1. Rechtsgrundlage der Unterhaltspflicht
Im Grundsatz dauert die Unterhaltspflicht der Eltern nur bis zur Volljährigkeit des Kinds (Art. 277 Abs. 1 ZGB). Hat es bis dann aber keine angemessene Ausbildung, haben die Eltern – soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf – für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann (Art. 277 Abs. 2 ZGB).
Nachdem die Zahl der Studieneintritte an den Universitäten in den letzten Jahren zugenommen hat und gleichzeitig auch Berufsmaturität und Fachhochschule bei Lehrabgängern immer beliebter werden, kommt auch dem Volljährigenunterhalt nach Art. 277 Abs. 2 ZGB in der Praxis eine immer wichtigere Bedeutung zu. Sowohl die Frage der «Angemessenheit» einer Ausbildung als auch die Frage der «wirtschaftlichen und persönlichen Zumutbarkeit» auf Seiten der pflichtigen Elternteile sind Kriterien, die in der Praxis zu kontroversen Diskussionen Anlass geben und bezogen auf den Einzelfall beurteilt werden müssen. Auch bei der Beurteilung der Fortdauer der Unterhaltspflicht nach Abbruch und Wiederaufnahme einer Ausbildung spielen sie eine wichtige Rolle.
Junge Leute haben heute eine sehr grosse Freiheit bei der Berufswahl und mitunter auch eine enorme Auswahl an verschiedenen Lehrgängen, Studienrichtungen und Ausbildungsprogrammen. Deshalb endet eine Ausbildung immer öfter zu einem späteren Zeitpunkt – also dann, wenn die Kinder bereits weit über 18 Jahre alt sind. Dann kommt der Volljährigenunterhalt im Sinne von Art. 277 Abs. 2 ZGB zum Tragen.
Da sich die Auswahlpalette vergrössert und die individuellen Bedürfnisse verstärkt haben, dürfte es auch immer öfter vorkommen, dass eine einmal eingeschlagene Richtung sich beispielsweise nach einem Jahr als falsch erweist und dass eine neue Berufswahl getroffen wird. Andere gönnen sich Auszeiten in Form von Sprachaufenthalten oder Weltreisen und setzen ihre Ausbildung erst nachher fort. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, ob und in welchem Ausmass beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen ein Elternteil weiterhin verpflichtet ist, sein Kind gestützt auf Art. 277 Abs. 2 ZGB zu unterstützen.
2. Kriterien des Volljährigenunterhalts
2.1 Angemessene Ausbildung
Was eine angemessene Ausbildung im Sinne des Gesetzes ist, muss jeweils aufgrund des Einzelfalls entschieden werden. So kann beispielsweise ein Lehrabschluss nicht immer per se als angemessene Ausbildung qualifiziert werden. Stellt nämlich der Lehrabschluss im Rahmen eines gesamten Ausbildungskonzeptes nur eine erste Etappe dar, die noch nicht zur selbständigen und selbstfinanzierten Weiterbildung befähigt, ist auch nach dem Lehrabschluss noch Unterhalt gestützt auf Art. 277 Abs. 2 ZGB geschuldet.1
Entscheidend sind dabei auch die individuellen Fähigkeiten des Kindes. Eine Erstausbildung kann unter Umständen nebst einer Grundausbildung auch eine Zusatzausbildung umfassen.2 Grundsätzlich sollte bereits vor Erreichen der Volljährigkeit ein mit den Eltern abgesprochener Ausbildungsplan vorliegen, der zumindest in den Grundzügen zu erkennen gibt, welcher Ausbildungsgrad angestrebt wird.
2.2 Wirtschaftliche und persönliche Zumutbarkeit
Der Gegenstand und der Umfang der Unterhaltspflicht der Eltern ist in Art. 276 ZGB geregelt. Danach wird der Unterhalt durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet (Art. 276 Abs. 1 ZGB). Das Gesetz nennt Unterhalt in Form von Naturalleistungen – Pflege und Erziehung – und in Geld als gleichwertigen Beitrag der Elternteile. Wohnt folglich ein volljähriges Kind nach wie vor bei einem Elternteil, so sind die von diesem Elternteil erbrachten Naturalleistungen zu berücksichtigen. Dabei ist die Intensität beziehungsweise der Umfang der vom Kind bezogenen Naturalleistungen – Benützen von Wohnraum, Essen, Wäsche etc. – zu betrachten.
