Im Sommer 2015 gingen die chinesischen Behörden mit grosser Härte gegen unabhängige Anwältinnen und Anwälte vor. Sie verhafteten Dutzende allein ­deshalb, weil sie Mandate von Regimekritikern angenommen hatten. Seither hält die Repression unvermindert an. Ein Opfer ist der in China sehr bekannte Menschenrechtsanwalt Gao Zhisheng. Er war bereits früher jahrelang in Haft, weil er sich für Gewissens­gefangene einsetzte und die willkürliche Repression in China öffentlich anklagte. 2014 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Anschliessend musste er unter strenger Bewachung bei seinem Bruder in ­einem abgelegenen Dorf in der Provinz Shaanxi leben. 

2016 beschrieb Gao in einem Buch über Folter, ­Misshandlung und Haftbedingungen auch die Lebens­umstände nach seiner Haftentlassung. So hatten es ihm die Behörden unter anderem untersagt, sein Dorf zur medizinischen Behandlung zu verlassen.

Am 13. August 2017 wurde Gao wieder von der Polizei aus seiner Wohnung abgeführt. Seither fehlt von ihm jede Spur. Seinen Verwandten wurde drei Wochen später mitgeteilt, er sei nach Peking ­gebracht worden. Reporter von Radio Free Asia ­erhielten dagegen die Information, er befinde sich in Gewahrsam der Behörden in seiner Heimatregion. Bis heute haben seine Familienangehörigen weder weitere Informationen noch eine Bestätigung der ­Inhaftierung erhalten. Es wurde weder formell Anklage erhoben noch ein Gerichtsverfahren eingeleitet. 

Gao befand sich bereits 2010 und 2011 in einer ähnlichen Lage. Er galt für 20 Monate als ­ver­­schwunden. Damals wurde er eigenen Angaben zufolge wiederholt gefoltert. Amnesty International befürchtet, dass ihm auch jetzt wieder Folter droht. Die Menschenrechtsorganisation hat im April 2019 eine weltweite Urgent Action lanciert, in der die chinesischen Behörden dringend aufgefordert werden, den Aufenthaltsort Gaos bekannt zu geben und ihn umgehend freizulassen.