1. Gesetzgebung
1.1 Vorsorgeausgleich
Der berufsvorsorgerechtliche Ausgleich beim Eintritt einer Scheidung hat entscheidende Entwicklungen erfahren. Anders als im bisherigen Recht wird nun eine Teilung der Berufsvorsorge auch dann vorgenommen, wenn sich bei Einleitung des Scheidungsverfahrens das versicherte Risiko Alter oder Invalidität bereits zugetragen hat. Es ergeben sich auch überaus viele Entwicklungen, welche bei der Führung von Scheidungsverfahren entscheidend zu berücksichtigen sind.
1.2 UVG-Revision
Die seit 1. Januar in Kraft stehende Revision des UVG betrifft eine Reihe von unterstellungsrechtlichen und leistungsrechtlichen Aspekten einerseits sowie organisatorischen Fragen andererseits. Bei den unterstellungsrechtlichen Aspekten fällt ins Gewicht, dass der Versicherungsbeginn neu definiert wird. Wichtig ist ferner die leicht veränderte Umschreibung der unfallähnlichen Körperschädigung. Erhebliche Auswirkungen hat sodann die neue gesetzliche Regelung betreffend den Anspruch auf Invalidenrente nach Erreichung der Altersgrenze.
2. Entwicklungen in der Rechtsprechung
2.1 Vorbemerkung
Die Rechtsprechung – hauptsächlich diejenige des Bundesgerichts – hat im Sozialversicherungsrecht nach wie vor eine herausragende Bedeutung. Für die Parteien geht es – wie zu Recht bemerkt wurde 2 – darum, dem Gericht die Argumente gewissermassen auf dem silbernen Tablett zu servieren. Freilich ist diese Aufgabe aus der Sicht der Partei nur schwer zu erfüllen. Auch dem Schreibenden gelingt es oft nicht, das Tablett ordentlich zu bestücken.3 Zuweilen will die Partei dem Bundesgericht einen auf der edlen Kaffeemaschine «Olympia» vom geübten Barista gebrühten Espresso samt edlem Gebäck servieren – und das Bundesgericht fragt nüchtern zurück, wem der Pfefferminztee gehört. Oder das Bundesgericht setzt sich die ungeschärfte Willkür-Brille (Jean-François Aubert) auf und serviert anstelle des gewünschten leichten und delikaten Drinks eine wahrhafte Schlachtplatte. Trotz dieser Ausgangslage – oder gerade deswegen – kann das Sozialversicherungsrecht ohne genaue Kenntnis der Bundesgerichtspraxis nicht verstanden und angewendet werden.
2.2 Abgrenzung selbständige und unselbständige Erwerbstätigkeit
Der Abgrenzung der selbständigen von der unselbständigen Tätigkeit kommt im Sozialversicherungsrecht grosse Bedeutung zu. Dies gilt gerade auch im europäischen Kontext.4
Oft ist strittig, ob bei Agenturverhältnissen eine selbständige oder eine unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt.5
Zu beachten ist, dass vorgängig der Klärung, ob eine selbständige oder eine unselbständige Tätigkeit vorliegt, zu entscheiden ist, ob überhaupt eine Erwerbstätigkeit vorliegt. Hier geht es beispielsweise um die Abgrenzung zur nichterwerblich ausgerichteten Verwaltung des eigenen Vermögens.6
2.3 Entwicklungen im AHV-Beitragsrecht
Oft betreffen Auseinandersetzungen vor dem Bundesgericht den Begriff des massgebenden Lohnes. Das Bundesgericht hatte sich diesbezüglich zur Qualifikation von Sparbeiträgen zu äussern.7
