Von rassistischen Diskriminierungen sind oft die Schwächsten der Gesellschaft betroffen: Jungen Männern aus Ex-Jugoslawien wird etwa die Ausbildungsstelle verweigert. Auf dem Mietwohnungs- und Arbeitsmarkt werden die Bewerbungen unbeliebter Nationalitäten gleich ausgesondert. Im Versicherungs-wesen gehört Diskriminierungzum gesellschaftlich akzeptierten Normalfall. Derartige Diskrimi-nierungsfelder sind die Folge von strukturell-rassistischen Herrschaftsverhältnissen, die über lange Zeit wachsen konnten. Den Betroffenen wird durch die Benachteiligungen jegliche Macht entrissen, sich durch eine differenzierte Darstellung ihrer eigenen Persönlichkeit auf dem Markt zu beweisen. Die Vertragsfreiheit ist für die Opfer praktisch ausgeschaltet und für die Täter verabsolutiert. Ohne gesetzgeberische Gegenmacht wird der Rassismus weiter zementiert.
Schwache Rechtslageverunsichert Betroffene
Das geltende Recht wird den Ansprüchen einer fairen und effektiven Diskriminierungsbekämpfung nicht gerecht. Zwar wird in der jüngeren Lehre immer mehr die Meinung vertreten, dass nebst dem strafrechtlichen Verbot zur Rassendiskriminierung auch das Privatrecht, insbesondere derPersönlichkeitsschutz, rassistischeDiskriminierung untersagt. Die Rechtswirklichkeit sieht jedoch anders aus: Die fehlenden ausdrücklichen Diskriminierungsverbote im Privatrecht und die relativ niedrigen Sanktionsandrohungen verunsichern die Betroffenen und erzielen keinen oder nur einen schwachen Abschreckungseffekt. Darüber hinaus mindern auf dem Rechtsweg zahlreiche Barrieren die Durchsetzung der Gesetze: Die Unbekanntheit des Rechts, das Kostenrisiko, die Beweisproblematik, die unsympathisch wirkenden Gerichtsverfahren, die Angst vor negativen Konsequenzen sowie unangemessene und unsichere Rechtsfolgen machen den Rechtsweg unattraktiv und schwächen die Abschreckung. Die primäre Konzentration auf das Strafrecht führt weiter dazu, dass das Recht als bittere Moralin-Pille missverstanden wird.
Insgesamt betrachtet ist sowohl der Anreiz zur Leistung von Präventionsarbeit in Unternehmen als auch die Stärkung von Diskriminierten zur Beschreitung des Rechtsweges gering. Die Probleme bilden sich in Statistiken und Untersuchungen ab. Im Arbeitsrecht sind dem Verfasser gerade mal drei rechtskräftige Fälle bekannt: Dabei ging es um zwei Anstellungsverweigerungen und eine missbräuchliche Kündigung. Beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen kam es zwischen 1995 und 2008 zu 16 Strafverfahren; davon endeten einzig drei in Schuldsprüchen. Im Mietrecht sind keine Fälle bekannt, auch nicht im Bereich der Privatversicherungen.
Dem Diskriminierenden macht diese Bilanz keinen Eindruck. So zeigt sich bei Umfragen immer wieder, dass Arbeitgeber, Vermieter und Dienstleister tatsächlich der Auffassung sind, Diskriminierungen seien im Grundsatz zulässig, da sie von der Vertragsfreiheit erfasst würden. Ohne rechtlichen Druck gibt es offensichtlich keinen Anlass, institutionelle Präventionsmassnahmen zu ergreifen. Dabei bleibt der Rassismus im öffentlichen Raum weiterhin eine gesellschaftlich tolerierte Unschönheit.
