Von den kürzlich gefällten Urteilen hat das Bundesgericht unter anderem folgende Entscheide zur Veröffentlichung
in der amtlichen Sammlung (BGE) vorgesehen:
-Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist nicht verletzt, wenn Gefangenen an den offiziellen Feiertagen ihrer Religion keine grundsätzliche Arbeitsbefreiung gewährt wird. Eine Ausnahme kann an höchsten Feiertagen gelten, wo die Religion die Arbeit verbietet.
(2P.245/2002 vom 13. Januar 2003)
-Von der Entschädigung gemäss Opferhilfegesetz dürfen das erhaltene Todesfallkapital der Pensionskasse und die kapitalisierte Hinterlassenenrente der Suva als Schadenersatzleistungen abgezogen werden. Ein Stundenansatz von 25 Franken bei der Berechnung des Haushaltsschadens ist zwar eher tief, aber vertretbar.
(1A.109/2002 vom 8. Januar 2003)
-Für erlittene Ausschaffungshaft kann nach deren Nichtgenehmigung durch den Haftrichter (96-Stunden-Frist) in der Regel keine Haftentschädigung gemäss Art. 5 Ziff. 5 EMRK beansprucht werden, wenn das Vorliegen der Haftvoraussetzungen von der Fremdenpolizei in vertretbarer Weise bejaht wurde.
(2P.91/2002 vom 27. November 2002)
-Die Protokolle einer Telefonabhörung hätten nicht gegen den Angeklagten verwendet werden dürfen, da nicht ersichtlich war, wer die deutschen Protokolle der in albanischer Sprache geführten Telefonate verfasst hat. Die Erhebung der Beweismittel sei damit weder für das Gericht noch für den Angeklagten nachvollziehbar gewesen.
(1P.396/2002 vom 13. November 2002)
-Ist das mutmasslich sexuell missbrauchte Kind der einzige Belastungszeuge, muss dem Angeklagten in der einen oder anderen Form die Möglichkeit zur Befragung des Kindes gegeben werden (grundsätzlicher Charakter von Art. 6 Ziff. 3 EMRK). Die Verteidigungsrechte können allenfalls auch durch schriftliche Ergänzungsfragen gewahrt werden. Die Kantone werden vom Bundesgericht im Weiteren angehalten, die Infrastruktur zur Videoeinvernahme als Ersatz für die direkte Befragung bereitzuhalten.
(1P.279/2002 vom 6. November 2002)
-Es ist verfassungsrechtlich zulässig, das Bekenntnis zu einer Konfession mit der Mitgliedschaft in der entsprechenden Landeskirche zu vernüpfen. Ein Kirchenaustritt aus der katholischen Kirchgemeinde bei gleichzeitigem Beharren auf der Zugehörigkeit zum römisch-katholischen Glauben ist nicht möglich (partieller Kirchenaustritt).
(2P.16/2002 vom 18. Dezember 2002)
Zivilrecht
-Dem Kindswohl kommt bei der Zuteilung des Sorgerechts Ordre-public-Charakter zu. Die iranische Regelung (anzuwenden gemäss Niederlassungsvertrag von 1934), wonach schiitische Väter ab einem bestimmten Alter die Betreuung des Kindes beanspruchen können, hat hinter das Kindswohl zurückzutreten.
(5C.158/2002 vom 19. Dezember 2002)
-Gibt ein Stockwerkeigentümer seinen Anteil auf, geht dieser an die verbleibenden Miteigentümer im Anteil ihrer Wertquoten über.
(5A.12/2002 vom 8. Januar 2003)
-Die Dauer einer Temporäranstellung vor einem direkten Engagement gilt nicht als Probezeit, mit entsprechenden Folgen für die Kündigungsfristen.
(4C.327/2002 vom 7. Januar 2003)
-Die erst sechs Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeldeten Überstunden eines Verkehrsdirektors sind nicht verwirkt. Die Geltendmachung der Überstunden bleibt während der Verjährungsfrist und unter Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs jederzeit möglich.