Einem Elternteil können Unterhaltsleistungen an ein volljähriges Kind, das sich noch in Ausbildung befindet, grundsätzlich nur zugemutet werden, wenn ihm nach Ausrichtung der Unterhaltsleistungen noch ein Einkommen verbleibt, das den (erweiterten) Notbedarf um ungefähr 20 Prozent übersteigt.3 Von der Richtlinie eines Zuschlags von 20 Prozent zum erweiterten Notbedarf kann nach oben oder nach unten abgewichen werden, wenn dies die Umstände des Einzelfalls rechtfertigen.4 Der Prozentzuschlag kann etwa bei nur mehr kurzer Dauer der Unterhaltspflicht oder bei knappen wirtschaftlichen Verhältnissen herabgesetzt oder ganz gestrichen werden.5 In jedem Fall bleibt aber das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners unangetastet. Dementsprechend kann beim Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen auch eine bloss reduzierte Unterhaltspflicht bejaht werden.6
Zu berücksichtigen ist auch die individuelle Fähigkeit des Kindes, teilweise selbst für seinen Unterhalt aufzukommen. So dürfte es – selbstverständlich abhängig von der Art der Ausbildung – meist möglich sein, dass das Kind zumindest einer geringen Teilzeiterwerbstätigkeit nachgeht. Hierbei ist aber auch zu prüfen, ob die Eigenleistung des Kindes nicht durch eine entsprechende Verlängerung des Studiums neutralisiert wird.7
Grundsätzlich hat das volljährige Kind wenn möglich bei den Eltern zu wohnen, um seine eigenen Lebenshaltungskosten möglichst tief zu halten. Vorausgesetzt wird natürlich, dass sich ein Wohnen bei den Eltern mit den Bedürfnissen der Ausbildung beziehungsweise des Studiums vereinbaren lässt. Das Pendeln von Romanshorn an die Universität St. Gallen erachtete das Bundesgericht als zumutbar.8 Ist jedoch angesichts einer gestörten Beziehung eine Rückkehr ins Elternhaus nicht zumutbar, so dürfen dem Kind bei Ausschlagung des Angebotes keine Nachteile entstehen.9
2.3 Höhe des Unterhalts
Die Höhe des Volljährigenunterhalts bemisst sich in erster Linie nach den Bedürfnissen des Kindes sowie der Leistungsfähigkeit der Eltern.10 Dabei ist dem pflichtigen Elternteil – wie erwähnt – das erweiterte Existenzminimum in der Regel zu belassen. Die Kinder haben grundsätzlich einen Anspruch auf das Existenzminimum während der Ausbildungszeit, unter Einbezug der Ausbildungskosten. Da unter Berücksichtigung dieser Kriterien die konkreten Umstände des Einzelfalls massgebend sind, variiert die Höhe des Unterhalts in der Praxis folglich sehr stark.
2.4 Verhältnis zum Unterhalt minderjähriger Kinder
Art. 276a Abs. 1 ZGB bestimmt, dass die Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Kind den anderen familienrechtlichen Unterhaltspflichten vorgehe. Nur in begründeten Fällen kann das Gericht von dieser Regel absehen, insbesondere um eine Benachteiligung des unterhaltsberechtigten volljährigen Kindes zu vermeiden (Art. 276a Abs. 2 ZGB).
