Von den kürzlich gefällten Urteilen hat das Bundesgericht unter anderem folgende Entscheide zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung (BGE) vorgesehen:
Staats- und Verwaltungsrecht
Aufnahmen von den Überwachungskameras im öffentlichen Raum dürfen hundert Tage aufbewahrt werden. Die entsprechende Bestimmung im Polizeireglement der Stadt St. Gallen ist verfassungs- und EMRK-konform anwendbar. Die Aufzeichnungen dürfen nur im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen verwendet werden. Der Stadtrat ist darauf zu behaften, dass eine missbräuchliche Verwendung durch geeignete Vorkehrungen ausgeschlossen wird.
(1P.358/2006 vom 14. Dezember 2006)
Tritt ein Mitglied des Zürcher Kassationsgerichts in einem unterinstanzlichen Prozess als Anwalt auf, wird dadurch der Anspruch der Gegenpartei auf einen unvoreingenommenen Richter nicht verletzt. Nach Ansicht des Bundesgerichts können die Bezirks- und Kantonsrichter auch dann neutral urteilen, wenn der oberinstanzliche Kollege vor ihnen als Anwalt auftritt.
(1P.471/2006 vom 7. Dezember 2006)
Einer Firma ist zu Recht verwehrt worden, fünfzig Tonnen Altbatterien zur Entsorgung nach Frankreich auszuführen (Art. 30f USG). Gemäss Urteil des Bundesgericht ist die zuständige Rekurskommission (Inum) korrekterweise davon ausgegangen, dass keine Gewähr für eine umweltgerechte Entsorgung besteht, nachdem die französische Entsorgungsfirma mehrfach umweltrechtliche Normen verletzt hat.
(1A.61/2006 vom 11. Dezember 2006)
Zivilrecht
Sozialhilfeschulden, die bei einem Ehegatten zwischen der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts und der Scheidung entstehen, weil er ein Manko bei den verfügbaren Mittel zu tragen hat, können nicht durch eine Verlängerung der späteren Unterhaltspflicht des anderen Gatten kompensiert werden. Dies würde laut Bundesgericht auf eine «ex-post-Finanzierung» ehelicher Unterhaltslücken im Rahmen des nachehelichen Unterhalts hinauslaufen.
(5C.77/2006 vom 14. Dezember 2006)
Grundlagenirrtum des Mieters beim Abschluss eines Erstreckungsvergleiches: Der frühere Vermieter hatte mit der Begründung «Eigenbedarf» gekündigt, den Mieter aber nicht darüber informiert, dass die Liegenschaft bei der Kündigung bereits auf seine eigene Aktiengesellschaft übergegangen war.
(4C.194/2006 vom 5. September 2006)
Die Absolventen einer «Coiffeurschule» gelten als Lehrlinge und haben Anspruch auf Lohn. Auf einen Lehr- und nicht auf einen Unterrichtsvertrag deutet hin, dass das Schwergewicht der Ausbildung auf praktischer Arbeit liegt. Die Schüler sind in die Arbeitsorganisation des Betriebs eingegliedert und arbeiten für zahlende Kunden. Mangels Lehrvertrag ist der übliche Lehrlingslohn geschuldet.
(4C.226/2006 vom 7. September 2006)
Klauseln in (normalen) Mietverträgen, die die Anpassung des Mietzinses als Folge einer Änderung des Hypothekarzinssatzes ausschliessen, sind mit Blick auf die zwingenden Bestimmungen von Art. 269a und Art. 270a OR nichtig.
(4C.203/2006 vom 26. Oktober 2006)
Ein neu berufenes Mitglied des Schiedsgerichts für die Streitfälle zwischen der Airline Swiss und der Gewerkschaft Swiss Pilots gilt als befangen, nachdem es in einer Fachzeitschrift einen früheren Entscheid des Schiedsgerichts als grob falsch kritisiert hat. Die Stellungnahme lässt befürchten, dass sich der betroffene Professor bereits eine abschliessende Meinung zu einer Frage gebildet hat, die auch weiterhin zur Debatte steht.
(4P.247/2006 vom 7. November 2006)
Der Rückforderungsanspruch aus dem Depotvertrag beginnt erst nach Vertragsende zu laufen, mit entsprechender Wirkung auf den Beginn der Verjährungsfrist.
