Lesen und Wandern – das dominiert heute den Alltag des früheren Bundesrichters Franz Nyffeler. Er war 1995 auf Vorschlag der «damaligen und noch nicht polemischen» SVP, so Nyffeler, zum 180. Mitglied des Bundesgerichts gewählt ­worden. Bis 2006 lebte und arbeitete er in Lausanne. 

Der heute 80-Jährige war als oberster Richter für unkonventionelle Massnahmen zur Effizienzsteigerung bekannt. Seine Vorliebe für Vergleiche, Mediation und Vermittlung gründe auf der Erkenntnis, dass den «Parteien mit einem Entscheid innert drei Monaten mehr geholfen ist als mit einer klugen Abhandlung nach einem Jahr», sagt Nyffeler lachend. Heute liege das alles sehr weit zurück. «Ab dem Tag meiner Pensionierung bewegte sich mein Interesse weg von der juristischen Literatur, hin zu den schönen Künsten.» Nyffeler zog für sechs Monate nach Rom und lebte nahe der Piazza Navona mitten in der Stadt. Angetan hatten es ihm vor allem Kirchen aus der Barockzeit und Gemälde von Caravaggio. «Prompt war ich von Restaurants, Ateliers, Kirchen und lebensfrohen Menschen um­geben. Eine unglaubliche Erfahrung. Genau das ­Richtige und zur richtigen Zeit.» Die Angst, nach der Karriere in ein Loch zu fallen, sei gross gewesen.

Während der Pandemie verbrachten Nyffeler und seine Frau viel Zeit im Ferienhaus am Murtensee. Der Jurist ist froh, dass alle Nachkommen beruflich künstlerisch tätig sind. «Jurisprudenz ist zu sehr auf Spezialisierung fokussiert. Es verengt die Sicht!» Er habe sich immer dagegen gewehrt. Seine Karriere bestätigt das: Zuerst war er Unternehmensjurist, dann Anwalt mit Kanzlei in Aarau, wo er heute noch lebt. Später präsidierte er das Aargauer Handels­gericht. «Lebenserfahrung! Das ist die wichtigste Kompetenz, die ein Bundesrichter mitbringen sollte», konstatiert Nyffeler und rezitiert Lessing, sein ­Lieblingsgedicht: «Gestern liebt’ ich, heute leid’ ich, ­morgen sterb’ ich: Dennoch denk’ ich heut und ­morgen gern an gestern.»