Die Bezirksgerichte des ­Kantons Zürich machen von Urteilen bloss den ­Urteilskopf öffentlich, nicht aber Sachverhalt und Begründung. Das verstösst gegen den Grundsatz der ­Justizöffentlichkeit (Art. 30 Abs. 3 BV). Das Zürcher Obergericht deckt die Verfassungswidrigkeit und verschliesst die Augen vor einschlägigen Bundesgerichtsentscheiden.

Gemäss Akteneinsichtsverordnung der obersten Zürcher Gerichte gelten nur Rubrum und Dispositiv als Entscheid. Deshalb sind nur sie öffentlich zugänglich, nicht aber Sachverhalt und Begründung. Diese seien Akten (§4 Absatz 3 der Akteneinsichts­verordnung) und somit nur einsehbar für Personen, die ein wissenschaftliches oder ein anderes schützenswertes Interesse geltend machen können (§131 Abs. 3 Zürcher Gesetz über die Gerichtsorganisation). Diese Regelung entspreche den bundesrechtlichen Grundsätzen der Justizöffentlichkeit, argumentieren die Zürcher ­Oberrichter in einem Entscheid vom 26.4.2016 (VB150013-O/U).

Doch da irren sie: Diese Regelung widerspricht klar der konstanten ­Praxis des Bundesgerichts. Denn der verfassungsrechtliche Anspruch auf Kenntnisnahme von Urteilen erstreckt sich gemäss Bundesgericht «auf das ganze Urteil mit Sachverhalt, ­rechtlichen Erwägungen und ­Dispo­sitiv» (BGE 139 I 129, E. 3.6; 1C_123/2016). Das Zürcher Obergericht zitiert diesen Bundes­gerichtsentscheid zwar, trägt aber der ausdrücklichen Anweisung nicht Rechnung. Die Akteneinsichts­verordnung ist in diesem Punkt ­meines ­Erachtens verfassungswidrig. Dem muss in der laufenden Revision ­Rechnung getragen werden. 

Andernfalls sollten Journalisten­verbände die neue Akteneinsichts­verordnung, die Mitte 2017 in Kraft treten soll, vom Bundesgericht ­­überprüfen lassen. Fast jedes Detail des verfassungsrechtlichen Grund­satzes der ­Justizöffentlichkeit musste von Medien­schaffenden über Jahre ­hinweg erstritten werden. Das ist bedauerlich. Denn bei der Bekanntgabe von Urteilen geht es um das zentrale Produkt der Justiz. Es kann nur ­Wirkung ­entfalten (und Vertrauen ­schaffen), wenn die Rechtsunterworfenen davon erfahren.

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