Dornenvoll und häufig strittig ist die Abgrenzung zwischen der beitragsfreien Dividende und dem beitragspflichtigen Erwerbseinkommen.8
Schwierig ist die Abgrenzung auch bei Naturalbezügen, wobei das Bundesgericht im konkreten Fall die Kosten des Leasingaufwandes und der Unterhaltskosten für ein Fahrzeug zu beurteilen hatte.9
Schwierig ist im AHV-Beitragsrecht die Abgrenzung zwischen Erwerbstätigkeit und Nichterwerbstätigkeit. Wenn die betreffende Person in einem Teilzeitpensum von 57 Prozent steht, gilt sie allerdings ohne weitere Vergleichsrechnung als erwerbstätig.10
Bei der Bestimmung von AHV-Beiträgen bei Nichterwerbstätigkeit muss eine Rente der Contergan-Stiftung einbezogen werden.11
Ergänzend hinzuweisen ist auf die Haftung der Arbeitgebenden für nicht bezahlte AHV-Beiträge. Das Bundesgericht musste sich hier mit dem Einwand beschäftigen, dass die AHV-Beiträge nicht innert Frist bezahlt wurden, weil die sogenannte Business Defence dies geboten habe,12 oder dass die Haftung deshalb nicht bestehe, weil die betreffende Person faktisch aus dem Organ ausgeschieden sei.13
2.4 Risiko Tod
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Anspruch auf eine Hinterlassenenrente bei Verheiratung besteht, fällt die Anrechnung des Konkubinats an die Ehedauer gemäss Art. 24 Abs. 1 AHVG ausser Betracht.14 Im Bereich der beruflichen Vorsorge muss sorgfältig geklärt werden, wie die reglementarischen Bestimmungen den Anspruch auf die Hinterlassenenrente ordnen.15
Zuweilen gibt die Frage Anlass zu Streitigkeiten, ob der Lebenspartner Anspruch auf eine Hinterlassenenleistung hat. Hier geht es auch um die Abgrenzung zwischen (erbrechtlicher) Begünstigung im Testament sowie unmittelbar gegenüber der Vorsorgeeinrichtung.16 Zuweilen sind die Regelungen betreffend Anspruch auf Hinterlassenenrenten «ungewöhnlich», was in der Folge mit sich bringt, dass die entsprechende Regelung keine Anwendung findet.17
2.5 Invaliditätsbegriff
2.5.1 Gesundheitlicher Ausgangspunkt
Was den gesundheitlichen Ausgangspunkt für die Bestimmung der Invalidität betrifft, fällt in jüngerer Zeit entscheidend ins Gewicht, dass nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei einer nur leichten bis mittelgradigen depressiven Störung kaum je eine Invalidität angenommen werden kann.18
Im Übrigen muss berücksichtigt werden, dass psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren grundsätzlich bei der Bestimmung der Invalidität auszuscheiden sind.19
2.5.2 Aggravation
Bei der Aggravation fällt die Abgrenzung zwischen dieser Erscheinung und der Verdeutlichungstendenz entscheidend ins Gewicht; das Bundesgericht betont, dass hier in jedem Einzelfall eine sorgfältige Prüfung notwendig ist.20
Denkbar ist im Übrigen auch, dass ein aggravatorisches Verhalten auf eine verselbständigte krankheitswertige psychische Störung zurückzuführen ist.21
2.5.3 Therapieresistenz
Das Bundesgericht betont bei Depressionen leichter beziehungsweise mittelgradiger Natur die prinzipielle Therapiemöglichkeit und leitet daraus das Fehlen eines Anspruchs auf eine Invalidenrente ab.
