Zulässiger Zwang gegen verweigerte Zahlung der TV-Empfangsgebühren
Das in Italien – wie in vielen anderen europäischen Staaten – praktizierte System der Pflicht zur Bezahlung von Gebühren für den Fernsehempfang verstösst nicht gegen die Freiheit des Empfangs von Informationen (Art. 10 EMRK). Der Gerichtshof bezeichnete die Beschwerde eines italienischen Fernsehkonsumenten, der sich nach eigener Darstellung keine Sendungen des öffentlich-rechtlichen Veranstalters Rai anschaut, mehrheitlich als offensichtlich unbegründet.
Wegen seiner Weigerung zur Bezahlung der gesetzlich geschuldeten Empfangsgebühren versiegelte die zuständige Behörde seinen Fernsehapparat mit einem Nylonsack. Dieses Vorgehen beschränkte zwar den freien Informationszugang, das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) und die Eigentumsgarantie (Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK). Die Voraussetzungen für einen Eingriff in die erwähnten Menschenrechte waren aber gegeben. Die Zwangsmassnahme war gesetzlich vorgesehen, diente dem legitimen Ziel des Kampfs gegen die Gebührenverweigerung und war auch verhältnismässig: Die Abgabe diene der Finanzierung des Service public. Dieser Zweck würde durch ein (hypothetisches) System unterlaufen, das bei ausschliesslichem Empfang privater Programme eine Gebührenfreiheit vorsehe. Darüber hinaus sei die Höhe der Empfangsgebühr in Italien moderat.
(Zulässigkeitsentscheid N° 33/04 «Faccio c. Italien» vom 31. März 2009)
Klagebegehren auf DVD: Gerichtliche Weigerungunbegründet
Aufgrund eines Vertrages mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter «Slovak Radio» bemühte sich das slowakische Unternehmen Lawyer Partners um die Eintreibung von unbezahlten Empfangsgebühren. Im Jahre 2006 gelangte sie in rund 70000 Fällen mit Begehren um den Erlass eines Zahlungsbefehls an verschiedene slowakische Bezirksgerichte. Die Rechtsbegehren wurden auf DVD (mit elektronischer Signatur) eingereicht und mit einem Begleitschreiben versehen. Obwohl die slowakische Zivilprozessordnung seit 2002 die Einreichung elektronischer Eingaben zulässt, verweigerten die Gerichte die Registrierung der Klagen. Als Grund führten sie an, ihnen fehle das zur Bearbeitung der Klagen nötige technische Equipment.
Der EGMR betrachtete dieses Vorgehen einstimmig als Missachtung des menschenrechtlichen Anspruchs auf Zugang zu einem Gericht (Art. 6 EMRK). Die auf DVD eingereichten Informationen hätten in ausgedruckter Form einen Papierberg von mehr als 43 Millionen Seiten verursacht. Unter diesen Umständen habe das Beharren der slowakischen Gerichte auf der Schriftform das Recht der Lawyer Partners auf eine wirksame Klageeinreichung in unverhältnismässiger Weise beschnitten.
(Urteil N° 54252/07 u.a. «Lawyer Partners A.S. c. Slowakei» vom 16. Juni 2009)
Strassburg erweitert Anspruch auf Erschliessung amtlicher Informationen
Der Gerichtshof hat erstmals eine Missachtung des Rechts auf Informationszugang (Art. 10 EMRK) wegen der verweigerten Herausgabe von Dokumenten durch ein staatliches Organ bejaht. Einstimmig hiess der EGMR die Beschwerde einer Nichtregierungsorganisation gut. Sie hatte beim ungarischen Verfassungsgerichtshof die Herausgabe einer Beschwerdeschrift verlangt, die ein Parlamentarier gegen eine Änderung des Strafgesetzbuchs im Drogenbereich eingereicht hatte. Der Verfassungsgerichtshof verweigerte die Herausgabe, weil Rechtsschriften in hängigen Verfahren nur mit Einwilligung des Beschwerdeführers herausgegeben werden können.
Der EGMR hielt fest, zivilgesellschaftliche Organisationen verdienten bei der Sammlung von Informationen wegen ihrer Wächterrolle («social watchdog») einen ähnlich weitreichenden Schutz wie die Medienschaffenden. Die verweigerte Informationsherausgabe bedeutete nach den Worten des EGMR ein administratives Hindernis und kam wegen des Informationsmonopols des Verfassungsgerichts einer Art Zensur gleich. Dafür gab es nach Auffassung des Gerichtshofs keine ausreichende Rechtfertigung. Dass die Herausgabe der Rechtsschrift das Privatleben des Parlamentariers tangieren könnte, schien dem Gerichtshof unwahrscheinlich. Und auch datenschutzrechtliche Überlegungen vermochten in diesem Falle keine Beschränkung des Informationsflusses zu rechtfertigen, denn es wäre für die Meinungsfreiheit fatal, wenn öffentliche Personen die öffentliche Diskussion mit dem Argument einschnüren könnten, ihre Ansichten zu öffentlichen Angelegenheiten seien private Daten, die nur mit ihrer Zustimmung publiziert werden dürften.
Einige Wochen später stellte der Gerichtshof eine erneute Missachtung von Art. 10 EMRK durch eine Informationsverweigerung ungarischer Behörden fest. In diesem zweiten Fall ging es um die Herausgabe bestimmter Dokumente des ungarischen Sicherheitsdienstes, die einem ungarischen Historiker verwehrt worden war. Das zuständige Innenministerium hatte sich über das Urteil der ungarischen Gerichtsbehörden hinweggesetzt, welche 1999 einen Anspruch des Historikers auf Einsicht in die Dokumente bejaht hatten Die Obstruktion des Innenministeriums bezeichnete der Gerichtshof als willkürliche Missachtung innerstaatlichen Rechts und damit als ungesetzliche Beschneidung des Zugangs zu Informationen.
(Urteile N° 37374/05 «Társaság a Szabadságjogokért c. Ungarn» vom 14. April 2009 und N° 31475/05 «Kenedi c. Ungarn» vom 26. Mai 2009)
(FZ)