Der Luxemburger Sozial­demokrat Jean Asselborn, zurzeit dienstältester Aussenminister der 28 Staaten der Europäischen Union (EU), hat kurz vor dem EU-Sondergipfel in Bratislava vom 15. September in der deutschen Zeitung «Die Welt» dazu aufgerufen, «Ungarn aus der EU auszuschliessen». Das Land sei nicht weit von einem Schiessbefehl gegen Flüchtlinge entfernt und verletze die Grundwerte der EU massiv. 

Ähnlich tönte Österreichs Bundeskanzler Christian Kern im ­August in einem Interview mit dem ORF, als er den Abbruch der Verhand­lungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt verlangte. Das habe auch mit den ­demokratiepolitisch heiklen Entwicklungen nach dem Putsch zu tun. Kern meinte damit die faktische Aufhebung der Pressefreiheit, die ­Eingriffe Erdogans in die Justiz, die Unverhältnismässigkeit der politisch ­bedingten Massenentlassungen und wirtschaft­liche Unterschiede. 

Solche Forderungen führen in den Medien und im diplomatischen ­Verkehr zu Schlagzeilen, Aufsehen, ­Verstimmung und verbalen Retourkutschen, sind aber letztlich nicht zielführend. Es stehen durchaus ­andere, insbesondere institutionelle, vertraglich vereinbarte Mittel zur Verfügung – zu finden in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Deren Artikel 33 sieht ­Beschwerden einzelner oder auch mehrerer Vertragsstaaten gegen einen anderen Vertragsstaat vor, dem ­vor­geworfen wird, dass er EMRK-­Bestimmungen verletzt. 

So ist Jean Asselborn und Christian Kern dieses ­Mittel zu empfehlen. Es kann zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte führen, das nach Artikel 46 der EMRK verbindlich ist: Jeder Staat hat mit der Ratifizierung die Verpflichtung übernommen, «das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen». 

Nicht nur Ungarn und die Türkei gehören zu dieser Art von Sündern. Ebenso sind Russland und Polen in diesem Spital krank. Sinnvoll erscheint, zuerst einen dieser Staaten zu verklagen. Äusserungen in der Art ­Asselborns oder Kerns untergraben die Glaubwürdigkeit der Vorwürfe und des eigenen Bestrebens, diese Werte schützen zu wollen.

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