1. Unterschiedliche Adäquanzbeurteilung
Kann die beim Unfallversicherungsgesetz (UVG) geltende Adäquanzpraxis (Einteilung in leichte, mittlere und schwere Unfälle; Adäquanzbejahung bei mittleren Unfällen nur mit zusätzlichen Adäquanzkriterien) für Distorsionsverletzungen der Halswirbelsäule (HWS) und Schädel-Hirn-Traumen auch im Haftpflichtrecht analog angewendet werden? Am 12. September 2003 wurde R.T. unverschuldet in einen Auffahrunfall verwickelt. Als Folge davon leidet der heute 39-Jährige gemäss medizinischem Gutachten dauernd an Nacken- und Schulterbeschwerden, die zu einer medizinisch-theoretischen Invalidität von zehn Prozent führten.1
Die Zürich Versicherung als Motorfahrzeughaftpflichtversicherung des Unfallverursachers lehnte Schadenersatzansprüche ab. Sie berief sich auf den Bagatellcharakter des Ereignisses und verneinte daher den adäquaten Kausalzusammenhang. Mit dieser Argumentation hatte die Versicherung beim Bezirksgericht Zürich und beim Obergericht Erfolg: Beide Gerichte wandten die Adäquanzpraxis der sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung an.
Bei dem gemäss Obergericht im mittleren Bereich anzusiedelnden Unfall waren keine objektiv erfassbaren Umstände (sogenannte Adäquanzkriterien) wie lange Arbeitsunfähigkeit, lange Behandlungsdauer, besondere Eindrücklichkeit des Unfallereignisses, schwieriger Heilungsverlauf und lange belastende ärztliche Behandlung ersichtlich, geschweige denn, dass mindestens vier Kriterien, wie es die sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts bei solchen Unfallgeschehen verlangt, erfüllt gewesen wären. Wegen fehlender Adäquanz wies das Obergericht die Klage ab.
Auf Beschwerde hin erinnert nun das Bundesgericht im Entscheid an seine bisherige Rechtsprechung, wonach auch der rechtspolitischen Zielsetzung der im konkreten Fall anwendbaren Normen Rechnung zu tragen sei. Eine schematische Übernahme sozialversicherungsrechtlicher Kriterien ins Haftpflichtrecht unbesehen der Unterschiede würde dem Zweck, im Einzelfall eine billige, eben «adäquate» Zurechnungsentscheidung zu fällen, zuwiderlaufen. Wie bereits in BGE 123 III 110 Erwägung 3.a und b festgestellt, könne daher die Abgrenzung adäquater Unfallfolgen von inadäquaten im Haftpflicht- und im Sozialversicherungsrecht unterschiedlich ausfallen. Haftpflichtrechtlich genüge es, dass der Schädiger eine Schadensursache gesetzt habe, ohne die es nicht zum Schaden gekommen wäre.
Das Bundesgericht hält fest, der Beschwerdeführer beanstande zu Recht, dass das Obergericht den adäquaten Kausalzusammenhang ausgehend von der Schwere des Unfallereignisses anhand von sozialversicherungsrechtlichen Kriterien beurteilt hätte. Aus haftpflichtrechtlicher Sicht sei richtigerweise zu fragen, ob das Unfallereignis vom 12. September 2003 nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet sei, die eingetretenen Beschwerden herbeizuführen. Dies sei entgegen der Vorinstanz zu bejahen. Auch die nur geringe unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit von unter zehn Prozent habe keinen Einfluss auf die Adäquanzbeurteilung, dies sei einzig im Rahmen des Schadenersatzes zu beurteilen. Darüber muss nun das Obergericht Zürich erneut entscheiden.
Schleudertraumapatienten und die Versicherungswirtschaft warteten lange auf ein klärendes Urteil des Bundesgerichtes zur Adäquanzfrage. Zwar hatte der bundesgerichtliche Leitentscheid von BGE 123 III 110 ff., der die «Zweiteilung» der Adäquanz im Haftpflicht- und Sozialversicherungsrecht bestätigt hatte, bis heute Bestand. Das Bundesgericht hatte diese Praxis nie geändert. Die Versicherungswirtschaft pochte aber auf eine Praxisänderung und nahm sie in der alltäglichen Schadenserledigung bereits vorweg. Dies erschwerte den Abschluss aussergerichtlicher Vergleiche nach HWS-Distorsionstraumen massiv.
