaluation alternativer Wahlmodi. Die richterliche Unabhängigkeit könnte etwa dadurch gestärkt werden, dass die Wiederwahl zwar ermöglicht, die Amtsdauer aber verlängert würde oder dass die Wahl einmalig auf eine feste Amtsdauer erfolgt. In diesen Szenarien könnte der Kandidatenkreis von Beginn weg offen bleiben und dadurch die politische Gleichheit gewahrt werden, ohne dass die richterliche Unabhängigkeit übermässig beeinträchtigt würde.