Hier geht es darum, dass die versicherte Person das Zumutbare beiträgt, die bestehende gesundheitliche Beeinträchtigung zu beheben beziehungsweise zu vermindern. Bei der Prüfung der Zumutbarkeitsfrage ist ergänzend zu berücksichtigen, dass die versicherte Person tatsächlich in der Lage war, die vorgenannten Kriterien zu erfüllen. Bei einer solchen Zumutbarkeitsprüfung fallen objektive und subjektive Momente ins Gewicht. Es muss also geklärt werden, ob die Behandlungsoptionen effektiv zur Verfügung standen; dazu gehört, dass beispielsweise eine genügende Kapazität für die stationäre beziehungsweise teilstationäre Behandlung gegeben war. Wichtig ist also, dass in Abstützung auf die medizinischen Feststellungen entschieden wird, ob eine Depression zu einer Einschränkung der Arbeitsunfähigkeit führt und dass massgebend einbezogen wird, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen eine Therapieresistenz angenommen werden kann.22
2.5.4 Verschiedenes zur Invalidität
Im Rahmen von Auseinandersetzungen über die Invalidität hat sich das Bundesgericht zur Frage geäussert, unter welchen Voraussetzungen ein bisher selbständig tätig gewesener Landwirt eine unselbständige Tätigkeit aufzunehmen hat.23
Zuweilen tritt auch bei geltend gemachter Invalidität eine Beweislosigkeit ein. Im konkreten Fall verhielt es sich so, dass auch die Gerichtsgutachterin nicht sicher war, ob die Aussagen der versicherten Person wahr sind.24
Letztlich ist allemal zu berücksichtigen, ob die festgestellte gesundheitliche Beeinträchtigung zu einer Annahme oder zu einer Verneinung einer wirtschaftlichen Verwertbarkeit führt.25
2.6 Invaliditätsgrad
2.6.1 Allgemeines
Bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades geht es zuweilen um die Klärung der Frage, wie sich eine allfällige Invalidenkarriere auswirkt.26
Besonders schwierig ist der Einkommensvergleich nach einer längeren Berufsabstinenz.27 Stellt das Gericht auf einen Tabellenlohn ab, ist gegebenenfalls ein Abzug vorzunehmen, um den Besonderheiten des Falls Rechnung zu tragen.28
Bei einer Unterdurchschnittlichkeit des Valideneinkommens muss der Invaliditätsgrad unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Parallelisierung festgelegt werden.29
Allemal ist zur Bestimmung des Invalideneinkommens auf den ausgeglichenen Arbeitsmarkt abzustellen,30 wobei aber beispielsweise fehlende Sprachkenntnisse sowie das Alter und die ausländische Herkunft allenfalls zu berücksichtigen sind.31
Zur Illustration sei auf zwei Fälle hingewiesen. Im einen war bei einem selbständigen Rechtsanwalt der Invaliditätsgrad bei unsicheren Einkommensverhältnissen zu bestimmen.32 Im andern ging es darum, den Einkommensvergleich vom Prozentvergleich abzugrenzen.33
2.6.2 Teilerwerbstätigkeit
Im Bereich der Teilerwerbstätigkeit fällt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Sachen Di Trizio massgebend ins Gewicht.34 Ausserhalb des im Urteil Di Trizio vom EGMR bezogen auf die Konventionswidrigkeit beurteilten Sachverhaltes hält das Bundesgericht an der bisherigen Vorgehensweise (gemischte Methode) fest.35
Bei Teilerwerbstätigen ist darauf zu achten, dass beim Fehlen eines Aufgabenbereichs (etwa bei der Ausübung der Teilerwerbstätigkeit nur deshalb, weil mehr Zeit für Sport oder das Schachspiel zur Verfügung stehen soll) einzig die Einbusse in der Erwerbsfähigkeit ins Gewicht fällt.36
2.6.3 Berufliche Vorsorge
Die Bestimmung des Valideneinkommens hat gerade auch in der beruflichen Vorsorge Bedeutung, wobei prinzipiell eine Bindung der Vorsorgeeinrichtung an den Entscheid der IV-Stelle besteht.37 Ohnehin zeigt sich, dass sich berufsvorsorgerechtliche Auseinandersetzungen regelmässig auf die Frage beziehen, welche Vorsorgeeinrichtung zur Erbringung einer Invalidenrente zuständig ist.38