(4C.342/2002 vom 8. Januar 2003)
-Das Bundesgericht bejaht die grundsätzlich analoge Anwendbarkeit der Haftungsregeln von Art. 422 Abs. 1 OR (Geschäftsführung ohne Auftrag) auf blosse Gefälligkeitshandlungen ohne Rechtsbindungswillen. Die Haftung greift nur dann, wenn eine gefährliche Tätigkeit ausgeführt wird, deren immanentes Risiko sich verwirklicht.
(4C.56/2002 vom 21. Oktober 2002)
Strafrecht
-Keine Begünstigung nach Art. 305 Abs. 1 StGB hat ein Mann begangen, der für zwei gesuchte Betrüger im Hotel das Reisegepäck abgeholt und es ihnen in ein anderes Hotel gebracht hat. Die ohne weiteres ersetzbaren persönlichen Effekten hätten die Flucht der Gesuchten nicht in relevanter Weise fördern können.
(6S.350/2002 vom 11. Februar 2003)
-Erst ab 100’000 Franken gilt ein Umsatz als «gross» im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. c BetmG und Art. 305 bis Ziff. 2 lit. c StGB (Voraussetzung für qualifizierten Drogenhandel oder Geldwäscherei). Auf die Dauer der Handelstätigkeit kommt es nicht an.
(6S.320/2002 vom 26. November 2002)
-Als Rechnungen aufgemachte Offerten für einen Eintrag in ein Telex- und Telefaxverzeichnis sind unlauter im Sinne von Art. 3 lit. b UWG (unrichtige oder irreführende Angaben über die Geschäftsverhältnisse).
(6S.357/2002 vom 18. Dezember 2002)
-Genugtuungssummen sind ab dem schädigenden Delikt mit 5 Prozent (Art. 73 OR) zu verzinsen. Bei mehreren Verletzungen über einen gewissen Zeitraum beginnt der Zins ab der Mitte dieses Zeitraumes zu laufen.
(6S.392/2002 vom 17. Dezember 2002)
-Der Kanton Nidwalden muss gemäss Art. 346 Abs. 2 StGB die Strafverfolgung wegen 32 Einbruchdiebstählen übernehmen, obwohl nur die erste Straftat in Nidwalden begangen wurde. 12 Einbrüche im Kanton Bern bedeuten nicht, dass vom gesetzlichen Gerichtsstand abgewichen werden müsste.
(8G.130/2002 vom 12. Februar 2003)
-Zusammenfassung von Lehre und Rechtsprechung zum Aufschub des Strafvollzugs zu Gunsten einer ambulanten Therapie. Im konkreten Fall bestätigt das Bundesgericht den verweigerten Aufschub, weil die Erfolgsaussichten der Therapie nur auf lange Frist und in eher bescheidenem Ausmass bestehen.
(6S.394/2001 vom 27. Februar 2003)
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
-Die Jahrefranchise der Krankenkasse gehört zum betreibungsrechtlichen Notbedarf, soweit sich der Betriebene damit an den Gesundheitskosten beteiligt hat. Das Aargauer Obergericht hatte die falsche Ansicht vertreten, die rund 20 Franken pro Monat der Minimalfranchise von 230 Franken seien als kleinere Auslage im Grundbetrag «Gesundheitspflege» enthalten.
(7B.226/2002 vom 18. Februar 2003)
Versicherungsrecht
-Die Kassenpflicht von Viagra bleibt weiter offen. Das BSV muss unter anderem vertieft abklären, wie weit Erektionsstörungen Krankheitswert zukommt oder ab einem gewissen Alter einfach dazugehören.
(K68/01 vom 14. Januar 2003)
-Bei Suizid können Leistungen der Unfallversicherung (mit Ausnahme der Bestattungskosten) nur bei vollständig aufgehobener Urteilsfähigkeit des Selbstmörders beansprucht werden. Art. 48 UVV ist gesetzeskonform.
(U147/02 vom 24. Dezember 2002)
(PJ)