Aus diesem Vorrang des Kindesunterhalts folgt, dass bei der Berechnung immer zunächst der Kindesunterhalt – unter Einschluss des Betreuungsunterhalts – festzusetzen ist. Sofern noch Mittel übrig bleiben, sind dann allenfalls in einem weiteren Schritt eheliche oder nacheheliche Unterhaltsbeiträge zuzusprechen.11 Von dieser Regel abweichen können die Gerichte nur, wenn ein begründeter Fall vorliegt, wobei die Konkurrenz zum Volljährigenunterhalt vom Gesetzgeber explizit erwähnt wird. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, unter welchen Umständen die Gerichte hier einen begründeten Fall annehmen. Mit Blick auf das deutsche Recht dürfte im Sinne einer rechtsvergleichenden Betrachtung Art. 276a Abs. 2 ZGB die Bedeutung zukommen, dass der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes bis zur Matura gleichrangig mit demjenigen seiner minderjährigen Geschwister ist.12 Danach wird in der Regel der Grundsatz (Art. 276a Abs. 1 ZGB) zum Tragen kommen und ein Abweichen davon (Art. 276a Abs. 2 ZGB) nur in Ausnahmefällen greifen. Wie streng die Gerichte mit den Anforderungen an einen «begründeten Fall» umgehen, ist derzeit schwer einzuschätzen.
2.5 Prozessuales
Prozessual betrachtet ist in Bezug auf den Abbruch einer Ausbildung Rechtsfrage, ob allfällige Verzögerungen in der Ausbildung verschuldet und die Ausbildung daher noch angemessen ist. Tatfrage sind hingegen der Ausbildungsverlauf und allfällige Beeinträchtigungen, die einer Verzögerung zugrunde liegen. Rechtsfrage ist ferner, ob der Unterhalt zumutbar ist, Tatfrage demgegenüber die Umstände, die das Gericht zum Nachweis der Zumutbarkeit aufführt.13
3. Wahl der Ausbildung
Bei der Wahl der Ausbildung beziehungsweise dem Erstellen eines Ausbildungskonzeptes haben die pflichtigen Elternteile ein Mitspracherecht. Diese Rücksichts- und Mitwirkungspflicht in Ausbildungs- und Unterhaltsbelangen setzt ein einigermassen erspriessliches persönliches Verhältnis voraus, wobei die Konfliktträchtigkeit der Situation zu bedenken ist.14 Es ist ein Ausgleich zwischen den Interessen des Kindes an genügendem Ausbildungsunterhalt und den Interessen des verpflichteten Elternteils, nicht zur blossen Zahlstelle degradiert zu werden, zu finden.15 Volljährigenunterhalt ist aber nicht von einer harmonischen persönlichen Beziehung oder einem funktionierenden Besuchsrecht abhängig.16 Ohnehin ist dieses Zusammenwirken ein längerer, nicht immer gradliniger Prozess, der auf die Wünsche und Leistungserfolge beziehungsweise -misserfolge des Kindes gleicherweise Rücksicht nimmt wie auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten beziehungsweise den Eigenbedarf für eine angemessene Lebensgestaltung der Eltern.17
Mitunter ist fraglich, ob zum Zeitpunkt des Erreichens des 18. Lebensjahres bereits ein vollständiger «Ausbildungsplan» zwischen dem Kind und seinen Eltern abgesprochen ist. Meines Erachtens sollte dem Kriterium des Absprechens eines «Ausbildungsplanes» zwischen dem pflichtigen Elternteil und dem anspruchstellenden Kind kein allzu grosses Gewicht beigemessen werden. Die Gerichte müssen sich nämlich fast ausschliesslich in den Fällen mit Art. 277 Abs. 2 ZGB befassen, in denen das Verhältnis zwischen anspruchstellendem Kind und pflichtigem Elternteil – meist aufgrund einer Scheidung der Eltern beziehungsweise Spannungsverhältnissen zwischen den Eltern – stark belastet ist. Dass in diesen Fällen auch der «Ausbildungsplan» in aller Regel nicht lückenlos mit dem pflichtigen Elternteil besprochen ist, liegt auf der Hand. Wichtig sollte bei der Wahl der Ausbildung daher insbesondere sein, dass das Kind für die von ihm gewählte Ausbildung geeignet ist und diese mit einer gewissen Ernsthaftigkeit verfolgt. Wählt das Kind eine seinen Fähigkeiten entsprechende Ausbildung, die es mit Zielstrebigkeit angeht, so darf für das «Mitspracherecht» des pflichtigen Elternteils die Wahl der Ausbildung betreffend – wenn überhaupt – nur wenig Raum bleiben.