2.6.4 Unfallversicherung
Die Unfallversicherung hat bei Eintritt der Invalidität im vorgerückten Alter ein besonderes Vorgehen zu wählen.39
Die Suva ist im Übrigen generell gehalten, prinzipiell die DAP-Methode (basierend auf der Sammlung «Dokumentation von Arbeitsplätzen») zur Anwendung zu bringen, soweit die Suva im Einzelfall die darauf bezogenen bundesgerichtlichen Vorgaben einhalten kann.40
2.7 Unfall und Unfallkausalität
2.7.1 Unfallbegriff
Schwierig ist die Beurteilung, ob der Bruch einer Prothese als Unfall oder als unfallähnliche Körperschädigung anzusehen ist.41 Besonders schwierig ist die Frage, ob ein Unfall vorliegt, wenn eine Krankheitsursache am Ablauf der Geschehnisse mitbeteiligt war.42
Bei einem Suizid fällt ins Gewicht, ob die betreffende Person im konkreten Fall die Fähigkeit verloren hatte, vernunftgemäss zu handeln.43 Ohnehin zeigt die Analyse der Rechtsprechung, dass sich das Bundesgericht wiederholt mit der Abgrenzung von Suizid und Unfall zu befassen hat.44
2.7.2 Unfallähnliche Körperschädigung
Eine Reihe von Urteilen betraf Auseinandersetzungen um die unfallähnliche Körperschädigung. Es ging dabei um eine Rotatorenmanschettenruptur,45 um die Ruptur der langen Bizepssehne 46 sowie um die Frage, ob eine Schädigung, welche sich die betreffende Person durch das Auffangen beziehungsweise Hochheben eines dreijährigen Enkelkindes zuzog, eine unfallähnliche Körperschädigung darstellen kann.47
2.7.3 Kausalität in der Unfallversicherung
Häufig ist in der Unfallversicherung die Frage der Kausalität strittig. Entsprechend oft befasst sich das Bundesgericht mit der Kausalität, wobei es sowohl um Fragen der natürlichen wie auch der adäquaten Kausalität geht.48
Bezogen auf die natürliche Kausalität hat das Bundesgericht festgehalten, dass strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsbeweis des natürlichen Kausalzusammenhangs zu stellen sind, wenn der zeitliche Abstand zum erneuten Auftreten der gesundheitlichen Beeinträchtigung grösser ist.49
Mit Blick auf den adäquaten Kausalzusammenhang befasste sich das Bundesgericht mit: Raubüberfall,50 Verkehrsunfall,51 Schleudertrauma,52 Elektrounfall,53 Augenverletzung und Schmerzen,54 einem Unfall eines Velofahrers 55 sowie mit der hinreichenden Begründung des adäquaten Kausalzusammenhangs 56 und widersprüchlichen Einschätzungen.57
2.8 Krankheit und Leistungen der Krankenversicherung
2.8.1 Krankheitsbegriff
Im Zusammenhang mit dem Krankheitsbegriff setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob eine Hauterschlaffung nach einem massiven Gewichtsverlust als entstellend und damit als massgebende gesundheitliche Beeinträchtigung betrachtet werden kann.58
Einen Sonderfall stellt die Berufskrankheit dar, die bei Unselbständigerwerbenden zu Leistungen der Unfallversicherung führt.59
2.8.2 Leistungen der Krankenversicherung
Im Bereich der Leistungen der Krankenversicherung sind Urteile über die künstliche Insemination bei fortgeschrittenem Alter der Frau,60 über die ausnahmsweise Übernahme von Arzneimitteln ausserhalb der Anwendungsvorschriften,61 über die Brustreduktion beim Mann (Gynäkomastie)62 sowie über die Leistungsvergütung der Krankenversicherung für Auslandbehandlung63 hervorzuheben.
2.9 Familienzulage
Bei den Familienzulagen beschäftigte sich das Bundesgericht mit dem Begriff der Ausbildung64 sowie mit der Koordination der Leistungen nach dem Familienzulagengesetz und nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz.65
2.10 Risiko Arbeitslosigkeit
Im Bereich der Arbeitslosenversicherung ist nicht immer leicht zu erkennen, dass auch der im Betrieb mitarbeitende Ehegatte einer arbeitgeberähnlichen Person keinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung hat.66
