Andreas Kley, darf der Bundesrat im Abstimmungsbüchlein schreiben, was er will?
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Plädoyer 02/2017
27.03.2017
Andreas Kley Professor an der Universität Zürich
Artikel 11 Absatz 2 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (BPR) gibt dem Bundesrat Leitlinien zur Abfassung des «Abstimmungsbüchleins». Die Leitlinien sind allerdings alles andere als klar. Der Text von Absatz 2 umfasst 800 Zeichen und gibt dennoch keine richtige Antwort. Im Wesentlichen muss der Bundesrat «eine kurze, sachliche Erläuterung» beigeben, «die auch den Auffassungen wesentlicher Minderheiten Rechnung trägt»...
Artikel 11 Absatz 2 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (BPR) gibt dem Bundesrat Leitlinien zur Abfassung des «Abstimmungsbüchleins». Die Leitlinien sind allerdings alles andere als klar. Der Text von Absatz 2 umfasst 800 Zeichen und gibt dennoch keine richtige Antwort. Im Wesentlichen muss der Bundesrat «eine kurze, sachliche Erläuterung» beigeben, «die auch den Auffassungen wesentlicher Minderheiten Rechnung trägt». Bei Volksinitiativen und Referenden teilen die Komitees «ihre Argumente dem Bundesrat mit; dieser berücksichtigt sie in seinen Abstimmungserläuterungen. Der Bundesrat kann ehrverletzende, krass wahrheitswidrige oder zu lange Äusserungen ändern oder zurückweisen.» Diese Regeln gelten seit Anfang 2008 und damit scheint die Antwort klar: Nein, der Bundesrat darf nicht schreiben, was er will. Er muss sachlich bleiben und abweichende Argumente der Komitees und wesentlicher Minderheiten wiedergeben.
Die Anwendung der Vorschrift liegt in der Hand des Bundesrats. Nach Artikel 189 Absatz 4 der Bundesverfassung (BV) darf ihn keine Instanz überprüfen. Laut eigener Verlautbarung hält sich der Bundesrat immer an Artikel 11 Absatz 2 BPR. Die betroffenen Komitees und Minderheiten sind häufig anderer Meinung. Freilich hilft das nichts. Der Bundesrat ist unkontrolliert zuständig. Das Bundesgericht hat daher während Jahren derartige Rügen konsequent mit Nichteintreten beantwortet.
Im Urteil über die Unternehmenssteuerreform II keimte Hoffnung auf (BGE 138 I 61 E. 7.4., S. 86 f.). Die obersten Richter führten aus, Artikel 189 Absatz 4 BV lasse zu, «dass die Informationslage im Vorfeld einer Volksabstimmung zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht wird und in diesem Zusammenhang auch die Abstimmungserläuterungen des Bundesrats in die Frage miteinbezogen werden». Eine Tür schien sich zu öffnen. Die Beschwerde gegen die Abstimmung zum Nachrichtendienstgesetz vom 25. September 2016 rügte vor Bundesgericht, die Erläuterungen des Bundesrats hätten wichtige Umstände nicht erwähnt, und machte das Gericht auf die handbreit geöffnete Türe aufmerksam. Dieses besann sich auf seine ständige Rechtsprechung und drückte den Türspalt zu: «Die Kritik des Beschwerdeführers zielt indessen nicht auf die allgemeine Informationslage ab, sondern direkt auf die Abstimmungserläuterungen selbst» (BGer 1C_455/2016 vom 14.12.2016, E. 2.4). Die Rüge wird mit Nichteintreten erledigt.Mit diesen zusätzlichen Erkenntnissen lässt sich die Antwort auf die Frage präziser fassen: Nein, der Bundesrat darf nicht schreiben, was er will, aber er kann es. Es gibt keine rechtliche Kontrolle der Abstimmungsbüchlein.
Der Bundesrat ist laut Artikel 174 BV die oberste leitende und vollziehende Behörde. Er hat eine Führungsaufgabe. Sie bringt es mit sich, dass er zur Führung auch die Information einsetzt, die das Volk in die richtige Richtung führt. Der immer wieder erhobene Vorwurf, die Erläuterungen seien manipulativ und informierten falsch, ist spätestens seit dem erwähnten BGE 138 I 61 bundesgerichtlich bestätigt. Die Eidgenössische Finanzkontrolle hat kürzlich bundesrätliche Botschaften geprüft. Die Evaluation der Prognosen von 50 Botschaften förderte erhebliche Mängel zutage. Der Bundesrat prognostiziert in der Weise, um zu führen oder sogar zu manipulieren. Das ist erstaunlich.
Die Botschaften richten sich ans Parlament. Gegenüber Parlamentariern hat der Bundesrat keine Führungsaufgabe. Wie käme wohl eine Evaluation der Abstimmungsbüchlein an das Volk heraus? Es ist zu befürchten, dass die Finanzkontrolle einen aufschlussreichen Beitrag zur politischen Ethik der Schweiz leisten würde – und die Notwendigkeit gerichtlicher Kontrollen der Abstimmungsbüchlein wäre bewiesen. Die Gerichtskontrolle würde zur gesuchten Antwort führen: Der Bundesrat darf und kann nicht alles schreiben, was er will.