Das Mitspracherecht der Eltern bildet gleichzeitig auch Teil der persönlichen Zumutbarkeit. Eltern und Kinder schulden einander allen Beistand, sind einander alle Rücksicht und Achtung schuldig, die das Wohl der Gemeinschaft erfordert (Art. 272 ZGB). Eine Verletzung dieser Pflicht durch das Kind kann die Zahlung von Volljährigenunterhalt unzumutbar machen. Voraussetzung dafür ist aber, dass das Kind schuldhaft seinen Pflichten gegenüber der Familie nicht nachkommt, mitunter bewusst und ohne Grund die persönlichen Beziehungen abbricht und ihm sein Fehlverhalten subjektiv zum Vorwurf gemacht werden kann.18 Das Bundesgericht hat die Hürden, die zur Unzumutbarkeit des Volljährigenunterhalts im Rahmen des Abbruchs der persönlichen Beziehung zwischen Kind und Eltern führen, mit besagtem Entscheid zu Recht sehr hoch gesteckt.
4. Dauer der Ausbildung
Eine zeitliche Befristung des Volljährigenunterhaltes sieht das Gesetz nicht vor. Das Alter des Kindes spielt aber bei der Zumutbarkeit für den pflichtigen Elternteil eine grosse Rolle. So hielt das Bundesgericht fest, dass dem Alter des Kindes unter Umständen sogar eine ausschlaggebende Bedeutung zukommen könne. Je jünger ein Kind sei, desto mehr sei es auf Ausbildungsunterhalt angewiesen, aber auch umso weniger dazu fähig, von traumatisierenden Erfahrungen in der Kind-Eltern-Beziehung Abstand zu gewinnen. Entsprechend höhere Anforderungen seien daher an die Einrede der Unzumutbarkeit eines sich darauf berufenden Elternteils zu stellen.
Entsprechend umgekehrt verhält es sich bei zunehmendem Alter des Kindes.19 Zu berücksichtigen wird aber auch sein, weshalb das Kind in einem fortgeschritteneren Alter überhaupt noch auf Volljährigenunterhalt angewiesen ist. Hier ist insbesondere an persönliche Umstände zu denken – zum Beispiel an eine Krankheit.
5. Abbruch einer Ausbildung
Es gibt verschiedene Gründe, die beim Kind zu einem Abbruch der Ausbildung führen können. Die Frage, ob nach einem Abbruch einer einmal begonnenen Ausbildung die Leistungspflicht der Eltern gestützt auf Art. 277 Abs. 2 ZGB fortbesteht oder nicht, hängt im Wesentlichen auch damit zusammen, aus welchen Gründen das Kind sich für eine andere Ausbildung entscheidet.
Wenn das Kind die Ausbildung abbricht und keine anderweitige Ausbildung aufnimmt, endet die Unterhaltspflicht der Eltern. Anders verhält es sich aber – je nach Fallkonstellation – bei Abbruch und Wiederaufnahme einer Ausbildung.
5.1 Gründe für Unterbruch, Wiederaufnahme
Wird die Ausbildung unterbrochen, so kommt es in erster Linie auf den Grad des Selbstverschuldens an, wobei die übrigen Kriterien hinsichtlich des Volljährigenunterhalts – Alter des Kindes, individueller Ausbildungsplan auf die Fähigkeiten des Kindes abgestimmt, persönliche und wirtschaftliche Zumutbarkeit auf Seiten des pflichtigen Elternteils bei der Beurteilung der Fortdauer der Unterhaltspflicht gestützt auf Art. 277 Abs. 2 ZGB weiterhin anzuwenden sind.
Leidet das Kind beispielsweise an einer Krankheit und muss es aus diesem Grund seine Ausbildung unterbrechen, so dauert die Pflicht der Eltern im Sinne von Art. 277 Abs. 2 ZGB in aller Regel fort.