Oft strittig sind Fragen der Einstellung in der Anspruchsberechtigung.67 Zuweilen geht es um die Frage, ob eine Befreiung von der Erfüllung der Beitragszeit möglich ist.68 Schwierig ist die Koordination des Anspruchs auf Entschädigungen der Arbeitslosenversicherung mit den Leistungen der IV sowie der Krankentaggeldversicherung.69
2.11 Abklärung des Sachverhalts, insbesondere Gutachten
2.11.1 Abklärung
Der hinreichenden Abklärung kommt im Sozialversicherungsrecht hohe Bedeutung zu. Das nach Art. 43 ATSG geltende Untersuchungsprinzip bedeutet im Übrigen, dass bezogen auf die Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung im Verwaltungsverfahren ein strenger Massstab angelegt werden kann.70
2.11.2 Gutachten
Sehr oft strittig sind Fragen des Ausstands der sachverständigen Person. Es ist diesbezüglich auf folgende Elemente zu verweisen: Frühere Tätigkeit als Arzt in einem Regionalen ärztlichen Dienst (RAD),71 Kontakt mit einer Partei betreffend Privatgutachten,72 stark überproportionale Berücksichtigung im Rahmen von mono- und bidisziplinären Expertisen,73 Höhe des Auftrags- und Honorarvolumens74 und Begutachtung bei der Medas Pmeda.75
Bei der psychiatrischen Begutachtung kommt dem Gespräch samt Symptomerfassung und Verhaltensbeobachtung eine hohe Bedeutung zu.76
Was die Kosten der Gutachten im kantonalen Gerichtsverfahren betrifft, werden die Gutachtensstellen grundsätzlich nach dem für das Verwaltungsverfahren geltenden Entschädigungssystem entschädigt.77
2.11.3 Beweiswürdigung
Im Sozialversicherungsrecht gilt der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.78
Bei der Beweiswürdigung müssen die vorliegenden ärztlichen Festlegungen gegenseitig abgewogen werden.79 Im Rahmen der Beweiswürdigung muss sich die Behörde mit den Widersprüchen und Ungereimtheiten auseinandersetzen.80
Grundsätzlich hat sich das Bundesgericht mit der Beweiswürdigung beim polydisziplinären Gutachten auseinandergesetzt und es zugelassen, dass bei fehlendem Beweiswert einzelner Teile auf die übrigen Teile des Gutachtens dennoch abgestellt werden kann.81
2.12 Wiedererwägung von Verfügung und Einspracheentscheid
Gegenwärtig nehmen die IV-Stellen häufig Wiedererwägungen vor, um bereits seit längerer Zeit laufende Rentenleistungen aufzuheben. Dabei kommt der Frage zentrale Bedeutung zu, ob eine zweifellose Unrichtigkeit gegeben ist.82
Im Bereich der Unfallversicherung kann die wiedererwägungsweise Rentenaufhebung oder Rentenherabsetzung – anders als bei der IV – auch rückwirkend vorgenommen werden.83
Was die zweifellose Unrichtigkeit betrifft, fällt diese nur in Betracht, wenn bereits im ursprünglichen Verfahren die entscheidende Behörde das Ermessen zwingend anders hätte ausüben müssen.84
Es geht also bei der Frage der zweifellosen Unrichtigkeit darum, ob die früher erfolgte Leistungszusprache im damaligen Kontext zweifellos unrichtig gewesen war.85
Eine zweifellose Unrichtigkeit wird vom Bundesgericht angenommen, wenn der Versicherungsträger den medizinischen Sachverhalt bereits im früheren Zeitpunkt hätte weiter abklären müssen.86
Zu beachten ist letztlich, dass bei Vorliegen eines Anpassungsgrunds der Rentenanspruch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend und ohne Bindung an frühere Beurteilungen überprüft wird.87
2.13 Verwaltungsverfahren
Das System von Suisse Med@p hat sich mittlerweile eingespielt, wobei das Bundesgericht die Verzögerungen in der Erstellung von Begutachtungen sorgfältig beobachtet.88 Im Einspracheverfahren sind an eine reformatio in peius nicht die gleich strengen Voraussetzungen zu stellen, wie sie im Beschwerdeverfahren gelten.89
Die Frist für die Stellungnahme zum Vorbescheid der IV-Stelle ist erstreckbar.90
An die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung sind im Verwaltungsverfahren strenge Anforderungen zu stellen – nur ausnahmsweise wird die unentgeltliche Vertretung bewilligt.91