2. Keine Schlichtung bei Staatshaftung
Auch nach Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) ist bei Staatshaftungsklagen gemäss Haftungsgesetz des Kantons Zürich (HG-ZH) kein Schlichtungsverfahren durchzuführen.2 Im Kanton Zürich werden Staatshaftungsklagen zwar durch das Zivilgericht beurteilt (Art. 19 HG-ZH) und fallen nicht unter die Ausnahmen vom Schlichtungsobligatorium gemäss ZPO 198 und 199. Doch handelt es sich bei Ansprüchen aus Staatshaftungen nicht um zivilrechtliche Ansprüche, sondern um öffentlich-rechtliche. Die ZPO ist auf solche Ansprüche nicht anwendbar (Art. 1 ZPO). Bei Staatshaftungsverfahren kommt die ZPO somit nur aufgrund kantonaler Verweise im Rahmen des Verfahrens vor den Zivilgerichten zur Anwendung. Es ist dem Kanton deshalb möglich, im Bereich der Staatshaftung von der ZPO abweichende Verfahrensregeln vorzusehen. Konsequenz: Gemäss Haftungsgesetz löst die Haftungsablehnung durch das staatliche Organ eine Verwirkungsfrist aus. Mit Einleitung eines Schlichtungsverfahrens wird diese Frist somit nicht gewahrt, es muss direkt beim Zivilgericht geklagt werden.
3. Anwendung des Regelbeweismasses
Strittig war, ob das Schadenereignis überhaupt stattgefunden habe. Das Bundesgericht hält Folgendes fest: Im Haftpflichtrecht gilt für den Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhangs das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.3 Für den Nachweis des haftungsbegründenden Ereignisses ist gemäss Bundesgericht aber vom Regelbeweismass auszugehen.4 Das Bundesgericht hält fest, dass mit dem Nachweis, dass eine Kollision mit Einwirkung auf den Kopf der Beschwerdeführerin stattgefunden habe, noch keine typischen Beweisschwierigkeiten einhergingen. Daher gelte das Regelbeweismass.
4. Gutachten und Parteigutachten
Bei einer Schadenersatzklage wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt die unentgeltliche Prozessführung zufolge Aussichtslosigkeit des Begehrens ab. Das Appellationsgericht stützte sich auf ein durch die Vorinstanz eingeholtes medizinisches Gerichtsgutachten, das die Kausalität verneinte. Im Recht lag zudem ein von der Prozessgegnerin vorprozessual eingeholtes Gutachten, das die Kausalität bejahte. Das Bundesgericht hatte sich mit der Frage der Aussichtslosigkeit zu befassen und hielt im Hinblick auf die freie richterliche Beweiswürdigung Folgendes fest: Wie jedes Beweismittel unterliegen auch Gutachten der freien richterlichen Beweiswürdigung. In Sachfragen weicht der Richter aber nur aus triftigen Gründen von einer gerichtlichen Expertise ab. Die Beweiswürdigung und die Beantwortung der Rechtsfragen ist Aufgabe des Richters. Er hat zu prüfen, ob sich aufgrund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Erscheint ihm die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat er nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben. Dies ist namentlich der Fall, wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen oder Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschüttern.5
Bei der richterlichen Würdigung eines Gerichtsgutachtens kann einem Privatgutachten Bedeutung zukommen. Daran ändert nichts, dass das Bundesgericht ausdrücklich festhält, einem Privatgutachten komme auch unter der Schweizerischen ZPO nicht die Qualität eines Beweismittels zu, sondern es stelle ein blosses Parteivorbringen dar. Das Gericht dürfe daher nicht schlechthin auf die Schlussfolgerungen eines Privatgutachtens abstellen und die Schlussfolgerung des Gerichtsgutachtens übergehen. Der Richter habe bei Zweifeln einen neuen, unabhängigen gerichtlichen Sachverständigen beizuziehen. Ohne eigene Fachkunde dürfe der Richter nicht auf eine bestrittene Parteibehauptung, nämlich das Parteigutachten, abstellen.6 Das Bundesgericht stützte den Aussichtslosigkeitsentscheid des Appellationsgerichts.