Schwieriger gestaltet sich die Frage der Fortdauer der Unterhaltspflicht, wenn das Kind seine Ausbildung abbricht, weil es feststellt, dass sie nicht seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten entspricht. In diesem Falle dürfte im Wesentlichen im Zentrum stehen, wie gut der ursprüngliche Ausbildungsplan gewählt und wie lange die abgebrochene Ausbildung bereits verfolgt wurde. So dürfte ein universitärer Studienwechsel nach einem Jahr in der Regel die Pflicht der Eltern im Sinne von Art. 277 Abs. 2 ZGB noch nicht beenden. Wurde das Studium aber bereits zwei bis drei Jahre verfolgt und kommt es erst dann – aufgrund der Erkenntnis, dass das gewählte Studium nicht den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes entspricht – zu einem Abbruch, so müsste das Kind damit rechnen, dass die Eltern nicht weiter verpflichtet sind, Unterhalt zu leisten.
Bei Unterbrüchen sind wiederum der Grund des Unterbruchs und die Art der Auszeit von zentraler Bedeutung. Erfolgt ein Unterbruch zur Erholung des Kindes, sei dies aufgrund einer Krankheit oder präventiv zur Verhinderung einer Erschöpfung, so dauert die Unterhaltspflicht in der Regel fort. Wird die Auszeit im Rahmen oder zur Ergänzung des Ausbildungsplanes eingesetzt – zum Beispiel Sprachaufenthalt, Praktika, humanitäre Einsätze etc. – so dauert die Unterhaltspflicht ebenfalls fort, wobei in diesem Fall dem Kriterium des (detaillierten) Ausbildungskonzeptes wiederum vermehrt Bedeutung zukommen dürfte und die Auszeit in einem gewissen Konnex zur gewählten Ausbildung stehen muss. Wird während der Ausbildung eine Auszeit eingesetzt, um einer Freizeitbeschäftigung – etwa einer Weltreise – nachzugehen, so dürfte die Unterhaltspflicht für diese Dauer in der Regel stillstehen, sofern das Kind seine Ausbildung in der Folge zielstrebig weiterverfolgt.
Wird die Ausbildung ohne jeglichen Grund unterbrochen – etwa aufgrund mangelnden Interesses, Faulheit, eines Stimmungswechsels etc. – und entscheidet sich das Kind in der Folge zur Fortführung einer anderen Ausbildung, so endet in der Regel die Unterhaltspflicht im Sinne von Art. 277 Abs. 2 ZGB.
Gerichtspraxis bei Unterbrüchen
Die Gründe für einen Abbruch und eine Wiederaufnahme einer Ausbildung sind vielseitig und vor allem auch sehr individuell. Umso schwieriger ist in der Praxis der Umgang mit Art. 277 Abs. 2 ZGB. Grundsätzlich gelten die von Lehre und Rechtsprechung zitierten Kriterien.
Angesichts der heutigen Fülle an Ausbildungsangeboten und des Umstandes, dass die Bedürfnisse des Einzelnen in der heutigen Gesellschaft stärker in den Vordergrund gerückt sind, darf aber ein einmaliger Abbruch und die Wiederaufnahme einer anderen Ausbildung nicht dazu führen, dass die Unterhaltspflicht der Eltern im Sinne von Art. 277 Abs. 2 ZGB endet, sofern der Abbruch und die Wiederaufnahme der Ausbildung aufgrund einer vorgängig nicht richtig gewählten Ausbildungsrichtung erfolgen. Dem Kind sollte zumindest die Möglichkeit offenstehen, seine Bedürfnisse und Fähigkeiten im Rahmen des Beginns einer Ausbildung zu prüfen, um in der Folge Anpassungen an seinem Ausbildungskonzept vorzunehmen.
So hielt auch das Bundesgericht fest, dass der Abbruch einer Lehre aus Gründen, die nicht auf mangelnden Willen zurückzuführen sind, den Anspruch auf Volljährigenunterhalt während einer zweiten Ausbildung nicht unbedingt erlöschen lässt.20 Und das Zürcher Obergericht bestätigte mit Verweis auf das zitierte Bundesgerichtsurteil, dass ein nicht schuldhafter Abbruch der Ausbildung oder eine Neuorientierung die Unterhaltspflicht nicht erlöschen, sondern lediglich ruhen lasse.21 Dem ist zuzustimmen.
