Von den kürzlich gefällten Urteilen hat das Bundesgericht unter anderem folgende Entscheide zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung (BGE) vorgesehen:
Staats- und Verwaltungsrecht
-Die Vornahme eines Wangenschleimhautabstrichs (WSA) zur Erstellung eines DNA-Profils und dessen anschliessende Speicherung im Informationssystem des Bundes hat die persönliche Freiheit eines vor zwanzig Jahren vorbestraften Pädophilen nicht verletzt. Nachdem er im Jahr 2000 per Inserat «Jünglinge zwecks Freizeitgestaltung» gesucht hatte, wurde in Basel ein Strafverfahren eingeleitet. Dabei wurde der WSA als erkennungsdienstliche Massnahme vorgenommen.
(1P.648/2001 vom 29. Mai 2002)
-Von einer Rassendiskriminierung Betroffene haben nur in schweren Fällen die Legitimation, sich gegen die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Täter zu beschweren. Die dazu erforderliche Opfereigenschaft gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG kann etwa gegeben sein, wenn ein tätlicher Angriff vorliegt oder die psychische Integrität erheblich betroffen ist.
(1P.46/2002 vom 3. Juni 2002)
-Es verstösst nicht gegen die Religionsfreiheit, wenn für die evangelische Ehefrau im Arbeitskanton ihres konfessionslosen Ehemannes (Schaffhausen, Wohnkanton Thurgau) für das von ihm dort erzielte Einkommen Kirchensteuer erhoben wird. Es ist nicht erforderlich, dass die Ehefrau Mitglied in einer Schaffhauser Kirchgemeinde ist.
(2P.187/2001 vom 19. April 2002)
-Trotz weit gehendem Geständnis und praktisch abgeschlossener Untersuchung hat das Bundesgericht bei einem pädophilen Täter Kollusionsgefahr bejaht und die verweigerte Entlassung aus der Untersuchungshaft bestätigt. Eine Gefährdung der Wahrheitsfindung genüge, was «aufgrund der bei sexuellen Handlungen mit Kindern besonderen Beziehung zwischen Täter und Opfer zu bejahen» sei.
(1P.202/2002 vom 2. Mai 2002)
-Das Genfer Werbeverbot für Tabak und über 15%ige Alkoholika auf öffentlichem und öffentlich einsehbarem privaten Grund ist zulässig. Das Bundesrecht regelt diesen Bereich nicht abschliessend, womit Platz für kantonale Regelungen bleibt. Das Werbeverbot ist weiter vereinbar mit dem
Binnenmarktgesetz, der Wirtschaftsfreiheit, der Eigentumsgarantie gegenüber den privaten Grundeigentümern und dem Rechtsgleichheitsgebot.
(2P.207/2000 vom 28. März 2002)
-Eine abgewiesene Asylbewerberin aus Ruanda und ihre drei Kinder werden von der zahlenmässigen Begrenzung der Ausländer ausgenommen und erhalten eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich, weil die erst in der Schweiz entdeckte HI-Infektion der Witwe in ihrem Heimatland nur unzureichend behandelt werden kann und die Familie hier bestens integriert ist (beruflich und finanziell unabhängig, Schulerfolg der Kinder).
(2A.448/2001 vom 25. April 2002)
-Die Erklärung von Bern ist nicht legitimiert, sich gegen den polizeilichen Einsatzbefehl für das WEF 2001 in Davos zu beschweren. Der Einsatzbefehl hat internen Organisationscharakter und ist kein Erlass gemäss Art. 84 Abs. 1 OG. Soweit er Aussenwirkung entfaltet, haben individuell Betroffene ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten.
(1P.605/2001 vom 7. Mai 2002)
-Der Haftrichter darf bei der Bestätigung einer Ausschaffungshaft in der Regel nur prüfen, ob ein Weg- oder Ausweisungsentscheid ergangen ist, nicht aber, ob dieser rechtmässig ist. Das gilt insbesondere, wenn der Wegweisungsentscheid im Asylverfahren ergangen ist.
