Staats-/Verwaltungsrecht
Die im Vorfeld der Abstimmung über das Nachrichtendienstgesetz von den Ostschweizer Justiz- und Polizeidirektoren veröffentlichte Medienmitteilung verletzte die Abstimmungsfreiheit. Ziel des Nachrichtendienstes ist die Verhinderung von terroristischen Anschlägen auf publikumsintensive Grossanlässe und stark frequentierte Verkehrsinfrastrukturen. In diesem Bereich sind die Ostschweizer Kantone nicht besonders betroffen. Angesichts des klaren Ergebnisses wird die Abstimmung nicht aufgehoben.
1C_455/2016 vom 14.12.2016
Die Zürcher Justiz hat bei einer Frau aus Nigeria zu Recht einen nachehelichen Härtefall verneint und ihr die Niederlassungsbewilligung entzogen. Die Frau war mit einem Schweizer verheiratet, unterhielt aber eine vor den Behörden verheimlichte Parallelbeziehung mit einem Landsmann, aus der zwei aussereheliche Kinder hervorgingen. Obwohl der leibliche Vater der beiden Kinder eine Niederlassungsbewilligung hat, muss die Mutter mit den beiden Kindern die Schweiz verlassen; sie ist beruflich wenig integriert und seit Jahren von der Sozialhilfe abhängig; die Rückkehr in die Heimat ist zumutbar.
2C_27/2016 vom 17.11.2016
Ein Seegrundstück im Weiler Seestatt (Gemeinde Altendorf) darf nicht mit einem neuen Wohnhaus überbaut werden. Der Weiler liegt am Seeufer und wird durch die Bahnlinie und einen Grüngürtel vom Hauptsiedlungsbereich Altendorfs getrennt. Insofern handelt es sich nicht um einen Entwicklungsschwerpunkt, sondern um peripher gelegenes Gebiet. Zwar ist der Weiler selbst dicht überbaut; das Land entlang dem Gewässer aber nicht. Eine Ausnahmebewilligung, unter Nichteinhaltung des Gewässerabstandes ein Haus zu erstellen, kann nicht erteilt werden. Damit bestätigt das Bundesgericht seine strenge Rechtsprechung zum Begriff «dicht überbaut».
1C_558/2015 vom 30.11.2016
Unternehmen sind verpflichtet, den Kontrollorganen zum Schutz vor Sozial- und Lohndumping – sog. tripartite Kommissionen – Unterlagen wie Lohn- oder Arbeitszeitrapporte sowie Arbeitsverträge herauszugeben. Ihnen bloss in den Firmenräumlichkeiten Einblick in die Dokumente zu geben, reicht – entgegen dem Zürcher Verwaltungsgericht – nicht aus. Der Gesetzgeber hatte nicht die Absicht, die Kontrolle auf eine blosse Einsichtnahme zu beschränken.
2C_625/2016 vom 12.12.2016
Ist ein Kanton seiner seit Jahrzehnten bestehenden Pflicht, für erhebliche Vorteile bei Einzonungen Mehrwertabgaben zu erheben, nicht nachgekommen, können Gemeinden die Lücke füllen. Das Bundesgericht hat eine Autonomiebeschwerde der Gemeinde Münchenstein (BL) gutgeheissen, nachdem der Kanton Basel-Landschaft eine entsprechende Bestimmung im Zonenreglement der Gemeinde aufhob. Die lokale Bedeutung kann der Mehrwertabgabe nicht mit dem Argument abgesprochen werden, dass eine solche Aufgabe sinnvollerweise auf kantonaler Ebene wahrzunehmen wäre.
2C_886/2015 vom 16.11.2016
Zivilrecht
Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) des Kantons Thurgau kann begründete und bindende Entscheide über eine konkrete Streitfrage – hier: die Entlassung aus einer psychiatrischen Klinik – fällen. Die Thurgauer Kesb ist gegenüber andern Behörden und den Parteien unabhängig und in der Rechtsprechung nicht weisungsgebunden. Sie ist somit ein Gericht im Sinne von Art. 30 BV. Die Regelung, wonach erst die Kesb und dann das Obergericht in solchen Fällen entscheiden, ist nicht bundesrechtswidrig.