Keine anwaltliche Vertretung ist erforderlich, wenn es darum geht, die Schwachstellen einer ärztlichen Expertise zu erkennen.92
Zugelassen wurde die unentgeltliche Vertretung, als die kantonale Gerichtsinstanz zuvor den Fall an die IV-Stelle zur weiteren medizinischen Abklärung zurückgewiesen hatte.93
2.14 Kantonales Gerichtsverfahren
In einer Reihe von Urteilen hat sich das Bundesgericht mit der Frage der unentgeltlichen Vertretung beziehungsweise der unentgeltlichen Prozessführung befasst: Zusammenhang zwischen unentgeltlicher Vertretung und Bestehen einer Rechtsschutzversicherung,94 Entschädigung bei unentgeltlicher Vertretung und Kostennote,95 Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels 96 und Einkommensüberschuss.97
Der gesetzlich vorgesehene Fristenstillstand findet keine Anwendung, wenn ein Termin angesetzt wird.98
Wenn eine Schlechterstellung droht, muss der Partei im kantonalen Gerichtsverfahren die Möglichkeit geboten werden, die Beschwerde zurückzuziehen.99
Bei mutwilliger Prozessführung können die Kosten der Partei auferlegt werden.100
Was die Frage des Obsiegens als Voraussetzung für die Zusprache einer Parteientschädigung betrifft, geht es darum, ob die betreffende Partei im Grundsatz obsiegt oder nicht.101
Die öffentliche Verhandlung ist vom kantonalen Gericht zwingend durchzuführen, soweit es sich beim betreffenden Antrag nicht um einen Beweisantrag handelt.102
Das Bundesgericht nimmt an, es werde eine öffentliche Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziffer 1 EMRK (und nicht eine Beweisverhandlung) beantragt, wenn die Partei eine mündliche Gerichtsverhandlung mit Parteibefragung und Zeugenbefragung verlangt.103
Das Bundesgericht verlangt auch nicht, dass der Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziffer 1 EMRK begründet sein muss.104
Die Beschwerde an das kantonale Versicherungsgericht kann nur dann mit elektronischer Signatur erfolgen, wenn eine entsprechende kantonale Regelung besteht.105
Der vorliegende Beitrag basiert auf einer Zusammenstellung für den Anwaltskongress 2017, erweitert diese Zusammenstellung und führt die dortigen Ausführungen bis zum Stichtag 31. Mai 2017 fort.
Treffend diese Bemerkung von Ulrich Meyer, Präsident des Bundesgerichts, in: plädoyer 3/17, S. 17.
Beispiel: In BGer 9C_28/2017 vom 15.5.2017 wies das Bundesgericht den Schreibenden darauf hin, dass er eine Rüge ungenügend begründet hat (E. 3.1), dass ein Befangenheitsantrag auf unbelegten Tatsachenbehauptungen basiert (E.1.3) und dass der Schreibende unterlassen hat, eine spezifizierte Kostennote einzureichen (E. 5).
BGer 9C_560/2015 vom 15.4.2016, E. 4.2.
BGer 9C_213/2016 vom 17.10.2016 sowie 9C_407/2016 vom 23.11.2016.
BGer 9C_591/2016 vom 21.3.2017 betr. Liegenschaftstransaktionen.
BGer 9C_605/2015 vom 31.3.2016.
BGer 9C_733/2015 vom 14.4.2016.
BGer 9C_8/2016 vom 1.9.2016.
BGer 9C_68/2016 vom 29.1.2016.
BGer 9C_628/2016 vom 3.11.2016.
BGer 9C_41/2017 vom 2.5.2017.
BGer 9C_424/2016 vom 26.1.2017 betr. Beweisgrad für diese Tatsache.
BGer 9C_413/2015 vom 2.5.2016.
BGer 9C_579/2015 vom 22.3.2016.
BGer 9C_284/2015 vom 22.4.2016.
Urteil 200 15 762 des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 24.5.2016 betreffend Konkubinatsdauer und Ehedauer.
BGer 9C_551/2016 vom 5.12.2016 und BGer 9C_13/2016 vom 14.4.2016.
BGer 8C_14/2017 vom 15.3.2017 mit der Nennung von Ausnahmefällen in E. 5.3.
BGer 9C_296/2016 vom 29.6.2016.
BGer 9C_154/2016 vom 19.10.2016.
Dazu etwa BGer 9C_781/2016 vom 7.2.2017, E. 2.3, wonach es sich um eine seltene Konstellation handle, dass bei Depressionen leichter oder mittelgradiger Natur eine Therapieresistenz besteht.
BGer 9C_644/2015 vom 3.5.2016.