5. Haftung für Gefälligkeit
Erklärt sich jemand bereit, die mit dem eigenen Kind spielende Tochter des Nachbarn während der kurzfristigen Abwesenheit beider Elternteile zu hüten, handelt es sich um eine Gefälligkeit und nicht um einen Auftrag. Die Haftung aus Gefälligkeiten misst sich gemäss Bundesgericht nach deliktischen Regeln. Die in der Lehre dagegen vorgebrachte Kritik, die die Haftung auf vertragliche Grundlage stellen möchte, vermöge nicht so zu überzeugen, dass die Praxis geändert werden müsste. Bei der Gefälligkeit gilt, dass der Gefällige dieselbe Sorgfalt aufzuwenden hat, die er auch in eigenen Angelegenheiten beachten würde; entsprechend kann von einer Person, die gefälligkeitshalber ein Nachbarkind beaufsichtigt, keine höhere Sorgfalt verlangt werden, als sie gegenüber den eigenen Kindern aufwenden würde.
Dabei entspricht es der Lebenserfahrung, dass ein mit der Aufsicht beschäftigter Elternteil nicht in regelmässigen Abständen von fünf oder zehn Minuten bewusst nach spielenden Kindern schaut. Es ist also nicht sorgfaltswidrig, wenn die beaufsichtigende Person während 15 Minuten zwei spielende Kinder im Alter von vier und fünf Jahren nicht an ihrem Standort kontrolliert, wenn kein konkreter Anlass besteht, nach den Kindern zu sehen. Entsprechend bestand keine Haftung dafür, dass das eine Kind in einen Bach fiel und schwer geschädigt wurde.7
6. Funktionelle Leistungsfähigkeit
X. hatte sich bei einem Verkehrsunfall als Beifahrerin in einem Personenwagen eine Gehirnerschütterung (Commotio Cerebri) und ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule zugezogen. Bestätigt war, dass sie im Erwerb zu 65 Prozent eingeschränkt blieb. Vor Bundesgericht war der Ersatz für Haushaltschaden strittig.8 Das Obergericht des Kantons Aargau hatte sich auf eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) abgestützt. Diese Gutachter befanden, dass Beschäftigungen über Schulterhöhe und in vorgeneigter Arbeitsposition während drei Stunden pro Tag zumutbar wären, was eine gleichmässigere Verteilung der anfallenden Arbeiten über die Woche bedinge. Dies gelte insbesondere für das Reinigen der Fenster und Storen. Im Haushalt resultierte daher gemäss Gutachten eine Einschränkung von fünf Prozent, die nicht mit einer körperlich objektivierbaren Unfähigkeit zur Ausführung gewisser Bewegungsabläufe, sondern mit dem zeitlichen Mehraufwand begründet wurde.
Das Aargauer Obergericht entschied, dass diese geringe Beeinträchtigung in der Hausarbeitsfähigkeit keine Ersatzpflicht nach Art. 46 OR entstehen lasse, da sie durch zumutbare Massnahmen, namentlich durch zweckmässige Gestaltung der Hausarbeit und Arbeitsteilung kompensierbar sei.
Vor Bundesgericht machte die Beschwerdeführerin geltend, die Einschränkung in der Hausarbeitsfähigkeit sei nicht mit einer EFL bestimmbar. Bei der EFL sei einzig getestet worden, ob die Beschwerdeführerin körperlich in der Lage sei, gewisse Bewegungen auszuführen. Dies sei ihr zwar möglich, aber es sei nicht berücksichtigt worden, dass die getesteten Abläufe zu einer erheblichen Beschwerdezunahme und zu Schwindelgefühlen geführt hätten. Es sei offensichtlich willkürlich, aus diesen «muskulären Befunden» zu schliessen, es sei der Beschwerdeführerin durch den Unfall trotz seitheriger 65-prozentiger Invalidität im Erwerb keinerlei Haushaltschaden entstanden.