5A_738/2016 vom 17.11.2016
Neue Vorbringen in einem Streit um Eheschutzmassnahmen, mit denen geänderte Verhältnisse belegt werden, dürfen nicht einfach in das Abänderungsverfahren (Art. 129 ZGB) verwiesen werden. Sie sind im Rahmen der Berufung gegen das Scheidungsurteil bzw. das Abänderungsverfahren zu prüfen und zu berücksichtigen, soweit sie sich nach Art. 317 ZPO Abs. 1 als zulässig erweisen. Konkret ging es um einen Ehemann, der gegen erstinstanzlich verfügte Unterhaltszahlungen Berufung einreichte und wegen Arbeitslosigkeit eine Herabsetzung der Zahlungen forderte.
5A_819/2015 vom 24.11.2016
Strafrecht
Die Rechtsprechung, wonach in Fällen, in denen eine ambulante Massnahme unter Aufschub des Strafvollzugs als aussichtslos aufgehoben worden ist, nur noch der Vollzug der Strafe beziehungsweise eine stationäre Massnahme in Frage kommt, ist überholt. Sie widerspricht dem Grundsatz, dass Massnahmen flexibel, einzelfall- und situationsgerecht angeordnet und geändert werden können. Nach Aufhebung einer ambulanten Massnahme kann eine andere ambulante Massnahme angeordnet werden.
6B_68/2016 vom 28.11.2016
In Ausnahmefällen darf auch gegen minderjährige mutmassliche Straftäter im Alter zwischen 10 und 15 Jahren eine Untersuchungshaft angeordnet werden. Die Jugendstrafprozessordnung lässt eine Inhaftierung allerdings erst nach Prüfung sämtlicher Möglichkeiten von Ersatzmassnahmen zu. Damit soll eine rechtskonforme Anordnung von Untersuchungshaft gegen unter 15 Jahre alte Personen gewährleistet sein. Konkret ging es um einen 12-jährigen Rumänen, der in Genf bereits einige Einbrüche getätigt hatte und in Genf weilte, um neue Objekte für einen Einbruch auszukundschaften. Einen Ausweis hatte der Junge nicht dabei, er wollte auch nicht preisgeben, wo er in Frankreich wohnt.
6B_1026/2015 vom 11.10.2016
Sozialversicherungsrecht
Transportunternehmen, die Dienstleistungen für das Baugewerbe erbringen und einzig Transporte von und zu Baustellen tätigen, unterliegen nicht dem Gesamtarbeitsvertrag für den flexiblen Altersrücktritt im Bauhauptgewerbe (GAV FAR). Dies gilt insbesondere für Firmen, die Transporte mit Baumaterial wie Aushub- und Abbruchmaterial, Kies, Deponie- und Recyclinggut ausführen und somit keine Mischleistungen auf Baustellen erbringen. Der GAV FAR trägt laut Präambel der körperlichen Belastung im Bauhauptgewerbe Rechnung. Chauffeure im Transportbereich sind nicht den gleichen Beanspruchungen ausgesetzt.
9C_453/2016 vom 21.11.2016
Im Sozialversicherungsrecht können gewisse Schematisierungen oder Leistungseinschränkungen aus verwaltungsökonomischen Gründen gerechtfertigt sein. Der Aufwand wäre unzumutbar, wenn die Behörde bei getrennt lebenden Eltern bei den Familienergänzungsleistungen in jedem Einzelfall das genaue Ausmass der Aufteilung und deren allfällige Schwankungen ermitteln müssten. Deshalb ist zulässig, diese Familienergänzungsleistungen bei getrennt lebenden Eltern nicht hälftig aufzuteilen, sondern die Leistungen wie etwa im Kanton Solothurn nur an einen Elternteil auszurichten.
8C_438/2016 vom 16.11.2016