BGer 9C_713/2016 vom 13.12.2016.
BGer 9C_277/2016 vom 15.3.2017 mit der Annahme, die betreffende Person sei einem Arbeitgeber realistischerweise nicht mehr zumutbar (E. 4.3).
BGer 9C_770/2015 vom 24.3.2016.
BGer 8C_19/2016 vom 4.4.2016.
BGer 9C_632/2015 vom 4.4.2016.
BGer 8C_141/2016 vom 17.5.2016 sowie 8C_142/2016 vom 17.5.2016.
BGer 8C_910/2015 vom 19.5.2016.
BGer 8C_482/2016 vom 15.9.2016.
BGer 9C_804/2016 vom 10.4.2017.
BGer 9C_675/2016 vom 18.4.2017.
Vgl. zum Revisionsgesuch nach
dem gutheissenden Entscheid des EGMR BGer 9F_8/2016 vom 20.12.2016.
BGer 9C_819/2015 vom 12.4.2016 und 9C_820/2015 vom 12.4.2016.
BGer 9C_178/2015 vom 4.5.2016.
BGer 9C_590/2015 vom 18.7.2016.
BGer 9C_315/2016 vom 25.1.2017, 9C_426/2016 vom 25.1.2017, 9C_518/2016 vom 31.1.2017 oder 9C_658/2016 vom 3.3.2017 (letztgenanntes Urteil zu den Schubkrankheiten).
Dazu Art. 28 Abs. 4 UVV sowie BGer 8C_205/2016 vom 20.6.2016.
BGer 8C_443/2016 vom 11.8.2016.
BGer 8C_276/2015 vom 8.3.2016.
BGer 8C_734/2015 vom 18.8.2016.
Dazu Art. 48 UVV sowie BGer 8C_812/2015 vom 20.7.2016.
BGer 8C_453/2016 vom 1.5.2017 (Balkonsturz), BGer 8C_581/2016 vom 14.2.2017 (blauer Eisenhut). BGer 8C_773/2016 vom 20.3.2017 (Messerstich).
BGer 8C_688/2015 vom 21.3.2016.
BGer 8C_850/2015 vom 19.4.2016.
BGer 8C_358/2016 vom 28.9.2016.
Zur Abgrenzung vgl. BGer 8C_156/2016 vom 1.9.2016, E. 2.2.
BGer 8C_465/2016 vom 31.10.2016, E. 4.2.
BGer 8C_167/2016 vom 23.5.2016.
BGer 8C_236/2016 vom 11.8.2016.
BGer 8C_156/2016 vom 1.9.2016; vgl. zu Beschleunigungsmechanismus und Zeitpunkt Fallabschluss 8C_306/2016 vom 22.9.2016; weiteres Urteil zum Schleudertrauma: 8C_616/2016 vom 4.11.2016; zu Beschleunigungsmechanismus und Annahme eines mittelschweren Ereignisses auch 8C_651/2016 vom 15.12.2016, E. 5.4.
BGer 8C_729/2016 vom 31.3.2017 (prinzipielle Annahme eines mittelschweren Unfalls im mittleren Bereich).
BGer 8C_586/2016 vom 4.11.2016.
BGer 8C_818/2015 vom 15.11.2016.
Die Adäquanzbeurteilung muss transparent, in den Grundzügen nachvollziehbar und überprüfbar erfolgen; vgl. BGer 8C_298/2016 vom 30.11.2016, E. 5.3.
BGer 8C_474/2016 vom 23.1.2017 betr. Einordnung in Privatgutachten.
BGer 9C_319/2015 vom 9.5.2016.
BGer 8C_652/2016 vom 21.2.2017 betr. Hörschädigung beim Posaunisten im Orchester.
BGer 9C_435/2015 vom 10.5.2016.
BGer 9C_667/2015 vom 7.6.2016.
BGer 9C_572/2015 vom 22.6.2016.
BGer 9C_721/2015 vom 8.8.2016 betr. Beweis einer durchgeführten Auslandbehandlung.
BGer 8C_54/2016 vom 13.7.2016.
BGer 8C_853/2015 vom 29.11.2016.