(2A.170/2002 vom 4. Juni 2002)
Zivilrecht
-Eine Mahnung für Krankenkassenprämien muss den Hinweis enthalten, dass die Versicherung bei Ausbleiben der Zahlung den Vertrag auflösen kann. Sonst ist der spätere Versicherungsausschluss ungültig.
(5C.20/2002 vom 25. April 2002)
Strafrecht
-Der Geschäftsführer eines Massagesalons «beschäftigt» die dort tätigen ausländischen Prostituierten im Sinne von Art. 23 Abs. 4 ANAG und darf gebüsst werden, wenn sie über keine Arbeitsbewilligung verfügen. Ausschlaggebend für das Beschäftigungsverhältnis ist der Umstand, dass der Geschäftsführer darüber entscheidet, wer dort arbeiten darf und wer nicht. Dass er den Frauen keine Weisungen für ihre Tätigkeit erteilt, spielt keine Rolle.
(6S.94/2002 vom 5. Juni 2002)
-Der Bund der Steuerzahler (BdS) ist nicht legitimiert, sich dagegen zu beschweren, dass die Bundesanwaltschaft seiner Anzeige gegen den Zürcher «Stapi» Elmar Ledergerber keine Folge geleistet hat. Der BdS ist von den angezeigten Straftaten der Wahlbestechung und des Stimmenfangs im Zusammenhang mit dem «Vote-In» zur UNO-Abstimmung nicht direkt geschädigt und als blosser Anzeiger auch nicht Partei im Strafverfahren.
(8G.53 und 8G.55/2002 vom 12. Juni 2002)
-Die Berner Behörden müssen die Fahreignung eines Autolenkers durch ein spezialisiertes Institut abklären lassen, nachdem er unter Einfluss von Alkohol und verschiedenen Drogen gefahren ist. Sie hätten sich nicht mit einem Zeugnis seines Hausarztes begnügen dürfen, wonach keine Drogensucht vorliege.
(6A.15/2002 vom 3. Juni 2002)
-Der Urheber einer Anti-Abtreibungskampagne von 1997 im Wallis ist zu Recht wegen übler Nachrede zu Lasten von drei Politikerinnen verurteilt worden. Das fragliche Plakat trug unter anderem das Bild eines blutigen Fötus in der 20. Schwangerschaftswoche, die Fotos der für die Fristenlösung eintretenden Politikerinnen und den Text «Sie wollen eine Kultur des Todes in der Schweiz».
(6S.664/2001 vom 14. Mai 2002)
Sozialversicherungsrecht
-Musiktherapie als Ergänzung zum Sonderschulunterricht für behinderte Kinder ist keine Pflichtleistung der IV. Die entsprechende Liste der pädagogisch-therapeutischen Massnahmen in der IVV ist im Gegensatz zu der bis Ende 1996 geltenden Version abschliessend.
(I 510/00 vom 29. April 2002)
-Die Leistungen der Kollektiv-Krankentaggeldversicherung nach VVG sind keine Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von Art. 11 Abs. 3 AVIG.
(C 343/01 vom 30. April 2002)
-Wer ungesichert auf dem Bug eines fahrenden Motorbootes sitzt, handelt unfallversicherungsrechtlich grobfahrlässig. Das EVG erachtet beim betroffenen Unfallopfer eine 20%ige Kürzung der Versicherungsleistung für angemessen.
(U 195/01 vom 6. Mai 2002)
-Die Suva haftet nicht für die Folgen eines Hirntumors, der bei der Behandlung eines Unfallopfers unentdeckt geblieben ist. Es liegt kein Fall von Art. 10 Abs. 1 UVG und Art 10 UVV vor, wo der Unfallversicherer für die Schädigung aufkommen muss, die in einem Zusammenhang mit der durch den versicherten Unfall erfolgten Behandlung steht.
(U 319/01 vom 2. Mai 2002)
-Zuständig für Verantwortlichkeitsklagen nach Art. 52 und Art. 73 BVG sind die Sozialversicherungs- und nicht die Zivilgerichte. Das EVG hat die Haftung von zwei Pensionskassen-Organen bejaht, die dem Arbeitgeber über die gesetzlichen Anlagevorschriften hinaus ungesicherte Darlehen gewährt haben.
(B 85/00 und 89/00 vom 14. Mai 2002)
(PJ)