(4C.277/2006 vom 4. Dezember 2006)
Strafrecht
Das Strafmass gegen Marco Camenisch für den Mord an einem Grenzwächter im Jahr 1989 muss auf maximal 8 Jahre reduziert werden. Nachdem das Zürcher Geschworenengericht für den Mord eine zeitige Strafe von 17 Jahren (und nicht lebenslänglich) für angemessen gehalten hat, hätte es in Kombination mit der zuvor in Italien ausgesprochenen und abgesessenen Strafe von zwölf Jahren eine Obergrenze von zwanzig Jahren beachten müssen.
(6S.146/2005 vom 14. November 2006)
Auch im Bereich von Zolldelikten muss die Busse den persönlichen Verhältnissen des Täters angepasst werden. Eine Busse von 250000 Franken für einen Fleischschmuggler mit einem Monatseinkommen von rund 6000 Franken ist zu hoch.
(6S.331/2006 vom 23. November 2006)
Die Zürcher Justiz darf in einem Tötungsdelikt auf die Aussage eines anonymen Zeugen abstellen. Dass der Anwalt des Angeklagten den Zeugen bei der Befragung nicht zu Gesicht bekommen hat, ist kein Hindernis. Ob die Zeugenaussage auch verwertet werden dürfte, wenn sie das Hauptbeweismittel darstellt, konnte offen gelassen werden. Das Bundesgericht äussert gewisse Kritik an der diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR.
(6S.59/2006 vom 2. November 2006)
Ein Bankangestellter hat sich mit dem Hochtreiben eines Aktienkurses auf das Jahresende nicht strafbar gemacht (keine Gehilfenschaft zur Urkundenfälschung). Der überhöhte Kurs hatte sich in den Bilanzen und Depotauszügen niedergeschlagen. Laut Bundesgericht liegt keine Falschbeurkundung vor, da die Angabe des Börsenkurses keine definitive Bewertung der fraglichen Titel darstellt.
(6S.156/2006 vom 24. November 2006)
Ein Autolenker, der einen anderen Wagen auf der Autobahn mit Absicht seitlich gerammt hat, hat sich nicht der versuchten eventualvorsätzlichen Tötung schuldig gemacht. Verletzt wurde bei der Aktion niemand. Laut Bundesgericht hat die reale und tatsächlich auch eingetretene Möglichkeit bestanden, dass der andere Lenker seinen schleudernden Wagen wieder unter Kontrolle bringt. Erfüllt ist offensichtlich der Tatbestand der Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB).
(6P.141/2006 vom 28. Dezember 2006)
Auf den Genitalbereich fixierte Schnappschüsse eines Vater von seiner nackten Tochter am Strand sind nicht pornografisch im Sinne von Art. 197 Ziff. 3 StGB. Die Fotos sind in einer natürlichen Situation entstanden und der Vater hat nicht auf das Kind eingewirkt.
(6S.355/2006 vom 7. Dezember 2006)
Sozialversicherungsrecht
Trifft der Nachweis für die Stellensuche nach erfolgter Mahnung ohne entschuldbaren Grund nicht innerhalb der fünftägigen Nachfrist ein, darf das Formular unberücksichtigt bleiben. Art. 26 Abs. 2bis der Verordnung zur Arbeitlosenversicherung (AVIV) ist gesetzmässig.
(C 164/05 vom 28. September 2006)
Ob ein Arzt unwirtschaftlich behandelt und damit gegenüber den Krankenversicherern rückerstattungspflichtig wird (Art. 56 KVG), muss neu anhand eines Gesamtkostenindexes geprüft werden. Hohe Arzthonorare können dabei mit tiefen veranlassten Kosten (wie etwa Medikamentenkosten) kompensiert werden.
(K6/06 vom 9. Oktober 2006) (PJ)
Die Prozessnummern und ihre Bedeutung
Die Ziffern bezeichnendie Abteilungen:
1 I. Öffentlich-rechtliche Abteilung
2 II. Öffentlich-rechtliche Abteilung
4 I. Zivilabteilung
5 II. Zivilabteilung
6 Kassationshof in Strafsachen
9 EidgenössischesVersicherungsgericht
Die Buchstaben bedeuten:
P Staatsrechtlicher Fall
A Verwaltungsrechtlicher Fall