Abgesehen von den eher klaren Fällen wie Krankheit (Fortdauer) beziehungsweise grundloser Abbruch (keine Fortdauer) ist aber in jedem Fall eine sehr genaue und auf den Einzelfall bezogene Abwägung sämtlicher Kriterien erforderlich, wobei je nach Grund und Zeitpunkt des Abbruchs der Ausbildung einzelnen Kriterien grösseres Gewicht beigemessen werden sollte. So darf beispielsweise bei Krankheit das Alter des Kindes keine allzu grosse Rolle spielen, bei Auszeiten ist wiederum das detaillierte Ausbildungskonzept beziehungsweise der Konnex zur Ausbildung stärker zu gewichten, bei spät erfolgtem Abbruch der Ausbildung ist den persönlichen Gründen für den Abbruch und der persönlichen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit auf Seiten des pflichtigen Elternteils grösseres Gewicht beizumessen.
Alexandra Rumo-Jungo, «Unterhalt für mündige Kinder: aktuelle Fragen», in: Recht – Zeitschrift für juristische Weiterbildung und Praxis, 2010, S. 69 ff. mit weiteren Verweisen.
BGer 5P.463/1997 vom 27.1.1998, in: plädoyer 3/98, S. 61 ff.
Rumo-Jungo, a.a.O., S. 69 ff. mit Verweis unter anderem auf BGE 118 II 97, E. 4b sowie E. 4aa und BGer 5P.280/2002 vom 7.10.2002, E. 2.4.
Rumo-Jungo, a.a.O., S. 69 ff. mit Verweis auf BGE 118 II 97, E. 4 und BGer 5C.5/2003 vom 8.5.2003, E. 3.4 = Fampra.ch 4/03, S. 965.
Rumo-Jungo, a.a.O., S. 69 ff.
mit Verweis auf BGer 5C.238/2003 vom 27.1.2004, E. 2.1 =
Fampra.ch 5/04, S. 426.
Rumo-Jungo, a.a.O., S. 69 ff. mit Verweis auf BGer 5P.280/2002 vom 7.10.2002, E. 2.3 = Fampra.ch 4/03, S. 205 und BGer 5C.238/2003 vom 27.1.2004 = Fampra.ch 5/04, S. 426.
Rumo-Jungo, a.a.O., S. 69 ff.
BGer 5A_481/2016 vom 2.9.2016, E. 2.2.2.
BGE 111 II 413, E. 5.
BGE 135 III 66, E. 4.
Stephan Hartmann, «Betreuungsunterhalt – Überlegungen zur Methode der Unterhaltsbemessung», in: ZBJV 2/17, S. 85 ff.
Martin Menne, «Brennpunkte des Unterhaltsrechts – aktuelle Entwicklungen im deutschen Familienrecht vor dem Hintergrund der in der Schweiz anstehenden Revision des Kindesunterhaltsrechts», in: Fampra.ch 15/14, S. 525 ff.
BGer 5A_779/2016 vom 27.3.2017, E. 3 mit weiteren Verweisen.
Peter Breitschmid, Art. 277 N 18, in: Heinrich Honsell / Nedim Peter Vogt / Thomas Geiser (Hrsg.),
Basler Kommentar Zivilgesetzbuch I, 5. Aufl., Basel 2014.
Hierzu BGE 129 III 375, E. 4.2.
Breitschmid, a.a.O., Art. 277 N 19.
Heinz Hausheer / Annette Spycher, Handbuch des Unterhaltsrechts, 2. Aufl., Bern 2010, N 06.88
mit Verweis auf BGer 5C.205/2004 vom 8.11.2004 und BGE 127 I 202.
BGer 5A_442/2016 vom 7.2.2017, E. 4.1 mit weiteren Hinweisen und Verweisen.
BGE 129 III 375, E. 3.4.
BGer 5A_563/2008 vom 4.12.2008, in: Fampra.ch 2/09, S. 520.
Urteil RT160113 des Obergerichts des Kantons Zürich, E. 3.4.2.