Das Bundesgericht hält zur Kritik an der Eignung von EFL-Abklärungen durch medizinische Fachpersonen für die Bestimmung der Hausarbeitsfähigkeit fest, dass in fachlich kontroversen Fragen mit vertretbaren Gründen der einen oder der anderen Ansicht gefolgt werden könne. Eine Verletzung des Willkürverbotes lasse sich damit nicht begründen. Zum Beweiswert der EFL-Abklärung im Haushaltsbereich führt das Bundesgericht aus, dass das umfassende Testverfahren relevante Aussagen zum Leistungsverhalten und zur Konsistenz der versicherten Person ermögliche, wobei eine allfällige beobachtete Symptomausweitung und Selbstlimitierung im Rahmen eines chronifizierten Zustandes für die Bewertung der Zumutbarkeit bedeutsam sein könne. Stehe ein Schmerzsyndrom im Vordergrund, werde eine objektive Evaluation des funktionellen Leistungsvermögens zwar schwieriger, weil die Anstrengung oft durch eine Selbstlimitierung geprägt sei. Auch in solchen Fällen erlaube die EFL eine Quantifizierung der Leistung. Die Annahme des Obergerichts, wonach sich die Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit von den Arbeiten im Haushalt so unterschieden, dass aus der anerkannten Invalidität im Erwerbsbereich nicht auf eine erhebliche Beeinträchtigung im Haushaltsbereich geschlossen werden könne, könne nicht als offensichtlich unhaltbar qualifiziert werden.
Damit ist vorerst einmal erstellt, dass die Abklärung der Beeinträchtigung in der Hausarbeitsfähigkeit durch eine EFL vor dem Willkürverbot standhält. Das Bundesgericht verweist aber ausdrücklich darauf, dass in fachlich kontroversen Fragen mit vertretbaren Gründen auch einer anderen Ansicht gefolgt werden kann. Es ist also nicht in Stein gemeisselt, dass die Feststellung der Beeinträchtigung im Haushalt zwingend eine EFL-Abklärung erfordere. Vor Bundesgericht würde aufgrund der ausdrücklichen Hinweise im referierten Entscheid das Abstellen einer kantonalen Instanz auf ein herkömmliches, durch spezialisierte Haushaltsabklärungspersonen erstelltes Haushaltsgutachten vor dem Willkürverbot offensichtlich ebenfalls standhalten.
7. Legitimation der Privatklägerschaft
Die Erstinstanz hatte den Lenker eines Lieferwagens, der mit einer zwölfjährigen Radfahrerin kollidiert war, wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung schuldig gesprochen. Das Obergericht des Kantons Luzern sprach den Fahrzeuglenker von Schuld und Strafe frei. Die durch den Unfall schwer hirngeschädigte zwölfjährige Radfahrerin führte vor Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Im Zusammenhang mit der Legitimation führte das Bundesgericht Folgendes aus: Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b).
Da der angefochtene Entscheid nach dem 31. Dezember 2010 datiert, beurteilt sich die Frage des rechtlich geschützten Interesses nach der am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Fassung von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG (Art. 132 Abs. 1 BGG). Danach wird der Privatklägerschaft ein rechtlich geschütztes Interesse zuerkannt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Die Beschwerdeführerin hat am kantonalen Verfahren als Privatklägerin teilgenommen. Der Freispruch des Beschwerdegegners kann sich auf ihre Zivilansprüche auswirken (Art. 46, Art. 47 und Art. 53 OR). Auf ihre Beschwerde kann daher eingetreten werden.9
8. Natürlicher Kausalzusammenhang
Das Obergericht Luzern stellt im Urteil fest, dass die Kausalitätsbeurteilung bei länger andauernden Beschwerden ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle neben der möglichst genauen und verifizierbaren Dokumentation des Unfallhergangs eine erste genügende ärztliche Abklärung und darüber hinaus eine eingehende medizinische inter- beziehungsweise polydisziplinäre Abklärung durch Gutachter in einer ersten Phase nach dem Unfall verlange. Mit seinem Urteil vom 19. Februar 200810 habe die sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichtes die Anforderungen an den Nachweis einer natürlich-unfallkausalen Verletzung, welche die Anwendung der Schleudertrauma-Praxis rechtfertige, erhöht, das heiss im Sinne einer Verschärfung präzisiert. Da die natürliche Kausalität im Sozialversicherungsrecht gleich definiert werde wie im Haftpflichtrecht, könne die präzisierte Schleudertraumapraxis, soweit sie sich auf die natürliche Kausalität beziehe, auch in haftpflichtrechtlichen Fällen zur Anwendung gelangen.