BGer 8C_639/2015 vom 6.4.2016; vgl. auch 8C_865/2015 vom 6.7.2016. Weitere Urteile zum Entfall des Leistungsanspruchs bei arbeitgeberähnlicher Stellung:
BGer 8C_738/2015 vom 14.9.2016 und 8C_163/2016 vom 17.10.2016.
BGer 8C_556/2016 vom 23.11.2016 (Selbstkündigung), 8C_339/2016 vom 29.6.2016 (liederliche Bewerbungsunterlagen mit Tippfehlern).
BGer 8C_418/2016 vom 15.11.2016, betr. Verfassen einer Doktorarbeit als Befreiungsgrund.
BGer 8C_791/2016 vom 27.1.2017.
BGer 8C_676/2015 vom 7.7.2016, E. 7.
BGer 9C_257/2016 vom 29.6.2016.
BGer 8C_276/2016 vom 23.6.2016.
BGer 9C_793/2015 vom 19.8.2016.
BGer 8C_354/2016 vom 25.10.2016.
Diese Stelle hat Anlass zu diversen Urteilen gegeben; vgl. etwa BGer 9C_19/2017 vom 30.3.2017 (bezogen auf das Ausmass der Bestätigung hoher Arbeitsfähigkeit) oder 9C_338/2016 vom 21.2.2017 (betr. Umschreibung und Ergänzung des Gutachtens durch Prof. Dr. med. X).
BGer 9C_410/2016 vom 4.8.2016.
BGer 9C_253/2016 vom 22.9.2016 und 8C_483/2016 vom 27.10.2016.
BGer 8C_227/2016 vom 14.6.2016 betr. Annahme Unfallereignis (Sturz von Baum).
BGer 8C_452/2016 vom 27.9.2016 betr. uneinheitliche Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit.
BGer 8C_794/2016 vom 28.4.2017 mit der Verwerfung einer antizipierten Beweiswürdigung.
BGer 8C_747/2016 vom 21.3.2017.
Dazu etwa BGer 8C_776/2015 vom 22.3.2016; vgl. auch 8C_265/2016 vom 6.7.2016 betr. fehlende psychiatrische Abklärung, was nicht als zweifellos unrichtig bezeichnet wird.
BGer 8C_792/2015 vom 31.5.2016.
BGer 8C_464/2016 vom 27.9.2016, E. 6.1.
BGer 8C_425/2016 vom 16.12.2016, E. 4.2.
BGer 8C_193/2016 vom 26.10.2016, E. 4.3.
BGer 8C_668/2016 vom 5.12.2016.
BGer 9C_547/2015 vom 22.4.2016, E. 5.2 und 6.3.
BGer 8C_127/2016 vom 20.6.2016.
BGer 8C_372/2016 vom 29.12.2016.
Beispiel: BGer 8C_468/2016 vom 13.9.2016 (IV-Stelle ordnet eine verwaltungsexterne Begutachtung an und zeigt damit, dass sie die
Einwände der versicherten Person ernst nimmt).
BGer 8C_835/2016 vom 3.2.2017.
BGer 8C_669/2016 vom 7.4.2017.
BGer 8C_27/2016 vom 5.4.2016, E. 4.2.
BGer 9C_184/2016 vom 27.5.2016 mit dem Hinweis, dass bei ausgewiesener Honorarnote von der für den Normalfall zugesprochenen Parteientschädigung abgewichen werden kann (E. 6.2).
BGer 9C_250/2016 vom 27.5.2016.
BGer 8C_310/2016 vom 7.12.2016; vgl. auch BGer 9C_659/2016 vom 27.1.2017 (Einkommensüberschuss von monatlich Fr. 30.40 beim
Bestehen einer Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 29 756 Franken).
BGer 9C_122/2016 vom 6.6.2016.
BGer 8C_37/2016 vom 8.7.2016.
BGer 9C_103/2016 vom 23.8.2016.
BGer 8C_533/2016 vom 18.10.2016 betr. Rückweisung zur weiteren Abklärung.
BGer 9C_220/2016 vom 1.9.2016, E. 2.1.
BGer 8C_64/2017 vom 27.4.2017.
BGer 8C_723/2016 vom 30.3.2017.
BGer 8C_455/2016 vom 10.2.2017.