Rechtspolitische Lösungsansätze
Ziel der Stärkung des Antirassismusrechts ist nicht etwa die Einschränkung, sondern die Universalisierung der Privatautonomie zugunsten der Menschenwürde. Und zwar möglichst wirksam. Antidiskriminierungsgesetze sind keineswegs der Weisheit letzter Schluss. Dennoch sind sie unverzichtbar: Mit ihrer Entstehung und Umsetzung sensibilisieren sie die Gesellschaft. Sind sie einmal in Kraft, signalisieren sie Toleranz und trotzen der Ausgrenzung. Um rassistischem Verhalten in der Gesellschaft entgegenzuwirken, sind schliesslich Sanktionsregelungen und Durchsetzungsinstrumente nötig. Sobald sich der gesetzgeberische Wandel in der Rechtsordnung widerspiegelt, wird er sich auch im gesellschaftlichem Verständnis durchsetzen.
Prinzipielle Nachteile hat ein solches Gesetz keine. Auch wenn man die Argumente der Gegner betrachtet, spricht alles zugunsten von Antidiskriminierungsgesetzen. Das «Lamentieren über eine Flut von Klagen» oder die «Angst vor dem Läuten der Totenglocke des Privatrechts» sind Befürchtungen, die im In- und Ausland gebetsmühlenartig heruntergeleiert werden. Sie stehen nicht im Einklang mit den rechtssoziologischen Befunden, die dem Diskriminierungsschutzrecht eine allseits gute Wirkung attestieren, und entpuppen sich oft als leere, polemisch überspitzte Worthülsen.
Erst wenn sich die Politik von den Scheuklappen befreit hat, wird sie sich der eigentlichen politischen und gesetzgeberischen Herausforderung nähern: Der konkreten Ausgestaltung des Rechts. So etwa, wie die Tragweite von Diskriminierungsverboten zu definieren sei, insbesondere deren sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich sowie ihre Rechtfertigung. Oder etwa die Frage nach wirksamen, abschreckenden und verhältnismässigen Sanktionen.
Wie lassen sich überhaupt effektive Instrumente zur Förderung der Prävention und Durchsetzung definieren beziehungsweise umsetzen? Alles Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Überdies haben sich die Lösungsansätze an den Grund- und Menschenrechten sowie am Verhältnismässigkeitsgrundsatz zu orientieren.
Diskriminierungsschutz stärkt liberalen Gedanken
Ich selbst plädiere für einen möglichst systemkonformen Ansatz: Eine Regelung im Privatrecht ist jenem im Strafrecht vorzuziehen, da es den liberalen Gedanken unserer Rechtsordnung stärkt. Damit untersteht die rechtliche Rassismusbekämpfung im Einzelfall der Freiwilligkeit der Betroffenen.
Der privatrechtliche Ansatz hat auch den Vorteil, dass die im Vergleich zum Strafrecht differenzierten Rechtsfolgeregelungen genutzt werden können. Systematische Diskriminierung bedarf zudem der ordnungsrechtlichen Interventionsmöglichkeit. Denkbar sind auch Diskriminierungsverbote im Rahmen von Subventionsleistungen.
Antidiskriminierungs- statt Antirassismusgesetz
Eines darf zum Schluss nicht ausser Acht gelassen werden: Antirassismusrecht wendet sich letztlich gegen Diskriminierungen. Der Schutz des Gesetzes hat daher für alle benachteiligten Gruppen zu gelten.
Eine Hierarchisierung nach unterschiedlichen Kategorien von Diskriminierungen darf es nicht geben. Deshalb darf nicht nur die Stärkung von Antirassismusgesetzen gefordert werden: Das Diskriminierungsschutzrecht ist insgesamt zu stärken. Nur so lässt sich ein hierarchie- und diskriminierungsfreies Recht ausgestalten, das den realen Herrschaftsverhältnissen entgegentreten kann.
Die Schweiz braucht keine Antirassismus-, sondern eine Antidiskriminierungsgesetzgebung. Auf diesen Umstand hat die EKR bereits hingewiesen: «Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber diese diskriminierende Hierarchisierung beseitigt und ähnliche Sensibilität auch im Bereich der Bekämpfung von rassistischer und anderweitiger Diskriminierung beweist.»