Im konkreten Fall konnte das Obergericht die Frage, wie es sich damit verhalte, wenn der Unfall mehrere Jahre (vor dem Urteil des Bundesgerichts vom 19. Februar 2008) zurückliege und die verlangten medizinischen Abklärungen daher nicht mehr nachgeholt werden können, dahingestellt lassen. Das Obergericht verwies indessen ausdrücklich auf eine Erwägung der sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes mit folgendem Wortlaut:11 «Da das Unfallereignis jedoch bereits mehrere Jahre zurückliegt und bis Februar 2008 diese Praxis noch gar nicht bekannt war, kann eine solche Abklärung nicht mehr nachgeholt werden. Dies kann jedoch nicht dem Beschwerdeführer angelastet werden, so dass der natürliche Kausalzusammenhang zwischen den vom Beschwerdeführer geklagten Beschwerden und dem Unfallereignis mit der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin als gegeben zu betrachten ist.»
Ob und inwiefern einem Unfallopfer bei einem vor Februar 2008 erlittenen Unfall die erhöhten Beweisanforderungen an den natürlichen Kausalzusammenhang im Haftpflichtverfahren entgegengehalten werden können, ist bis heute nicht entschieden. Klar ist nur: Eine Anwendung der verschärften Praxis würde das Unfallopfer gegenüber dem Haftpflichtigen in einen Beweisnotstand versetzen.12
9. Schadenverteilung unter Lenkern
Im Urteil vom 9. August 201113 befasste sich das Bundesgericht mit der Schadenverteilung von zwei Motorfahrzeuglenkern, wobei der eine schwer verletzt wurde. Das Auto einer Halterin kollidierte mit einem Scooter. Die Automobilistin wollte links abbiegen, der Scooter-Fahrer das Auto gleichzeitig links überholen. Die Schadenaufteilungsregel von Art. 61 Abs. 1 SVG gelangt zur Anwendung, wenn grundsätzlich beide Halter nach Art. 58 und 59 SVG verantwortlich sind, das heisst, dass keinem Halter der Ausschluss der Halterhaftung zum Beispiel wegen grobem Verschulden des Geschädigten gelingt. Bei der Prüfung der Schadensverteilung in einem solchen Fall ist wie folgt vorzugehen:
z Beide Halter trifft ein Verschulden: Der Schaden wird nach der Schwere des Verschuldens auferlegt, wobei jeder Halter beweisen kann, dass die Betriebsgefahr des anderen stärker ins Gewicht fällt und eine Abweichung von der reinen Massgabe des Verschuldens rechtfertigt.
z Nur einen Halter trifft ein Verschulden: Dieser trägt grundsätzlich den ganzen Schaden, wenn es ihm nicht gelingt, aufgrund der unterschiedlichen Betriebsgefahren eine andere Schadensverteilung durchzusetzen.
z Niemanden trifft ein Verschulden beziehungsweise es kann gegenseitig kein Verschulden des andern bewiesen werden: Die Betriebsgefahren müssen gegeneinander abgewogen werden, wobei sie vermutungsweise gleich schwer sind, was in der Regel zur hälftigen Aufteilung des Schadens führt.
Zur Gewichtung der Betriebsgefahren hat das Bundesgericht im Urteil vom 5. Januar 201214 Folgendes festgestellt: Ob die Betriebsgefahr des einen beteiligten Fahrzeuges diejenige des anderen markant übersteigt, beurteilt sich nicht aufgrund der abstrakten Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie, sondern aufgrund der konkreten Umstände, die den Schaden beeinflusst haben. Es gilt dabei insbesondere der Geschwindigkeit, dem Gewicht und der Stabilität des Fahrzeugs Rechnung zu tragen. Im konkreten Fall hatte der Motorradfahrer einen links abzweigenden Personenwagen überholt und wurde dabei schwer verletzt. Das Auto fuhr bei der Kollision mit einer Geschwindigkeit von 9 km/h, der Motorradfahrer mit 80 bis 85 km/h.
Das Bundesgericht befand, dass die Betriebsgefahr des Motorrades ausnahmsweise als höher zu beurteilen sei als jene des Autos, weil das Motorrad neunmal so schnell unterwegs gewesen sei wie das Auto. Die Schadenersatzklage des schwer verletzten Motorradfahrers wurde daher abgewiesen.